Nur Fundamentalisten lachen nicht. So lautet zumindest das Fazit unseres Autors Thomas Hartung, der sich in seinem Essay an den jüngsten Verengungen der bundesdeutschen Meinungskorridore - unter anderem durch das Landgericht Bremen - abarbeitet: Zugewanderte „Goldstücke“, so versuchen uns politkorrekte Sprachregler einzutrichtern, sind nicht mehr länger nur Sarkasmus, sondern ab sofort auch und vor allem Hassrede - und „Kraft durch Freunde“ ist keine Satire, sondern grenzt hart an Volksverhetzung. Früher war Humor, wenn man trotzdem lachte. Mittlerweile scheint man es mit Humor nur dann noch zu tun zu haben, wenn staatliche Stellen zuvor ihr diskurshoheitliches Lach-Plazet signalisieren.
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Selbst Dirk Kurbjuweit ist Ende Juni im Spiegel aufgefallen, dass mit dem Verhältnis zwischen Humor und Politik etwas nicht stimmt. So führten sich einerseits viele Politiker auf wie Komiker: wenn Günther Oettinger versucht, Englisch zu sprechen, sich Julia Klöckner freut, dass der Staat und nicht der Steuerzahler für die Asylkrise aufkommt oder Sigmar Gabriel seinen Mittelfinger zeigt – von der Konfetti-Parade im Bundestag nach der Verabschiedung der „Ehe für alle“ ganz zu schweigen.
Andererseits haben Komiker Erfolg in der Politik: Beppe Grillo gründete die Fünf-Sterne-Bewegung, die bei den Parlamentswahlen in Italien 2013 aus dem Stand 25 % holte und stärkste Kraft wurde, Wolodymyr Selensky ist gar zum Präsidenten der Ukraine gewählt worden, und Ex-Titanic-Chef Martin Sonneborn führte „Die Partei“ jüngst mit erheblichem Stimmenzuwachs erneut ins Europaparlament. Auch in Guatemala, Island und Slowenien waren Komiker in Staatsämter gelangt oder haben mit ihren Parteien die politische Landschaft aufgemischt.
Das eigentliche Problem aber ist ein anderes, das kürzlich ein bebilderter Witz der New York Times zutage treten ließ: Eine Karikatur, die Trump und den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zeigte, spielte mit Stereotypen, die vielen Betrachtern antisemitisch vorkamen. Die Zeitung schaffte daraufhin die Karikaturen komplett ab. Die FAZ- und Stern-Karikaturisten Achim Greser und Heribert Lenz erbosten sich in der FAZ: „Es ist ein Akt der Selbstzensur, dieses publizistische Instrument aufzugeben, eine Beschneidung von traditionellen Möglichkeiten der meinungsbildenden Kritik. Und es ist ein Kotau vor den Utopisten einer diskriminierungsfreien Welt, die glauben, den Schlüssel für deren Erlösung darin zu besitzen, dass sie die Sprache in Wort und Bild steril halten und auf das dialektische Prinzip von Debatten verzichten.“
Die amerikanische Autorin Sarah Pines kommentierte die Abschaffung in der NZZ dagegen zustimmend: „Radikale politische Korrektheit verlangt wertfreie Worte und Bilder, die Kategorien wie Rasse, Sexualität und Religion aussparen. Sie verträgt keine Zweideutigkeiten, keine Ambivalenzen, keinen Humor, keine ironischen Spitzen.“ Die eigentliche und bedenkliche Folge also ist, dass der Einfluss humorfreier politischer Korrektheit zunimmt.
- Dinge sehen, wie sie sind -
Nun lässt sich die Wahl von Clowns in politische Ämter, selbst wenn der Witz in der öffentlichen Debatte riskant geworden ist, historisch mit der Rolle des Narren erklären: er durfte den Mächtigen ungestraft den Spiegel vorhalten. Wenn heute im linken Spektrum die politische Korrektheit forciert wird, schätzt man rechts Politiker, die es verbal krachen lassen. „Oder neutral: Wenn fast alle ihre Worte hüten und nur noch das Abgerundete, Ungefährliche aussprechen, fällt der auf, der sich als authentisch verkauft“, unabhängig davon, ob die Authentizität echt oder gespielt ist, meint Kurbjuweit.
Dass man dann lieber gleich die Narren wählt, weil sie die Probleme der Gesellschaft wenigstens noch erkennen, während jene, die für deren Beseitigung gewählt wurden, sie gar nicht mehr wahrzunehmen scheinen, liegt auf der Hand. Die klassische Politik gerät damit in die Klemme, befindet Kurbjuweit: „Auf der einen Seite stehen die Clowns, die Grenzen ausdehnen und bisher Unmögliches möglich machen wollen, Unsagbares sagbar. Auf der anderen Seite versammeln sich die Priester der politischen Korrektheit, die die Grenzen noch enger ziehen wollen.“
Und genau diese Verengung hat jetzt das Landgericht Bremen in einem Urteil praktiziert und Sarkasmen wie „Goldstücke“ als Hassrede eingestuft, weshalb sie zu Recht bei Facebook gesperrt werden können. Ein Bremer hatte gegen die Kontosperrung geklagt, das Gericht aber Facebook Recht gegeben. Dass dieser unerträgliche Auswuchs von Gesinnungsjustiz keinen medialen Aufschrei in der Öffentlichkeit nach sich zog, ja selbst Kurbjuweit in seinem Text keine Silbe wert war, lässt tief blicken. Wenn aber die Verwendung sprachlich-stilistischer Mittel, die jedem Sprachträger einer Sprache zur Verfügung stehen, einseitig von nichtjustiziablen Werten abhängig gemacht werden, ist das Recht suspendiert, um ideologische Grundannahmen aufrechterhalten zu können.
Was ein Verbrechen sei, habe nicht mehr eine formale Gesetzesvorschrift zu bestimmen: Entscheidend sei allein, ob eine Handlung „gesellschaftsgefährlich“ ist – für solche Aussagen, die einem heute noch – oder vielmehr wieder – das Blut gefrieren lassen, erhielt die „Rote Hilde“ Hilde Benjamin 1952, damals Vizepräsidentin des Obersten Gerichts und später nicht nur erste Justizministerin der DDR, sondern weltweit, von der Ostberliner Humboldt-Universität die Würde eines „Ehrendoktors der Rechte“. Sie habe damit „besondere Leistungen bei der Fortentwicklung des neuen demokratischen Strafrechts“ vollbracht. „Die Entscheidung, ob wir in diesem Jahr eher 30 Jahre Mauerfall oder doch 70 Jahre DDR feiern, neigt sich immer mehr gen Version zwei“, beklagt Michael Klonovsky.
Mittel wie Sarkasmus und Satire, aber auch Zynismus oder Ironie werden gerne dann verwendet, wenn etwas als falsch und überholt empfunden wird, aber noch so übermächtig ist, dass man es nicht direkt überwinden kann. Aber ebenso, wie sich in einer Demokratie jeder Nichtpolitiker politisch äußern kann und soll, muss auch jeder Mensch sarkastisch sein dürfen – einerlei, ob er Kabarettist, Literat oder Comedian ist und als „Künstler“ sein Geld verdient. Kein Geringerer als Oscar Wilde sagte einst, Zynismus ist „die Kunst, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten“. Und wer einen messermordenden Somalier in Paraphrasierung von Martin Schulz‘ (SPD) Satz: „Was die Flüchtlinge uns bringen, ist wertvoller als Gold“ als „Goldstück“ beschreibt, benennt damit genau die Realität, die viele Menschen nicht sehen können und wollen: dass Deutschland der verfassungswidrige Zuzug vorgeblich Asylsuchender eine Gewaltwelle bescherte.
Die Begründung der Richter verhöhnt dabei sogar die schon länger hier Lebenden, denn der Beitrag des Mannes gilt ihnen als „Angriff auf eine Personengruppe“, indem ein „Messermord“ mit der Gesamtheit aller Flüchtlinge in Beziehung gesetzt werde. „Es ist gerichtsbekannt, dass Anhänger der rechten Szene Flüchtlinge als ‚Goldstücke‘ bezeichnen“, ist im Urteil vermerkt. Aber im Februar 2017 hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg ein Verfahren gegen den türkischen Elternrat Malik Karabulut eingestellt, der die Deutschen pauschal in einem Facebook-Beitrag als „Köterrasse“ verunglimpft hatte. Die Begründung: „Deutsche“ ließen sich „nicht als unterscheidbarer Teil der Gesamtheit der Bevölkerung abgrenzen“. Die Logik lautet also: während sich „Flüchtlinge“ von „Deutschen“ unterscheiden lassen, gehören umgekehrt Deutsche und Flüchtlinge zur „Gesamtheit der Bevölkerung“, weswegen Deutsche davon nicht unterscheidbar sind. Das ist ein Unding.
- Rettung der Welt als Verfassungsziel? -
Lothar Fritze befand kürzlich:
„Die Repräsentanten des demokratischen Rechtsstaates sind nicht befugt, im Resultat einer spontanen Gefühlsaufwallung oder in kalkulierter Verwirklichung einer politischer Utopie die gesamte Menschheit als potenzielle Mitbürger zu behandeln und von ihrem Volk die dazu nötigen Solidaritätsleistungen zu erzwingen. Denn die ‚Rettung der Welt‘ ist kein Verfassungsziel.“
Mit diesem Urteil ist klar, dass es aktuell aber genau darum geht und Deutschland von einer Rechts- zu einer Wertegemeinschaft verkommt, deren Duktus Pines schon mal vorgab.
Nicht mehr Rechtsprechung ist das Ziel, sondern Sprach- und damit Gedankenkontrolle: Alles Missverständliche, Provokative soll aus dem Bewusstsein getilgt werden. Damit ist jedweder Gesinnungsjustiz Tür und Tor geöffnet. Wie soll in einem Gemeinwesen dann überhaupt noch Wortkultur zwischen Anekdote, Ballade, Novelle oder Drama möglich sein, die von ihren Interpretationen leben? Das Urteil beweist erneut die Richtigkeit des Tellkamp’schen Vorwurfs von Gesinnungskorridoren.
Die musste zuletzt auch der Dresdner Kabarettist und Schauspieler Uwe Steimle konstatieren, vielen noch bekannt als Kommissar Jens Hinrichs aus dem Schweriner „Polizeiruf 110“, der mit „Steimles Welt“ beim MDR eine eigene Sendung hat und der Kurbjuweit selbstredend auch keine Silbe wert war. Steimles Vergehen: Am Pfingstwochenende posierte er mit einem Meißner CDU-Stadtrat im selbst entworfenen T-Shirt „Kraft durch Freunde“ - in Frakturschrift. Ein weiteres T-Shirt stattete er mit dem Slogan „Volk ohne Traum“ aus. Er könne darüber nicht mehr lachen, so der Rundfunkrat und SPD-Landtags-Fraktionschef Dirk Panter in der Freien Presse: „Bei Herrn Steimle ist man sich leider nicht sicher, ob das wirklich satirisch gemeint ist.“ „Rechtsextremismus ist zwar armselig und oft lächerlich, aber nicht satirisch", erklärte das „Zentrum für Politische Schönheit“.
Der Kulturwissenschaftler Jesko Friedrich behauptet im NDR ernsthaft: „Man hat als Satiriker keinen Freifahrtschein, um immer zu provozieren und damit durchzukommen. Man muss jede satirische Äußerung bewerten: Ist es überhaupt Satire?“ Das ist kein Witz. Die politische Wirklichkeit ist derart bizarr geworden, dass sie die Phantasie überholt. Vor lauter Steilvorlagen schafft man die satirische Aufarbeitung gar nicht mehr, und macht man sich doch an ein Thema, setzt die Realität noch einen drauf, so dass der Aufwand umsonst ist. Denn Konsequenzen forderte prompt der Vorsitzende der Landesgruppe Sachsen im Rundfunkrat, Erhard Weimann (CDU), und ließ das Thema „Steimle“ auf die Tagesordnung des MDR-Fernsehrats Ende Juni setzen. Ohne Folgen, glücklicherweise.
- „Wer sich getroffen fühlt, ist gemeint“ -
„Bei Satire gilt: Wer sich getroffen fühlt, ist gemeint“, schreibt der nun gar nicht mehr clowneske Steimle selbst in einem Brief an den NDR: „Gedankenfreiheit ist die Hauptschlagader der Demokratie. Wird sie beschädigt, droht der Infarkt.“ Ein Satiriker müsse sich eben nicht erklären: „Die Aussage auf dem T-Shirt, dass Freunde einem Kraft bringen, ist eigentlich eindeutig, oder nicht? Wer etwas anderes dahinein interpretieren möchte ... was hat der vor?“ Und in einer „Erklärung als Mensch, wenn der Satiriker nicht verstanden wird“, erläutert er sein Anliegen, „aus einem belasteten Spruch etwas Neues – Positives zu schaffen… Durch die Hinzunahme nur eines Buchstabens erziele ich eine völlig neue Aussage... Wenn man es genau nimmt, wollte ich aus einem rechten Spruch einen linken machen. Brückenbauer wollte ich sein, nicht Sprengpionier.“ Sein bitteres Fazit: „Aus dem Kampf gegen rechts ist ein Kampf gegen das eigene Volk geworden.“
Lachen ist antiautoritär, lautet das Credo aus Umberto Ecos Mittelalterkrimi „Der Name der Rose“. Eine Autorität, über die man lachen darf, ist keine absolute Autorität mehr und kann keine bedingungslose Unterwerfung mehr fordern. Oder andersherum: wer lacht, stellt die Autorität und ihren Machtanspruch in Frage - und rebelliert damit gegen sie und die von ihr ausgesprochenen Denk- und Meinungsverbote. Ein lachender Mensch ist ein freier Mensch, resistent gegen Unterdrückung und Bevormundung. Er verletzt bewusst und gewollt, ohne dafür Geld oder Waffen oder Macht zu brauchen. Ob das einer der Gründe dieser zunehmenden sozialen Engführung wider die Spielarten von Humor ist, darf vermutet werden. Doch die Folge daraus sollte man lieber nicht zu Ende denken: nur Fundamentalisten lachen nicht. Damit wären wir im Totalitarismus angekommen.
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Über den Autor:
Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Als Presse- und PR-Chef verantwortete er alle Publikate von der Pressemitteilung bis zum Fernsehspot und damit auch maßgeblich den Landtags- und vor allem den Bundestagseinzug des Landesverbands als stärkste Kraft vor der CDU.
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