Simplifiziert bedeutet „misgendern“, eine selbstdeklarierte Transfrau einen biologischen Mann zu nennen. Der Sieg der ultima irratio über die Naturwissenschaft zeitigt auch linguistische Volten, mit denen der Staat richtig abkassieren könnte – und die Anwaltschaft der queeren Community.
Eigentlich war der 12. Juli ein guter Tag für die deutsche Sprache: Wörter mit Gender-Sternchen gehören weiterhin nicht zur amtlichen deutschen Rechtschreibung, hatte da die Kultusministerkonferenz (KMK) erklärt. Das seit Monatsbeginn geltende neue amtliche Regelwerk der Rechtschreibung, das für Schulen und die öffentliche Verwaltung verbindlich ist, sei nach Zustimmung der zuständigen Stellen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgien, Liechtenstein und Südtirol nunmehr offiziell. Danach gelten alle Wortbinnenzeichen wie der Genderstern oder auch der Unterstrich künftig als Rechtschreibfehler. Denn: „Sonderzeichen innerhalb von Wörtern beeinträchtigen die Verständlichkeit, die Lesbarkeit, die Vorlesbarkeit und die automatische Übersetzbarkeit sowie die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten.“ Das sah 2022 der Landesschülerbeirat Baden-Württemberg noch anders: Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache in schriftlichen Prüfungen dürfe nicht als Fehler gewertet werden. Jeder Schüler und jede Schülerin solle selbst entscheiden können, ob er oder sie gendert, teilte das Gremium mit. Die GEW unterstützte gar das Anliegen.
Vorbei also die Zeiten, da der Spielehersteller Mattel für das Brettspiel „Scrabble“ vor zwei Jahren einen Genderstein (*) anbot, mit dem er „den Stein des Anstoßes für eine gendergerechte Sprache“ geben und „ein sichtbares Zeichen dafür“ setzen wollte, „dass sich die Spielregeln in der Gesellschaft verändert haben“? Belohnt wird der Einsatz des Gendersteins im Spiel mit sage und schreibe zehn Punkten (so viele wie für Q oder Y); auch die Spielanleitung war durchgehend gegendert. Kritik kam schon damals vom Verein Deutsche Sprache: „Mattel hat sich entschieden, sich bei der kleinen, aber lauten Minderheit der Gender-Fans anzubiedern. Deswegen gibt es jetzt Punkte für falsche Sprache – analog zu Unis, die korrekte Sprache mit Punktabzug bestrafen.“ Mehrere Bundesländer hatten allerdings bereits Verbote gegen die Verwendung von Gender-Sonderzeichen in bestimmten öffentlichen Einrichtungen erlassen, darunter Bayern, Hessen und Sachsen.
Aber nein, die Zeiten sind doch nicht vorbei, die Spielregeln bleiben geändert, denn: Zum 1. August tritt das sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“ in Kraft. Dann darf jeder durch eine Anmeldung sein Geschlecht und seinen – ihm von den Eltern gegebenen – Vornamen ändern lassen. Ab November löst das neue Gesetz dann endgültig das alte Transsexuellengesetz von 1980 ab. Die bevorstehenden gesellschaftlichen Kampffelder werfen erste Schatten voraus: Nicht nur am Zutritt zu Umkleidekabinen, Toiletten und anderen bisher ausschließlich biologischen Frauen vorbehaltenen Räumen könnten sich demnächst juristische Konflikte entzünden. Ein viel allgemeinerer, primär jedoch sprachlicher Kampfplatz droht das sogenannte „Misgendern“ zu werden, also das unerwünschte, abgewählte Geschlecht einer non- bzw. nicht-binären oder Trans-Person sprachlich zu „offenbaren“.
Laut § 13 des Selbstbestimmungsgesetzes besagt das „Offenbarungsverbot“: „Sind Geschlechtsangabe und Vornamen einer Person nach § 2 geändert worden, so dürfen die bis zur Änderung eingetragene Geschlechtsangabe und die bis zur Änderung eingetragenen Vornamen ohne Zustimmung dieser Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden.“ Damit hat es aber eine Bewandtnis, die verschiedene Deutungen und Auslegungen zulässt. Inwieweit es künftig zu einem Bußgeld führen kann, eine Person zu misgendern, ist umstritten. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung steht unter § 14: „(1) Ordnungswidrig handelt, wer entgegen §13 Absatz 1 Satz 1 die Geschlechtszugehörigkeit oder einen Vornamen offenbart und dadurch die betroffene Person absichtlich schädigt (2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu zehntausend Euro geahndet werden“. Wo aber beginnt das Misgendern? Schon wenn man unerwünschte Pronomen gebraucht; also eine Person, die jetzt Frau – ergo „sie“ – ist, mit „er“ bezeichnet?
Die winzigsten Wörter verursachen den größten Aufschrei
Das Bundesfamilienministerium versuchte laut WELT, entsprechende Bedenken zu entkräften: „Ein generelles Verbot des sogenannten ,Misgenderns’ oder ,Deadnamings’ [Nennen des abgelegten Namens, etwa Markus statt Tessa, T.H.] ist im Selbstbestimmungsgesetz nicht geregelt.“ Bußgeldbewehrt sei das Misgendern nur, wenn eine „Person durch die Offenbarung absichtlich geschädigt“ würde. Auch das Justizministerium stellt gegenüber der WELT klar: „Das Selbstbestimmungsgesetz enthält kein Verbot des Mis-Genderns.“ Doch in der aktivistischen queeren Szene zeichnet sich schon jetzt ab, das neue Gesetz offensiv im eigenen Sinne zu interpretieren. Die queere Siegessäule berichtete beispielsweise: „Darüber hinaus bewertet das im Gesetz enthaltene ‚Offenbarungsverbot’ erstmals Deadnaming, Zwangsouting und Misgendern als Ordnungswidrigkeit. Bei Verstoß drohen Strafen von bis zu 10.000 Euro.“ Keine Rede davon, dass Vorsatz, jemanden absichtlich zu schädigen, im Spiel sein muss. Die Auslegung wird spezialisierte Anwälte mutmaßlich jahrelang beschäftigen: Den einen ärmer und den anderen reicher zu machen scheint eine Intention des Gesetzes zu sein. Vorbilder gibt es ja in der Politik genug.
Ein erstes Misgender-Urteil erging bereits Anfang Januar 2022 am Amtsgericht Recklinghausen: Sophie Vivien Kutzner, die in einem männlichen Körper geboren wurde und deshalb den Vornamen Rüdiger bekam, lebt seit 2015 als Frau, trägt Rock, schminkt sich und lackiert sich die Fingernägel. Ihr früherer Nachbar Wolfgang E. rief ihr, oft öffentlich an einer Bushaltestelle, „Sexy Miniröckchen, Rüdiger!“ oder „Hallo Rüdiger! Wie geht es Dir, Rüdiger? Alles ok, Rüdiger?“ zu. Kutzner klagte und gewann: Wolfgang E. wurde verurteilt, es zu unterlassen, sie „Rüdiger“ zu nennen. Hält er sich nicht daran, wird ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro fällig, ersatzweise Ordnungshaft.
Rechtsanwalt Burkhard Benecken sagte der RP nach dem Urteil: „Es ist ein großer Sieg für die geschlechtliche Selbstbestimmung und eine schallende Ohrfeige der Justiz für jede Art der Diskriminierung in diesem Bereich.“ Jeder habe nicht nur das Recht, seine Geschlechtszugehörigkeit frei zu bestimmen, sondern auch das Recht, bei seinem selbst gewählten Namen genannt zu werden.
Verkompliziert wird die Lage, weil es ja nicht mehr nur zwei traditionelle Identitäten gibt: Facebook bot schon 2014 die Möglichkeit an, zwischen 60 verschiedenen Geschlechtern zu wählen – was den Brandenburger AfD-Abgeordneten Steffen Königer MdL zu einer bis heute gefeierten Anrede aller Identitäten in einer Landtagsdebatte motivierte. Seitdem sind es nicht weniger geworden. Die Vielzahl der sexuellen Zwischenstufen wird natürlich durch die Dreizahl der deutschen Personalpronomen er/sie/es für die dritte Person Singular nicht abgebildet. Längst ist es üblich geworden, in Social-Media-Profilen anzugeben, mit welchem Pronomen man angeredet werden will – wer es nicht tut, gilt manchen schon als passiv-aggressiv queerfeindlich. Der Linguist John McWhorter charakterisierte die Pronomen kürzlich in der New York Times: „Die winzigsten Wörter verursachen den größten Aufschrei.“
Kim de l’Horizon, die berühmteste non-binäre Person des deutschsprachigen Literaturbetriebs, hegt eine Abneigung gegen Pronomen: „Pronomen sind eine Interpretation eines Körpers. Sie sind Flüche, mit denen die Menschheit in eine binäre Form gebracht wird.“ Im Roman „Blutbuch“, für den Kim de l’Horizon 2022 den Deutschen Buchpreis gewann, wurden Pronomen, wenn möglich, vermieden. Kims Credo lautet: „Wenn statt ,er’ oder ,sie’ einfach Kim zur Anwendung kommt, dann entspannt das die Geschlechteraufregung.“ Darüber hinaus arbeitete de l’Horizon auch mit Sternchen und mit dem Neo-Pronomen jemensch. Weil Mensch seine etymologischen Wurzeln in Mann habe, kündigte Kim aber an, in neuen Projekten nach einem anderen Ausdruck zu suchen. Für sich persönlich bevorzugt Kim, wenn sich Pronomen gar nicht vermeiden lassen, die Form dey/dem.
Lann Hornscheidt, emeritierte „Professxs“ für Sprachwissenschaft an der Berliner Humboldt-Uni, schlägt in der WELT immer noch eine leicht modifizierte Form ihrer ursprünglichen X-Idee von 2014 vor: „Ex steht für Exit Gender, das Verlassen von Zweigeschlechtlichkeit. Die Form drückt aus, dass die Person, die so bezeichnet wird, sich als entzweigendernd versteht, als nicht weiblich oder männlich. Ex kann als Personalpronomen in der 3. Person Singular verwendet werden. Die Form ist identisch in allen Fällen. Ein Beispielsatz: ,Lann liebt es, mit anderen zu diskutieren. Ex lädt häufig dazu ein, einen Roman zu besprechen.’“ Das Fragepronomen, mit dem man nach diesen Menschen fragen würde, wäre dann Wex. Eine andere Idee jenseits der eigenen Geschlechtereinordnung war ihr Vorschlag, als neue genderfreie, allgemeine Form „-ens“ als Endung zu nehmen – der Mittelteil aus „Mensch“. Mit der Form „Liebe Bürgens“ wären demnach weniger Personen bestimmten Geschlechts angesprochen, sondern einfach: Menschen. „Ens“ ließe sich an Wörter wie „jemandens“ und „diesens“ anhängen und könnte als Artikel benutzt werden. Statt „Der Erfinder“ hieße es „dens Erfindens“. Oder: Eine Person, die erfindet.
Eine Menge Lernstoff
Noch mag man diesen Pronomen-Hype belächeln. Auch das Justizministerium beruhigte die WELT mit dem Hinweis darauf, was nicht im Gesetz steht: „Das Selbstbestimmungsgesetz schreibt niemandem vor, Neo-Pronomen wie ,dey’ oder ,xier’zu verwenden.“ Was ein rein fachjuristischer Standpunkt außer Acht lässt: Misgendern ist ein Begriff, der gesellschaftlich bedingtem Bedeutungswandel unterworfen ist. Es gibt ihn seit rund zehn Jahren im Deutschen, häufiger gebraucht wird das Verb erst in jüngster Zeit. „Wenn heute noch nicht der bloße Gebrauch falscher Pronomen darunter verstanden wird, kann das im Rahmen jenes Megatrends, der immer mehr zur institutionellen Normung und Regelung aller möglichen sprachlichen Vorgänge führt, in wenigen Jahren durchaus der Fall sein“, befürchtet Matthias Heine in derselben Zeitung. Das kann man auch Inquisition nennen. Julien Franke vom Verein „Transinterqueer“ räumt in der NOZ wenigstens ein, dass man die Pronomen des Gegenübers nicht erahnen müsse. Stattdessen stelle zumindest er sich zusätzlich zu seinem Namen auch mit seinen Pronomen „er und ihn“ vor. Das rät er auch „allen, die empathisch handeln möchten“.
Mit dem neuen Gesetz ist nämlich denkbar, dass künftig alle Arten des Misgenderns Anlass für juristische Verfahren werden könnten. Nur wer die Kulturkämpfe der jüngsten Zeit ignoriert, kann hoffen, dass nicht irgendwelche aktivistischen „Anzeigenhauptmeister“ und irgendsonst „Betroffene“ versuchen werden, das Offenbarungsverbot in ihrem Sinne zu interpretieren. Um solche Eventualitäten durch angepasste Pronomen-Verwendung auszuschließen, müsste man die infrage kommenden „richtigen“ Wörter aber alle kennen. Und da wartet eine Menge Lernstoff. In Deutschland, ja im gesamten deutschsprachigen Raum hat sich nämlich noch keineswegs ein einziges Pronomen für – sich selbst so definierende – nonbinäre Menschen durchgesetzt; in anderen Sprachen durchaus. So im Englischen das altenglische „they“, das ca. 1350 in dem aus dem Französischen übersetzten „William And The Werewolf“ (Anonymus) erstmals auftauchte und bereits Shakespeare in seinen Stücken verwendete, wobei häufig Irritationen dadurch entstehen, dass dieses Wort mit dem englischen Pluralpronomen für mehrere Personen identisch ist. Im Schwedischen hat sich „hen“ etabliert, das 1966 vom Linguisten Rolf Dunås als neutrale Alternative zu „hon“ (sie) und „han“ (er) vorgeschlagen wurde. Allerdings begann es sich erst um 2010 tatsächlich durchzusetzen, um dann bereits 2015 ins offizielle schwedische Wörterbuch aufgenommen zu werden.
Wer nicht unabsichtlich misgendern möchte – wie man vorsätzliches Misgendern überhaupt gerichtsfest nachweisen kann, bleibt hier unbeachtet –, sollte den ganzen Katalog verinnerlichen. Das WDR-Wissenschaftsmagazins Quarks nannte neulich auf Instagram ein paar Beispielsätze, in denen die Pronomen gleich dekliniert sind: „They ist begeistert von Wissenschaft. Their Lieblingsthema ist Chemie“, „Xier ist begeistert von Wissenschaft. Xies Lieblingsthema ist Chemie“, „Dey ist begeistert von Wissenschaft. Deren Lieblingsthema ist Chemie“. Doch diese drei Pronomen sind nur ein kleiner Ausschnitt aus der Vielfalt der zur Verfügung stehenden Pronomen, über die etwa die Seite Nichtbinär-Wiki aufklärt. Dazu gehören per (abgeleitet von Person), ind (von Individuum) A (ausgesprochen wie ey), rhei (wie in „pantha rhei“ – alles fließt–, eine Option für philosophisch Gebildete), sei oder sey als eingedeutschte Form von they.
Sprachnerdiger Spieltrieb
Schon 2008 haben Cabala de Sylvain und Carsten Balzer den „Versuch einer geschlechtergerechten Grammatik-Transformation der deutschen Sprache“ mit den Sylvain-Konventionen unternommen, denen Sylvains queerpsychedelischer Science-Fiction-Romanhybrid Wandelnde/Jungle Juice zugrunde lag – das Genre wird uns nochmal interessieren müssen. Darin haben sie ein drittes grammatikalisches Geschlecht ausgearbeitet, das sogenannte „Indefinitivum“. Online sind mittlerweile Listen mit über vierzig verschiedenen Neopronomen zu finden. Einen Teil hat Illi Anna Heger entwickelt, eine weitgehend unbekannte queere Grafikerin, die sich mit dem Pronomen xier bezeichnet und den Entwicklungsprozess ihrer Pronomen so beschreibt: „Ich stellte 2009 fest, dass mir im Deutschen eine geschlechtsneutrale Option fehlt. Das gab es einfach eine Lücke in der Sprache. Ich dachte, dass es nicht so schwer sein kann, Pronomen zu entwickeln, und stellte fest, dass die deutsche Grammatik mehr Anforderungen an Pronomen stellt als die englische. Die Pronomen entwickelten sich von Version zu Version weiter.“ Dem Portal TheGap sagte sie 2022: „Ich habe drei große Shitstorms in sozialen Medien miterlebt, wo sich Leute über Menschen lustig machen, die ‚xier‘ für sich verwendeten. Wenn queere Kultur als Belustigung verwendet wird, ist das verletzend.“ Aha.
Einen „sprachnerdigen Spieltrieb“ nennt sie das übrigens, und es brauche ein Ausprobieren, ein Wissen um die Optionen: „Wir müssen erst einmal wissen, dass wir so was haben dürfen, bevor wir überlegen können, was wir haben wollen. Ich muss erst mal wissen, dass ich Eis kriegen könnte, bevor ich entscheide, dass Schoko das leckerste ist. Es muss erst Eiscreme geben.“ Das ist kein Witz. Nun berichtete der Tagespiegel Mitte Juli, laut der Zensus-Daten lebten deutschlandweit 2022 nur 969 eingetragen diverse Menschen und 1.259 ohne Angabe zum Geschlecht. Und für diese entwirft sie rund ein Dutzend neu erfundene Pronomen? Das ist auch kein Witz. Oder noch deutlicher: 83 Millionen Deutsche (m/w) müssen sich zwei Pronomen (er/sie) teilen - für die übrigen rund 2.200 (d/ohne Geschlechtseintrag) soll dagegen ein Pronomen (es) nicht ausreichen. Das schreit doch förmlich – Achtung: Ironie – nach einem Bundespronomenbeauftragten! Und wieder zeigt sich, dass Orwells „Newspeak“ immer mehr zur Gebrauchsanweisung mutiert denn noch als dystopische Warnung gilt.
Apropos nicht-binär – Bernhard Frena listet auf TheGap auf, wie man sich das vorzustellen habe: „Vielleicht ist ihr Geschlecht irgendwo zwischen den Schubladen einzuordnen (bigender), vielleicht fluktuiert es mit der Zeit oder der Situation (genderfluid), vielleicht besteht es völlig unabhängig von diesen beiden Schubladen (genderqueer) oder vielleicht hat die Person gar kein Gefühl davon, überhaupt so etwas wie ein Gender zu haben (agender) – um nur ein paar Möglichkeiten zu nennen. Manche nicht-binäre Menschen verwenden für sich die binären Pronomen, manche vermeiden Pronomen ganz. Für viele Menschen, deren Gender nicht in die beiden klassischen Schubladen passt, bedeuten Pronomen einen täglichen Spießrutenlauf“, sprich führten zu Mikroaggressionen. Das ist ebenfalls kein Witz.
Pronomen als täglicher „Spießrutenlauf“
Das feministische Missy Magazine hat im Frühjahr 2022 ein ganzes Dossier zur Frage publiziert, wie der deutschen Sprache ein neutrales Pronomen abzuringen ist. Es beruft sich auf eine Umfrage des Vereins für geschlechtsneutrales Deutsch, in der der Neologismus „dey“ zum Favoriten gewählt wurde. Missy ergänzt dieses Neopronomen nun um die weiteren Deklinationsstufen für den Dativ und Akkusativ: „dey/deren/demm“ und kündigt an, diese neuen Formen zukünftig als Norm zu etablieren. „Für eine sich als non-binär vorstellende Person würde dann beim nächsten Redaktionsumtrunk folgendes zu sagen sein: ‚Das ist Lou. Dey schreibt vorbildliche Artikel, mit deren sind wir nun vollständig, wir haben lange auf demm gewartet‘“, ergötzt sich Miryam Schellbach in der Süddeutschen. Dass dabei jedes Wort holpert und der Sinn sich nicht einfach erschließt, ist für sie intendiert: „Es wird von Aktivisten häufig angenommen, dass eine sprachliche Irritation Anlass geben kann, über sprachliche Kategorien und außersprachliche Einteilungen der Welt nachzudenken.“
Bereits im Januar 2023 wünschte sich die von den Grünen geführte Berliner Senatsverwaltung für Finanzen Gender-Signaturen in den E-Mails von Beschäftigten. Demnach sollen alle Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ihre Pronomen sowie ihre bevorzugte Anrede nennen, berichtete die Junge Freiheit. Nonbinäre Personen, die die klassische binäre Geschlechtereinteilung in Männer und Frauen für sich als nicht passend empfinden, könnten schreiben: „Manu Musterperson, kein Pronomen, Anrede: Guten Tag Manu Musterperson“. Auch Neopronomen wie „they/them“, „dey/dem“ oder „xier/xiem“, die sich nicht auf ein bestimmtes Geschlecht beziehen, sollen bei Bedarf verwendet werden, zitiert die Zeitung aus einem Behördenrundschreiben des personalzuständigen grünen Finanzsenators Daniel Wesener – unterzeichnet übrigens ohne Pronomen und gewünschter Anrede. Ziel der „Präventivmaßnahme“: Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen sollen vor Diskriminierung am Arbeitsplatz geschützt werden. Die Berliner AfD-Landes- und Fraktionschefin Kristin Brinker war entsetzt: „Es ist vollkommen inakzeptabel, dass die Landesbediensteten durch diese Anweisung unter Gender-Bekenntniszwang gesetzt werden“, sagte sie der Zeitung. Damit werde Druck auf alle Beschäftigten ausgeübt, „die das Gender-Gaga nicht mitmachen wollen, denn angesichts von Beurteilungskriterien wie ‚Diversitätskompetenz‘ wird kaum ein Mitarbeiter es wagen, sich durch eine nicht wunschgemäße eMail-Signatur den Karriereweg zu verbauen“.
Parallel dazu hat sich die Berliner Bildungsverwaltung „sukzessive“ die Neugestaltung aller Zeugnisse vorgenommen. Dabei soll künftig, sofern gewünscht, auf die Festlegung auf ein Geschlecht verzichtet werden. Anstatt „Er/Sie“ oder „Schülerin/Schüler“ kann dann einfach der Vorname oder – bei älteren Schülerinnen und Schülern – Vor- und Nachname geschrieben werden. Aus dem entsprechenden Rundschreiben zitiert der Tagesspiegel. Damit die Schulen den Eintrag anpassen können, soll es also einen Platzhalter in den Formularen geben, „der sowohl für den Eintrag des Vornamens als auch eines Personalpronomens dienen kann, deren Verwendung weiterhin möglich ist“, heißt es weiter. Geschlechtsbezogene Personalpronomen und Formulierungen seien „immer dann“ von den Schulen zu vermeiden, „wenn der Wunsch besteht, in Bezug auf die geschlechtliche Identität neutral oder mit dem Namen angesprochen zu werden“.
Ein Berliner Vater versucht inzwischen, die „geschlechterneutrale Gaga-Sprache“ im Unterricht zu stoppen: „Ich möchte aber, dass meinem Kind in der Schule normgerechtes Schreiben beigebracht wird“, sagte er der Morgenpost. Mittlerweile würde die Mehrheit der Klasse dem Vorbild der Lehrerin folgen und ebenfalls gendern. Einzelne Schüler, die dies noch nicht täten, fühlten sich isoliert, berichtete er und erzählt von sogenannten „Pronomen-Stuhlkreisen“, in denen die Kinder der Klasse sagen müssten, mit welchem Pronomen sie angesprochen werden möchten. All dies ist für ihn „nicht akzeptabel“, wie er die zuständige Schulaufsicht in einem 15seitigen Beschwerdebrief wissen ließ. In dem Schreiben fordert er, dass Lehrer „gegenüber Schülern, Eltern und im Kollegium in dienstlicher Kommunikation in Text und Wort ausschließlich die amtliche Rechtsschreibung in Text und Wort“ verwenden sollen. Die Lehrer seien schließlich „sprachliche Vorbilder“. Außerdem bemängelt er, dass „gesellschaftliche und politische Kritik an der Gender-Sprache und vor allem die dahinterstehenden politischen Ideologien“ im Unterricht nicht behandelt werden. Er bezieht sich dabei auf den Beutelsbacher Konsens aus den 1970er Jahren. Die Regelung besagt unter anderem, dass Schüler die Möglichkeit haben müssen, sich zu kontroversen Themen eine freie Meinung zu bilden. In diesem Punkt pflichtet die Bildungsverwaltung der Beschwerde des Vaters übrigens offiziell bei.
Viele Sprachfamilien kennen kein grammatisches Geschlecht
Auch im Ausland tobt der sprachliche Genderkrieg. Zwei queere Aktivisten haben in Österreich das „Nona“-System mit Universalpronomen wie „jedai“ entwickelt, das – noch – ein Randdasein fristet. Es gibt allerdings Sprachen, die gar keine geschlechtlichen Pronomen kennen und bei denen daher ein neues neutrales Pronomen gar nicht erst notwendig ist, etwa Türkisch, in dem es auch keine Geschlechts-Artikel gibt. Viele Sprachfamilien kennen gar kein grammatisches Geschlecht, so die austronesische (Hawaiisch, Madagassisch, Tagalog) oder das Quechua, aber auch Finnisch, das mit Ungarisch und Estnisch der uralischen Sprachfamilie angehört. „Finnisch ist zufällig eine Sprache, die keine geschlechtsspezifischen Pronomen hat, aber keine Person oder Gruppe von Menschen hat das Finnische auf diese Weise gestaltet, um Gleichheit herzustellen“, schränkt die Helsinkier Linguistin Laura Hekanaho in der Zeit ein. „Nur weil eine Sprache keine geschlechtsspezifischen Pronomen hat, bedeutet das nicht, dass diese völlig neutral ist.“ Sie betont, dass es keinen wissenschaftlichen Konsens darüber gibt, inwieweit eine gendergerechte Sprache auch die Realität verändert – auch wenn eine Studie zweier US-amerikanischer Politikwissenschaftler 2019 zeigte, dass die Benutzung des Pronomens persönliche Einstellungen verändern kann. Viele ostasiatische Sprachen, wie Mandarin oder Koreanisch, sind in ihrer Sprechweise ebenfalls neutral.
Die japanische Sprache kennt ebenso kein grammatikalisches Geschlecht, sondern gibt diese Information durch angehängte Prä- oder Suffixe für Mann oder Frau. Daraus auf eine grundsätzlich gleichberechtigte Gesellschaft zu schließen, wird allerdings schwierig: Die wenigen klar weiblichen Berufsbezeichnungen meinen meist traditionell von Frauen ausgeführte, zumal karitative Tätigkeiten wie Krankenschwester oder Hebamme. Spanisch, das grammatikalisch dagegen sehr geschlechtlich funktioniert, gehört zu den inzwischen auch aktivistisch veränderten Sprachen: Da alle Adjektive im Spanischen an das jeweilige Geschlecht der Person angepasst werden, wurde es um die Endung „e“ erweitert. Statt des männlichen „guapo“ oder des weiblichen „guapa“ für „schön“ kann es jetzt auch „guape“ heißen. Als neutrales Pronomen im Spanischen wurde entsprechend „elle“ als Alternative für „el“ (er) und „ella“ (sie) etabliert. Die Idee, aus dem geschlechtsdefinierenden Vokalen „a“ und „o“ ein „@“-Zeichen zu machen, scheiterte bislang beim Sprechen.
Als 2021 das traditionsreiche französische Wörterbuch „Le Robert“ in seiner Online-Version ein geschlechtsneutrales Personalpronomen für die dritte Person aufgenommen hat, wetterte Frankreichs Bildungsminister Jean-Michel Blanquer auf X dagegen: „Die inklusive Schreibweise ist nicht die Zukunft der französischen Sprache“. Konkret geht es um den Eintrag „iel“, der für eine Person gleich welchen Geschlechts stehe, heißt es in der Definition. Auch die Schreibweise „ielle“ sei möglich. Das Wort setzt sich aus dem männlichen Personalpronomen „il“ und dem weiblichen Pendant „elle“ zusammen. Im Jahr darauf verbot er dann, Worte aus Gendergründen anders zu schreiben, als es die ursprünglichen Rechtschreibregeln vorsehen.
Krankheit Gender-Ideologie
Im Polnischen mit seinem extrem komplexen Genus-System ist die Sache noch kniffliger: Das Geschlecht des Substantivs verändert nicht nur seine Endung, sondern unter anderem auch die Endungen der untergeordneten Adjektive und die Verbformen. Wie im Deutschen, wird in Polen zudem traditionell das generische Maskulinum für geschlechtsdifferenzierte Gruppen benutzt, etwa „Ärzte“ für eine Schar von 999 Ärztinnen und einem Arzt. Sogenannte „feminative Derivate“, also die weiblichen Bezeichnungen etwa für einen Beruf, die wie im Deutschen oft durch das Anfügen eines Suffixes, gebildet werden (Lehrer/in), sind je nach Sozialstatus unterschiedlich gebräuchlich: Die Lehrerin („nauczycielka“) wird vom Lehrer („nauczyciel“) abgeleitet, aber die Ministerin ist die „Frau Minister“ („pani minister“), die Direktorin die „Frau Direktor“ („pani dyrektor“) – je höher der Status, desto seltener sind eigene weibliche Bezeichnungen. Auch die traditionell starke katholische Kirche ist – bis auf neuerdings wenige Ausnahmen – gegen das Gendern und verurteilt die „Krankheit Gender-Ideologie“.
Die russische Sprache beschreibt die „höheren“ Berufe auch ausschließlich mit männlichen Bezeichnungen: Eine „Ärztin“ gibt es nicht. Das Suffix „ka“, das in den meisten slawischen Sprachen zum Beispiel an Namen gehängt wird, um das Geschlecht der Namensträgerin anklingen zu lassen, wäre zwar auch eine Möglichkeit für Berufe. Doch „ka“ ist gleichzeitig auch eine Diminutiv-, also Verkleinerungsform, was dann zur Untersuchung von einem „Ärztchen“ führen würde. Die britische Regierung legte im Dezember 2023 Richtlinien vor, wonach Schulen in England künftig Eltern auch gegen den Willen ihrer Kinder informieren dürfen, falls diese ihre Geschlechtsidentität ändern wollen. Zudem müssen Lehrerinnen und Lehrer Transschülerinnen und -schüler nicht mit den von ihnen gewählten Pronomen ansprechen, sondern dürfen weiter die bisherigen Formen nutzen. Auch ein Wechsel der Schuluniform oder des Vornamens muss nicht umgesetzt werden.
Der irische Geschichtslehrer Enoch Burke weigerte sich noch 2022, eine trans Person in seinem Unterricht mit neuem Namen anzusprechen und das genderneutrale „they“ zu benutzen – obwohl dies der Wunsch der Person war und von den Eltern unterstützt wurde. Burke berief sich auf seine religiösen Überzeugungen. Laut Guardian geriet er darüber öffentlich mit der Direktorin aneinander, woraufhin die Wilson’s Hospital School seine bezahlte Freistellung für einen Monat veranlasste und der High Court in Irland dem Lehrer verbot, während des laufenden Verfahrens das Schulgelände zu betreten. Ein Verbot, das der Ire offenbar ignorierte. Das Gericht reagierte, Burke wurde schuldig gesprochen und für elf Tage in Haft genommen.
Em‘ hat klanglich einen explosiveren Charakter
John McWorther hat darauf hingewiesen, dass dem Kampf um Pronomen – so wie der ganzen Debatte um „genderneutrale“ Sprache – möglicherweise eine falsche Annahme darüber zugrunde liegt, wie Sprache funktioniert. Sprache ist kein Gefängnis, das dem menschlichen Denken notwendigerweise Grenzen setzt. McWhorter schreibt: „Gender ist in der Thai-Sprache komplett binär – er und sie – doch die Personen, die als Kathoey bekannt sind und manchmal als ,drittes Geschlecht’ beschrieben werden, haben einen festen Platz in der thailändischen Kultur. In Wahrheit haben die fünf Länder, von denen das Williams Institut der U.C.L.A. festgestellt hat, dass dort die höchste Akzeptanz von L.G.B.T.I.-Personen herrscht, Sprachen, die nur zwischen er und sie unterscheiden.“ Solche linguistischen Erkenntnisse könnten dazu beitragen, den aktuell allgegenwärtigen Sprachkampf abzukühlen und beide Seiten zu beruhigen. Doch die Pronomenfrage ist wie das Gendern längst eine reine Gesinnungsangelegenheit geworden, die von wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr berührt wird.
Ein Beispiel dafür liefert René_ Hornstein (sic!), der weder die männliche Form des Namens („René“) noch die weibliche („Renée“) annehmen will: Diplom-Psychologe (!) René_ identifiziert sich als nicht-binär – also weder als Mann noch als Frau – und möchte deswegen auch nicht als „er“ oder „sie“ bezeichnet werden. Stattdessen wünscht sich René_ entweder gar kein Pronomen oder das geschlechtsneutrale Pronomen „em“. In der Süddeutschen begründet er das so: „Eine Zeit lang hatte ich zum Beispiel das Pronomen ‚w‘. Wenn mich jemand falsch gegendert hat und ich ‚w‘ dazwischengerufen habe, um die Person zu korrigieren, wurde das oft überhört. ‚Em‘ hat klanglich einen explosiveren Charakter und wird dadurch eher wahrgenommen. Also kann ich damit besser korrigieren“. Hornstein hatte im Juni 2022 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt die Bahn juristisch dazu gezwungen, eine geschlechtsneutrale Ansprache von Kunden bei Fahrkartenbuchungen im Internet anzubieten. Das Urteil führe zu der Frage, inwiefern eine passgenaue Ansprache von einem Beförderungsunternehmen an seine Kundschaft überhaupt nötig ist, befand Marcel Laskus in der Süddeutschen: „Für die Buchung einer Zugfahrt ist das Geschlecht ähnlich relevant wie die Schuhgröße für die Bestellung eines Eisbechers und der Bizeps-Umfang für einen Zoobesuch“.
„Aber ich will in einer Welt leben, in der Bart und Tattoos, Kleidung und Haare mich nicht als Mann markieren“, mokiert sich Kevin Junk in der Berliner Zeitung. Seine Reflexionen liefern durchaus spannende Einblicke in eine Individualität, der Sexus nichts und Volition alles ist: „Seit ich mit meiner Genderidentität kommunikativer umgehe, hat sich auch mein Körpergefühl verändert. Ich habe mit dem Boxen angefangen und war nach dem ersten Training schockverliebt in die Mischung aus Technik und Kraft. Befreit von dem Druck, ein richtiger Mann zu sein, kann ich Attribute wie Stärke besser verhandeln, weil sie nicht im binären Gegensatz zu meiner Sensibilität stehen, sondern im Dialog damit. Ich kann meinen Körper in seiner radikalen Verflochtenheit mit meiner Umwelt erleben, anstatt ihn mit Gewalt in binäre Förmchen zu pressen.“ Auch das ist kein Witz.
Einen ähnlichen Seelenstriptease gewährte die englische Performance-Künstlerin Kathryn Fischer im Tagesspiegel: „Vermutlich soll das Pronomen ‚er‘ bedeuten, dass der Körper, einen Penis hat und das Pronomen ‚sie‘, dass der Körper eine Vulva hat. Dank der Arbeit von … LGBTIQ+-Aktivistinnen hat sich die Identität eines Körpers erfolgreich von seinem zugewiesenen oder veränderten Geschlecht gelöst. Das Pronomen wurde vom Geschlecht befreit. Sobald man dies akzeptiert hat, kann man einen anderen Körper nicht mehr mit der Vermutung anschauen, dass ein bevorzugtes Pronomen etwas über die Körperlichkeit einer Person aussagt.“ Und weiter: „Mir wäre es lieber, wenn mein Pronomen etwas über Raum, Hörbarkeit, Sichtbarkeit, Energie aussagen würde … und nichts, wie ich gelesen werde, wie ich mich selbst verstehe. Wäre es nicht schön, wenn sich das Pronomen einfach von der Identität befreien könnte?“ Die Frage nach der mindestens sprachpsychologischen Therapiebedürftigkeit solcher Personen muss spätestens hier erlaubt sein.
Sinisterer Angriff auf die Wahrheitsverkündung
Das Selbstbestimmungsgesetz könnte auch darum als Tabubruch aufgefasst werden, weil es einen Unterschied macht, bestimmte Äußerungen zu verbieten, etwa das Leugnen des Holocaust – oder strafbewehrt Menschen zu zwingen, bestimmte Äußerungen zu treffen! Namensgebung und Personenbezeichnungen dürfen niemals einseitig durch die Adressierten definiert werden dürfen. Die Sprache gehört auch den Sprechern, auch ihre berechtigten Interessen müssen berücksichtigt werden. Dazu gehört eindeutig, dass man einen Mann, der wie ein Mann aussieht, so spricht und sich so verhält, auch mit dem Pronomen „er“ bezeichnen darf. Das neue Gesetz begünstigt schikanöse und diktatorische Charaktere und offenbart damit mehr über diese als über die mit dem Vorwurf des Misgenderns konfrontierten Bürger – die einfach nur normal sprechen und die Realität benennen.
„Korrektes Bezeichnen als ‚Misgendern‘ umzudefinieren ist ein sinisterer und hinterhältiger Angriff auf die Wahrheitsverkündung selbst. Er macht die Wahrheit zu einem Verbrechen und die Lüge zur anerkannten Weisheit“, wütet auch Spiked-Chefautor Brendan O’Neill auf Tichys Einblick. Bei der Überwachung von Pronomen gehe es nicht darum, eine gerechtere, angenehmere Gesellschaft zu schaffen, sondern darum, Andersdenkende zu bestrafen: „Es ist eine Anweisung, eine Warnung von oben: ‚Nehmt unsere Ideologie an und sprecht unsere Sprache, oder wir werden euch vernichten.‘ Der Krieg gegen das ‚Misgendern‘, der ein Krieg gegen die Wahrheit ist, ist die tyrannischste Erscheinungsform der Wokeness“. Es zeuge vom „virulenten Autoritarismus“ unserer Zeit, dass es „praktisch über Nacht zu einer verdammenswerten Beleidigung geworden ist, eine Wahrheit auszusprechen, die die Menschheit seit Zehntausenden von Jahren kennt: dass es Männer und Frauen gibt und dass sie nicht dasselbe sind“.
An dieser Stelle kehren wir kurz zur Science-Fiction-Literatur zurück, die ja auch vielerlei Zukünfte entwirft und die interessanterweise Neopronomen zunehmend häufiger nutzt, etwa „xier“ in Blind (Annette Juretzki), Ace in Space (Judith C. Vogt/Christian Vogt) oder Humbug über Xenosol (Tino Falke) sowie in mehreren Star-Wars-Romanen, aber auch „raa“ in PX39-61 – Eine andere Welt (Evelyn Marker). Andererseits hat die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) die Broschüre „Wegweiser aus dem Transgenderkult – Elternratgeber“ in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen. Die Indizierung erfolgte aufgrund der „diskriminierenden und potenziell verrohenden Wirkung der Broschüre“. Was den Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) freute, empörte die sozialpolitische AfD-Fraktionssprecherin Baden-Württembergs, Carola Wolle MdL: „Soll die Aussage ‚Frau und Mann sind (. . .) biologische Fakten, sie lassen sich an den Chromosomen und an der Rolle in der Reproduktion festlegen.‘ tatsächlich als jugendgefährdend gelten? Die Bundesprüfstelle untersteht dem tiefgrünen Familienministerium. Das Verbot – und nichts Anderes ist diese Indizierung – des klugen Textes ist ein weiterer, fürchterlicher Meilenstein auf dem Weg hin zu einer totalitären Propagandagesellschaft.”
Bundesfamilienministerin Paus will die „Entscheidung über geschlechtliche Identität“ zum „Menschenrecht“ erklären, so Wolle weiter. „Aber das Geschlecht eines jeden Menschen ist in der Natur angelegt. Wer diese Natur leugnet und den Willen über den Körper erhebt, handelt widernatürlich. Die Warnung davor schützt also die Jugend.“ 2022 präsentierte der öffentlich-rechtliche Jugendkanal Funk in einer Reportage prompt eine junge Familie, „deren Alltag wie ein aus dem Ruder gelaufenes Gender-Studies-Seminar wirkt“, ärgert sich Martin Voigt in der Jungen Freiheit. Darin durfte die vierjährige Nova selbst ihren Vornamen und ihr Geschlecht bestimmen, sollte die Frage „Welches Pronomen präferierst du denn heute?“ beantworten – gestellt von „Elter 2“ namens „Fin_ja“, während die Mutter des Kindes, „Elter 1“, daneben saß. Auf der Bielefelder Tagung „Personalpronomen: Grammatik im Wandel?“ konstatierte die Geschlechtersoziologin Tomke König, Personalpronomen seien derzeit „hochgradig politisch aufgeladen“. Die Mainzer Sprachwissenschaftlerin Miriam Lind hat den Eindruck, die Debatte werde dabei auch „künstlich aufgeheizt“, um damit bestimmte politische Ziele durchzusetzen und „eine gewisse Ablehnung gegen Geschlechter-Diversität zu verbreiten“, sagte sie im DLF.
Und vor allem Vielfalt
Das Gegenteil jedoch ist richtig: Das politische Ziel besteht in der Durchsetzung einer – nicht nur „gewissen“ – Bevorzugung von Geschlechterdiversität. Denn eine Sprache, für die man neben einem Uni-Abschluss noch ein Radar für persönliche Befindlich- und Eitelkeiten aktivieren muss, um jedes Schneeflöckchen auf dem Schirm zu haben, inkludiert nicht, sie schließt erstens aus und ist zweitens nicht mehr verständlich. Niemand hat Lust, sich zu überlegen, wie er Angehörige dieser Minderheit ansprechen darf oder nicht. Also lässt man es ganz bleiben und vermeidet einfach jeglichen Kontakt zu diesem Personenkreis. Das kann man doppelte Ausgrenzung – von innen und außen – nennen, womit die weitere Singularisierung, ja Atomisierung der Gesellschaft befördert wird. Denn statt ihrer vornehmsten linguistischen Aufgaben gerecht zu werden – Redundanz zu vermeiden und im Sinne einer Begleitung, ja Stellvertretung zu fungieren – werden Menschen mit Pronomen „markiert“ und damit zu Werkzeugen, ja Waffen der Identitätspolitik; indem sie dazu benutzt werden, Sichtbarkeit, Hörbarkeit und Raum zu schaffen. Damit einher geht gleichzeitig das Definieren, das Verengen, das Verkorridorisieren.
Bei der deutschen Hymne zur Fußball-EM hatte ZDF-Kommentator Oliver Schmidt, studierter Politikwissenschaftler, den Text kurzerhand erweitert und damit der Diversität auch ohne Pronomen Raum verschafft: „Einigkeit und Recht und Freiheit und vor allem Vielfalt“. „Ein ZDF-Sportreporter verunstaltet und entehrt den Text unserer Nationalhymne vor einem Multi-Millionenpublikum! Wie dreist können diese linken Ideologen beim ÖRR eigentlich noch werden?“, schimpft der Ex-NRW-Landtagsvize Gerhard Papke (FDP) über diese Politisierung mit der Brechstange. Wenn erst einmal passende Formen einer größeren Öffentlichkeit präsentiert und häufiger angewendet würden, dann komme es in der Regel auch bald zu einer Gewöhnung, freut sich Lind. Denn wenn Linke das Wort „Vielfalt“ oder sein Pendant „Diversität“ im Mund führen, meinen sie damit nicht etwa politische Vielfalt oder gar Meinungsvielfalt. Mit einem Nationalspieler, der sich zum Beispiel zur AfD bekennen, die Migrationspolitik kritisieren oder sich wie Joshua Kimmich der Corona-Impfung verweigern würde, hätten sie ein massives Problem.
Stattdessen geht es ihnen um ganz bestimmte Vorstellungen von ethnischer und sexueller „Vielfalt“, hinter denen ganz bestimmte, dabei aggressive politische Forderungen stehen, bilanziert Daniel Holfelder in der Jungen Freiheit: Die der fremdkulturellen Masseneinwanderer oder die der Geschlechtswechsler. Letztere unterlagen Mitte Juli wenigstens minimal: Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hatte sich bei der Neufassung seiner Richtlinie für Sanitärräume von der Transgender-Lobby instrumentalisieren lassen. Aufgrund gesetzlicher Regelungen seien neue Konzepte für Sanitärbereiche erforderlich, behauptete er und empfahl „grundsätzlich“ für öffentlich und gewerblich genutzte Sanitärräume eine „geschlechterunspezifische Nutzbarkeit“. Damit wäre der Abschaffung von Frauen- zugunsten von Unisextoiletten der Weg geebnet worden. Gegen dieses Vorhaben organisierte die Initiative „Geschlecht zählt“ einen bundesweiten Protest, der jetzt nach anderthalb Jahren zum Erfolg führte: Der VDI hat seine Richtlinie überarbeitet.
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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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