„Ausländer raus“: Ein von einer alkoholenthemmten Jungschickeria auf Sylt gegrölter Videoschnipsel bringt die Nation kurz vor der Europawahl zum Hyperventilieren und zeitigt fragwürdige juristische Folgen. Das ist gesinnungsblind, medientaub und realitätsverleugnend zugleich.
Das Phänomen ist nicht neu: Schon vor über 40 Jahren kam dem Kaiserslauterer Stadionsprecher Udo Scholz ausgerechnet in einem Bayernurlaub die Idee, den Refrain des Beatles-Songs „Yellow Submarine“ mit dem Schlachtruf „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ zu kombinieren. Das Ergebnis war ein Fangesang, der bis dato auf deutschen Stadiontribünen bei Gastspielen des FC Bayern München gesungen wird; man würde heute Mem dazu sagen. Wer allerdings das völlig harmlose Lied „L’amour toujours“, original 2001, des italienischen DJ‘s Gigi D’Agostino mit der Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ kombinierte, ist kaum noch nachvollziehbar: Erstmals berichtete das Magazin Katapult MV über einen solchen Clip, der am 14. Oktober 2023 auf dem Erntefest im Dorf Bergholz in Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen wurde. Ein Kurzsatz, der übrigens „auf keinem SS-Dolch zu finden“ ist, wie Cora Stephan auf achgut zutreffend bemerkt, der allerdings in den 1990er Jahren auf NPD-Plakaten gedruckt wurde. Die Kontaktschuld wirkt bis heute.
Sicher ist dagegen: die Aufregung um diese auf 16 Sekunden Handy-Video festgehaltene Kombination, gegrölt zu Pfingsten von angeschickerten Schickeria-Jugendlichen vor der noblen Sylter „Pony“-Bar, gleicht einer „kollektiv imaginierten Staatskrise“, wundert sich Susanne Gaschke in der NZZ: „Deutschland schaltet in den moralischen Overdrive“. Die Tagesschau berichtet über zwei Minuten lang, noch vor der Lage an der ukrainischen Front und der Situation im Nahen Osten. Die Bundesinnenministerin, der Bundeskanzler, die Bundestagspräsidentin und sogar der Bundespräsident äußern sich, „Schande für Deutschland“, „rassistisch“, „menschenverachtend“, „eklig“, „wohlstandsverwahrloste Parallelgesellschaft“ und andere Begriffe fallen. Dazu mediale Zuschreibungen wie „Nazi-Schnösel“, „Prosecco-Nazis“, „Champagner-Nazis“, „geschichtsvergessene Arschgeigen“, „Popper-Nazis“, „Kaschmir-Nazis“, „betrunkene Wohlstandsbubis“, „faschistoide Schnösel“ oder gar „Wohlstandsrassisten“; der Stern machte ein Titelthema daraus und montierte als Titelgrafik ein Hakenkreuz in einen Sektkelch: Der Eintritt am Pfingstwochenende kostete 150 Euro, Getränke nicht inbegriffen.
Den zudem mit einer haltlosen Unterstellung versehenen geschmacklosesten Vergleich kreierte zweifelsohne Jens Jessen in der Zeit: Die „Tiktok-Strategen der AfD“ (!) „orientieren sich gewissermaßen an Drogenhändlern, die Kokain für den Transport vorübergehend in andere Substanzen mischen, aus denen es später wieder herausgefiltert wird.“ Dass keiner der Sänger mit der AfD zu tun hatte, aber einer aus dem bayrischen Prien kam und dort Werbung für die CSU machte, verschweigt Jessen selbstredend. Für Eberhard Wein zeigt die Causa, „wie unsere Gesellschaft an den Rändern zerfleddert – und zu diesen Rändern gehören auch Teile der ‚oberen Zehntausend‘, wie es früher hieß“. Klischeetriefend bedient er in der Stuttgarter Zeitung StZ ebenfalls das AfD-Narrativ: „Nicht umsonst inszeniert sich der AfD-Skandal-Kandidat Maximilian Krah mit den Insignien dieser Klasse: Whisky-Glas, Zigarre, Sportwagen. Mit den ‚Ausländern‘ haben einige dieser Leute allenfalls zu tun, wenn man sie in der Villa als Putzkraft anstellt.“ Apropos Klischee: „Ja, früher waren die Neonazis leichter zu erkennen – heute haben sie keine Glatzen mehr, sondern stylische Frisuren und ein Glas Schampus in der Hand statt dem Baseballschläger,“ fühlte sich auch Udo Lindenberg zu einem Instagram-Kommentar herausgefordert.
Keinerlei Koordinatensystem
Ob diese jungen Erwachsenen alle „rechtsextrem“ sind oder nur provozieren wollten, ist bis heute offen – Gaschke und wenige andere plädieren vehement für letzteres: „Man tut den politisch korrekten Eltern weh, indem man gegen den inklusiven, diskriminierungsfreien, achtsamen, klimabewussten Zeitgeist angrölt“. Doch nicht nur für Politiker, sondern auch viele Nutzer sozialer Medien stand fest: Wer solche Parolen brüllt, der ist ein Nazi. Ein Kommentator auf Twitter meint: „Wir sollten das Projekt Sylt insgesamt aufgeben und das Ding einfach komplett mit Windrädern zustellen, es reicht“. Ein anderer sieht in dem Video eine perfekte Werbung für die Erhöhung der Erbschaftssteuer auf 100 Prozent. Auch die linke EU-Spitzenkandidatin und Ex-Kapitänin Carola Rackete leitet aus den Videoaufnahmen kurzerhand eine Forderung nach der Umverteilung von Vermögen ab und schreibt den Hashtag „fckafd“ dazu. Und der Büroleiter der Berliner Grünen-Abgeordneten Tonka Wojahn, Daniel Eliasson, kommentierte den Vorfall auf X mit den Worten „Nazis raus“. Auf Nachfrage eines anderen Nutzers, wohin diese befördert werden sollen, antwortete Eliasson: „Sibirien ist immer eine Option.“ Es handele sich um „ein altbewährtes Mittel gegen Nazis jeder Art“. Das ist kein Witz. In den sibirischen Gulag-Lagern ermordete die sowjetische Regierung ab den 1930er Jahren mindestens 2,7 Millionen Menschen. Es war dabei üblich, dass die Regierung ihre Opfer als „Faschisten“ bezeichnete.
Aber vor allem: Wer ein Nazi ist, hat jedes Recht auf Privatsphäre verwirkt. Schnell kursierten die Klarnamen und die Arbeitgeber der Beteiligten im Netz, gegen die der Staatsschutz inzwischen wegen Volksverhetzung ermittelt und die teilweise ihre Jobs verloren. Den erbärmlichsten Kommentar dazu lieferte Ex-CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet im Bericht aus Berlin: „In kürzester Zeit waren alle Namen öffentlich. Sie haben alle ihren Job verloren. Und ich glaube, als Gesellschaft müssen wir darauf achten, dass das bei allen diesen Vorfällen gilt.“ Und die kulturpolitisch schrägste Reaktion kam sicher vom Sänger des Partyhits „Layla“, der im Sommer 2022 selbst erlebte, wie sein ironischer „Puffmamasong“ bundesweit erst richtig bekannt wurde, nachdem er vielerorts nicht gespielt werden durfte: „Wer was in der Birne hat, spielt den Song auch ohne Verbot nicht mehr“, sagte der 28jährige Ditzinger DJ Robin der StZ. Ein Musiker, der freiwillig ein Musikverbot fordert? Auch das ist kein Witz. Insofern wirft der Vorgang viele Fragen auf, deren politische, juristische und musik- oder übergreifend mediensoziologische Dimension im Folgenden betrachtet werden sollen.
„Dass die Parole nicht ins verordnete Willkommens- und Vielfaltsnarrativ passt, muss die Gesellschaft aushalten“, befindet der bildungs- und kulturpolitische AfD-Fraktionssprecher in Baden-Württemberg, Dr. Rainer Balzer MdL. „Wem soll Deutschland denn sonst gehören? Den US-Investoren? Den Chinesen? Übermäßige Moralisierung erzeugt Gegenwehr und provoziert den Tabubruch.“ Insofern bringt die Parole zunächst kurz und prägnant den Anspruch der schon länger hier Lebenden zum Ausdruck, Herr im eigenen Haus zu bleiben und das Zusammenleben nicht täglich neu auszuhandeln, wie es 2015 die Flüchtlingsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD) gefordert hatte. Die politische Dimension brachte Balzer dann so auf den Punkt: „Ein Land, in dem ein Dutzend Schickimicki-Jugendlicher mit betrunkenem moralischem Kompass mehr Empörung auslöst als eine Kalifatsdemo mit 2000 Teilnehmern oder gar Tötungsdelikte ausländischer Asylbewerber, hat keinerlei Koordinatensystem mehr.“
Keine rassistische, sondern politische Parole
Denn jeder weiß, dass mit der Parole nicht der indische Arzt, die türkische Sekretärin, die polnische Bäckereifachkraft, der italienische Eisverkäufer, der chinesische Restaurantbetreiber oder die tschechische Krankenschwester gemeint sind. Unser Land war und ist offen und gastfreundlich und heißt Menschen, die sich in unsere Gesellschaft und unsere Kultur eingefügt haben, willkommen. Doch spätestens seit 2015 bekommen wir eine massenhafte Zuwanderung aus Ländern, die maximal kulturfremd und zu einem großen Teil unwillig sind, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren: „Eine Zuwanderungspolitik, die durch die faktische Gleichsetzung von Asyl und Zuwanderung die öffentliche Akzeptanz sowohl von Asyl wie von Zuwanderung untergräbt“, moniert Ex-Bürgerrechtler Arnold Vaatz (CDU) auf achgut. Die Politik reagiert darauf bestenfalls mit Worthülsen, geltende Gesetze werden ignoriert, eine Kuscheljustiz sorgt dafür, dass auch Intensivstraftäter hierzulande gut und gerne leben. „Ausländer raus!“ bezeichnet in diesem Kontext die verschärfte Version von „Das Boot ist voll!“ und ist damit natürlich keine „rassistische“, sondern eine politische Parole infolge einer ideologisierten Migrationspolitik aus linker Feder mit enormen Kollateralschäden, enormen Kosten und enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Das Video sei „Seismograf für das, was in diesem Land passiert“, gesteht der Leipziger Publizist Michael Kraske im NDR.
Das größte Problem der Politik ist, dass der rosa Elefant im Land bemerkt und immer öfter und drastischer benannt wird. Das muss aufs äußerste verhindert werden – mit Milliarden von Steuergeldern werden sogenannte NGOs und Medien beglückt, die einzig und alleine die Aufgabe der Meinungsunterdrückung und Sprachpolizei haben. Über den Elefanten im Raum wird nicht berichtet und nicht geredet, mögen noch so viele Bürger gemessert oder vergewaltigt werden: Das haben sie hinzunehmen, wie etwa am letzten Maitag das Messerattentat eines Afghanen gegen den Islamkritiker Michael Stürzenberger von „Pax Europa“ auf dem Mannheimer Marktplatz. Dass die AfD als einzige Partei diesen Elefanten ins Bewusstsein der Bürger hebt, was ihr entsprechend Zulauf beschert, führt natürlich zum Bestreben der etablierten Politik, sie gerade vor den Wahlen am 9. Juni klein zu halten. Anders ist schwer erklärbar, warum bei rund 30 dokumentierten Vorfällen mit diesem Lied, davon viele in Bayern, erst jener zu Pfingsten 2024 einen solchen Hype erfährt und ähnliche Nachahmungstaten wie etwa in Stuttgart, wo feiernde türkische (!) Fußballfans grölten, Nagold oder dem Schleswiger Internat Louisenlund entsprechende mediale Aufmerksamkeit bekommen.
Und mehr noch: Für den sattsam bekannten Hamburger Kolonialforscher Jürgen Zimmerer ist Deutschland „längst ein Einwanderungsland geworden, Migration Bestandteil vieler Familienbiografien“. Deshalb bräuchte es „eine Universalisierung der Verpflichtung aus der Vergangenheit, die für alle gilt und einsichtig ist, die in diesem Land leben. Das gilt umso mehr, da die Verbrechen, um die es geht, im Namen des Staates und Volkes begangen wurden, dem wir heute zugehören. Als eine der zentralen Lehren aus dem Rassenwahn der Deutschen ergab sich die Absage an jegliches völkische Konzept von Deutschsein. … Eine offizielle Würdigung der Migrationsgeschichte als Teil einer neuen, post-völkischen deutschen Identität ist eine Überwindung des nationalsozialistischen Wahns an zentraler Stelle.“ Also hat sich jetzt auch der Türke, Grieche oder Italiener für den Holocaust verantwortlich zu fühlen? Das ist auch kein Witz.
Der Migrationswissenschaftler Ruud Koopmans verweist auf X dagegen völlig zurecht auf die aktuell um sich greifende Doppelmoral: „Komisch nur, dass manche, die über ‚Deutschland den Deutschen‘ zurecht empört sind, es ganz hip finden, auf Arabisch mit ‚Palästina den Arabern‘ mitzugrölen“ (so lautet die arabische Version von „from the river to the sea“). Einerseits berufen sich Studenten auf das Recht auf freie Meinungsäußerung – andererseits waren es doch eben diese Studenten, die sonst jede öffentliche Äußerung darauf abklopften, ob sie irgendwen verletzen könnte. Nun nehmen sie sich das Recht heraus, Dinge in die Welt hinaus zu brüllen, die auf jüdische Kommilitonen bedrohlich wirken, im Grunde Israels Auslöschung fordern. Darauf verwies selbst Laschet in einem zweiten Tweet: „Glaubwürdig ist das Engagement für eine tolerante Gesellschaft nur, wenn die Gewalttäter an der HU genauso zur Verantwortung gezogen werden. Sind die Rassisten und Antisemiten, die jüdische Studierende bedrohen, exmatrikuliert? Ist die verharmlosende Uni-Präsidentin noch im Amt? Sind die Kalifatsaktivisten aus Hamburg bestraft? Zusammenhalt gelingt nur, wenn wir jeden Angriff auf unser Grundgesetz ahnden, egal wer ihn begeht.“
Fixierung auf Gesinnungstaten
Doch bei weitem überwogen die Politikerstatements des undifferenzierten Ver-, ja Aburteilens. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die gesungene Parole „eklig“ und „nicht akzeptabel“. „Der Bundeskanzler, der viele Erinnerungslücken hat und sich zu fast allem tunlichst zurückhält, besitzt genügend Zeit, das unpassende Verhalten einer Handvoll junger betrunkener Leute zu kommentieren. Für sehr vieles andere findet er wenig überraschend weder Zeit noch Worte“, ärgert sich Klaus Rüdiger Mai auf Tichys Einblick TE. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigt sich besorgt über „die Verrohung der politischen Umgangsformen“ in Deutschland. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat eine konsequente Verfolgung „vielleicht auch mal mit der Höchststrafe“ gefordert – auf Volksverhetzung stehen bis zu fünf Jahre – und sich gefreut, dass man „bestimmte Personen auch identifizieren“ kann. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von einer „Schande für Deutschland“, forderte strafrechtliche Konsequenzen, warnte vor schleichender Normalisierung und verlangte „überall – im Freundeskreis, bei der Arbeit, im Sport – ‚lauten Widerspruch‘“.
Die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, nannte die Vorkommnisse „widerlich und unerträglich“. In Schleswig-Holstein hätten solche widerlichen Gesänge, Parolen und rechtsextremistisches Gedankengut nichts zu suchen, erklärten Vertreter der Kieler Landesregierung von FDP bis CDU. Die grüne Amadeu Antonio Stiftung rief auf X dazu auf, das Video nicht weiter in sozialen Medien zu verbreiten, „um dem darin gezeigten Rassismus nicht noch mehr Reichweite“ zu geben. Auch andere Grünenvertreter wie Ricarda Lang äußerten ihre Abscheu – obwohl sie selbst oder ihnen nahestehende Künstler und Publizisten eher durch Abscheu für Deutschland auffallen: „Rassismus gegen Deutsche ist richtig und wichtig”, twitterte einst Sibel Schick, ohne dass darauf eine ähnliche Krawallmaschinerie anlief. „Überschlagende Hysterie, Empörungs-Spiralen – wir tun gut daran, nicht ständig in diese Schnappatmung zu verfallen“, so der Historiker und Ex-Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission Andreas Rödder auf Nius.
„Drei Generationen nach dem NS-Grauen schaffen wir es in Deutschland, diese Verbrechen mit ein paar besoffenen Halbstarken gleichzusetzen“, moniert Willy Haentjes auf Nius. „Diese Fixierung auf Gesinnungstaten ist auch deshalb so befremdlich, weil nicht die politische Motivlage über die Schwere der Konsequenzen entscheidet“, so Jan A. Karon ebenfalls auf Nius. „Wenn junge Menschen in einer Disko Parolen anstimmen, sind das ‚extremistische Taten‘, für die Ressourcen des Staatsschutzes gebunden werden und Medien berichten; wenn ein Somalier Menschen ersticht und ihnen Handgelenke abhakt, tut er das ohne politische Überzeugung und wird zur Randnotiz.“ Das stellt auch Ben Brechtken auf X fest: „Die Tagesschau berichtet quasi nie über lokale Mord- und Vergewaltigungsfälle. Aber lokale rassistische Parolen haben einen Platz zwischen Israel und China verdient? Was geht da in der Redaktion ab? Die Maßstäbe sind völlig verrutscht. Es ist nur noch irre.“
Wohl wahr: Als zwei Facebook-Nutzer den NDR aufforderten, statt über Sylt über genau diese Kriminalitätsfälle zu berichten, kommentierte das die öffentlich-rechtliche Online-Redaktion mit einem Gähn-Smiley. Der Beitrag wurde inzwischen gelöscht, „weil er unangemessen ist und nicht den Social-Media-Vorgaben des NDR entspricht“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage der JF mit.
„Die Maßlosigkeit, mit der Vertreter aus Politik und Medien auf die Ereignisse in Sylt reagieren, während sie andere Fehlentwicklungen quasi totschweigen, erzeugt in diesem Zusammenhang eine sehr deutliche Abkehr und Abwehrhaltung auch bei politisch links stehenden Menschen“, erkennt Mai. Diese Regierung, die nicht aus Machern, sondern aus Ideologen bestehe, lässt immer dann, wenn sie ein Problem in der Wirklichkeit hat, das sie nicht lösen kann, wie etwa die Bauernproteste, irgendeine rechte Verschwörungsräuberpistole los, während alle anderen Medien, allen voran die Öffentlich-Rechtlichen, sofort eine Kampagne daraus machen, um in letzter Sekunde die Demokratie und die Meinungsfreiheit zu retten. „Auffallend und seltsam daran ist nur, dass nach jeder dieser Kampagnen weniger Demokratie und auch weniger Meinungsfreiheit übrig bleibt. … Wenn die Partyentgleisung von Sylt zu einer Staatsaffäre wird, dann ist der Staat nur noch eine Affäre“. Arnold Gehlen hat schon 1968 in Moral und Hypermoral sinngemäß geschrieben, es werde, extrapoliert man die bereits vorhandenen Zeittendenzen, irgendwann keine Verbrechen mehr geben, außer Gesinnungs- und Meinungsverbrechen.
In dubio Prosecco
Die juristische Dimension beinhaltet mindestens vier Aspekte: Einen medien-, einen studien- bzw. arbeits-, einen veranstaltungs- und natürlich einen strafrechtlichen. Medienrechtlich bedenklich war die Unart der meisten deutschen Medien, die Jugendlichen nicht nur unverpixelt zu zeigen, sondern auch im schlimmsten Stil von „Fahndungsjournalismus“ deren Klarnamen zu ermitteln und zu nennen. Den Vorgang, persönliche Daten ohne Zustimmung der Betroffenen zu veröffentlichen, nennt man Doxing. Er ist seit 2021 strafbar. Unter dem Paragraphen 126a des Strafgesetzbuches wird die Verbreitung personenbezogener Daten, die dazu führt, dass die betroffene Person der Gefahr ausgesetzt ist, Opfer einer Straftat zu werden, mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet. Sind die veröffentlichten Daten nicht allgemein zugänglich, kann die Strafe sogar drei Jahre Haft betragen. Zuvor hatten viele Nutzer auf Plattformen wie X oder Instagram dazu aufgerufen, die Sänger der rechtsextremen Parolen ausfindig zu machen und ihre Identität preiszugeben. So schrieb der Satiriker Jan Böhmermann: „Wer und wo sind diese Leute?“ In der ersten Reihe der „Steckbriefjournalisten“ waren Redakteure der taz: „Es sind Unternehmensberater, Influencer, Werber, Manager, Wirtschaftsdozenten – aus München, Coburg, Hamburg“, weiß das Blatt. Der Stern macht dieses Herkunftsmilieu für das Empörungspotential verantwortlich: Das sei die kommende Elite des Landes mit Geld, Einfluss und später auch Macht. „Wie weit rechts stehen die Reichen“, schlagzeilt die FAZ.
Auf Instagram veröffentlichten die Barbetreiber ein Video der gesamten Tanzfläche, auf dem die betreffende Gruppe rot eingekreist ist: „Es tut uns leid, dass unsere Gäste und Mitarbeiter wegen einiger weniger in Sippenhaft genommen werden“. Sie hätten sich zu diesem Schritt entschlossen, da sie „aufs Übelste beleidigt“ werden und Morddrohungen erhalten würden. „Wir haben auf alle konstruktiven Nachrichten und Fragen reagiert und uns daher entschlossen, das Video zu veröffentlichen, um uns, unsere Mitarbeiter und unsere treuen Gäste zu schützen. Wir sind auch sehr dankbar für alle anderen Nachrichten, die uns ermutigen, weiterzumachen. Wir sind der Meinung, dass das Thema Rassismus definitiv behandelt werden muss, aber auf zivilisierte Weise.“ Inzwischen habe man Strafanzeige gestellt. Die jungen Leute aus dem Video hätten ein lebenslanges Hausverbot erhalten. „In dubio Prosecco“, befeixt Micky Beisenherz im Stern die gesinnungsethisch außer Kraft gesetzte Unschuldsvermutung. Es ist bezeichnend, dass google bei der Anfrage „Sylt Video“ sofort „Namen“ ergänzt. Im Netz berichten selbst Menschen von üblen Beleidigungen und Morddrohungen, die gar nicht auf der Nordseeinsel waren, aber mit den Sängern verwechselt wurden.
Bild machte persönliche Daten einer Frau aus dem Video öffentlich, wo sie studiert, für wen sie arbeitet und aus welcher Stadt sie kommt; aber auch von dem Mann, der sich Mittel- und Zeigefinger zu einem Zweifingerbart unter die Nase hält und mit dem Arm einen Hitlergruß andeutet. Medienanwalt Felix Damm hält die identifizierende Berichterstattung der Bild für rechtswidrig. „Man kann über den Vorgang berichten, ohne die Personen im Bild vorzuführen und ohne Umstände aus deren Privatsphäre öffentlich zu machen“, sagt er der FAZ. Wohnort, Hochschule und Arbeitgeber der Betroffenen zu veröffentlichen sei für die Berichterstattung nicht notwendig. „Auch unter den Gesichtspunkten der Verdachtsberichterstattung ist die identifizierende Berichterstattung nicht zu rechtfertigen. Zumal der Beitrag offenkundig darum bemüht ist, den Sachverhalt unausgewogen darzustellen, und insofern vorverurteilend ist.“ Auch sei den Betroffenen keine Gelegenheit eingeräumt worden, sich zu den Vorwürfen zu äußern, was jedoch zwingend notwendig gewesen wäre. Damm nimmt an, dass die Frau wegen Rechtsverletzungen eine Entschädigung von „Bild“ einfordern kann.
Der humorbefreite Denunziant
Auf dem Fachportal lto hält Medienrechtler Lucas Brost die Veröffentlichung und die massenhafte Verbreitung des Videos zwar auch für presserechtlich bedenklich, verweist aber darauf, dass es aufgrund der enormen Aufmerksamkeit auch als zeitgeschichtliches Ereignis einzuordnen sei. Bei Annahme eines solchen Ereignisses ist eine Einwilligung entbehrlich. Allerdings nur, wenn das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gegenüber den Persönlichkeitsrechten überwiegt. Das war auch die Begründung des WDR: Der Sender habe „sich entschieden, die Personen in dem Video nicht unkenntlich zu machen, da es sich um ein zeitgeschichtliches Ereignis handelt und dies stärker wiegt als die Interessen der gezeigten Personen. Außerdem haben sie sich selbst in eine zumindest halb-öffentliche Lage gebracht und mussten damit rechnen, dass diese Bilder an die Öffentlichkeit gelangen.“ Von einem zeitgeschichtlichen Ereignis geht auch Michael Fricke aus, beharrt aber auf einer Verpixelung, weil „die Abgebildeten nicht selbst in der Öffentlichkeit stehen, die ‚Gesänge‘ nicht vor der breiten Öffentlichkeit stattfanden und offen ist, ob und in welcher Person sie sich strafbar gemacht haben“ Zudem komme „eine identifizierende Veröffentlichung einer öffentlichen Vorverurteilung gleich“. Das Magazin Krautzone twitterte anlässlich des Mordes einer 28jährigen Deutschen durch einen Ausländer in Frankfurt sarkastisch: „Zum Glück hat dieser Tunesier nur eine junge Frau totgeschlagen und erdrosselt, aber keinen politisch inkorrekten Song gesungen. Ansonsten hätte sein Gesicht unverpixelt gezeigt und sein Leben zur Hölle gemacht werden sollen. Aber glücklicherweise ist er ist ja bloß ein Mörder.“
Mindestens zwei der Personen aus dem Video haben im Turbotempo ihren Job verloren. So sind Äußerungen der Hamburger Influencerin Milena Karl auf Instagram zu verstehen, die offenbar ihre Assistentin im Video erkannte und feuerte. Auch die Werbeagentur Serviceplan verkündete, sie habe eine fristlose Kündigung ausgesprochen. Wieder einmal zugeschlagen, ergrimmt sich Jakob Fröhlich auf TE, hat „der Berufsuntertan: der neiderfüllte Volksverpetzer, der humorbefreite Denunziant“. Auch Ulf Poschardt zürnt in der Welt, die Gröler seien dem „antifaschistischen Furor“ zum Fraße vorgeworfen worden: „Liberalen muss dieser Pranger-Exzess bitter aufstoßen“ Damm hält es für sehr unwahrscheinlich, dass die Kündigungen der Arbeitsverhältnisse Bestand haben werden. „Kündigungen wegen eines Verhaltens in der Freizeit sind in der Regel unwirksam. Dass das Verhalten der Betroffenen irgendeinen Bezug zu einem Arbeitgeber haben könnte, ist nicht ersichtlich.“
Eine außerordentliche Kündigung wäre sicher in keinem Fall gerechtfertigt, weil bei den Personen im Video jeder Bezug zu deren Arbeitsverhältnissen fehlt, sagt der Ludwigsburger Arbeitsrechtler Arnd Diringer der Welt. Zudem sei der Arbeitgeber zunächst immer verpflichtet, „sich schützend vor den Mitarbeiter zu stellen, das Gespräch mit ihm zu suchen, gegebenenfalls auch das Gespräch mit denen zu suchen, die den Druck ausüben, und zu versuchen, eine Lösung herbeizuführen. Das heißt, im Fall des Sylt-Videos ist eine Druckkündigung rein vom zeitlichen Rahmen gar nicht denkbar.“ Und so appelliert er „eher an die Verantwortung der Unternehmer, die sich fragen sollten, ob sie wirklich fortfahren wollen, private Äußerungen dergestalt mit beruflichen Konsequenzen zu verknüpfen. Ich erinnere an die jüngsten Aussagen des Diakonie-Präsidenten Rüdiger Schuch, der sagte, überzeugte AfD-Wähler könnten nicht bei ihm arbeiten. Das ist natürlich offenkundig rechtswidrig und wäre kaum durchsetzbar, schafft aber ein Klima der Angst, seine Meinung kundzutun. Und: So werden Türen aufgemacht, die kriegen Sie nie wieder zu.“
Im Falle einer Studentin sieht das ähnlich aus: sowohl ein Haus- mit Vorlesungsverbot als auch eine Exmatrikulation seitens der HAW Hamburg stehen auf tönernen Füßen. Um eine Exmatrikulation nach Länderrecht zu rechtfertigen, müsste die Studentin „der Hochschule durch schweres schuldhaftes Fehlverhalten erheblichen Schaden zugefügt haben“, sagte die Arbeitsrechtlerin Sibylle Schwarz dem Spiegel. Aber: „Das Singen auf Sylt hat erst einmal nichts mit der Hochschule zu tun.“ Für eine Kündigung des Studierendenverhältnisses müsste ein Bezug zur Hochschule festgestellt werden: „Ich wüsste nicht, wie dieser Zusammenhang vor Gericht nachgewiesen werden soll“. Auch beim erteilten Hausverbot hat Schwarz Bedenken. HAW-Präsidentin Lohrentz übe das Hausrecht aus, weil sie für einen geordneten Hochschulbetrieb verantwortlich ist. „Aber die Studentin hat den Hochschulbetrieb überhaupt nicht gestört. Das Hausverbot wäre präventiv ausgesprochen oder als doppelte Strafe gedacht. Beides ist unzulässig.“
Verbot ist Diskursverweigerung
Das sehen die Verantwortlichen der HAW anders und gehen davon aus, dass die Hochschule von „erheblichen Störungen des Betriebsfriedens“ etwa durch Protestaktionen betroffen sein könnte, sollte die Studentin das Hochschulgebäude aufsuchen. „Außerdem steht zu befürchten, dass sich Hochschulmitglieder aufgrund der rassistischen Äußerungen an der Hochschule nicht mehr sicher fühlen.“ Der Kölner Staatsrechtler Ulrich Vosgerau erinnerte auf X daran, dass der arabischstämmige Lehramts-Student der FU Berlin, der einen jüdischen Kommilitonen in einem Café in Berlin-Mitte angegriffen und schwer verletzt hatte, angeblich nicht exmatrikuliert werden konnte: es gäbe keine Rechtsgrundlage. Außerdem sei dies ein besonders schwerer Grundrechtseingriff, es gehe schließlich um die Berufsausbildung.
Veranstaltungsrechtlich hat sich Clemens Baumgärtner (CSU), Münchner Referent für Arbeit und Wirtschaft und damit „Chef“ des Oktoberfests, eilfertig aus dem Fenster gelehnt und das Abspielen von „L’amour toujours“ untersagt: „Auf der Wiesn ist für den ganzen rechten Scheißdreck kein Platz.“ Da das Lied seit 25 Jahren weltweit massenhaft ohne jedwede Beanstandung auf Partys, Volksfesten und in Diskotheken gespielt wird und daran weder musikalisch noch textlich irgendetwas auszusetzen ist, dürfte eine Begründung schwer zu finden sein: In Paragraf vier der Betriebsbedingungen steht nämlich nur, dass rassistische Äußerungen beim Oktoberfest nicht geduldet werden, und die beinhaltet das Lied ja nicht. In Frage käme eigentlich nur eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit: Wenn man befürchtet, dass Besucher des Oktoberfests beim Abspielen des Liedes Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen könnten – also z. B. verfassungsfeindliche Symbole zeigen oder volksverhetzende Dinge rufen. Aber: „Mit dieser Begründung dürfte man auf der Wiesn auch kein Bier ausschenken“, sagt Medienrechtler Joachim Steinhöfel auf TE. „Denn es könnte hinterher ja jemand verbotenerweise an ein Zelt pinkeln.“ Dagegen klagen könnte einerseits Gigi d’Agostino, dem Tantiemen in erheblicher Höhe entgehen – er selbst hat sich ja nichts zuschulden kommen lassen. Klagen könnten aber auch Wiesn-Wirte, die in ihrem Zelt das Lied spielen wollen.
Nichtsdestotrotz zogen andere Veranstalter nach: Auf dem Cannstatter Was’n sowie der Stuttgarter Fanzone zur Fußball-Europameisterschaft und auch zur Erlanger Bergkirchweih soll das Lied nicht gespielt werden. Auf dem Augsburger Plärrer und dem Leipziger Stadtfest dagegen darf es erklingen. Der Berufsverband Discjockey (BVD) hat die geplanten Aufführungsverbote kritisiert. „Das ist katastrophal. Wo sind wir denn, Lieder zu zensieren?“, sagte BVD-Präsident Dirk Wöhler dem RND. Er verurteile die Umdichtungen des Hits auf das Schärfste, dennoch dürften die Vorkommnisse kein Grund für ein Verbot sein. Es zeigt viel eher den Versuch, mit möglichst wenig Aufwand in einem möglichst guten Licht dazustehen, meint Isabelle Zeiher im Stern: „Und, noch schlimmer, mit dem Verbot wird das Lied auch ganz offiziell als Nazi-Hymne geadelt, man kapituliert vor der Codierung, auch aus Ratlosigkeit.“ Ein Verbot sei „Diskursverweigerung“.
Selbst Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hat sich zurückhaltend zum geplanten Verbot des Partyhits auf Volksfesten geäußert. Es sei richtig, sagte sie in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, wenn sich Veranstalter jetzt Gedanken machten, wie dafür gesorgt werden könne, dass Rassismus, Menschenfeindlichkeit und Nazi-Gegröle beim Oktoberfest und anderen Festen keinen Platz hätten. „Viel wichtiger als jetzt Lied-Verbote auszusprechen wäre es, dass die verantwortlichen Betreiber für Schulungen und Sensibilisierungen bei ihrem Personal sorgen, professionelle Awareness-Teams einsetzen und insgesamt klarmachen, dass es eine Null-Toleranz-Politik gegenüber jeglichen rassistischen, menschenfeindlichen und NS-verherrlichenden Äußerungen geben muss.“ Eingreifen statt wegschauen und weghören, das sei jetzt „von uns allen gefordert“. Prompt hat der Hamburger Footballtrainer und Ex-HSV-Capo Johannes Liebnau in einem Videoclip Spieler der U20-Mannschaft der Hamburg Huskies motiviert, am 9. Juni wählen zu gehen – „um rechte Parteien zu stoppen“. Überhaupt fällt zunehmend unangenehm auf, dass der politmediale Komplex zunehmend unwidersprochen einen Gegensatz a la „Entweder Demokratie oder rechts“ konstruiert.
Don Alphonso feixt in der Welt: „Wer sogar das Abspielen eines Liedes verbieten muss, um einer selbst verursachten Situation noch Herr zu werden, zeigt nur, dass er die Kontrolle auf der ganzen Linie von den ostdeutschen Diskotheken bis nach Sylt verloren hat.“ Das verzweifelte Wording mit allen geläufigen Worthülsen vom unbewiesenen Rassismusvorwurf bis zum verharmlosenden Nazi-Framing zeigt den Kontrollverlust ebenfalls. „Die politische Kultur des Ausschliessens kann im Extremfall unfreiheitliche, absolutistische Züge annehmen“, befindet Benedict Neff in der NZZ. „Sie ist aber auch deshalb fragwürdig, weil sie in der Regel einen negativen, nicht inklusiven Effekt hat. Der Ausschluss führt selten dazu, dass sich die Ausgeschlossenen der Mehrheit anschließen. Im Gegenteil, er fördert Frustration und Aggression und führt zu einer Tribalisierung der Gesellschaft.“ Inzwischen schwappte die Boykottwelle gar bis Österreich: nach vergleichbaren Vorfällen in der „Speki Bar“ Klagenfurt und dem „V-Club“ Villach haben die Radiosender kronehit, Ö3, Radio Energy und Radio Wien das Lied gecancelt. Und schlimmer noch: die Uefa hat gar dem österreichischen Fußball-Bund das Abspielen des Songs bei der EM untersagt, berichtet die Welt. Mit dem Lied hatten die Österreicher große Siege gleich nach Abpfiff gefeiert, weshalb es der Fußball-Bund für die EM auf seiner Playlist hatte, die er Ende März der Uefa zur Absegnung vorlegen musste. Vor wenigen Tagen habe die Uefa dem ÖFB mitgeteilt, dass das Lied nicht gespielt werden dürfe.
Wer hetzt, der fliegt
Der stafrechtliche Aspekt könnte rasch abgehandelt werden: Das Bundesverfassungsgericht hat am 4.2.2010 (Az: 1 BvR 369/04) geurteilt, dass „Ausländer raus“ von der Meinungsfreiheit gedeckt und nicht ohne weiteres Volksverhetzung ist. Anlass war ein NPD-Plakat „Aktion Ausländerrückführung – Für ein lebenswertes deutsches Augsburg“. Danach sei die bloße Forderung nach „Ausländerrückführung“ auf einem Plakat nicht zwingend strafbar, auch nicht mit dem Zusatz „für ein lebenswertes Augsburg“. Die bayerischen Gerichte hatten das Plakat so ausgelegt, dass eine Stadt mit Ausländer*innen dabei als „nicht lebenswert“ dargestellt werde. Das Verfassungsgericht hielt das Plakat aber für mehrdeutig. Denkbar sei auch, dass Ausländer zwar als Problem verstanden, „nicht aber notwendig als verächtlich hingestellt werden“.
Ein Angriff auf die Menschenwürde sei nur dann gegeben, wenn der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt werde. „Zwar macht das Plakat unmissverständlich deutlich, dass die Initiative der Beschwerdeführer Ausländer „rückführen“ will. Der Umfang und die Mittel, ob nun beispielsweise durch Anreiz oder Zwang, werden jedoch nicht benannt. Dem Plakat ist daher nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass Ausländer entrechtet oder zum Objekt gemacht werden sollen beziehungsweise als rechtlos oder Objekt angesehen werden“, so die Verfassungsrichter. Zuvor hatten Amts- und Landgericht den Tatbestand der Volksverhetzung als erfüllt angesehen.
Die Angeklagten waren wegen des öffentlichen Anschlagens volksverhetzender Schriften in Form des Angriffs auf die Menschenwürde durch böswilliges Verächtlichmachen eines Teils der Bevölkerung zu Geldstrafen verurteilt worden, weil sie als Mitglieder des Vereins „Augsburger Bündnis – Nationale Opposition“ für eine im Juni 2002 durchgeführte Aktionswoche großformatige Plakate mit der Aufschrift „Aktion Ausländerrückführung – Für ein lebenswertes deutsches Augsburg“ entworfen und gestaltet hatten. Das Verfassungsgericht hob die Verurteilung wegen Volksverhetzung auf, da sie die Meinungsfreiheit verletzte. Monika Lazar, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, und Memet Kilic, Sprecher für Migrations- und Integrationspolitik der Grünen-Bundestagfraktion, forderten angesichts dieser Entscheidung einen gesonderten Straftatbestand, nach der rassistische Gruppenbeleidigungen sanktioniert werden können.
Für Elisa Hoven, Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht an der Universität Leipzig, ist jedoch klar, dass das Gegröle von Sylt den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Eine Volksverhetzung sei es demnach, wenn der „öffentliche Friede“ durch das „Aufstacheln zum Hass“ gefährdet werde. Für die Parole „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus.“ treffe das zu, so die Juristin gegenüber Cicero: „Unabhängig vom ‚Party-Kontext‘ ist der Inhalt der Äußerung seiner Stoßrichtung nach offensichtlich feindselig gegenüber Nichtdeutschen und fordert zu ihrem Ausschluss aus der Gesellschaft auf.“ Demnach sei für die Betroffenen nicht nur mit beruflichen, sondern auch rechtlichen Konsequenzen zu rechnen.
Dierk Hirschel, laut seinem Profil „ver.di-Chefökonom und ehem. Kandidat für den SPD-Bundesvorsitz im Team mit Hilde Mattheis“, twitterte prompt vorverurteilend: „Das Gegröle fremdenfeindlicher Parolen und der # Hitlergruss sind keine freie Meinungsäußerung, sondern # Volksverhetzung. Wenn einige Rich Kids jetzt ihren Job verlieren, ist das nur konsequent. Wer hetzt, der fliegt und wird gesellschaftlich geächtet!“ Fliegen – wohin denn? Das liest sich wie ein oder zwei Stufen vor dem Lynchen: Seit wann gehört Jobverlust zu den rechtsstaatlichen Strafen? Was das noch mit Demokratie und Rechtsstaat zu tun hat, mögen also die erklären, die ständig davon reden, dass niemand ausgegrenzt werden soll. Apropos SPD: Die Partei reagierte mit einem Beitrag auf sozialen Medien, in dem es hieß es: „Deutschland den Deutschen, die unsere Demokratie verteidigen.“ Der Post hatte für großes Aufsehen im Netz gesorgt, die SPD sich daraufhin entschuldigt und den Post gelöscht.
Wenn man aber „zu dem Ergebnis kommen muss, dass bereits eine Strafbarkeit zweifelhaft ist, umso eher sind eine Bildnisveröffentlichung und eine namentliche Identifikation unzulässig“, resümiert der Kölner Medienrechtler Carsten Brennecke. Zu berücksichtigen sei also auch, dass die Parolen als Meinungsäußerung zwar geschmacklos sind, aber nicht mehr. Denn die Gruppe habe, soweit bekannt, im eigenen Kreis gefeiert und die Parolen nicht mit Zielrichtung gegenüber Dritten skandiert, diese gegenüber Ausländern aufzuwiegeln. „Wer glaubt, alles müsse oder dürfe raus, was ihm gerade so durchs Hirn furzt, ist ohnehin ein eher zweifelhaftes Mitglied der Gesellschaft. Das gilt noch mal gesteigert für inkriminierte Lieder, auch aufgrund der Ansteckungsgefahr, Ohrwurm, Sie wissen schon“, macht Johannes Schneider dem Zeit-Leser dennoch ein schlechtes Gewissen.
Nazis aufs Maul
Die musiksoziologische, ja schlicht musikalische Dimension war für viele Redakteure, Kulturjournalisten zumal, die weitaus interessanteste, rätselten sie doch ebenso wie die hauptberuflich gegen „Rechts“ empörten Politiker und Aktivisten über die völlig unverständliche Eigendynamik dieser Farce. D'Agostino hatte selbst klargestellt, dass es ihm ausschließlich um Liebe geht: „In meinem Lied geht es um ein wunderbares, großes und intensives Gefühl, das die Menschen verbindet. Es ist die Kraft der Liebe, die mich hochleben lässt“. „You'll be my baby and we'll fly away”, flötet darin Ola Onabulé mit hochgepitchter Stimme. Es handelt sich um eine klassische Italo-Techno-Hymne mit pumpendem Bass und fanfarenhafter Synthie-Hookline, die lautmalerisch „döp dödö döp“ transkribiert werden kann und sofort verfängt. Bei Youtube haben sich fast eine halbe Milliarde Menschen das Video zu dem Song angesehen. Das öffentlich-rechtliche Jugendportal Funk fühlte sich gar zu Tipps „So wirst du Ohrwürmer los“ herausgefordert, der Stern wiederum lieferte unter dem Titel „Zivilcourage lässt sich trainieren“ Tipps für den „entschlossenen Auftritt bei Grenzüberschreitungen“. „Ein Song mit französischem Titel, der von einem Italiener komponiert wurde, der auf Englisch über Liebe singt, wird verboten“, beklagt Klaudia Lagozinski in der taz ein „scheinheiliges Marketing“ – aktuell liegt er wieder an der Spitze der Charts: Nicht nur „Layla“ lässt grüßen, mit dem angeblichen „Geheimplan gegen Deutschland“ des „teilweise regierungsfinanzierten, geheimdienstnahen und denunziantenfreundlichen Projekts ‚Correctiv‘, so Don Alphonso, wurde auch das neue Buch zur Remigration von Martin Sellner ungewollt auf Platz 1 der Amazon-Verkaufsliste gebracht.
„Eine ungewöhnliche Entwicklung zeigte sich bei Spotify“, wundert sich Cleo Wansch auf Bunte: „Nutzer, die rechtsradikale Parolen in die Suchfunktion eingaben, wurden auf den Song ‚L'amour toujours‘ verwiesen. Dieser Zusammenhang wurde durch den Algorithmus des Streamingdienstes hergestellt, aber mittlerweile korrigiert, sodass solche Suchanfragen nicht mehr zu diesem Lied führen.“ Durch den erneuten Erfolg seines Songs könnte D’Agostino nun zusätzliche Einnahmen erzielen: Spotify zahlt in Deutschland etwa 0,0033 Euro pro Stream. Denn dieses „döp dödö döp“ taucht seither in zig Variationen im Netz auf: Auf KI-erzeugten Fotos und Collagen, in Karikaturen, auf T-Shirts, mal mit Sylt-Silhouette und mal ohne, und natürlich in diversen Audio- und Videoclips mit unterschiedlicher musikalischer Besetzung vom Kirchenorganisten über das Straßenmusikduo mit Saxophon und Violine bis zum großen Orchester. Es geht um Döp-Inzidenzen, Döp-Verbotszonen, Döping-Leitfäden, döplo-Schokoriegel und vielerlei mehr: „Das Empörium döpt zurück“ ist sicher die kreativste Mutation.
Und selbst migrantische TikTok-Influencer machen sich jetzt über den Sylt-Spruch lustig. In einem Video ist eine junge schwarze Frau zu sehen, wie sie gedankenverloren die Wohnung putzt und „Ausländer raus, Ausländer raus – Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ nach der Melodie von Gigi D’Agostino murmelt. Dazu der Kommentar „ich bin Ausländer und singe seit 2 Tagen n@z! Parolen weil Ohrwurm“. Das Wort „Nazi“ wurde nicht ausgeschrieben– wahrscheinlich aufgrund der Befürchtung, der TikTok-Algorithmus könne die Reichweite des Videos einschränken. Ein anderes Meme zeigt junge Menschen mit Migrationshintergrund, die zu einem Lied auf einem Parkplatz tanzen. Die Parole läuft im Hintergrund zu einer orientalischen Melodie. Aber auch der Gegentrend ist bereits da: „Man kann das Lied reclaimen und eigene Parolen darauf singen“, berichtet Alba Wilczek auf BR2. „Im Netz kursieren auch schon Videos davon, wie genau das geschieht. Das DJ-Duo Drunken Masters zum Beispiel singt statt ‚Ausländer raus‘ lieber ‚Nazis aufs Maul‘ mit seinem Publikum“. Ähnlich textet die Influencerin Masha Sedgwick „Deutschland für alle, Scheiß-Nazis raus“.
„Seit Jahrzehnten vereinnahmen Rechtsextreme Popsongs für ihre Zwecke. Lieder, die jeder kennt, werden zum Träger rassistischen oder völkisch-nationalen Gedankengutes“, geht Lars Hendrik Beger im DLF ins Grundsätzliche und verweist darauf, dass sich selbst „antirassistische Lieder“ instrumentalisieren ließen: „So wurde etwa Bob Marleys ‚Get Up, Stand Up‘ bei Demos der von rechts unterwanderten Querdenkern gespielt. Aus einem emanzipatorischen Song über die afrikanische Diaspora wird dann mal schnell eine mitgröltaugliche Parole gegen ‚Die da oben‘“. Aneignen, umdeuten, provozieren als Strategien der Popkultur habe die Neue Rechte erfolgreich erkannt, was als Erfolg ihrer Metapolitik zu werten wäre, „Unsagbares und Undenkbares in der Breite der Gesellschaft salonfähig“ zu machen. „Natürlich kann man auch annehmen, dass sie gesanglich das fortführen, was im Elternhaus morgens am Frühstückstisch so geredet wird“, so Beisenherz. Der „rassistische Ohrwurm“ sei höchstens hinnehmbar als „kognitive Fehlfunktion“, so Schneider. Einen „Nervenzusammenbruch einer eingebildeten Elite mit Bedeutungsverlust“ konstatiert Don Alphonso. „Jahrelang dachte man, man könnte sich eine Jugend wie aus Zeit Campus zurechtschreiben, woke, links, totalitär und mit wenig Rücksicht auf Deutsche im Vergleich zum Globalen Süden – und dann ist der Feind dort, wo man sich selbst den Urlaub nicht mehr leisten kann, und lacht die Hauptstadtpresse aus.“ Anke Schipp fragte in der FAZ gar, ob man den von einigen Sängern umgelegten „Schulter-Pulli“ – Ärmelknoten vorn, Pullover hinten – als „Upper-Class-Insignium“ jetzt noch tragen darf. Das ist kein Witz.
Digitale Guillotine
Einen anderen Ansatz wählt Ferdinand Knauß im Cicero für das „Verständnis des Reizes, der offenbar von der Verbindung aus Party und Xenophobie ausgeht“: Er geißelt „die verordnete Sprachlosigkeit, die in zunehmender Strenge das gesamte Themenfeld der Einwanderung und Integration gegen offene Kritik abschirmt“ und wie jedes Tabu zum Übertreten reizt, und erkennt eine neue Aktualität der legendären Jehova-Steinigungs-Szene im Monthy Pythons „Das Leben des Brian“ (1979). Der Verdacht liegt nahe: Je mehr Politiker und Medien solche Äußerungen, die sogar von der Meinungsfreiheit gedeckt sein dürften, verdammen, umso mehr steigt der Druck im Kessel. Statt Wohlstandsverwahrlosung sollte man eher von Politikverwahrlosung sprechen: Ein „linkes Lauern“ mit der „digitalen Guillotine“ konstatiert Karon und benennt als einer von wenigen, dass die gesamte linksliberale Öffentlichkeit nicht ansatzweise ein Mem und seine Gruppendynamik versteht: „Sie hat es beim White-Power-Symbol nicht verstanden, der aus eine Präzisionsgeste ein angebliches Überlegenheitssymbol der weißen Rasse werden ließ. Und sie begreift es nun auch im Falle von Gigi d'Agostino nicht. All diese Fälle haben gemeinsam, dass die geradezu lächerliche Fixierung darauf die kulturellen Codes – und bestimmte Lesarten – erst bekannt machten.“ Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Internetuser die „Ausländer raus“-Gesänge „unter den deutschen Torjubel für die anstehende Fußball-EM oder neue Lena Meyer-Landruth-Songs montieren werden“.
„Alles kann Pop werden, das ist die politisch weithin unterschätzte Gefahr“, bilanziert Jessen die „Kunst, beliebige Inhalte populär zu machen. Ein Mittel dazu ist die Provokation, vorzugsweise der Autoritäten“. Es sei hilflos und töricht, die jungen Leute, die sich heute verführen lassen, über ein pädagogisches Maß hinaus dafür zu tadeln. Ähnlich erkennt Dennis Sand in der Welt eine „Contentisierung der Politik“ oder umgekehrt eine „Entideologisierung auch radikaler politischer Parolen“ als Kompensation von „Political overcorrectness“. Aus politischen Botschaften werden Memes: „Die meisten Beobachter haben diese Form der Netzkultur schlicht nicht verstanden. … Es ist mittlerweile eine Generation herangewachsen, für die eine Entkernung politischer Botschaften längst gelebte Selbstverständlichkeit ist.“ Die Kinder der Postmoderne lebten heute eine Remix-Kultur, in der sie sich ihre Lebenswelt nach dem Prinzip Baukastensystem zusammenstellen. Er beklagt ein „großes Nebeneinander von Ideen, Konzepten und Philosophien, die eine Gleichwertigkeit besaßen, auch wenn sie sich widersprachen. Dieser Gedanke hat zunächst die Pop- und Jugendkultur und bald auch die politische Sphäre massiv verändert. Und sie schlussendlich in ihrer alten Form aufgelöst.“
Es gebe heute keine kulturellen, keine ästhetischen, keine ideologischen Gesamtpakete, keine großen identitätsstiftenden Erzählungen mehr, stattdessen ein großes Everything Goes: „Politische Verortungen wie ‚links‘ und ‚rechts‘ sind zu bedeutungslosen Hülsen geworden. Jeder baut sich sein politisches Weltbild aus Bausteinen der unterschiedlichsten Ideologien selber zusammen. Eine vermeintlich gute Idee ist eine vermeintlich gute Idee, ob sie dem Weltbild der Konservativen, der Sozialdemokraten, der Liberalen oder eben auch mal der Radikalen entstammt“ – selbst wenn die Hintergründe der einzelnen Bausteine immer mehr an Bedeutung verlieren, zumal sie immer kontextloser als Content-Schnipsel auf TikTok oder anderen sozialen Netzwerken kursieren: „Die Botschaft ist die Botschaft.“ Es gehe um Triggerpunkte und Provokationen.
Für Sand ist einer der Gründe für eine zunehmende Entfremdung von der Politik, dass diese Denkweise bei breiten Schichten der Bevölkerung bereits angekommen ist, die etablierten Parteien aber noch an ihrem alten Wertesystem festhalten. Sein Fazit: „Man muss die Absurdität akzeptieren, dass wir in einer Zeit leben, in der nicht jede geäußerte inakzeptable politische Parole auch gleichzeitig auf eine inakzeptable politische Gesinnung zurückzuführen ist.“ Wer „inakzeptabel“ definiert, bleibt selbstredend offen. Die zwei linken Bands Kraftklub und KIZ haben unterdessen zwei Solidaritätskonzerte in Berlin angekündigt. „Da sich überall immer mehr rechte Strukturen ausbreiten, finden wir es sehr wichtig, alternative Rückzugsräume und antifaschistische Arbeit direkt zu unterstützen“, hieß es unter einem Beitrag der Musiker von Kraftklub auf Instagram. Zu den KIZ-Songtexten gehören „Messerklinge in die Journalisten-Fresse“; Tarek, einer der drei KIZ-Rapper, hatte 2019 in seinem Video „Nach wie vor“ drei führende AfD-Politiker geschlachtet, etwa Alexander Gauland mit einem Schwert geköpft: Für das HipHop-Magazin Juice ein „wichtiges Signal“ und „ernsthafte Kunst gegen eine ernsthafte Bedrohung“. Wir wollen aber ja nicht auf Gesinnung schließen…
Welch ein Selbstbetrug
Apropos Songtexte: Auch zwei musikalische Reaktionen abseits von „döp dödö döp“ machen inzwischen die Runde, sinnigerweise beide genau 50 Jahre alt. Die erste ist Tina Yorks unbearbeiteter Hit „Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“ (!), in dem es heißt: „Sie halten sich für die Klügsten der Welt / Oh, wie sind sie klug / Für sie gilt nur das, was ihnen gefällt / Welch‘ ein Selbstbetrug.“ Die zweite ist eine Bearbeitung von Reinhard Meys „Über den Wolken“, dessen Refrain nun lautet: „Unter den Woken / muss die Einfalt wohl grenzenlos sein. / Alle Ängste, alle Sorgen – sagt man – / machen sie blind und gehorsam. Und dann / sind sie, wie man ihnen vorgibt zu sein: / fremdgesteuert und klein.“
Die erste Person aus dem Sylt-Video – ein Mann, der deutlich zu erkennen ist – hat sich inzwischen öffentlich entschuldigt; er spricht von einem „ganz schlimmen Fehler“, den er gemacht habe. „Alle, die wir damit vielleicht verletzt haben, bitte ich um Entschuldigung“, zitiert ihn Bild. Er habe sich selbst der Polizei gestellt und werde auch die rechtlichen Konsequenzen für sein Handeln übernehmen. Der Vorfall sei betrunken zustande gekommen und zeige nicht seine echte, innere Haltung. An die Öffentlichkeit geht er, weil die Anfeindungen nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen seine Familie und Freunde gehen. „Das war mein Fehler, für den auch nur ich geradestehen sollte.“ Nikolas Häckel, der Bürgermeister von Sylt, diesem laut Beisenherz „Mordor mit Reetdach“, hat für diesen Fehler „null Toleranz. Dieses Verhalten ist für uns abstoßend und vollkommen inakzeptabel. Wir dulden das nicht.“ Auf Sylt würden Menschen aus 113 Nationen friedlich miteinander zusammenleben. „Solche Gäste brauchen nicht noch einmal nach Sylt zu kommen. Sie sind herzlich ausgeladen. Denn wir sind eine weltoffene Insel.“
Prompt haben sich am ersten Juni-Wochenende auf der Hochzeitsinsel von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Punks eingeladen, die seit zwei Jahren dort kapitalismuskritische Happenings veranstalten und für Ärger sorgen, weil es stets auch Streit um Müll, Lärm und Toiletten gab. Vertreter der Organisation „Aktion Sylt“ haben bei der Gemeinde drei Kundgebungen angemeldet. Das Motto heiße „Laut sein gegen rechts“, sagte Organisator Jonas Hötger dem Spiegel. Demonstrationsmittel sind demnach „Musikbox, Transparente, Banner, Plakate, Bollerwagen, Musik“. Aber welche Musik? „Die Bullenhelme – sie sollen fliegen“ von „Feine Sahne Fischfilet“? Oder „diese eine Liebe wird nie zu Ende gehen“ von den Ärzten? Egal. Denn wer weiß: Vielleicht wird „L’amour toujours“ in der Rückschau einmal als Meilenstein bei der Überwindung des linksgrünen Würgegriffs um Deutschland gelten.
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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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