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Uwe Wolff: ROLF SCHILLING — Ein Dichter der Inneren Emigration

Aktualisiert: 7. März 2020

Am 13. März wird Rolf Schilling, obwohl bereits seit DDR-Zeiten überwiegend im Verborgenen lebend und wirkend, im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe TUMULT-Forum Gedichte und Essay-Passagen vortragen. Aus diesem seltenen Anlass präsentieren wir mit freundlicher Erlaubnis des Autors einige zentrale Abschnitte aus Uwe Wolffs großem NZZ-Beitrag über Schilling von 1990, als im deutschsprachigen Kulturbetrieb gespannte Erwartung und unvoreingenommene Neugier auf die Schubladenliteratur der DDR-Dissidenten herrschte.



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Wer sagt, daß die besten Dichter und Denker die DDR verliessen, nur Angepaßte im real existierenden Sozialismus blieben und reüssierten, der kennt u.a. die Schubladenliteratur der Inneren Emigranten nicht, die nun nach der Öffnung der Mauer bekannt wird. Mit ihr hat niemand gerechnet und schon gar nicht mit einer siebenbändigen Werkausgabe eines Dichters, von dessen Existenz nur ein kleiner Freundeskreis wußte. Der 1950 in Nordhausen geborene Rolf Schilling legt mit den Bänden „Das Holde Reich“ und „Schwarzer Apollon“ Essays zur Symbolik vor, einen Band mit Huldigungen an seine literarischen Wegbegleiter, zu denen George, Wagner, Jünger und Borges gehören, Übersetzungen von Swinburne und drei Bände mit eigenen Gedichten und Dramen unter den Titeln „Scharlach und Schwan“, „Stunde des Widders“ und „Questen-Gesang“.



Sänger und Seher


Rolf Schilling ist ein unzeitgemäßer Kämpfer gegen seine Zeit, sein Werk eine totale Verweigerung. Die moderne Wirklichkeit, die Welt der Technik, die Sprache des Alltags sind darin vollständig ausgeblendet. Seit George wurde in deutscher Sprache nicht mehr so gedichtet.

Windzeit, das sind für Rolf Schilling nicht nur die Jahre der SED-Diktatur, sondern die gesamte deutsche Unheilsgeschichte seit 1914, das ist die Urbanisierung, die innere Aushöhlung des Menschen, der „Werteverlust ohnegleichen“, die „Erstarrung und Mechanisierung des geistigen Lebens“, die Zerstörung der Natur und der Verlust der Tradition deutschsprachiger Dichtkunst, der Lesekultur. Gegen die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts setzt Schilling sein nicht unproblematisches Verständnis deutscher Dichtung, nach dem der Dichter Seher und Prophet ist. Nicht seine Zivilisationskritik, sondern seine archaisierende Sprache wird Mißverständnissen ausgesetzt sein und kontrovers diskutiert werden. Im hohen Ton apodiktischer Urteile, getragen durch ein von Nietzsche beeinflußtes Sendungsbewußtsein, beschwört Schilling die Götter Griechenlands, die vorchristlichen Mythen der Skalden, den Kult der Androgynität. Als Sprachrohr der Götter ist er Zeichenempfänger und -Stifter, vom Schicksal geleiteter Runen-Schnitzer, der sich in einer Privatmythologie zum letzten Sänger des „Holden Reiches“, zum Gralsritter und in seinem Amt als Dichter als „echter Gottesbeweis“ stilisiert:

Partizipialstil, Inversionen, Steigerungsformen der Adjektive und Substantive erzeugen das hohe Pathos in Schillings Lyrik; der Blick in End- und Verfallszeiten, verbunden mit heroischen Anredeformen, ermöglicht das hohe Lebensgefühl des letzten Sängers in einer Zeit, wo die Stimmen „verloht“ sind. Aare fliegen durch die Luft, Greife, Sphinxe und Einhörner werden beschworen, doch auf einsamem Posten mit blutender Stirn harrt der Sänger, während „Die Nornen, tagblind, spinnen – Das große Ausgeträumt“. Rolf Schillings Lyrik ist ausschließlich im Selbstgespräch mit der Literatur der Vergangenheit entstanden. Ihn bewegte dabei nicht nur der Versuch, seine „Identität als Mensch und Künstler im Raum deutscher Sprache und Tradition“ zu bewahren, sondern auch die Sehnsucht nach einer Erneuerung großer Dichtung aus dem Geist der Mythologie, wie es in anderem Sprach- und Kulturkreis Borges, Paz und Aitmatow gelungen sei. Daß durch die deutsche Geschichte sämtliche Träume vom „Holden Reich“ belastet sind, weiß Schilling. Er rechnet auch damit, daß man ihn als „elitär, pervers, faschistoid“ brandmarken wird. Das kann ihn in seinem Traum von den alten Göttern nicht beeinflussen. … dennoch hält er an altgermanischer Sitte und Religion fest, wissend: „Auch diese Welt besitzt, wie jede andere, ihre rein historische Seite, ihr Unwiederbringliches in dem Sinne, daß es gar nicht gut wäre, wenn gewisse Bräuche wiederkehrten, die sich nur begründen lassen aus der Härte des Daseins im nordischen Winter, aus dem Kampf ums Überleben in einer kargen und oftmals feindlichen Natur.“



Heroische Gegenwelt


Rolf Schillings Germanen sind reine Gestalten der Phantasie, die mit unserer geschichtlichen Wirklichkeit kaum etwas zu tun haben. Das gerade könnte sie gefährlich machen. Ihnen kommt auch keine echte symbolische Qualität zu, sie dienen nur zur Evokation von Gefühlen und Stimmungen. Eine kleine Szene aus dem Essay „Questenberg. Fährten im Traum-Harz“ belegt dies. Unterwegs mit seiner kleinen Tochter Elisabeth besteigt Rolf Schilling die Burgruine auf dem Questenberg, sieht dort das alte heidnische Symbol des Sonnenrades und träumt in einem Anflug von heroischem Nihilismus: „Dort oben, aufrecht, vom Blitz erschlagen werden: das wäre ein schöner Tod.“ Im holden Reich der Träume und heroischen Tode ist besser weilen als in schnöder Wirklichkeit. Die Realität interessiert Schilling nicht, nur deren mythologische Überhöhung. Das unterscheidet ihn von Ernst Jünger, den er zu seinen Ahnen zählt. Die real gelebte Mythologie, die zu Pfingsten auf dem Questenfest der Bauern auflebt, wird ignoriert: „Ich war nie dabei und habe gar keine Lust, es zu sehen oder gar mitzutun. … Aber ich stelle mir vor, was hier sein könnte, was hier, vielleicht, einmal war und ahndungsweise noch immer ist: lodernde Reiser auf Bergeshöhen, Sonnenräder, die zu Tale schauern, Stirnen, in Widderblut getaucht, Arme, von Schwertern verletzt: ein deutscher Sacre du Printemps.“ Niemand würde mehr erschrecken als Rolf Schilling, wenn im wiedervereinigten Deutschland dergleichen tatsächlich geschähe. Diese Visionen sind wie bei Nietzsche Teil der Kompensation der eigenen schwachen Natur, sind heroische Gegenwelt zur Banalität und Erlebnisarmut des eigenen Lebens, und als solche sollten sie auch gelesen werden.



Selbststilisierung oder Selbstbehauptung?


Zur Selbst-Stilisierung gehört eine mythologische Landschaft, und die hat Rolf Schilling nicht erfunden. Er lebt in dem Dorf Bielen, zwischen Harz und Hörselbergen, der Lutherstadt Eisleben, Klopstocks Geburtsort Quedlinburg und dem im Kyffhäuser schlafenden Barbarossa. Novalis wurde in dieser an mittelalterlichen Burgen reichen Landschaft geboren und Nietzsche, an dem Schilling die „Selbst-Apotheose des genialen Menschen“ bewundert, „daß einer bis zum Äußersten geht“. Der Leser des „Doktor Faustus“ weiß, daß Thomas Mann die urdeutscheste aller Städte, Kaisersaschern, hier angesiedelt hat. Wie der einsame Tonsetzer Adrian Leverkühn, so lud auch Rolf Schilling dreimal im Jahr seine Freunde zu einem Dichtertreffen unter freiem Himmel ein, um ihnen aus dem in der Einsamkeit anachronistischer Ausschweifung geborenen Werk auswendig vorzutragen. Denn die „Lyrik hat man im Gedächtnis zu haben“. Die Erfindung des Buchdrucks hielt Schilling damals noch für ein „Capital-Verbrechen“, denn „wenn man die Geschichte des Schrifttums überblickt, so gibt es vielleicht hundert Bücher, die man gelesen haben muß, und ein Dutzend Bücher, die man besitzen muß. Die kann man selber mit der Hand abschreiben.“


Wer zu Schillings Vorträgen „beschieden“ war, der mußte vor Beginn jeder Veranstaltung ein Sonett aus dem Stehgreif dichten können. Da trennte sich schnell die Spreu vom Weizen. Für Schilling ist Dichtung „nicht Erfahrung, sondern Prophetie“, die sich aber nirgendwo als Innen erfüllt. Der Traum vom Reich, den nach der Sage Kaiser Barbarossa in seiner Kyffhäuserhöhle träumt, ist nicht von dieser Welt. Schillings Dichtung basiert auf einer Zwei-Reiche-Lehre. Jeder Ganzheitsideologie fern, trennt er Dichtung und Leben. „Es gibt keine Lösung, vor allem keine endgültige. Wir müssen die Spannung von Innen und Außen, zwischen Geist und Macht, zwischen Kunst und Leben aushalten, in ihr existieren auf Gedeih und Verderb.“ In diesen Sätzen werden sich viele Kritiker der Moderne wiederfinden können, und auch der Rückblick auf die Vergangenheit gehört zum Grundbestand einer humanistischen Kultur der Memoria, wenn er jeder Generation von Lesern vor Augen stellt, „was menschenmöglich ist und menschengemäß, allem Furchtbaren zum Trotz: Goethe und Hölderlin, Novalis, Kleist, Schopenhauer, Franz Schubert und Anton Bruckner, Wagner und Nietzsche und all die anderen – sie haben gelebt, unwiderruflich, haben ihr Werk vollbracht in Zeiten, die nicht besser waren als die unsere.“


Wer möchte leben ohne den Trost der Bücher? Daß Rolf Schilling durch sie seine Identität als Dichter bewahren konnte, ist offenkundig. Ob sein lyrisches Werk mit der Welt, gegen die er sich hermetisch abdichtete, untergehen wird oder ob es als Zeichen der Selbstbehauptung gegenüber der Tyrannis die Macht der Sprache anschaulich dokumentiert, wird sich zeigen. Als Verächter des sekundären Diskurses wird Schilling davon ungerührt bleiben: „Der Dichter braucht keine Rezensenten, sondern Mäzene.“



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Über den Autor:


Uwe Wolff (*1955), studierter Kulturwissenschaftler und Theologe, wirkt seit 2012 als Privatdozent an der Universität Hildesheim und widmet sich schwerpunktmäßig der Engelsforschung.


 

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