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Till Kinzel: MEDIENMÄRCHEN - EINE WIEDERVORLAGE

Was hat man nicht in den letzten Jahren alles an Bezeichnungen gehört für das, was einst als angebliche „Vierte Gewalt“ bezeichnet wurde! Die einen sprachen von Lügen-, andere von Lückenpresse; es gibt die System- oder Mainstreammedien und den Staatsfunk – oder, aus anderer Warte, „unsere Wahrheitssysteme. Es wird in diesen Medien wahlweise oder in Kombination „gerahmt“ und eingeordnet, weggelassen und verzerrt, die Informationsvergabe mit Meinungssprache angereichert – und es werden die Kritiker der Regierung wie der Medien allerlei mehr oder weniger – meist wohl Letzteres – „Faktenchecks“ unterworfen, nie aber die Falschnachrichten von Regierungsseite. Ausgewogenheit wird von diesem Mediensystem verworfen als angeblich falsche Neutralität; Unparteilichkeit und Wertungsabstinenz sind dort ebenso Fremdworte wie echte Kontroversen über die existentiellen Fragen der Zeit.





Nimmt man aber das neue – und zugleich alte, da erstmals 1996 erschienene – Buch von Burkhard Müller-Ullrich in die Hand, so liegt noch ein anderer Begriff nahe: Märchenmedien. Denn es sind die Medien, zu denen sowohl die öffentlich-rechtlichen wie die privaten (und manchmal gleich beide zusammen wie in sogenannten Recherchenetzwerken) gehören, die zu den modernen oder postmodernen Märchenerzählern geworden sind.


Endlich wieder Radio hören


Burkhard Müller-Ullrich ist heute jedermann bekannt (oder sollte es doch sein!) als Gründer und Leiter des Kontrafunks, jenem Projekt einer alternativen Radiokultur, das vielen Hörern das Radio erst wieder zu einer Gewohnheit werden ließ. Denn seitdem die Massenmedien fast durchgängig seit 2015 die Arbeit der Promigrationspropaganda, der Förderung der Klimahysterie und der Apologie des offiziellen Coronamaßnahmen-Diskurses übernommen hatten, um von anderem wie den ständigen Rassismus-, Gender- und Kolonialismus-Kampagnen hier zu schweigen, wurde das Radiohören geradezu zu einer Qual – akustisch zusätzlich markiert durch den genderistisch motivierten Glottisschlag, der den woken Ideologen signalisieren soll, das man mit ihnen gemeinsame Sache zu machen gewillt ist.

 

Wer als radio-affiner Mensch nun wieder regelmäßig die Stimme Müller-Ullrichs im Ohr hat, wird gern auch zu dem Buch über die Medienmärchen greifen, das in vorbildlicher Weise eben diese auseinandernimmt und seziert – an konkreten Beispielen, weil man nur am Beispiel lernen kann, die Machart zu verstehen, mit der die Medien sich an der Kontrolle der Öffentlichkeit versuchen.

Nun waren damals, als Müller-Ullrich seine Artikel schrieb, viele der Fälle, die er aufspießte, sicherlich Einzelfälle und Ausrutscher, die nicht das gesamte Mediensystem repräsentierten. Aber diese Zeit ist längst vorbei, denn inzwischen sind wir mit einem „Radikalverfall des Mainstreams“ konfrontiert, der das journalistisch Richtige meist nur noch als Ausnahme zuläßt, die mehr oder weniger zufällig „durchgerutscht“ ist, aber im Bedarfsfall auch schnell wieder aus den Mediatheken verschwinden kann. Es fällt nicht mehr auf, wenn „Framing“ betrieben wird, sondern nur noch, wenn es einmal wider Erwarten unterbleibt. Sachlichkeit als Prinzip hat da einen schlechten Stand. Gleichwohl wird man Müller-Ullrichs Maxime nur cum grano salis nehmen dürfen, auch wenn einiges für sie spricht: „Nehmen Sie stets und immer von allem, was ihnen im Zwangsgebührenfunk und -fernsehen erzählt wird, das genaue Gegenteil an, dann liegen Sie ungefähr richtig.“ Ungefähr – und eben deshalb bleibt einem als Medienkonsument das eigene Denken und Bedenken nicht erspart. Dies zu schulen, bleibt immer eine Herausforderung, vor allem heute, wo insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk und das Fernsehen zu im eigentlichen Sinne freiheitsfeindlichen Institutionen geworden sind. Denn sie spielen eifrig mit bei der Floskelisierung der Sprache, bei der Verteilung von Etiketten an Regierungskritiker, bei der „Delegitimierung“ der Demokratie durch die Suggestion, jene seien keine Demokraten, die nur an der Politik jener Kritik üben, die sich als „selbsternannte“ Demokraten letztlich zu Gralshütern der Postdemokratie gemacht haben.


Angriff der Experten


Auch wenn sich gerade in den letzten Jahren nochmals etliche Drehungen der Schraube beobachten ließen, macht Müller-Ullrichs Buch auch klar, daß wichtige Bestandteile des medialen Komplexes schon vor Jahrzehnten existierten, so etwa die krasse Einseitigkeit der Auswahl von „Experten“, wie beim Waldsterben, oder die Entrüstungsmaschinerie, die sich in Nullkommanichts anwerfen läßt, nach dem Motto: „Wer Zweifel sät, erntet Entrüstung.“ Die damals schon zu erkennende Hemmungslosigkeit in der Bewußtseinsindustrie hat sich seitdem nicht vermindert, im Gegenteil. Ist doch der damit verbundene Haltungsjournalismus heute quicklebendig. Entsprechend fällt Müller-Ullrichs Diagnose der heutigen Märchenmedien deutlich harscher aus:


In allen Sendern, Häusern, Abteilungen, Studios haben sich konspirativ-kooptativ und quasi durch Osmose Migrationsbegeisterung, Genderwahn, Klimahysterie und Coronapanik durchgesetzt, und in den Führungsetagen findet sich kein einziger Charakterkopf mehr, der dem Narrentreiben Einhalt geböte. Von den leitenden Redakteuren bis zum letzten Moderator sind alle darauf bedacht, allen anderen ihre Tugendhaftigkeit zu signalisieren und dabei einander an Schärfe und Entschiedenheit zu überbieten.

Aber auch die „alte“ Medienkritik Müller-Ullrichs kann mit ihrer reflektierenden und damals eben auch noch humorigen Grundnote exemplarischen Zweifel sähen – zum Waldsterben, zu Tschernobyl, zu Brent Spar und Greenpeace, zu Tierschutz und zum Brand in einem Lübecker Asylbewerberheim, zur rumänischen Revolution oder zum Krieg in Sarajewo. Manches davon mag einem, wie Müller-Ullrich selbst im Rückblick, vielleicht als „pillepalle“ erscheinen – aber es sind doch aufschlußreiche Probe-Grabungen zu einer Archäologie jener Märchen erzählenden „Tausendundeinenachtabteilungen“ (Tellkamp), die das Land mit einem Netz von Narrativen überzogen haben und täglich überziehen, um der „Superpropaganda“ (Jacques Ellul) weiterhin Geltung zu verschaffen.


Uwe Tellkamp, selbst ein Abweichler des Kultur- und Literaturbetriebs, präsentiert das Buch – und seinen Autor – als Repräsentanten des Zweifels gegenüber der Gewißheit. Und das wir diesen Zweifel gegenüber den, wie es heute heißt, gängigen Narrativen der Medien brauchen, ist gewiß. Wir sollten uns, auch das lehrt uns Müller-Ullrichs Buch, nicht so leicht einen Bären aufbinden lassen oder eben Märchen erzählen lassen.


Respektlosigkeit ist gefragt


Die Medienmärchen der Märchenmedien – sie sind leider nicht einfach nur unterhaltsam, sondern Wirklichkeitssimulakren, die schlechte Effekte in der wirklichen Wirklichkeit nach sich ziehen. Zum Beispiel durch konsequente Moralisierung die Verhinderung von Sachdiskussionen und -entscheidungen, vor allem die Verstetigung einer falschen Zweckprogrammierung in den Bereichen Migration, Klima und Gesundheit, aber auch in der Wirtschafts-, Energie-, Justiz- und Außenpolitik. Die Massenmedien sind heute zu großen Teilen ein Hindernis für eine klare Erkenntnis der Lage. Zweifel und auch eine gehörige Portion Respektlosigkeit ihnen gegenüber sind daher für die Restauration einer halbwegs ordentlich funktionierenden Republik unabdingbar. Insofern braucht es tatsächlich, wie Müller-Ullrich sagt, „Spielfelder des Querdenkens und geistige Oasen“, die, wie der Kontrafunk, einen Beitrag zur dringend notwendigen Kunst der Krisenklugheit leisten. Denn sonst kann es nicht gelingen, aus den betonierten Meinungs- und Gesinnungskorridoren auszubrechen und die dominierende „Meinungswirtschaft“ (Tellkamp) grundlegend aufzulockern.

 

Burkhard Müller-Ullrich: Medienmärchen. Gesinnungstäter im Journalismus – eine Wiedervorlage. Reihe Exil. Dresden: Edition Buchhaus Loschwitz, 2023. 192 Seiten. 19 Euro


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Über den Autor: Till Kinzel ist habilitierter Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er hat u.a. Bücher zu Allan Bloom, Nicolás Gómez Dávila, Philip Roth und Michael Oakeshott und Johann Georg Hamann publiziert. In TUMULT hat er über Panajotis Kondylis geschrieben (und im Blog über Ricarda Huch und Wyndham Lewis).




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