Der Name des aus Ungarn stammenden Milliardärs George Soros (91) ist eng verknüpft mit dem Begriff der „offenen Gesellschaft“. Dieser wurde ursprünglich von dem französischen Philosophen Henri Bergson geprägt und bekanntlich von Sir Karl Popper in das politische Denken eingeführt. Er sollte eine Gesellschaft kennzeichnen, die nicht-totalitär ist und innere Freiheit gewährleistet. An eine im eigentlichen Sinne grenzenlose Gesellschaft, die durch Massenmigration ständig verändert wird, wurde damit aber nicht gedacht.
Hindu-Gottheit Kali attackiert den grünen Dämon (ca.1740)
Schon der Wissenschaftstheoretiker Gerard Radnitzky hatte moniert, daß „offene Gesellschaft“ zu einem geflügelten Wort geworden und so oftmals zu einem bloßen Lippenbekenntnis geworden sei. Dabei werde zudem vergessen, daß Offenheit „nur eine notwendige, nicht die ausreichende Bedingung für eine freiheitliche Ordnung“ sei. Offenheit ist nämlich in sich widersprüchlich, weil sie in sich einen selbstzerstörerischen Kern enthält. Offenheit als positiver Wert erfordert die Bestimmung eines Feindes als den, der nicht für alles offen ist. Und so kann neben einer Offenheit als Gleichgültigkeit auch eine Offenheit als Konformismus wirksam werden, weil sie die Besinnung auf das Eigene letztlich unterdrückt.
Als Soros noch während des Kalten Krieges 1979 die „Open Society Foundation“ ins Leben rief, war die Agenda nicht schon dieselbe wie heute. Denn Soros unterstützte damals auch Bemühungen, die marxistischen Diktaturen hinter dem Eisernen Vorhang im Sinne des Pluralismus und Liberalismus aufzuweichen. Dieses Ziel, das kommunistische System zu beseitigen, war 1991 erreicht. Stattdessen wollte Soros nun die deutlich schwierigere Aufgabe der Etablierung einer genuin „offenen Gesellschaft“ herbeiführen. Diese Konzeption einer offenen Gesellschaft richtete sich fortan nicht mehr gegen kommunistische Diktaturen, sondern gegen den „Nationalismus“, worunter auch die Artikulation nationaler Interessen und das Bestehen auf nationaler Souveränität fallen, als den angeblich größten Feind der „offenen Gesellschaft“.
Der amerikanische Journalist Matt Palumbo präsentiert nun in seiner Studie The Man Behind the Curtain. Inside the Secret Network of George Soros (New York 2023) den Versuch, nüchtern und sachlich Soros' Werdegang knapp nachzuzeichnen, vor allem aber das Netzwerk aufzuzeigen, das sich mit Hilfe der Finanzierung durch Soros und seiner Stiftung über Ländergrenzen hinweg gebildet hat und heute eindeutig einer politisch linken Agenda verpflichtet ist.
Nun genügt ein Blick in die Online-Enzyklopädie Wikipedia, auf deren politische Schlagseite in solchen Dingen Verlaß ist, um zu konstatieren, daß jede Kritik an Soros dem Verdikt der „antisemitischen Verschwörungstheorie“ verfällt. Kritik an Soros ist so eine höchst heikle Angelegenheit, auch wenn sich nicht bestreiten läßt, daß es auch eine antisemitisch getönte Kritik an ihm gibt. Denn welche Art der Kritik des Propagandisten einer „offenen Gesellschaft“ würde von Seiten der Linken, welche die Wikipedia-Narrative kontrollieren, überhaupt als legitim angesehen werden? Allein die Tatsache, daß der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, einst selbst ein Soros-Stipendiat, heute zu dessen schärfsten Kritikern gehört, dürfte im Einzugsbereich der öffentlich-rechtlichen Medienwelt ebenfalls nicht hilfreich für eine neutrale oder gar kritisch-investigative Berichterstattung sein. Sage und schreibe 100 Millionen Dollar soll die ungarische Regierung für eine Anti-Soros-Werbekampagne ausgegeben haben, die dazu beigetragen hat, Soros in seinem Heimatland zu dämonisieren. Eine Stärke von Palumbos Buch ist es aber gerade, daß er sich von solchen Dämonisierungen und rhetorischen Übertreibungen fernhält und nachgerade eine unterkühlte Berichterstattung betreibt.
Was nun die politischen Auswirkungen der von Soros, seiner Stiftung und nahestehender Organisationen unterstützten Programme angeht, sind diese nicht unbedingt direkt meßbar, auch wenn Palumbo akribisch auflistet, welche finanziellen Zuwendungen an wen flossen. Dazu kommt eine gewisse Unübersichtlichkeit des philanthropischen Engagements in einer Vielzahl von Ländern. Nicht alles steht dabei der Öffentlichkeit so klar vor Augen wie das Projekt der Central European University (CEU), die lange Jahre vor allem in Budapest wirkte, inzwischen aber aus dem Lande gedrängt wurde und nach Wien umziehen mußte, wo man Soros deutlich freundlicher gegenübersteht. Soros' eigenen Worten zufolge zielt seine Unterstützung im Bildungsbereich auf eine Bildung, welche die Autonomie des Einzelnen durch Entwicklung des kritischen Denkens und eine Betonung der akademischen Freiheit stärken soll. Die CEU habe in diesem Sinne die Mission, die Werte der offenen Gesellschaft zu fördern.
Folgt man Palumbo, so konzentriert sich ein nicht unerheblicher Teil von Soros' politischer Unterstützung auf Kandidaten auf der lokalen Ebene in verschiedenen Staaten in den USA, die der Reportage zufolge oft einer Agenda folgen, welche polizeikritisch ist – was in zahlreichen Gemeinden zu einem Rückgang der polizeilichen Maßnahmen sowie zu einem Anstieg der Kriminalitätsraten führte.
Soros und seine Stiftung pflegten aber immer auch enge Kontakte zu hochgestellten Politikern etwa im Umfeld Hillary Clintons, während der Stiftungsgründer von Barack Obama enttäuscht war – vermutlich weil man ihm unter diesem Präsidenten die Türen nicht weit genug geöffnet hatte. Soros unterstützte Hillary Clinton gegen Donald Trump, so wie er auch Geld spendete, um den Konservativen Brett Kavanaugh als Verfassungsrichter zu verhindern. Palumbos Buch ist zudem mit vielen Detailinformationen angefüllt, die für viele Leser mit wenig Anschauung gefüllt sein dürften, weil sie sich auf viele verschiedene Länder und teils kaum bekannte Organisationen beziehen. Ein generelles Problem bei der Beurteilung einer weitverzweigten Organisation wie der Open Society Foundation besteht darin, daß für den Außenstehenden die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Handeln einer Organisation und den öffentlich deklarierten Zielen schwierig einzuschätzen ist.
Palumbo zitiert verschiedene direkte Aussagen zu den politischen Zielen von Soros selbst, aber er bietet letztlich keine inhaltliche systematische Analyse dieser Überzeugungen. Es dürfte daher für interessierte Leser ratsam sein, auch Soros' eigenes Buch In Defense of Open Society von 2019 heranzuziehen. Denn hier erfährt man noch etwas detaillierter, worin Soros die Herausforderungen unserer Zeit sieht und welche Stellung er zu ihnen einnimmt. Soros engagierte sich offensiv gegen den Brexit, weil er darin – sicher zu recht – eine existentielle Krise der Europäischen Union erblickte; auch dieses Engagement trug jedoch im Letzten keine Früchte. Soros ist auch für die eine oder andere Überraschung gut, gilt ihm doch die EU allen Ernstes als „Verkörperung des Ideals der Offenen Gesellschaft“, obwohl in der EU kaum irgendetwas ideal ist. Und wenn er auf die deutsche Politik schaut, erkennt er in den „Grünen“ die einzige konsequente pro-europäische Partei. Diejenigen dagegen, die sich für eine „Festung Europa“ starkmachten, seien dagegen extremistische Anti-Europäer.
Da das Buch Palumbos auch mit Informationen aus geleakten Dokumenten und Korrespondenzen arbeitet, bleibt mancher Zusammenhang etwas bruchstückhaft, zumal nicht immer klar ist, welche konkreten Folgen Versuche der Einflußnahme haben. Daß Soros' Stiftung z.B. eine Liste „zuverlässiger Verbündeter“ im Europäischen Parlament erstellte, die 226 Abgeordnete als „erwiesene oder wahrscheinliche“ Unterstützer bezeichnet, ist gewiß aufschlußreich, gehört aber wohl zur üblichen Lobbypraxis – wie daraus im Einzelnen konkrete Politik wird, ist noch einmal eine andere Sache. Zu beachten ist auch: Im Jahre 2016 war Soros' Unterstützung für Hillary Clinton nicht erfolgreich. Soros unterstellte Trump, einen Mafia-Staat – so nennt er übrigens auch Orbáns Ungarn – errichten zu wollen. Und er nennt ihn in einem Atemzug mit Potentaten wie Putin und Kim Jong-un – aber auch das ist kaum mehr als eine rhetorische Übertreibung ohne großen Erkenntniswert.
Während er anfangs die offene Gesellschaft propagiert habe, weil sie noch nicht existierte, müsse diese nun verteidigt werden, so Soros. Ursprünglich wollte dieser seine Stiftung mit seinem Tod enden lassen, denn zu oft hätten sich in solchen Fällen Stiftungen von den Zwecken ihrer Gründer entfernt. Davon ist Soros jedoch inzwischen abgekommen – er hat deren Zukunft so gesichert, daß mit der Open Society Stiftung weiterhin als linkspolitischem „global player“ zu rechnen sein wird.
Matt Palumbo: The Man Behind the Curtain. Inside the Secret Network of George Soros. New York: Liberatio Protocol 2022. 209 Seiten, 16,20 €
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Über den Autor: Till Kinzel ist habilitierter Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er hat u.a. Bücher zu Allan Bloom, Nicolás Gómez Dávila, Philip Roth und Michael Oakeshott und Johann Georg Hamann publiziert. In TUMULT hat er über Panajotis Kondylis geschrieben (und im Blog über Ricarda Huch und Wyndham Lewis).
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