Weil Aktivisten sie als „rechts“ diffamierten, sagte die Humboldt-Uni einer feministischen (!) Doktorandin einen Vortrag zur Zweigeschlechtlichkeit ab: Nun darf sich Scharlatanerie Wissenschaft nennen.
„Viel Lärm um nichts“ betitelte Shakespeare seine romantische Komödie um die Hochzeit von Hero, der Tochter des Gouverneurs von Messina. Das weit verbreitete Renaissancemotiv einer per Intrige verleumdeten Braut, die ihren Bräutigam am Ende trotzdem bekommt, könnte man heute tatsächlich auch auf den Wissenschaftsbetrieb übertragen: In Form der 32jährigen verfemten Berliner Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht, die an der Humboldt-Uni 12 Tage nach der Absage ihres Vortrags „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ denselben doch noch halten durfte.
Kein Tumult also, kein Geschrei, kein Protest wie noch Ende Juni, ja nicht einmal zaghafte Unmutsäußerungen waren während der Ausführungen Vollbrechts zu hören. Auch der Hörsaal blieb entgegen den Erwartungen nur halb gefüllt. Ein beträchtlicher Teil der Zuhörer waren Kamerateams, Journalisten und Fotografen, wobei Vollbrecht gar nicht die Fragen der Journalisten beantworten wollte und auch ein anschließendes Forum zur „Kontextualisierung“ mit dem Uni-Präsidenten, ihrem Doktorvater Rüdiger Krahe, einer Wissenschaftshistorikerin, einem Juristen, der FDP-Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger sowie zwei Queeraktivisten absagte.
Die Runde sei ihr zu unausgewogen und zu voll, befand sie, und „dass meine Person und meine Meinungsäußerung außerhalb der Universität irrelevant sind für den Inhalt meines Vortrags.“ Stattdessen wollte sie an einem digitalen Treffen mit dem Jugendpsychiater Alexander Korte, nach eigener Aussage „Stammwähler der Grünen“, und dem Philosophen Uwe Steinhoff teilnehmen. Beide gehörten ebenso wie Vollbrecht zu den Verfassern des Welt-Gastkommentars „Wie ARD und ZDF unsere Kinder indoktrinieren“, in dem die einseitige Berichterstattung zum Transsexualitäts-Hype seziert und der selbst heftig kritisiert worden war.
So habe sich die Biologin exakt dafür entschieden, was ein Teil der Misere sei und worüber sie sich selbst mit Blick auf die Teilnehmer der Diskussion beschwert habe: „Jeder bleibt in seiner Blase und verweigert den Diskurs“, klagte Thomas Schmoll in der Welt. Das Podium redete also über sie statt mit ihr und replizierte genau jene Diskussion, die seitens der Universität erst zur Vortragsabsage und dann zur feigen Umetikettierung als „Vortrags-Verschiebung“ führte: Krahe nannte Vollbrechts Ausführungen einen „Grundkurs Biologie“, der „vollkommen in Ordnung“ sei, einer der Aktivisten rückte sie dagegen in die ultrarechte Ecke.
Ein Student aus dem „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ AkJ fand es „schwierig, ganz auszublenden“, dass Vollbrecht „klar transfeindliche Thesen“ verbreite. Es sei zu fragen, ob sie die wissenschaftliche Ansicht „vielleicht“ nur aus „transfeindlicher Ideologie“ äußere. Das ist kein Witz. Uni-Präsident Peter Frensch erklärte, er könne der Vermutung „durchaus etwas abgewinnen“. Er kündigte an, Forscher der Institution, die öffentliche Vorträge hielten, demnächst „besser zu evaluieren und zu scannen“. Nimmt man das wörtlich, könnten Vorträge wie jener von Vollbrecht in Zukunft schon vorher aussortiert werden. Auch das ist kein Witz.
„Transfeindliche Positionierung“
Insofern entpuppt sich das vermeintliche Happy End als Tiefpunkt akademischer Unkultur, die die perfidesten Elemente von vorauseilender Cancel Culture, aktivistischer Identitätspolitik, institutionell geförderter Wissenschaftsfeindlichkeit und staatlicher Zwangssexualisierung in sich vereint. Der – hoffentlich! – Satireaccount „Jacqueline Chantalle Al Mansour-Pfützenreiter“ twitterte dazu, Kindern bei der Geburt ein Geschlecht zuzuordnen sei mittelalterliche Praxis, weil wissenschaftlich nicht eindeutig belegt sei, dass Menschen mit Penis öfter Männer sind als Menschen ohne. Offenbar ist man heute „transphob“, wenn man Männer und Frauen für den Normalfall und alles andere für eine – rein statistisch betrachtet – Ausnahme hält. „Die Geschlechter verschwinden im Nebel der Selbstzuschreibungen. Wenn ein Gemeinwesen nur noch aus größeren oder kleineren Minderheiten besteht, stellt sich die Frage, woher am Schluss die für ein Gemeinwesen unabdingbare Kohäsion kommt“, bilanziert Eric Gujer in der NZZ.
Was war geschehen? „Wissenschaft als Antwort auf Fake News, Verschwörungstheorien und fatale Irrtümer“ – unter diesem Motto stand 2022 die Lange Nacht der Wissenschaften. Vollbrecht, die zu Neurobiologie und zum Verhalten von Fischen forscht, sollte am 2. Juli in diesem Rahmen ihren Vortrag halten. Allerdings galt sie seit dem erwähnten Gastkommentar als persona non grata, da sie darin unter anderem behauptete, ARD und ZDF würden in Beiträgen zum Thema Transgender häufig die Tatsache leugnen, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt. Insbesondere bei an Kinder gerichteten Beiträgen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks könne man von einer „bedrohlichen Agenda“ aus „Indoktrinierung“ und „aufdringlicher Sexualisierung“ sprechen. Der Springer-Konzern als Herausgeber wurde daraufhin von einer queeren Jobmesse ausgeladen, Aktivisten liefen Sturm.
Springer-Chef Mathias Döpfner sah sich prompt veranlasst, sich von dem – nach seinen Worten – „unterirdischen“, „wissenschaftlich bestenfalls grob einseitigen“, „oberflächlichen, herablassenden und ressentimentgeladenen“ Gastbeitrag zu distanzieren. Am Vortag des Vortrags begann die linksradikale AkJ, deren Logo eine erhobene Faust mit Richterhammer darstellt, dagegen zu mobilisieren. Zuvor hatte der so genannte „RefRat“, ein Gremium der Studentenschaft, seine Kompetenzen überschritten und offenkundig gegen Datenschutz-Bestimmungen der Universität verstoßen, indem er an sämtliche Studenten-Adressen eine Mail schickte, die Vollbrecht schmähte und potenzielle Hörer sowie Unbeteiligte gegen die eingeladene Referentin aufwiegelte. Erst diesen Vorgang nutzte die so genannte AkJ.
Denn Vollbrechts These von den zwei biologischen Geschlechtern sei „menschenverachtend und queer- und trans*feindlich!“, heißt es in einer Stellungnahme im Netz. Vollbrecht sagte dazu T-Online: „Wenn ich als Frau sage, dass ich nicht in der Situation sein will, dass mir in der Sammelumkleide oder unter der Dusche ein Individuum mit Penis begegnet, dann ist das mein gutes Recht.“ Die Einladung dieser Referentin sei jedoch „skandalös!“, denn Vollbrecht vertrete „eine überkommene biologistische und starr zweigeschlechtliche Sichtweise, die heute auch in der Biologie eine Randmeinung darstellt“. Das ist ebenfalls kein Witz. Die Geschlechterfrage „auf eine scheinbar statische Biologie zu reduzieren, führt zu reaktionären Ansichten“, textete der Freitag.
Und da die HU „offenbar die Augen vor dieser transfeindlichen Positionierung“ verschließe, habe der AkJ für den 2. Juli eine Gegendemonstration vor dem Hauptgebäude der Universität angemeldet. Biologie scheint zur reaktionären Pseudowissenschaft mutiert zu sein, der an Hochschulen kein Raum mehr gegeben werden darf. Vor Angst schlotterten der Uni, die einen mit viel Fördergeld verbundenen Exzellenztitel trägt, die Knie, und mit Verweis auf „Sicherheitsbedenken“ cancelte sie die eigene Doktorandin: Allein das Wort zeigt, welche Militanz von den Aktivisten erwartet wird.
„Der Vortrag wurde im Interesse der Gesamtveranstaltung ,Lange Nacht der Wissenschaften‘ abgesagt“, erklärte Universitätssprecherin Birgit Mangelsdorf in der FAZ. Die „Lange Nacht der Wissenschaften“ ist schließlich keine Nacht der langen Messer, nicht? Man müsse angesichts der Demoaufrufe sowie angekündigter „Gegenaktionen von Vollbrecht-Unterstützer:innen […] mit einer möglichen Eskalation rechnen, die die gesamte ,Lange Nacht der Wissenschaften‘ überschatten würde.“ Das ist nicht nur feige und rückgratlos, sondern auch vorauseilender Gehorsam, denn die Biologin komplett zu canceln hatten nicht einmal die Linksradikalen gefordert. Und: Die „Meinungen“, die Frau Vollbrecht in der Welt vertreten habe, stünden „nicht im Einklang mit dem Leitbild der HU und den von ihr vertretenen Werten. Die HU hat sich ,den wechselseitigen Respekts [sic!] vor dem/der Anderen‘ verpflichtet. Wir distanzieren uns daher von dem Artikel und den darin geäußerten Meinungen ausdrücklich.“ Auch das ist kein Witz, sondern fast Methode, denn an der Humboldt-Universität hat es Tradition, Wissenschaftlern in solchen Situationen die Solidarität zu entziehen: Man denke an die Hetzjagden gegen Herfried Münkler und Jörg Baberowski. Die Absage ihres Vortrags mache sie „traurig“, so Vollbrecht zu Bild: „Das Einknicken vor radikalen gewaltbereiten Aktivisten, die kein Verständnis von Biologie haben, ist verständlich, aber alarmierend.“ Der Vorfall sei ein weiteres Beispiel, „mit welchen radikalen Mitteln Genderideologen vorgehen“.
„Biologie auf Grundstufenniveau“
Der Vorwurf der Trans- und Menschenfeindlichkeit schadet allerdings massiv Vollbrechts Reputation und gefährdet ihre Laufbahn. Sicher ein Grund, dass sie noch an dem Tag, an dem ihr Vortrag abgeblasen wird, ihn per Livestream auf Youtube vorträgt. Mehr als 120.000 Mal ist das Video seither aufgerufen worden. Da gerät die grobe Missachtung der Namensgeber fast zur Petitesse am Rande: Alexander von Humboldt, der jüngere der Brüder, hatte bei der Eröffnung der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte am 18. September 1828 in Berlin gesagt: „Die Entschleierung der Wahrheit ist ohne Divergenz der Meinungen nicht denkbar, weil die Wahrheit nicht in ihrem ganzen Umfang, auf einmal, und von allen zugleich, erkannt wird.“
Vollbrechts Vortrag führt aus, warum Zweigeschlechtlichkeit eine für die Biologie notwendige Bezeichnung ist. Basis ist die Unterscheidung zwischen Ei- und Samenzelle: Die Existenz des Menschengeschlechts ist biologisch nicht anders zu erklären. „Zweigeschlechtlichkeit schließt nicht aus, dass es Menschen gibt, bei denen die geschlechtlichen Strukturen nicht vollständig differenziert und damit nicht eindeutig sind“, schreibt Korte dazu. Dass „kritische Juristen“ sich nicht in der Lage sehen, diesem Standpunkt mit Argumenten gegenüberzutreten, bezeugt die Tendenz, Identitäts- und Geschlechtsfragen zum quasireligiösen Bekenntnis zu machen.
Es ist nicht der erste Vortrag zum Thema, der an einer deutschen Hochschule persönlichen Anfeindungen zum Opfer fällt: Die britische Philosophin Kathleen Stock wurde 2021 wegen angeblicher Transfeindlichkeit vom Berliner Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft ausgeladen. Der transsexuelle Publizist Till Randolf Amelung bekam im selben Jahr vom Asta der Universität Vechta eine nachträgliche Absage. Die feministische Publizistin Naida Pintul musste gleich serienweise Ausladungen hinnehmen und tritt gar nicht mehr an Hochschulen auf. Der AkJ wollte „darauf aufmerksam machen, dass Vollbrecht tief in reaktionäre und gruppenbezogen menschenfeindliche Netzwerke eingebunden ist, wie man sie bisher nur aus den Vereinigten Staaten kannte“, befindet gar beweislos die Genfer Medizinsoziologin Dana Mahr in der FR. Das läuft auf den Vorwurf der konspirativen Aktion hinaus. „Wer daran festhält, dass biologische Faktoren für die Geschlechtsbestimmung eine Bedeutung haben, wird unter dem Mantel der Menschenfreundlichkeit als Freiwild gekennzeichnet, das verprügelt oder getötet werden darf“, ärgert sich Thomas Thiel in der FAZ.
Der CDU-Abgeordnete Adrian Grasse stellte dem Berliner Senat eine Kleine Anfrage, die nachhakt, ob die behauptete Gefahr auch wirklich bestand und die Berliner Hochschulen noch in der Lage seien, die Wissenschaftsfreiheit zu schützen. „Die Zweigeschlechterbiologie, von der die junge Forscherin sprechen wollte, ist demnach so transfeindlich, weil sie Nichtbinäre ignoriert, wie die Mehrgeschlechterbiologie frauenfeindlich ist, weil sie weiblichen Diskriminierungsschutz schwächt“, ergötzt sich Jost Müller-Neuhoff im Tagesspiegel und erkennt eine „Konterrevolution der Rückständigkeit“.
Einige Journalisten drückten ihre Verwunderung darüber aus, dass das in dem Vortrag vermittelte biologische Grundwissen überhaupt zum öffentlichen Streitgegenstand werden konnte. Der BR spricht von „Biologie auf Grundstufenniveau“. Die Behauptung, die Biologin habe in ihrem Vortrag Menschen angegriffen und „persönlich bedroht“, ist eine Lüge, so Jürgen Kaube in der FAZ. Die Gegner Vollbrechts „wussten schon vorher, was die Biologin sagen würde, weswegen es konsequent ist, dass sie im Vortrag Aussagen finden, die darin gar nicht gemacht wurden.“
„Normale Menschen werden nicht begreifen, warum diese biologische Erkenntnis so kontrovers ist“, erklärte Susanne Gaschke in der Welt. Nein, sie ist nicht kontrovers, sondern diese Kontroverse unnormal, muss man ihr entgegenhalten trotz ihrer Relativierung: „Die Dekadenz einer liberalen Gesellschaft zeigt sich allerdings darin, dass engstirnige Ideologen das Aussprechen empirischer Tatsachen verhindern können, die ihr Weltbild stören.“ Heinz Sychrovsky kommentiert in der Kronen-Zeitung das Dilemma damit, dass „Analphabeten das Wort führen, die wie der Pawlow‘sche Hund gerade noch nach Reizworten schnappen, nicht aber den Sinn des umliegenden Textes erfassen können.“
Die Kontrahenten sehen das naturgemäß reziprok: „Vielmehr haben wir es mit einer Gruppe von Menschen zu tun, die Diskursmacht einfordert, ohne jedoch die fachlichen Voraussetzungen für diese mitzubringen“, versteigt sich Mahr. Mit dem Mitwirken an einem Dossier, in dem Intergeschlechtlichkeit als krankhafte Störung und Transpersonen als potentielle übergriffige Eindringlinge in Frauenschutzräume dargestellt werden, sollte sie sich für eine wissenschaftliche Betrachtung zum Thema Geschlecht ausreichend disqualifiziert haben, diffamierte Vollbrecht gar der AkJ.
„Wenn die – für die Demokratie konstitutive – Meinungsfreiheit ausgerechnet an einer Universität zur Disposition gestellt wird, muss man das als alarmierendes Zeichen werten: Die Frau einfach nicht sprechen zu lassen, offenbart eine regelrecht autoritäre Geisteshaltung“, klagt der wissenschaftspolitische AfD-Fraktionssprecher Baden-Württembergs, Dr. Rainer Balzer MdL. Die Passauer Politologin Barbara Zehnpfennig unterstellte den Aktivisten im BR gar machtpolitische Interessen, denn schließlich gehe es ja um Identitätspolitik. „Man will ja auch gar nicht argumentieren, denn dann müsste man sich ja auf eine sachliche Ebene einlassen, sondern man will die andere Position ausschalten.“ Die Sicherheitsbedenken, mit denen die Universität die Absage begründet hatte, sieht die Politologin als „vorgeschoben“: Man habe etwas „Unliebsames verhindern“ wollen. „Das bedeutet, dass die Universität sofort einknickt, wenn irgendeine Gruppe androht, Rabatz zu machen, wenn der und der Redner auftritt. Die Universität macht sich mit solchen Reaktionen wirklich erpressbar.“ Ein solcher Rückzieher fördere das „Duckmäusertum“. Wenn man damit rechnen könne, moralisch geächtet zu werden, wenn man eine bestimmte Position vertrete, sei „Forschung nicht mehr ergebnisoffen. Das ist wirklich das Ende der Wissenschaft.“
„Geschlechter-Voodoo“
Die biologische Dimension des Geschlechts wird jedoch schon auf höchster politischer Ebene, nämlich in dem von der Ampel-Regierung kürzlich vorgelegten Entwurf eines Selbstbestimmungsgesetzes, zum Verschwinden gebracht. Ist das des Pudels Kern? Gerade bei „Gender“ und „Geschlecht“ gebe es eine große sprachliche Verwirrung, sagte die über Nacht bekannteste Doktorandin der Republik: „Ich möchte, dass wir eine sachliche Debatte haben, und dafür müssen wir zurück auf den Boden der Tatsachen: dass es biologisch nur zwei Geschlechter gibt.“ Doch allein, dass man Transsexuelle und Intersexuelle in ein gemeinsames Gesetz packt, ist der beste Beweis, dass man in der Regierung entweder aktiv ignoriert oder schlicht intellektuell nicht begreifen kann, dass die einen eine biologische Anomalie darstellen (inter), während die anderen biologisch sehr klar definierbar sind, aber gerne ein anderes Geschlecht hätten, ärgert sich Birgit Kelle in der Jungen Freiheit.
Mit der frei erfundenen Kategorie „non-binär“ würde man zudem eine verbale Blackbox ins Gesetz heben, die dann Türöffner ist für alle späteren „Identifikationen“, die um Anerkennung und eigene Ausweispapiere buhlen. Außer von vereinzelten Stimmen ist von der CDU kein ernsthafter Widerstand zu erwarten, da ein offener Krieg in Berlin „alle schwarz-grünen Bündnisse auf Landesebene belasten“ würde. Wirklich verheerend für den „geistigen Grundwasserspiegel unserer Gesellschaft“ sei aber, „dass man sich mit diesem Gesetz explizit von wissenschaftlichen Fakten als Orientierungsgröße verabschiedet. Die Biologie ist der neue Feind. Hätte man die Macht, man hätte sie längst verboten. Stattdessen tilgt man Meinungen und deren Vertreter aus dem Diskurs, die sich noch nicht dem neuen Geschlechter-Voodoo angeschlossen haben und auf den validen Tatsachen evolutionsbiologischer Forschung beharren.“
Toll findet die Causa dagegen der grüne Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck. „Sicherheitsbedenken sollten kein Grund zur Absage eines Vortrages in einer demokratischen Gesellschaft sein. Die Ablehnung des inhumanen Biologismus der Vortragenden schon“, twitterte er. Ebenfalls auf Twitter bezeichnet der parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung Jens Brandenburg (FDP) die „These“, es gebe „biologisch nur zwei binäre Geschlechter“, als „längst widerlegt“, hält die Absage der Veranstaltung allerdings für falsch.
Und im DLF-Gespräch gibt Spiegel-Journalist Stefan Kuzmany zu Protokoll, der Vollbrecht-Vortrag höre sich zwar „harmlos“ an, die Referentin habe allerdings „eine sehr verengte Sichtweise auf Anemonen und genetisches Material“, was Menschen nicht berücksichtige, die sich nicht diesem „binären Geschlechtssystemen“ zuordnen lassen könnten oder wollten. Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch behauptete gar, in Wirklichkeit hätten die Uni-Leitung oder die von ihr mit der Planung Beauftragten „erst bei der Programmgestaltung geschlafen und dann versucht“, das „selbst verursachte Problem hastig und mit großer intellektueller und organisatorischer Feigheit aus der Welt zu schaffen“. Das ist ebenfalls kein Witz.
Aber es kommt noch besser: In einem Beitrag des RBB wurde der Protest des AkJ gegen „Transfeindlichkeit“ gallig mit den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten verglichen. Unter den erwähnten Büchern und Forschungsaufzeichnungen, die am 10.05.1933 verbrannt wurden, waren unter anderem auch Dokumente des Magnus-Hirschfeld-Instituts, wehrt sich der AkJ: „Einem Forschungsinstitut, dass bereits 1930 geschlechtsangleichende Operationen durchführte und Beratungen für homosexuelle, trans* und inter Personen anbot. Das Wissen um die (biologische) Realität von Trans, Inter und Nicht-Binären Identitäten ist keine moderne Modeerscheinung. Es ist Wissen, dass bereits die Nationalsozialisten mit brutalsten Mitteln aus der Welt zu schaffen versuchten.“ Zu folgern ist also: Um nicht auf eine Stufe mit dem 3. Reich gestellt zu werden, wandte die Uni genau die Methoden des 3. Reichs an. Das ist kein Witz mehr.
Menstruieren als „ableistische Scheiße“
Doch damit war der AkJ nicht alleine. Viele Medien überboten sich förmlich darin, entweder die Transfeindlichkeit Vollbrechts und /oder ihres Themas bzw. die Simplizität, ja Unwissenschaftlichkeit ihrer Ausführungen herbeizuschreiben. „Dass außer FAZ, NZZ oder Cicero kaum ein anderes Medium den Willen oder gar die Kraft aufbrachte, die Absage des Vortrags von Marie-Luise Vollbrecht ganz klar als totalitär und wissenschaftsfeindlich zu verurteilen, lässt tief blicken“, ärgert sich der medienpolitische AfD-Fraktionssprecher Baden-Württembergs, Dr. Rainer Podeswa MdL: „Nämlich in den Abgrund einer Medienlandschaft, die so regierungshörig agiert, dass selbst Kolumnisten wie Judith Sevinç Basad, die inzwischen bei BILD gekündigt hat, dem Springer-Konzern ‚Gleichschaltung und Unterwerfung‘ vorwerfen.“ Zwei BZ-Beiträge stachen dabei besonders heraus.
Der erste von der Neurowissenschaftlerin (nach anderen Quellen Science-Slammerin) Franca Parianen geht von der These aus, dass biologische Prozesse Fakten seien, jedoch „die Label, die wir darauf kleben, nicht. Unsere Begriffe sind Ergebnis von Kultur, die aus einem Kontext heraus wächst.“ Als Vergleich nimmt sie eine Tomate, „die zwar im Gewächshaus als Frucht durchgeht, aber nicht, wenn ich einen Obstsalat mache“. Insofern sei das Geschlechterbild nur kohärent, „solange man auslässt, dass es eben auch Menschen mit XXX-, XXY- oder XYY-Chromosomen und jeder Menge anderer Variationen gibt. Oder dass die Ausführung dieses stringenten Plans vor allem den Hormonen überlassen ist, die ihn aber eher als eine Richtlinie verstehen.“ Und außerdem seien wir im Urzustand „eher weiblich. Den Rest erledigen die Hormonschübe der Pubertät.“ Auch das ist kein Witz.
Selbst wenn wir das biologische Geschlecht zu 100 Prozent verorten und vermessen könnten, wüssten wir immer noch nicht, wo sich die Menschen selbst einordnen, denn zwischen diesen Punkten lägen eine Menge psychologischer Dichte und Jahrhunderte an kultureller Entwicklung, behauptet sie: „Im Ergebnis sprechen viele Forschende heute nicht mehr von einem binären Geschlecht, sondern von einem Spektrum mit männlichen und weiblichen Extremen.“ Sie verweist auf die Unterscheidung zwischen genetischem, endokrinem und gonadalem Geschlecht, wobei die relevante Definition von der Fragestellung abhänge: während für Krebsrisiken Hormone und Geschlechtsorgane oft entscheidend seien, sind es bei der Fortpflanzung die Produktion von Eizellen oder Spermien. „Ausnahmen bestätigen die Regel“ sei ergo ein Sprichwort, kein wissenschaftliches Konzept: „Das ist keine Cancel Culture, sondern Fortschritt.“ Das ist auch kein Witz.
Da verwundert ihr Schluss nicht mehr: „Geschlecht ist eben nichts, in das man reinwächst, wie in die Winterjacke der Geschwister. Das anzuerkennen ist das genaue Gegenteil davon, Geschlechterunterschiede zu verwischen. Es bedeutet, sie ernst zu nehmen.“ Wir halten fest: Kinder dürfen nicht mehr in die Indianerkostüme ihrer Geschwister wachsen, aber Männer sich als Frauen ausgeben und entsprechend kostümieren. Und wer diese Männer Männer oder gar bei ihrem alten Namen nennt, dem „Dead Name“, wird in wenigen Monaten eine Straftat begehen. Schöne neue Welt.
Ein Account „Nina Lucy“ bezeichnete auf Twitter das Menstruieren prompt als „ableistische Scheiße“. Denn „nicht mal alle cis-Frauen menstruieren oder können Kinder gebären. Ich menstruiere als Transfrau übrigens auch, aber eben ohne Blut. Und jetzt?“ Dann könnten Männer also Eierstock- und Frauen Hodenkrebs bekommen? Monika Maron flüchtete sich ob dieser Absurditäten in einem Welt-Interview in beißenden Spott: „Ich habe schon überlegt, ob ich zur Polizei gehen und mein Geburtsdatum ändern lassen sollte … Weil ich mich heute fühle wie knapp über 60. Und wenn man sein Geschlecht nach Gefühl ändern kann, warum nicht auch sein Alter?“
Der zweite Beitrag des Biophilosophen Martin Krohs kaprizierte sich zunächst auch auf die Chromosomen XX und XY: „Das ist zwar in der Tat Biologie, aber es ist, in dieser rohen Form, die Biologie von vor vierzig Jahren.“ Heißen sie heute CC und CD? Prompt betont auch er, dass die aktuelle Forschung die Fragen von Chromosomen und Geschlecht „subtiler“ sieht und das Genom nicht als „starren Bauplan für den Organismus, sondern als Konglomerat aktiver molekulargenetischer Elemente, deren biologischer Sinn erst im Zusammenhang mit anderen Lebensprozessen entsteht“. Und „da die Biologie bekanntlich wet and messy ist, eine feuchte und unordentliche Angelegenheit und keine schwäbische Ingenieurskunst, sind diese Pfade offen für Variation.“
Denn in der Biologie ist alles Prozess: „wimmelnde, unvorstellbar fein koordinierte molekulare Aktivität, unablässig sich selbst erhaltende pulsierende Lebendigkeit, ‚Vivanz‘“. Darum sind auch unsere Organe „keine ‚Dinge‘, sondern eher teilautonome Sub-Lebewesen innerhalb unserer Körper. Insofern sollte man, mit einem Seitenblick auf den soziologischen Ausdruck Doing Gender, auch biologisch eher von sich vollziehenden Geschlechtern reden, im Sinne eines Verbs: das Leben geschlechtert.“ Mehr unschwäbische Rabulistik war nie.
Angesichts dieser konglomeralen, prozessualen „Vivanz“ (Lebendigkeit, Lebensfülle) verwundert dann nicht mehr Krohs‘ Schluss, dass innerhalb ein und desselben Hirns die verschiedensten Kombinationen von Weiblichkeit und Männlichkeit möglich sind und sich auch während des individuellen Lebens, je nach Tätigkeit und „Training“, recht kurzfristig verändern können: „Was wiederum bedeutet, dass die unterschiedlichen Weisen des biologischen Geschlechterns, genetisches, organisches, hormonelles und eben neuronales, in ihrer weiblich-männlich-Ausprägung nicht unbedingt deckungsgleich zusammenfallen müssen.“
Insofern könne die soziale Rollenwahl gar die modulare Verfasstheit des Hirns beeinflussen. Daher setze sich das „Geschlechtern“ aus einem Spektrum sehr verschiedenen biologischen und sozialen „Weisen“ zusammen: „genetisches, organisches, hormonelles, neurales, psycho-mentales, performatives, attributives und kulturelles“. Diese Komplexität hätte man aufnehmen sollen, „anstatt sie durch ein museales Biologisieren zu vertuschen“. Denn: „Gender und teilweise sogar Sex sind heute – in welchem Maße jeweils, das lässt sich noch nicht recht sagen – verfügbar und gestaltbar geworden“, bilanziert Krohs und nennt als vergleichbare Verfügbarkeiten Atom, Klima, Sprachpraktiken, Fortpflanzung oder Genetik.
Daher müsse „starrsinnige Konfrontation in eine langfristige Bewältigung münden“, denn „Unversöhnlichkeit ist meist nur ein Zeichen mangelnder Informiertheit.“ Statt Rabulistik nun diversifizierte, amalgamierte Allmachtsphantasien: Virus, Fötus, Uterus… – alles ist volitiv, wenn man nur richtig genug denkt. Uwe Steinhoff und Aglaja Stirn unterziehen in der FAZ diese und andere Widerworte gegen die Zweigeschlechtigkeit einer ganzseitigen vernichtenden Kritik: Es blühe die „Pseudoexpertise“. Von einem zur Ideologie erstarrten „woken Theoriekonglomerat“ schreibt Ulrike Ackermann, die das John-Stuart-Mill-Institut für Freiheitsforschung in Heidelberg leitet. Viel Foucault, etwas Lyotard und ein wenig Lacan, abgeschmeckt mit postkolonialer Theorie und einer Prise Marxismus: „Das ist manchmal klug, im Einzelnen bedenkenswert, aber im Mix so dümmlich wie falsch“, so Thomas Ribi in der NZZ.
„Genitalien wohnt kein Geschlecht inne“
Eine „Selena Broens“ betonte auf Twitter die sexuelle Verfügbarkeit „Frau 1 und Frau 2 lieben sich, gehen zur Samenbank und eine von ihnen wird schwanger, ganz ohne jeden Mann. Nur mit dem kleinen Hilfsstoff genannt Spermium. Männer sind für den Prozess unnötig.“ Das ist kein Witz. Und ein Profil namens „Zesyra“ twitterte gar: „Wenn für dich deine Genitalien Teil deines Geschlechts sind, ist das okay. Aber Genitalien wohnt kein Geschlecht inne. Sie wurden von Menschen vergeschlechtlicht. Das ist ein Unterschied. Es gibt kein ‚biologisches Geschlecht‘“.
Den Flaschenhals ihres ideologischen Korridors bilden dann die Sätze: „Es gibt Körperteile, die sozial benutzt werden, um Menschen ein Geschlecht zuzuweisen. Diese Körperteile haben kein Geschlecht und machen kein Geschlecht. Sie werden benutzt, um Geschlecht zu konstruieren.“ Damit schließt sich der Kreis zu Sychrovsky bzw. Mahr: Die Analphabeten werfen den Akademikern mangelnde Informiertheit vor. Aber nicht die Biologie ist eine Wissenschaft, die durch gesellschaftliche Prozesse bestimmt wird, sondern die Soziologie: Biologie erforscht übermenschliche Tatsachen, Soziologie menschliche Taten. Der Community der Informierten ist es zu danken, dass das Land vor so viel Geschwurbel nicht kapituliert – ob noch nicht, klären wir gleich.
Mindestens Vollbrecht kapituliert nicht, sondern hat rechtliche Schritte avisiert: Binnen eines Tages sammelte sie 15.000 Euro Spenden für Rechtshilfe. Unter dem Titel „Widerstand gegen die Bedrohung von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit“ kündigte sie an, juristisch „gegen Verleumdungen im Zusammenhang mit meinem abgesagten Vortrag über Biologie und die Evolution der zwei Geschlechter“ vorzugehen. Das Medieninteresse habe „zu einer Intensivierung der öffentlichen Rufmord-Kampagne und zu neuen Tiefpunkten in Form von Verleumdungen und Beleidigungen, sowohl online wie im realen Leben, geführt.“ Geld sammle sie nun, um sich mithilfe einer auf Medienrecht spezialisierten Kanzlei in Form von Unterlassungsaufforderungen und Gegendarstellungen gegen die Angriffe zur Wehr zu setzen, falls weiterhin „die Grenzen des Zulässigen überschritten“ würden.
Man kann es gar nicht oft genug betonen: Der Mensch des 21. Jahrhunderts kommt auf dieselbe Art und Weise zur Welt wie ein Mensch vor 21.000 Jahren – durch eine Frau, oder „Person mit Gebärmutter“, wie uns heute suggeriert wird, also einer mit wenigen großen Keimzellen, nachdem sie zuvor von einem Mann, oder einer „Person mit Hoden“, also einer mit vielen kleinen Keimzellen, be-fruchtet wurde. Diese beiden unterschiedlich beteiligten Reproduktionsmodi – dass es davon statistisch gesehen irrelevante Abweichungen gibt, bestreitet niemand – wurden und werden männliches und weibliches Geschlecht genannt. Der Sinn von Sex und damit von geschlechtlicher Fortpflanzung ist, genetisches Material durcheinander zu bringen und damit neue genetische Variation in der folgenden Generation herzustellen, erklärt der Konstanzer Evolutionsbiologe Axel Meyer im Cicero.
Dazu werden aus unseren zwei Chromosomensätzen – die jeder Mann und jede Frau in jeder Zelle hat, weil wir diploid sind – in den Hoden oder Eierstöcken dann durch einen Prozess, der Meiose heißt, diese haploiden Keimzellen gemacht, die nur je einen Chromosomensatz enthalten. Am Ende entsteht aus der Verschmelzung der beiden haploiden Keimzellen wieder ein diploider Embryo, der entweder Mann oder Frau ist. Diese „museale“ Kategorisierung lässt sich zu ca. 99% ohne DNA-Analyse, einfach nur durch Anschauen feststellen. Gleichzeitig ruft der Unterschied zwischen XX und XY in 99% der Fälle so viele Unterschiede hervor, dass es Sinn macht, unterschiedliche Toiletten, Ankleideräume einzurichten und dieses Merkmal in den Personalausweis zu übernehmen. Es erleichtert auch der Polizei die Arbeit ungemein, wenn sie bei Fahndung aufgrund der Täterbeschreibung „männlich“ 51% der Bevölkerung nicht kontrollieren muss.
Ebenso gibt dem Arzt XX/XY eine gute Orientierung. Wenn der bei jedem Patienten das Medikament und die Dosierung unter Berücksichtigung all der hier genannten Kriterien beurteilen soll, können wir den Krankenkassenbeitrag verdreifachen und brauchen doppelt so viele Ärzte wie jetzt. Da Menschen auch ab und an mal mit weniger oder mehr als zwei Beinen geboren werden, dürfte man nach Darstellung dieser Autoren analog Menschen auch nicht mehr generell als Zweibeiner bezeichnen. Und über die Anzahl der Finger und Zehen bei Menschen könnte man auch keine allgemeine Angabe mehr machen. Es gibt übrigens auch eine Körperintegritätsstörung, deren Betroffene unbedingt ihre Beine amputieren möchten – was ihnen aus gutem Grund nicht erlaubt ist. Warum eigentlich nicht, wenn doch nun alle möglichen Abweichungen als Spektrum betrachtet werden können? Damit wollen wir es hier bewenden lassen.
Evolutionäre Sackgassen
Die Definition der Geschlechter nach der unterschiedlichen Keimzellengröße, Anisogamie genannt, gibt es übrigens seit ungefähr 1890, was auch mit Fortschritten der Mikroskopie zu tun hat, weiß Meyer und nennt als Ausnahmen X0 – das Turner-Syndrom, das bei weniger als 1 von 2500 Frauen auftritt, aber dennoch die häufigste sex-chromosomale Krankheit ist – oder XXY, dass Klinefelter-Syndrom, das bei weniger als 1 von 5000 Männern auftritt. Träger beider Syndrome sind unfruchtbar. „Es sind also zum Glück nur sehr, sehr wenige Menschen, die großes Pech hatten in der genetischen Lotterie des Lebens“, so Meyer. „Die Einzelschicksale sind natürlich bedauerlich, ändern aber nichts daran, dass alle Menschen einem der beiden Geschlechter – auch chromosomal – klar zugeordnet werden können.“
Es sind also, wie alle anderen Anomalien auch, evolutionäre Sackgassen, die nicht variant sind, evolutionsbiologisch keine Rolle spielen. Aber genau diese Sackgassen werden als Progress hofiert – wie auch viele andere Sackgassen aktueller Politik als Fortschritt verkauft werden. „Für eine zunehmend desillusionierte, vom aufklärerischen Fortschrittsversprechen enttäuschte Gesellschaft bleibt der menschliche Körper das einzige Feld, auf welchem noch neue Freiheiten errungen werden können“, behauptet Florian Eichel in der Zeit und erkennt eine paradoxe Situation: „Einerseits wird der Körper als letztes Refugium der Freiheit in Anspruch genommen, andererseits erkauft man diese Liberalisierung um den Preis neuer diskursiver Einschränkungen. Offenbar entkommen wir nicht der Logik des Verzichts.“ Selbstentfaltung durch Selbstbescheidung – wer soll das verstehen?
Wir müssten also mit geballter Faust anerkennen, „dass der Westen gerade seine Errungenschaften der Aufklärung und der wissenschaftlichen Methode, die ihn groß und stark gemacht haben, selbst abschafft oder zumindest schwächt, indem er die aufklärerischen Prinzipien verlässt“, ärgert sich Meyer. „China und andere noch kompetitivere und hungrigere Länder lachen sich ins Fäustchen“. In den meisten Ländern der Welt mache sich niemand Gedanken darum, was eine Frau zur Frau macht: „Allein die gesellschaftliche Reibung, die durch diese völlig unnötigen Diskussionen entsteht, steht in keinem Verhältnis zu der verschwindend geringen Anzahl von Menschen, um die es hier geht“.
Das zeigt auch die knapp 90-minütige Dokumentation „What is a woman?“ (2022) des amerikanischen Journalist Matt Walsh, der dazu Therapeuten, Ärzte und einen Gender-Studies-Professor interviewt und Passanten befragt hat. Als er die Angehörigen eines afrikanischen Stammes in Nairobi fragt, ob ein Mann zu einer Frau werden kann, lachen sie nur, und einer antwortet: „Wenn du eine Frau werden willst, aber ein Mann bist, stimmt etwas nicht mit dir oder deiner Familie.“ Männer und Frauen unterschieden sich in ihren nicht austauschbaren Aufgaben. Eine Massai-Frau sagt knapp: „Eine Frau kann Kinder bekommen, ein Mann nicht.“ Man stelle sich Frage und Antwort in Deutschland vor.
Apropos Deutschland: Ackermann wähnt uns leider auf dem Weg in die Kapitulation, erkennt sie doch in diesen und weiteren Vorgängen eine „Neue Schweigespirale“ (Darmstadt 2022). Einerseits gäbe es eine „kosmopolitisch orientierte, gut ausgebildete obere Mittelschicht, Eliten aus Politik, Kultur und Wirtschaft, wo man gendert, Ökologie und Einwanderung preist, während sich auf der anderen Seite der heterogene, als ‚rückständig‘ angesehene Rest der Bevölkerung findet, der ratlos bis verärgert auf die diversen moralisch-politischen Erziehungsversuche und normativen Neu-justierungen reagiert“.
Einen „Fehlschluss vom Schweigen als Ausdruck einer Bevormundung oder eines Mundtotmachens“ rezensiert tunlichst Mladen Gladic in der Welt. Zentrale Errungenschaften der Moderne, zu denen neben Aufklärung und Wissenschaft auch Vernunft oder Menschenrechte gehören, die universale Gültigkeit haben sollten, gelten neuerdings nur als Machtmittel einer weißen, männlichen Elite, die nur ein Interesse hat: sich als Elite zu behaupten. „Wissenschaft ist in dieser Lesart nichts anderes als eine Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln“, bilanziert Ribi seine Ackermann-Lektüre.
Denn ginge es nach den Aktivisten, soll Wissenschaft nur noch denen zum Recht verhelfen, die Unrecht erleiden müssen oder deren Vorfahren Unrecht erlitten haben. Und Hochschulen sollen Marginalisierten, Opfern von Gewalt oder Diskriminierung einen Ort bieten, an dem sie sich mit nichts auseinandersetzen müssen, was sie belasten könnte: einen „Safe Space“. Aber Wissenschaft ist kein Mittel ausgleichender Gerechtigkeit, befindet Balzer: „Die Freiheit der Wissenschaft endet nicht, wo Protest beginnt, sondern fängt dort erst an. Wer für der eigenen Meinung nicht entsprechende Erkenntnisse zu sensibel ist, ist im Hörsaal falsch.“
Und so behauptet Ackermann: „Die heutigen Protagonisten wollen ihre politische Agenda mit aller Macht, vor allem Diskursmacht und Sprache, unerbittlich in kulturrevolutionärer Manier durchsetzen, auf dem Campus wie in der Gesellschaft. Die Grenze zwischen Theorie und Aktivismus ist längst aufgehoben. Es geht um die ‚Umerziehung‘ der Gesellschaft, die Eroberung der Macht und den Austausch der Eliten.“ Darüber mag man jetzt ein Weilchen nachsinnen.
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Über den Autor:
Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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