Der Dresdner Jan Josef Liefers hat mit 52 anderen Schauspielern die Republik aufgestört und den politmedialen Komplex erst verschreckt, dann erzürnt: Wie Corona-Kritiker zu „Rechten“ wurden und die „offene Gesellschaft“ als „geschlossene Gesinnungsgemeinschaft“ enttarnten.
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Am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, verschränkten sich in diesem Jahr ungewollt zwei eigentlich unvereinbare Ereignisse: Einerseits veröffentlichte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels eine „Charta der Meinungsfreiheit“ mit 11 Punkten, der sich unter anderem die ARD anschloss. Andererseits wurde die Initiative #allesdichtmachen von 53 Filmschaffenden mit dem in Dresden geborenen ARD-Star Jan Josef Liefers an der Spitze („Tatort“, „Der Turm“) von dieser Meinungsfreiheit durch die Mainstreammedien samt ARD ausgeschlossen: „So pfäffisch, honeckeresk, ridikül, verkniffen und gouvernantenhaft wie in ihrer Reaktion auf 53 kleine satirische Filme von Schauspielern wirkten Deutschlands wohlmeinende Medien schon lange nicht mehr“, ärgert sich Alexander Wendt auf Tichys Einblick TE.
Das Honeckereske der Verschränkung betrifft vor allem die Punkte 4 und 5 der Charta. Behauptet der eine, dass Meinungsfreiheit zu einem Umgang verpflichte, „der von gegenseitigem Respekt, Zuhören, Ausredenlassen, Reflexion und argumentativem Abwägen geprägt ist“, dekretiert der andere: „Hetze und Hass werden nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern beschädigen sie. Die Meinungsfreiheit endet da, wo die Würde eines Menschen angegriffen wird.“ Wer sich über die Definition von „Hass und Hetze“ oder gar „Menschenwürde“ zu befinden anmaßt (offenbar die Autoren der Charta) bleibt ebenso offen wie die Tatsache, dass Meinungsfreiheit eben erst dort endet, wo das Strafrecht beginnt. Individuell bemängelte Tonalität hat rein gar nichts mit einem justiziablen Straftatbestand zu tun: Beleidigt ist erst, wen das Gericht so einstuft, und nicht, wer sich so fühlt. „Redefreiheit braucht keine Umgangsformen“, gibt selbst Malte Lehmig im linken Tagesspiegel zu.
Prompt musste der Geschäftsführer des Börsenvereins, Alexander Skipis, eingestehen, dass die über Twitter & Co. praktizierte „Cancel Culture“, die mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten mundtot zu machen sucht, „gefährliche Züge angenommen“ habe: „Das ist das Gift, das uns gerade zersetzt“. Er teile zwar nicht die Meinung von Jan Josef Liefers und anderen Schauspielern, die mit ihrer Aktion #allesdichtmachen jüngst Zweifel an den Corona-Maßnahmen zu wecken suchten. Das Katastrophale an dem daraufhin entstandenen Shitstorm sei aber, „dass Druck ausgeübt worden ist“ bis hin zu ins Spiel gebrachten Auflösungen der Verträge der TV-Lieblinge. Viele hätten sich daher bereits zurückgezogen. Sie sähen keinen Sinn darin, ihre Positionen offen zu vertreten.
Zumindest die Verlage seien nicht schuld am Aufschaukeln, hielt Burda Media Vorstand Philipp Welte dagegen. Die über Twitter & Co. ausgeübte Cancel Culture beschrieb er als realen „unglaublichen, grauenhaften Druck über die sozialen Netzwerke“, der etwa zu Drohanrufen an Redaktionen dazukomme. Er berichtete über den Plan des konservativen Focus-Kolumnisten Jan Fleischhauer, einen Podcast zu machen mit Frauen auch aus anderen politischen Lagern. Bei zwei Anläufen seien die Geladenen aber mit dem Argument abgesprungen, dass sie von ihren Peer-Gruppen mit Aggressionen überhäuft würden: eine „andere Form der Beschneidung der freien Presse“, so Welte.
„Playbook des Faschismus“
Was war geschehen? Die 53 kurzen, satirischen Videos beschäftigten sich Ende April mit den Widersprüchen und Absurditäten der Corona-Eindämmungsmaßnahmen, beispielsweise mit der Praxis, Kultureinrichtungen zwangszuschließen, obwohl sie praktisch nichts zum Infektionsgeschehen beitragen. Mit der Politik, ein ganzes Land von einem Inzidenzwert abhängig zu machen, der je nach Menge der Tests schwankt, und der noch nicht einmal Aufschluss über die Zahl der Covid-19-Infizierten gibt. Mit dem Maßnahmenfetisch von Merkel, Lauterbach und anderen, Bürger mit Ausgangssperren in geschlossene Räume zu scheuchen, also dorthin, wie die Gefahr einer Infektion nachweislich um ein Vielfaches höher liegt als im Freien. „Überhaupt befassen sie sich mit dem Glauben, wenn Regierungsmaßnahmen möglichst schmerzhafte Nebenwirkungen verursachen, müssten sie auch eine Hauptwirkung haben“, versucht Wendt eine Erkundung der absurd angelegten Rollenprosa: Gespielt wird der „Dankbare“ für die staatlichen Zwangsmaßnahmen, dessen offenkundige Hymne das tiefensemantische Requiem enthüllt – „Hyperbel“ nennt das Stilmittel der Linguist.
Obwohl Satire und Parodie nach Karl Kraus entweder die halbe oder die anderthalbe Wahrheit darstellen, mussten dagegen in der wohlmeinenden Öffentlichkeit die Videoproduzenten noch einmal extra auf den Satirecharakter hinweisen. Die Mühe hätten sie sich sparen können. „Sehr viele Meinungsschaffenden wissen entweder nichts mit Satire anfangen, sobald sie selbst Satireobjekt werden, oder sie stellen sich noch ein bisschen dümmer, als es ihrem natürlichen Zustand entspricht“, meint Wendt. Kester Schlenz etwa behauptete im Stern, Liefers „zieht mit seinen Äußerungen absurde Anwürfe der Querdenker und Verschwörungstheoretiker aus der Ecke von Spinnern in den Mainstream, macht sie so hoffähig.“
„Verzweifeln Sie ruhig – aber zweifeln Sie nicht“, sagt die Liefers-Figur. „In dieser Parole erkannten sich offenbar zu viele Medienschaffende wieder, als dass sie ihm die kleine Performance hätten durchgehen lassen können“, mutmaßt Wendt. Bisher sahen sich über fünf Millionen Menschen die Videos an. Bei Youtube liegt die Zustimmungsrate bei 93 Prozent – ebenso hoch fühlt sich die erregte Ablehnungsquote im twitterverstärkten politmedialen Komplex an. Einen Scharfmacher etwa gab Johannes Schneider in der Zeit. Es sei demagogisch, ja totalitär und würde auch jene Positionen beschädigen, „die anders und anderes kritisieren“ als man selbst: „Das aber ist das – sorry to say – Playbook des Faschismus in der Opposition.“ Faschismus? Das ist kein Witz.
Der Tagesspiegel trägt gar mit „läuseknackerischer Hingabe“ (Wendt) Indizien zusammen, dass hinter #allesdichtmachen „eine klare politische Agenda“ des Initiators Dietrich Brüggemann stecke: Der Tatort-Regisseur habe nicht nur auffällig viele „TV-Kommissar:innen“ rekrutiert, sondern auch 14 Beteiligte, die in der Vergangenheit mit ihm arbeiteten. Das Tagesspiegel-Team bilanzierte dann, dass „man die Ironie in #allesdichtmachen tatsächlich als Angriff auf die gesellschaftliche Kommunikation bezeichnen“ könne. Das ist ebenfalls kein Witz, wirft aber im Nachhinein ein grelles Licht auf den Rauswurf von Uwe Steimle beim MDR, der offenbar aus demselben uneingestandenen Einheitsmeinungsmotiv geschah. „Kunst und Macht haben noch nie gut miteinander gekonnt. Es ist die Aufgabe des Harlekins, auch dem mächtigsten Despoten den Spiegel vorzuhalten. Auf der Bühne lebt die Kritik, die draußen verboten ist“, giftet Roland Tichy.
„Dammbruch teutonischer Programmauswahl“
Der Berlinale-Preisträger Brüggemann verurteilte die mediale Reaktion im DLF als „faschistoiden Shitstorm“ und erklärte: „Wenn der Diskurs so verengt ist, dass auf einmal nur noch die AfD in der Lage ist, ein paar grundlegende Wahrheiten auszusprechen (...), was ist denn das für ein Diskurs?“ Auch Liefers kommt um einen Verweis auf die Pech-und-Schwefel-Partei im ZDF nicht herum, als er den kryptischen Vorwurf des Beifalls von der falschen Seite geschickt zurück weist: „Wenn ich sage 2+2=4, dann ist das richtig, auch wenn mir jemand von der AfD zustimmt.“ Als er, der zur Wende in Berlin als blutjunger Schauspieler vor hunderttausenden sprach, in einem seiner vielen Rechtfertigungsinterviews den Satz sagte: „In der DDR wäre ich für so ein Video wahrscheinlich in den Knast gekommen“, entblödete sich der ZDF-Journalist Mario Sixtus nicht des Twitter-Kommentars „Es war nicht alles schlechter in der DDR.“ Auf Twitter verbreiteten sich zudem die Hashtags #allenichtganzdicht und #allesschlichtmachen.
Den Vogel aber schoss sicher Martin von Mauschwitz bei WDR aktuell ab, der Liefers mit den Worten begrüßte: „Wir haben uns über sie geärgert“. Was hat der Ärger eines Journalisten in einer Nachrichtensendung zu suchen, und wer ist „wir“? Einen „Pluralis Merkelitatis“ hat Matthias Nikolaidis inzwischen auf TE identifiziert. Dem Schauspieler platzt der Kragen, als Mauschwitz dann fragt: „Mit dem Video bedienen Sie ja auch exakt das Narrativ, die Erzählung der Corona-Leugner und dieser rechtsextremen Lügenpresse-Schreihälse. Und die feiern Sie im Netz heute richtig ab. Davon haben Sie sich distanziert heute Nachmittag. Sind Sie wirklich so naiv?“ Liefers antwortet: „Wissen Sie, wann das letzte Mal jemand zu mir gesagt hat: ‚Sind Sie so naiv?‘ Das war ein Mitarbeiter des Zentralkomitees in der DDR auf der Schauspielschule.“ „Dieses Interview wird kommenden Generationen als Lehrbeispiel dienen können: Für die Hybris von Journalisten, die sich gegenüber ihren Interviewpartnern als moralische Oberlehrer aufspielen; für den erbärmlichen Haltungsjournalismus, wie er in den letzten Jahren in den deutschen Qualitätsmedien eingerissen ist“, so Oliver Zimski auf dem Blog achgut.
Der WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin (SPD) forderte prompt, die an der Aktion teilnehmenden Schauspieler „auch aus Solidarität mit denen, die wirklich unter Corona und den Folgen leiden“, von weiteren Projekten auszuschließen. Michael Sack, CDU-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern, konterte wütend: „Bei solchen Berufsverbots-Fantasien sträuben sich mir nicht nur als Kind der DDR alle Nackenhaare.“ Denn das erinnert fatal an das 11. Plenum des ZK der SED vom 16. bis 18. Dezember 1965, das als sogenanntes „Kahlschlag-Plenum“ in die Geschichte einging: Es diente vor allem der Säuberung der DDR-Kulturpolitik von kritischen Kunstwerken und Künstlern.
Erich Honecker warf einer Reihe von Regisseuren, Drehbuchautoren und Schriftstellern „Nihilismus“ oder „Skeptizismus“ vor und erklärte: „Unsere DDR ist ein sauberer Staat. In ihr gibt es unverrückbare Maßstäbe der Ethik und Moral, für Anstand und gute Sitte.“ Die DEFA-Produktion des Jahres wurde nahezu komplett eingestampft; darunter „Das Kaninchen bin ich“ von Kurt Maetzig, „Denk bloß nicht, ich heule“ von Frank Vogel und „Die Spur der Steine“ von Frank Beyer; aber auch das Theaterstück „Der Bau“ von Heiner Müller und Stefan Heyms Buch „Der Tag“ kamen auf die schwarze Liste.
„nahezu totalitäre Argumentation“
Das Publikum stimmte dann eine Woche später mit der Fernbedienung ab: den Tatort „Rhythm and Love“ mit Liefers als Kult-Pathologen Prof. Börne wollten sage und schreibe 14,22 Millionen Menschen sehen – obwohl es zuvor medial flankierte Boykottaufrufe gab. So fragte die LVZ „Darf man den Münster-Tatort noch gucken?“ Liefers sprach angesichts dieser Quote von 40 % von einem „eindrucksvollen Zeichen.“ Der User @achimspiegel twitterte dagegen: „Entsetzt, enttäuscht und ein Stück weit traurig über diese völlige Entgrenzung, diesen Dammbruch teutonischer Programmauswahl. Haben diese Zuschauer denn aus 1939 nichts gelernt?“ Das ist ebenfalls kein Witz.
Treffend diagnostiziert Liefers in der Zeit bei seinen Gegnern eine „nahezu totalitäre Argumentation, bei der es ums Rechthaben, auch ums Zerstören des anderen Standpunkts geht.“ Es gebe nicht mehr den „Klassenkampf“, so Liefers, sondern einen „Bubble-Kampf, zwischen Angehörigen verschiedener Meinungsblasen“. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland nannte die Aktion ohne Beleg eine „Verhöhnung der Corona-Toten“, der Tagesspiegel fand die Aktion „so schäbig, dass es wehtut“. Das kann sich Focus-Autor Thomas Tuma nicht erklären: „Nirgends werden Opfer oder Angehörige verhöhnt, Ärzte, Pfleger oder anderes Personal des Gesundheitswesens. An keiner Stelle wird Corona geleugnet oder auch nur der Hauch einer Verschwörungstheorie geteilt. Vielmehr geht es den Schauspielerinnen und Schauspielern um die immer weiter um sich greifenden Kollateralschäden der Pandemie-Maßnahmen“.
Unterdessen haben mehrere mutige Ärzte auf einem eigenen Youtube-Kanal mit dem Namen „danke-allesdichtmachen“ eine Video-Serie gestartet, in der sie die Schauspielern ihrer Unterstützung versichern. Neben dem Notarzt Paul Brandenburg, der im Frühjahr 2020 eine „Initiative für Grundrechte und Rechtsstaat“ gegründet hatte, kam auch der frühere Chef des Gesundheitsamts Aichach-Friedberg, Friedrich Pürner, zu Wort. Er war vom bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) wegen seiner Kritik an der staatlichen Gesundheitspolitik gefeuert worden.
Inzwischen sind nur noch 32 Videos auf der Seite von #allesdichtmachen zu sehen. In dem Text auf der Seite heißt es: „Übrigens: Wenn Videos von dieser Seite verschwinden, dann heißt das nicht zwingend, dass die jeweiligen Leute sich distanzieren. Es kann genauso gut bedeuten, dass jemand sich einfach nicht in der Lage sieht, diesen Shitstorm auszuhalten, oder seine Familie schützen will.“ Die Erklärung Brüggemanns liest sich wie ein Schauerstück aus einem totalitären Regime: „Teilweise kriegen sie Morddrohungen. Von einigen Leuten, deren Videos nicht mehr online sind, weiß ich, dass die komplett hinter der Aktion stehen und das wahnsinnig wichtig finden, aber die Kinder werden bedroht und sie möchten das Video deswegen erstmal nicht mehr online haben.“ „Wer einen Shitstorm hat, braucht keine Stasi“, empört sich Carl Christian Jancke auf achgut. „Der vorauseilende Gehorsam in den meisten Redaktionen und der Reflex der Verurteilung macht Zensur überflüssig.“
Meret Becker etwa postete ein Instagram-Video, in dem sie sagt, die Kunstfreiheit habe sie zum Mitmachen bewogen, um dann fatalistisch zu schließen: „Und … here we go. Jetzt gibt’s auf die Nase.“ Ihr Bruder Ben sagte Tage später zu Bild: „Sie hat Morddrohungen bekommen, ist am Boden zerstört und sitzt weinend zu Hause.“ Dass westdeutsche Akteure wie Heike Makatsch oder Ulrike Folkerts zu den Rückziehern gehören, ostdeutsche wie Liefers dagegen zu den Standhaften, könnte an genau dieser Herkunft liegen, überlegt Sabine Rennefanz in der BZ: „Als die Mauer fiel, schworen sich viele, sich nie wieder korrumpieren, nie wieder auf Kompromisse einzulassen … eine störrische Generation, die ein Problem mit jedweder Autorität hat, immer aus der Angst heraus, eine Unterordnung könnte eine persönliche Korruption sein. Und diese Störrigkeit erzeugt den Widerstand in der Debatte.“
In anderem Zusammenhang bekräftigte die Herkunftsthese auch der sächsische CDU-Bundestagsfraktionsvize Arnold Vaatz, der laut Bild in einer Fraktionssitzung ausrief: „Ein solches Ausmaß an Vandalismus, an staatlich organisiertem Vandalismus hätte ich mir in meinem Land niemals träumen lassen! Und diejenigen, die dran zweifeln, nicht etwa als Gesprächspartner zu akzeptieren, sondern als Klimaleugner zu beschimpfen, als Coronaleugner und am Ende als Rechtsradikale, das ist nicht die Freiheit, die ich mir vorgestellt hab, muss ich ganz offen sagen!“ Wozu Meinungsdruck und Ausgrenzung bei falscher Meinung führt, beschreibt übrigens Nina Gummich in ihrem Video brillant. Sie mache sich „stark für die Meinungsfreiheit“, sagt sie da, „und deswegen habe ich mich in den letzten Monaten Stück für Stück von meiner eigenen Meinung befreit“.
„Momentan nicht repräsentiert“
Und das wiederum erinnert sehr an den 17.11.1976 in der DDR. Da protestierten Christa Wolf, Sara Kirsch, Volker Braun, Gerhard Wolf, Rolf Schneider, Erich Arendt, Stephan Hermlin, Franz Fühmann, Stefan Heym, Jurek Becker, Günter Kunert und Heinz Müller gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und baten den Generalsekretär der SED, Erich Honecker, „die beschlossene Maßnahme zu überdenken“. Später traten viele prominente DDR-Intellektuelle, Künstler und auch Schauspieler dieser Erklärung bei, die für das Neue Deutschland und Honecker und nicht für die Westpresse bestimmt war, darunter Manfred Krug, Nina Hagen, Ulrich Plenzdorf und Jürgen Fuchs. Die Unterzeichner durften zur „Klärung eines Sachverhalts“ mit der Stasi pädagogische Gespräche führen und wurden, wenn sie ihre Unterschrift nicht zurückzogen, aus Partei und/oder Schriftstellerverband ausgeschlossen. Einige hielten dem Druck auch damals nicht stand.
Heute gilt für die meisten Westdeutschen: Wenn alle Medien das gleiche sagen, dann wird es stimmen. Ostdeutschland hat da reziproke Erfahrungen: Wenn alle Medien das gleiche sagen, dann stinkt etwas gewaltig zum Himmel. Denn die von Liefers in seinem Video artikulierte Kritik an der Einheitlichkeit der Medien – er bedankt sich „bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben“ – hatte sich auf fatale Weise bestätigt: Sie fällten weitgehend einhellig vernichtende Urteile.
Dabei glichen sich die Argumente, als hätte ein Autor wortwörtlich vom anderen abgeschrieben: Die Videos seien ein zynischer Schlag ins Gesicht des hart arbeitenden Klinikpersonals auf den Intensivstationen. In ihnen verhöhnten „wohlstandsverwahrloste“ und privilegierte Großverdiener die Corona-Toten und deren Angehörige. Die Videos würden von Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretikern gefeiert. Sie ignorierten, dass die Medien völlig ausgewogen berichteten und selbstverständlich auch Kritiker der Regierungspolitik ausgiebig zu Wort kommen ließen. Auch böten sie keine konstruktiven Vorschläge, wie man die Bevölkerung stattdessen vor dem Virus schützen könne. Es ging also offensichtlich darum, die Schauspieler emotional zu brandmarken. Den Rest erledigte der Twitter-Mob.
Beim Tagesspiegel glaubt man offenbar sogar, dass eine immer mehr Widerspruch erfahrende einseitige Verurteilung der filmischen Kunstaktion es rechtfertige, Journalismus im Hilfssheriff-Modus zu betreiben. „Volker Bruch hat Mitgliedsantrag bei Querdenker-Partei gestellt“, lautet die Überschrift: Der 41jährige, der eine Hauptrolle in der preisgekrönten Serie „Babylon Berlin“ spielt und ebenfalls zu den 53 Videoproduzenten gehörte, will der Partei „Die Basis“ beitreten, die u.a. von Sahra Wagenknechts Ex-Mann Ralph T. Niemeyer und dem ehemalige TV-Pfarrer Jürgen Fliege unterstützt wird. Und natürlich hat der Leser noch im Gedächtnis: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Querdenken-Bewegung bundesweit unter Beobachtung gestellt - nicht aber „Die Basis“.
„Ich fühle mich von den regierenden Parteien momentan nicht repräsentiert“, berichtet Bruch in der WamS. Der basisdemokratische Ansatz der Partei sei „hochinteressant“. Er müsse nicht mit allen Menschen in allen Punkten einer Meinung sein. „Aber wenn man sich gemeinsam auf unterstützenswerte Inhalte einigt, kann man sich auch gemeinsam dafür einsetzen“, sagte Bruch. Auf Instagram kritisierte er zuletzt, ihm mache Angst, dass gerade eine Generation aufwachse, die Nähe nicht mehr kennenlerne. Er hatte die Regierung in seinem Clip in ironischem Ton aufgefordert, den Menschen mehr Angst zu machen: „Die Menschen im Land brauchen diese Angst jetzt.“ Der Tagesspiegel sah sich inzwischen zu einer Entschuldigung genötigt; der Imageschaden der Schauspieler aber bleibt.
„Faschismusbegriffsgefuchtel“
Der ganze Vorgang zeugt von „Parareligion, Faschismusbegriffsgefuchtel und pietistischer Verkniffenheit“ der deutschen Gegenwart, befindet Wendt: An dieser Trinität käme nun mal niemand vorbei. „Verbissen, rechthaberisch, engstirnig und furchterregend“, meint Tichy. Und Gerd Buurmann zürnte auf TE: „Ist es nicht mehr möglich, seinen Zorn satirisch zu kommunizieren, ohne dabei einen Wächterrat des Infektionsschutzes engagieren zu müssen, der dafür sorgt, dass alles so schön kontextualisiert wird, dass es nun wirklich gar nicht mehr aneckt? Müssen wir in Zeiten der ausgerufenen Pandemiebekämpfung ausnahmslos gefällig sein? Sind Kritikerinnen und Kritiker der Maßnahmen Nestbeschmutzer?“
Alles ganz nach dem Motto: Regierungskritik per se ist rechts, wer für Grundrechte eintritt, ist ein Menschenfeind. Eigentlich bestätigen all diese Stimmen die Aktion der 53 Schauspieler nur in spektakulärer Weise. „Wenn jedenfalls einer wie Liefers schon anfängt, sich über die nunmehr gesamtdeutsche Medienlandschaft zu wundern, dann sollten deren Vertreter vielleicht doch mal anfangen, über sich selbst nachzudenken statt darüber, ob der Schauspieler womöglich zu weit nach rechts gerutscht ist. Das ist anstrengender, aber womöglich auch zielführender“, so Tuma.
„Eine Tragödie findet dort statt, wo beide Seiten nachvollziehbare Argumente haben. Zur Katastrophe entwickelt sich die Tragödie, wenn eine Seite mit deutlich mehr Macht ausgestattet ist als die andere. Diese Katastrophe zeichnet sich gerade ab“, erschreckt sich Buurmann. Der Tenor der Reaktionen auf die Satire-Aktion #allesdichtmachen hat bestätigt, was die Aktion selbst kritisierte, bilanziert Klaus-Jürgen Gadamer auf TE: „In der deutschen Öffentlichkeit werden Elemente totalitären Denkens immer deutlicher. Die Angst vor dem ‚Beifall von der falschen Seite‘ gehört dazu.“
Dazu hat Hans Magnus Enzensberger schon 1962 angemerkt: „Die Angst vor dem ‚Beifall von der falschen Seite‘ ist nicht nur überflüssig. Sie ist ein Charakteristikum totalitären Denkens.“ Enzensberger meinte damals: „Jeder, der sich überhaupt öffentlich äußert“, werde diesen „Vorwurf“, Beifall von der falschen Seite zu erhalten, „zu hören bekommen; kaum einer, der nicht dann und wann versucht wäre, jenem Beifall aus dem Wege zu gehen.“ Auf diese Weise kann man Kritik mit dem Totschlagsargument der Kontaktschuld zum Verstimmen bringen. Christian Ehrich und Jens Wawrczeck haben das selbst in ihren Videos brillant auf Korn genommen.
„Es ist aber auch nicht Aufgabe der Kunst, vorab sicherzustellen, dass oder wie sie später verstanden wird. Und sie muss auch keine Vollkasko-Versicherung darüber abschließen, dass der Beifall später bitte nur von den ‚Guten‘ kommt“, meint Jancke. „Wenn bei denen, die Unfreiheit erlebt und Freiheit erkämpft haben, die Alarmglocken früher schrillen, sollten wir demütig den Warnsignalen der Brandmelder der Freiheit lauschen, statt sie zu ignorieren“, plädiert er dann. „Überhaupt sollte man vielleicht auch mal mit Menschen aus der ehemaligen DDR über ihre Erfahrungen mit den Mechanismen eines vermeintlich unfehlbaren Systems sprechen. Das verspricht zumindest andere Perspektiven als die des Robert-Koch-Instituts“, befindet denn auch Tuma.
„Die Stärke einer Gesellschaft misst sich eben nicht in erster Linie an ihrer Fähigkeit zum rationalen, herrschaftsfreien Diskurs, sondern daran, wie viel Dissens sie aushält“, erkennt sogar Lehmig. „Der Versuchung, im Namen einer Zivilität den erlaubten Diskussionsraum zu verkleinern, um Gefühle zu schonen, muss widerstanden werden.“ „Es geht um die Wiederherstellung der offenen Gesellschaft und einen offenen Wettbewerb um die richtigen Lösungen anstelle politischer Glaubensbekenntnisse“, bilanziert Jancke. „Das hat die Feinde der offenen Gesellschaft auf den Plan gerufen. Sie haben sich aus der Deckung gewagt und müssen nun damit leben, dass wir wissen, wer sie sind.“
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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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