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Thomas Hartung: INTERSEXUALITÄT – „Der aktuelle Zustand ist nicht tragbar“

Die überflüssige Förderung und gesetzliche Neuregelung von „Intersexualität“ wird im öffentlichen und vor allem im veröffentlichten Raum kaum kontrovers diskutiert, eine intersexuelle Leichtathletin dagegen hofiert. Der Journalist und Politiker Thomas Hartung dokumentiert die Entzauberung der genderistischen Doppelmoral.



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Die Revolution verlief nahezu unbemerkt: Mit der Zeit hat Mitte Mai erstmals ein deutsches Mainstreammedium zugeben müssen, dass die Einführung des dritten Geschlechtseintrags vom 13. Dezember 2018 nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2017 schlicht überflüssig war. Und nicht nur das: Auch alle Folgeregelungen wie das Wetteifern vieler Firmen um „diverse“ Bewerber dürften ebenso ins Leere laufen „wie alle gut gemeinten Bemühungen, in Reden und Schreiben per Gender-Sternchen auch ein zwischengeschlechtliches Publikum anzusprechen. Auch die Toiletten für intersexuelle Nutzer werden so gut wie immer ungenutzt bleiben.“ Wir erinnern uns: Beim DFB-Länderspiel der Männer im März gegen Serbien (1:1) wurden an die Toilettentüren der Wolfsburger Arena Unisex-Schilder gepinnt, um den Besuchern ein „genderneutrales Stadionerlebnis“ anzubieten.


Den Grund lieferte Autor Martin Spiewak gleich zähneknirschend mit - die Zahl der intersexuellen Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zuordnen, ist viel geringer als allgemein angenommen: „Weder handelt es sich um 160.000 noch um 16.000 Personen: Womöglich sind es nicht einmal 1.600 – in ganz Deutschland.“ Denn eine Nachfrage der Zeit bei den Standesämtern der elf größten deutschen Städte ergab: Insgesamt haben zwanzig Personen beantragt, ihren Geschlechtseintrag auf ‚divers‘ ändern zu lassen (Stand Mitte April). Neun von ihnen leben in Berlin, zwei in München. Rechnet man die Zahlen, die von ähnlichen Umfragen bestätigt werden, auf ganz Deutschland hoch, sind es rund 150 Fälle. Eltern intersexueller Neugeborener, die ihr Kind als divers eintragen ließen, gibt es in den befragten Städten bislang keine.


Natürlich, so Spiewak, könne es sein, dass sich noch nicht alle in Frage kommenden Personen gemeldet hätten, doch „mit einer Fallzahl von über tausend Betroffenen rechnet kaum jemand“. Hinzukomme, dass sich die meisten der Personen, die medizinisch als intersexuell gelten, sehr wohl entweder als Mann oder Frau definieren. Aber die Betroffenen haben gute Lobbyarbeit geleistet, tadelt selbst er, denn das Bundesverfassungsgericht ging in seinem Intersexualitäts-Urteil noch von bis zu 160.000 Betroffenen aus – obwohl selbst der deutsche Ethikrat nur die Hälfte schätzte. Auch im Rahmen der Studie eines europäischen Forscherkonsortiums (DSD-Life) unter Personen mit einem intersexuellen Syndrom bezeichneten sich von 1.040 Befragten nur zwölf selbst als „intersexuell“, die übergroße Mehrheit kreuzte als Geschlecht „männlich“ oder „weiblich“ an. „Menschen mit einer Besonderheit der Geschlechtsentwicklung ordnen sich fast immer einem der beiden Geschlechter zu“, sagte Olaf Hiort von der Universitätsklinik Lübeck dem Ärzteblatt.


Die offiziellen Zahlen der Bundesregierung weichen von den Zeit-Recherchen zwar leicht nach oben ab: Seit der Reform des Personenstandsgesetzes haben sich 69 Menschen als „divers“ eintragen lassen, bei drei Kindern wurde diese Option nach der Geburt registriert, ergab die Antwort auf eine Grünen-Anfrage. Eine Änderung des Vornamens auf Grundlage des neuen Gesetzes beantragten 355 Menschen, etwa 250 wechselten ihren Personenstand von „männlich“ zu „weiblich“ oder umgekehrt.



– systematisch falsche Informationen vermittelt –


Dennoch sieht Sven Lehmann, Sprecher für Queerpolitik bei den Grünen, keinen Misserfolg der Reform: „Die Gesellschaft ist noch nicht frei von Diskriminierung, es ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig“, meint er gegenüber der tagesschau. So müssten Regierung und Behörden in ihrer Kommunikation deutlich machen, dass es mehr als zwei Geschlechter gebe. Auch die statistischen Erfassungen seien bisher nicht an diese Tatsache angepasst: „Die Regierung hält noch immer daran fest, dass Menschen psychologische Gutachten vorlegen müssen, um ihren Geschlechtseintrag ändern zu können.“ Dies wird im Transsexuellengesetz TSG von 1981 bestimmt. Durch die Neuregelung des Personenstandsgesetzes von 2018 reiche nun ein Attest oder eine Erklärung, die auch auf der selbst empfundenen Geschlechtlichkeit basieren kann, was das Transsexuellengesetz quasi überflüssig mache, sagt Lehmann. Trotzdem schreckten viele Intersexuelle noch davor zurück, sich formal registrieren zu lassen - oft aus Angst vor Diskriminierung, behauptet Lehmann.


Bundesinnen- und Bundesjustizministerium haben nun überraschend einen Gesetzesentwurf verschickt, in dem die Änderung des Geschlechtseintrags geregelt und das TSG aufgehoben werden soll. Julia Monro von der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) kritisiert im Spiegel prompt, dass im neuen Gesetz zwischen trans- und intersexuellen Personen unterschieden werde. Während bei intersexuellen Personen beim Standesamt eine Bescheinigung vom Arzt ausreiche, müsse bei Transpersonen noch immer ein Gericht entscheiden. Begründet wird das in dem Gesetzesentwurf mit dem Verweis auf das „öffentliche Interesse an der Validität der Eintragungen“ in den Standesämtern.


Anders gesagt: Niemand soll auf die Idee kommen, sein Geschlecht nach Belieben mehrfach zu ändern. „Weshalb so viele der betroffenen Menschen durch Ärzte/Ärztinnen/divers angeblich traumatisiert seien, dass sie sich nun keine Bescheinigung holten, erschließt sich mir nicht“, meint Thomas Schätzler im Ärzteblatt. „Von einer ‚gefühlten‘ Intersexualität ohne jegliche körperlich verifizierbaren Zwischenstufen zwischen ‚männlicher‘ oder ‚weiblicher‘ Physiognomie war im Gegensatz zu Erklärungen von Selbsthilfegruppen bei der Entscheidung des BVerfG juristisch nicht die Rede“.


Auch für den Wissenschaftsphilosophen Michael Kämpfer ist das dritte Geschlecht kein Normalfall: „Intersexuelle Menschen haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale. Wenn diese medizinische Störung in der öffentlichen Debatte und in den Medien als ein Ausdruck natürlicher sexueller Vielfalt hingestellt wird, widerspricht das wissenschaftlichen Fakten“, erklärt er im christlichen Medienmagazin Pro. Zudem würden unter dem Begriff medizinisch vielerlei Abweichungen von der biologisch normalen Geschlechtsentwicklung zusammengefasst, die ein recht komplexes hormonelles Störungsbild beschreiben, aber: „Der biologische Normalfall ist die heterosexuelle Zweigeschlechtlichkeit“.


Er entsetzt sich darüber, dass in der medialen Öffentlichkeit praktisch alle Formen der sexuellen Orientierung und Identität mittlerweile als naturgemäß gegeben vorausgesetzt würden. „Homosexuell, transsexuell oder intersexuell zu sein, heißt, normal zu sein“, textete die Frankfurter Rundschau schon 2016. „Wir müssen davon ausgehen, dass der Allgemeinheit geradezu systematisch unzureichende, irreführende und sogar falsche Informationen vermittelt werden. Der wissenschaftlich nicht geschulte Bürger kann das natürlich nicht erkennen. Ihm wird auf diese Weise eine eigenständige Meinungsbildung unmöglich gemacht. Er wird also manipuliert. Das ist eine erschütternde Erkenntnis“, bilanziert Kämpfer.



– „Der Wettkampf fühlt sich unfair an“ –


So hat sich im April 2018 das WDR-Wissenschaftsmagazin „Quarks“ dem Thema Intersexualität gewidmet – und den biologischen Normalfall geleugnet: Entgegen aller Tatsachen wurde gesagt, dass alle Embryonen bereits intersexuell seien und sich aus der Kombination XX nur „vermutlich“ ein Mädchen und aus der Kombination XY nur „vermutlich“ ein Junge entwickeln würde. In Wirklichkeit gebe es ein Kontinuum an Geschlechtern. Der Einspieler mit den herbeigelogenen biologisch-medizinischen Aussagen hat der WDR im Februar 2019 erneut unreflektiert verwendet. „Hier scheuen manche Akteure offensichtlich nicht davor zurück, unsere wissenschaftlichen Standards zu verbiegen“, kritisiert Kämpfer und spricht von „Unaufrichtigkeit“.


Wer es nun wage, die eingeforderte Normalität der Intersexualität skeptisch zu hinterfragen, werde schnell der Homophobie bzw. Interphobie bezichtigt. Im Falle der Intersexualität gehe es um eine Ideologisierung des Phänomens: eine Um- oder Abwertung traditioneller Positionen durch postmodernes Denken. Da die Wissenschaften eher die alten Sichtweisen von der Dualität der Geschlechter stützten, würden ihre Aussagen angezweifelt und nach Bedarf umgedeutet. „Dieser Konflikt wird somit auf dem Rücken der intersexuellen Menschen ausgetragen. Es bleibt aber dabei, dass die wissenschaftliche Sachlage und der gesellschaftliche Umgang mit diesen Fakten zwei verschiedene Dinge sind“, ärgert sich Kämpfer.


Dieser gesellschaftliche Umgang war Anfang Mai parallel dazu gut zu beobachten am Medienhype um die südafrikanische Mittelstreckenläuferin Caster Semenya. Die Intersexuelle war mit ihrem Anliegen, trotz erhöhter Testosteron-Werte an Frauen-Wettkämpfen teilzunehmen, vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS gescheitert. Das Gericht erkannte zwar an, dass die entsprechenden Bestimmungen des Leichtathletikweltverbandes IAAF, die als Obergrenze für natürliche Testosteronwerte fünf Nanomol pro Liter auf Mittelstreckenwettbewerben von Frauen vorsehen, für Semenya eine Diskriminierung darstellten. Diese ist dem Gericht zufolge im Interesse gleicher Wettkampfbedingungen für alle Sportlerinnen jedoch zulässig. „Der Wettkampf fühlt sich unfair an“, brachte die Berliner Studentenweltmeisterin im Crosslauf, Caterina Granz, im Tagesspiegel den Unmut der Szene auf den Punkt: „Der aktuelle Zustand ist nicht tragbar“.


Der Grund des Hypes ist einleuchtend: hier werden natürliche Grenzen nicht als Normalfall behandelt, sondern zu - überdies juristisch befestigter - „Ausgrenzung“ und „Diskriminierung“ umgedeutet. „Der Hauptgrund, warum wir überhaupt den Sport in Geschlechter einteilen, ist die Tatsache, dass Männer aufgrund der höheren Testosteronwerte höhere Leistungen vollbringen können“, stellt zunächst der Endokrinologe Eberhard Nieschlag vom Universitätsklinikum Münster im DLF klar. Testosteron erhöht die Muskelmasse und auch die Hämoglobinwerte - klare Vorteile für Läufer auf der Mittelstrecke. Und obwohl es bei Männern wie bei Frauen eine große Bandbreite beim Testosteronspiegel im Blut gibt, zeigt eine Reihe von Studie aber: 95 Prozent der Frauen liegen unter drei, 95 Prozent der Männer über sieben Nanomol pro Liter. „Da sehen Sie also einen deutlichen Unterschied unter Männern und Frauen, trotz dieser Streubreite“, sagt Nieschlag.



– „sich selbst optimal entfalten“ –


Der Leichtathletikweltverband schreibt in der Pressemitteilung zur Testosteron-Regelung: „Es geht um ein ausgeglichenes Startfeld und um einen aussagekräftigen Wettkampf in der Leichtathletik, in dem Erfolg auf Talent, Hingabe und hartem Training beruht und nicht auf anderen Faktoren.“ Genau das aber wird inzwischen nicht nur bezweifelt, sondern mit medialer Unterstützung gar als ungerecht uminterpretiert. So fragte Eva Simeoni in der FAZ ernsthaft: „Was sind eigentlich Frauen? Sind das Menschen, die ihre Tage haben? Die Kinder kriegen? Die zu Hause aufräumen? Die in der Stunde ein Fünftel weniger verdienen als Männer? Schwierige Fragen, sogar am Muttertag. Nur wenn es um Leistungssport geht, konnte man lange Zeit verlässliche Angaben machen: Frauen sind Menschen, die in den Frauenwettbewerben starten.“


Ihre Kritik gipfelt in dem Satz: „Man kann ja wohl nicht verlangen, dass jemand im Namen der Chancengleichheit seine natürlichen Chancen mindert.“ Man muss ihr allerdings zugutehalten, dass sie ihren Vorschlag, die Wettbewerbe für Männer und Frauen zusammenlegen, selbst verwirft. In dieselbe Kerbe schlägt allerdings die Schweizer Sportsoziologin Karolin Heckemeyer, die im DLF unterstellt, dass es nicht nur um die „Herstellung einer eindeutigen Geschlechterdifferenz geht, sondern immer auch um Geschlechterhierarchie, beziehungsweise die Vorstellung einer natürlichen männlichen Überlegenheit“. Das Prinzip der Chancengleichheit werde „immer wieder herangezogen, um die Geschlechtersegregation zu legitimieren“, meint sie und behauptet: „Die Geschichte der Geschlechtertests zeigt, dass eine eindeutige Grenzziehung zwischen Männer- und Frauenkörpern eigentlich gar nicht möglich ist.“


Der Sportphilosoph Frank Bockrath von der Technischen Universität Darmstadt geht da im selben Sender noch weiter und präsentiert als Lösung, Regelwerke dahingehend zu verändern, „dass man versucht, Anpassungen vorzunehmen, wenn man Dysfunktionalitäten erkennt.“ So würden beim Basketball kleine Menschen diskriminiert, was laut Bockrath dadurch geändert werden kann, „dass man die Durchschnittsgröße einer Mannschaft ausrechnet und den Korb oder die Höhe des jeweiligen Körpers danach ausrichtet, welche Durchschnittsgröße eine Mannschaft hat.“


Dieter Hoffmann denkt im Freitag dagegen Simeonis Sportspiele konsequent zu Ende: „Im konkreten Fall müsste Semenya nach diesen Maßgaben geringfügig später ins Rennen einsteigen als die anderen Läuferinnen. Bei einer Kombination mit Männerrennen und paralympischen Veranstaltungen würde das auch keineswegs diskriminierend wirken. Denn sicher gäbe es dann ja ein paar männliche Läufer, die nach Semenya ins Rennen einsteigen müssten.“ Den ideologischen Hintergrund solchen Denkens benennt er auch ganz klar: Sport stünde quer zu zentralen gesellschaftlichen Entwicklungen, „er ist nicht inklusiv, sondern besteht auf einer Sonderbehandlung und Sonderbetrachtung von Menschen“.


Das ist kein Witz. Da kann auch nicht mehr verwundern, dass er die Wettkampfstrukturen grundlegend ändern will, denn bislang sei der Leistungssport ein getreues Abbild der Konkurrenzgesellschaft: Einer soll den anderen ausstechen, der Stärkste setzt sich gegen die anderen durch und beansprucht ganz allein den Siegerpreis. Sein Vorschlag: Alle Teilnehmer an sportlichen Wettkämpfen werden an ihren eigenen Voraussetzungen gemessen, so dass sie nicht mehr gegeneinander, sondern mit sich selbst kämpfen. Sportliche Wettkämpfe würden dann nicht mehr dem sozialdarwinistischen Ideal des „survival of the fittest“ folgen und wären stattdessen „ein Vorbild für das Streben des Individuums, sich selbst optimal zu entfalten, also das Beste aus den je eigenen Möglichkeiten zu machen“. Dass solcherart abstruse Individualisierung letzten Endes doch nichts anderes als Gleichmacherei bedeutet und soziales Mittelmaß nach sich zieht, kommt solchen Menschen gar nicht mehr in den Kopf.




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Über den Autor:

Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Als Presse- und PR-Chef verantwortete er alle Publikate von der Pressemitteilung bis zum Fernsehspot und damit auch maßgeblich den Landtags- und vor allem den Bundestagseinzug des Landesverbands als stärkste Kraft vor der CDU. 



 

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