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Thomas Hartung: "CORONA-SOZIALISMUS"

Staatssozialistische Vorstellungen, die seit 30 Jahren kaum jemand mehr ernsthaft in Erwägung gezogen hätte, feiern in der Krise fröhliche Urständ. Dieser Trivialkommunismus ist fatal.



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Die Corona-Krise zeige, dass es die Frauen seien, die ein System am Laufen hielten, das sie unterdrücke. „Und da sage ich: Danke Corona, du scheinst eine Feministin zu sein“, lobte Ariane Alter, Moderatorin des öffentlich-rechtlichen Jugendformats funk, auf Instagram die Pandemie. Diesen eher harmlosen ideologischen Bewertungen stehen aber auch ganz andere gegenüber. So habe die Krise „das Zeug, einen sozial-ökologischen Systemwechsel zu zünden und die deutsche Gesellschaft auf eine neue Entwicklungsstufe zu heben“, heißt es in einem Positionspapier von Linken-Chef Bernd Riexinger und dem Klimaexperten Lorenz Gösta Beutin MdB.


„Strategische Unternehmen“ wie etwa marktbestimmende Konzerne der Energie- und Wasserversorgung, Fluggesellschaften, das Gesundheitssystem und andere müssten „auf Grundlage des Grundgesetzes schrittweise in öffentliche Hand gebracht“ werden. Das klingt nicht nur nach Umsturz, das soll auch einer sein, denn Tage darauf legte Riexinger unter dem Rubrum „Rückumverteilung“ in der Welt nach: „Wir wollen weder jemand erschießen noch zur Zwangsarbeit schicken. Wir halten es aber unbedingt für notwendig, dass Reiche und Superreiche endlich mehr Steuern bezahlen und so zur Finanzierung des Gemeinwohls beitragen. Da müssen Sie als Wohlhabender durch.“ Das ist kein Witz.


Die Linken träten für eine andere Gesellschaft ein, „eine nachkapitalistische, die nicht auf der Ausbeutung von Mensch und Natur beruht, sondern für alle Menschen die Voraussetzungen für ein erfülltes Leben und gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht. Das erfordert Mut zum Widerspruch, Rückgrat und Ausdauer. Nur lebendige Fische schwimmen gegen den Strom“, so Riexinger. Die Zeit für einen derartigen Umbau wäre nun besonders günstig, weil die Bevölkerung in der Krise „die Notwendigkeit staatlichen Handelns erkennt“, argumentierte Beutin gegenüber AFP. Und für die Teile der Bevölkerung, die die Notwendigkeit eines solchen staatlichen Handelns nicht anerkennen, seien die Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren, stark eingeschränkt.


SPD-Chefin Saskia Esken hatte kurz danach eine einmalige Vermögensabgabe für die Zeit nach der Krise ins Spiel gebracht, die die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen könne, und damit die Linken unterstützt. „Wir werden eine faire Lastenverteilung brauchen - und die kann für die SPD nur so aussehen, dass sich die starken Schultern in Deutschland auch stark beteiligen“, sagte sie der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten. Das Grundgesetz sehe eine solche Abgabe vor. Manfred Haferburg verwies auf achgut darauf, dass eine „Coronavermögensabgabe“ schon mal „Wehrbeitrag“ hieß und den ersten Weltkrieg finanzierte, danach als „Reichsnotopfer“ die Folgen desselben beseitigte und als „Judenvermögensabgabe“ durch die Nazis in unguter Tradition steht. „Frau Saskia“ müsse sich nur noch ausdenken, wer „reich“ ist. Zuletzt erklärte auch Grünenchef Robert Habeck in der Zeit: „Sehr Wohlhabende werden sich stärker am Steueraufkommen beteiligen müssen.“


Matthias Thiel analysierte in der NZZ als Kern der kommunistischen Theorie „die Aufhebung von Privateigentum. Auf den Gedanken, dass er dadurch dem Staat ungeheure Macht verleiht und der Gier ein viel perfideres Mittel in die Hand gibt als Kapital, nämlich staatliche Macht, kommt Marx nicht. Sobald der Staat beginnt, Menschen zu enteignen, schlagen sich gierige Menschen auf die Seite des Staates.“ Da Kollektivismus die Kriminalisierung des Privaten ist, gilt Marx prompt jeder als Ausbeuter, der über Eigentum verfügt, egal, ob jemand durch Glück oder Fleiß dazu gekommen ist. Wen nun der freie Handel durch staatliche Umverteilung ersetzt wird, zeige sich das Grundproblem der linken Idee an sich: „Der Lohn des Umverteilers ist nicht vom Erfolg der Umverteilung abhängig. Das macht jeden linken Lösungsansatz teuer und ineffizient.“


Doch nach links scheint auch der Kasseler Soziologe Heinz Bude unterwegs: Nach der Krise werde es eine Neubestimmung der Sozialen Marktwirtschaft geben und der Staat werde künftig eine stärkere Rolle spielen, sagte er im Interview mit der katholischen ostdeutschen Wochenzeitung Tag des Herrn. Den politischen Führungen sei klar geworden, dass es Probleme gebe, die nur gemeinsam zu lösen sind. Der Soziologe ist überzeugt, dass die Gesellschaft durch die Corona-Pandemie solidarischer geworden ist. Zugleich habe sich der Solidaritätsbegriff gewandelt. Lange Zeit sei die vorherrschende Meinung gewesen, dass nur ein Kollektiv wie etwa die Arbeiterklasse oder ein Volk Nutznießer von Solidarität sei, erklärte er. Aktuell gebe es dagegen eine Solidarität, von der der Einzelne profitiere, zum Beispiel die ältere Frau, für die jemand den Einkauf erledigt. „Das ist neu, modern und zukunftsweisend“, so Bude. „Im Augenblick ist die Solidarität die einzige Medizin, die wir haben“, sagt er.



„Lenin wieder auferstehen“


In Der Weg zur Knechtschaft legte Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek bereits dar, wie staatliche Eingriffe in die Wirtschaft zu immer neuen staatlichen Eingriffen führen. Jahrzehnte später sind wir Zeuge, wie in Friedenszeiten eine derart große Reihe staatlicher Interventionen in die deutsche Wirtschaft quasi auf einen Schlag gestartet werden könnte, wie es sich Hayek kaum träumen ließ. Zum einen die staatlichen Garantien, Kredite, Direktzahlungen und Unternehmensbeteiligungen im Umfang von bis zu 1,3 Billionen Euro – das sind 40 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, zum anderen die zusätzlichen Investitionen, Kredite und Bürgschaften über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, den Internationalen Währungsfonds IWF und die Europäische Investitionsbank EIB, absehbar auch über den EU-Haushalt.


Linke und rechte Kollektivisten sehen ihre große Chance gekommen, erkennt FDP-Fraktionschef Michael Theurer im Cicero: „Man solle die aktuell große Abhängigkeit der Wirtschaft vom Staat nutzen, um den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft immer weiter auszubauen, etwa durch flächendeckende und auf Dauer angelegte Staatsbeteiligungen an den Unternehmen oder das Knüpfen von Investitionen an Bedingungen, etwa hinsichtlich der ökologischen oder sozialen Ausrichtung.“ Der Staat sei aber eben nicht der bessere Unternehmer, denn Politiker wissen es nicht besser als die Menschen selbst, was ihnen wichtig ist. Ein gescheitertes sozialistisches Experiment nach dem anderen gebe beredt Zeugnis davon ab, dass Armut und Not erfolgreicher bekämpft und die Bedürfnisse der Menschen besser befriedigt werden, wenn alle möglichst eigenverantwortlich handeln dürfen.


Auch andere Grüne neben Habeck gaben den Experimentator. So regte der Dresdner Stadtrat Robert Schlick am Ostersonntag via Twitter an: „Ich schlage vor, dass wir die Wirtschaft jetzt mal gegen die Wand fahren. Lassen wir doch TUI und Co einfach mal absaufen. Und dann probieren wir etwas Neues aus, etwas, das klima- umwelt- und menschenfreundlich ist.“. Tags darauf folgte der hastige Rückzug mittels Löschung des Tweets und dem zerknirschten Eingeständnis, seine Aussage „ungünstig formuliert“ zu haben. Er habe „lediglich die Diskussion über eine gerechtere und klimafreundlichere Wirtschaftsform anstoßen“ wollen. Seine bayerische Parteikollegin Birgit Raab, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Verkehr, erkannte gar esoterischer Potential und channelte ebenfalls via Twitter, was uns das Virus „sagen“ wolle: „Hört zu! Stopp! Diese Überschall-Autobahn ist aus den Schienen geraten. Corona ist kein Feind. Er ist ein Bote. Wir haben jetzt die Chance, etwas zu ändern“. Auch dieser Tweet verschwand schnell wieder.


Die Corona-Krise fördert aber auch schaurige Wünsche zutage, die bis heute nicht gelöscht sind. So den der jungen österreichischen Linksradikalen Nicole Schöndorfer, die den feministischen Podcast Darf die das betreibt. Ihre Twitter-Botschaft, die mit 500 „Gefällt mir“-Angaben kommentiert wurde, lautete zu Ostern: „Kann statt Jesus bitte einfach Lenin wieder auferstehen?“ Auch das ist kein Witz. In der Krise feiern staatssozialistische, ja trivialkommunistische Vorstellungen fröhliche Urständ, die 30 Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kaum jemand ernsthaft in Erwägung gezogen hätte. So bilanziert Theurer: „Angesichts massiver Einkommenseinbußen – sei es durch Kurzarbeit der abhängig Beschäftigten oder schlicht durch fehlende Einnahmen bei Selbständigen, Freiberuflern und Dienstleistern – finden Petitionen für ein bedingungsloses Grundeinkommen aktuell hunderttausende Unterstützer“.


Die staatliche Interventionskette aber konterkariere derzeit das Leitungsprinzip: „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt es beispielsweise nur zwei Varianten“, meint er: „Entweder es ersetzt alle anderen Sozialleistungen einschließlich Rente, Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung – das würde dazu führen, dass die Schwächsten der Gesellschaft deutlich schlechter gestellt würden und die Lebensleistung von Millionen Rentnern nicht mehr gewürdigt wird. Oder es wird so teuer, dass konfiskatorisch hohe Steuern jeden Anreiz zur Schaffung von Wohlstand im Keim ersticken würden. In beiden Fällen ist es leistungsfeindlich. Die Leistungsbereitschaft ist jedoch der Grundpfeiler, an dem das soziale Sicherungsnetz hängt. Wenn Grundpfeiler wanken, wankt das ganze Netz“, warnt Theurer.


„Wir erleben keine Wirtschaftskrise, sondern einen aus gesundheitspolitischen Gründen gesetzlich – also von der Politik – verordneten Stillstand der Wirtschaft. Ob das in diesem Ausmaß wirklich notwendig war, werden wir erst später einmal wissen“, meint der politische Philosoph Martin Rhonheimer in der NZZ. „Dass jetzt aber Kapitalismuskritiker und Globalisierungsgegner triumphieren, grenzt an Irrsinn. Die gegenwärtige Pandemie ist keine Frucht der Globalisierung, sondern ein Verhängnis der Natur und Folge eines Versagens der Politik.“ Henryk M. Broder spricht auf achgut lapidar von „Corona-Sozialismus“.



„ein neuer Gesellschaftsvertrag“


„Corona als Bote der Weltverbesserung“, befindet Alexander Graf in der Jungen Freiheit. Denn auch aus wissenschaftlichen Welten mehrten sich die Forderungen nach einem „Wirtschaftswunder 2.0“ - die Politik müsse es nur wollen, hieß es in der Welt. Zwei Gastautoren betonten in „Bezug auf die Versorgungssicherheit“ die Rolle des Staates und freuten sich, dass „die betriebswirtschaftliche Durchoptimierung internationaler Wertschöpfungsketten bei wichtigen Gesundheits- oder Grundgütern hinterfragt“ werde. Von zentraler Bedeutung sei daher, „dass die Politik einen wirtschaftspolitischen Gestaltungsanspruch entwickelt“. Es gehe „um einen neuen Gesellschaftsvertrag, der den Schutz gefährdeten Lebens heute mit Schutz für faires Zusammenleben morgen und Schutz stabiler Lebensgrundlagen übermorgen kombiniert“.


Dieser Vertrag erfordere „die Überwindung alter Lagerkämpfe zugunsten eines Updates wirtschaftswissenschaftlicher Konzepte und Kenngrößen auf der einen und wirtschaftspolitischer Instrumente und Institutionen auf der anderen Seite“, so das Fazit des Textes. Interessant sind nun die Namen der Gastautoren: Maja Göpel ist Professorin für Politische Ökonomie und Nachhaltigkeitstransformationen (!) an der Leuphana-Universität Lüneburg und Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen. Achim Truger ist Professor für Staatstätigkeit (!) und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Umweltveränderungen und Staatstätigkeit? Ein Schelm, der hier unabhängige Wissenschaftler vermutet.


Denn diese Befunde ähneln fatal den Äußerungen Habecks, der „nicht nur staatliche Vorsorge und Sicherheit“ fordert“, sondern „insgesamt eine vorsorgende Politik…, die sich für kommenden Krisen und Bedrohungen wappnet.“ Thomas Spahn erkennt auf Tichys Einblick „den Traum des ewigen Schlaraffenlandes – ohne jegliches Risiko, ohne jede Verantwortlichkeit für das eigene Tun. Der Staat als ewige Kinderwelt, die ausblendet, dass auf dieser Welt nun einmal nichts ohne Risiko ist.“ Besonders sauer stößt ihm Habecks „kindliches Zufallsprinzip“ auf, für das es als „großes Zeichen der Bundesregierung“ zu werten wäre, wenn diese nach der Krise „Zukunftsbündnisse, Räte“ gründet, „in denen zufällig geloste Bürgerinnen und Bürger das Erlebte diskutieren, über Konsequenzen für die Zeit danach beraten und gesellschaftliche Schlüsse daraus ziehen.“ Räterepublik? Deutschland als Sowjetunion 2.0?


Spahn identifiziert unter dem bezeichnenden Titel „Die Kindgesellschaft und ihre Angst vor der Wirklichkeit“ einen sich selbst organisierenden „Kindergarten, der dann auch auf die Kindergärtner verzichten kann… Die Frage, wer in einem solchen Kindergarten den Mittagstisch füllt, die Windeln wechselt und das Geld für die notwendigen Reparaturen und Spielzeuge bereitstellt, hat das Kind nicht zu interessieren.“ Markus Krall erkennt auf „Tichys Einblick“ gar ein „Ringen zwischen Freiheit und der Ideologie des Sozialismus“ auf der „Basis einer Werteerosion, die die Werte von Freiheit, Familie und Eigentum abschafft. Man kann dabei von einer Zerstörung der individuellen Freiheit durch eine Übersteigerung des Individuums im Egoismus sprechen.“ Dabei maße sich der Egoismus „Freiheiten an, die die Freiheit und die fundamentalen Rechte Dritter beschneiden“.


Thiel bekräftigt das: „Die Idee, Menschen zu retten, indem man sie unterdrückt, ist nicht besser geworden, seit sie bunt ist.“ Für ihn darf Moral nie Gesetz werden: „Wer davon überzeugt ist, dass seine Ansichten so unfehlbar sind, dass er das moralische Recht besitzt, sie anderen aufzuzwingen, richtet im Falle auch nur eines leichten Irrtums unermesslichen Schaden an. Und da man immer alles von verschiedenen Seiten betrachten kann, ist schon die Tatsache, dass jemand davon überzeugt ist, auf dem einzigen richtigen Standpunkt zu stehen, ein untrügliches Indiz dafür, dass er sich kolossal irrt.“ Matthias Heitmann spitzt im Cicero zu: „Die heutige Situation entzieht dem gesellschaftlichen Leben seine urwüchsige Widerspenstigkeit, und sie befördert Übergriffigkeit, Selbstkontrollverlust, Allmachtsfantasien und Größenwahn aufseiten von Politikern und staatlichen Autoritäten. Zugleich stärkt das erfolgreiche Verbreiten von Angst und Schrecken obrigkeitsstaatliches Denken… Zweifel und Dissens gelten in diesem Klima nicht als Keimzellen der Freiheit, sondern als Quelle der Gefahr.“



„neue Normalität“


Am treffendsten illustriert dieses Schreckensszenario der Satz „Wir bewegen uns in eine neue Normalität“, den am 15. April Bundesfinanzminister Olaf Scholz in der Corona-Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Merkel, dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und dem Ersten Bürgermeister von Hamburg Peter Tschentscher formulierte. Es gehe um einen überaus diffusen Fahrplan, der eine Bewegung in Richtung einer „neuen Normalität“ anstoßen soll, interpretiert Matthias Heitmann im Cicero: „Das Bedrückende am Berliner Fahrplan ist, wie weit er von der Wirklichkeit und von demokratischen Grundsätzen entfernt ist: Er konzentriert auf die Festlegung von Standzeiten. Die Ankunftszeit spielt keine Rolle. Zudem ist fast unbemerkt auch das ursprüngliche Ziel der Fahrt ersetzt worden.“


Doch sei unklar, wie diese neue Normalität aussieht und wer darüber entschieden hat: „Ein vager Plan für die Fahrt ins Nirvana, deren Zeiten unbekannt bleiben, gleichzeitig aber entscheidend von unserem Verhalten abhängen sollen – man benötigt schon einige Monatsrationen an Phantasie oder noch härtere Drogen, um hierin transparentes und demokratisch kontrollierbares Handeln zu erkennen.“ Die Notstandspolitik suggeriere Streckenkenntnis und Zielstrebigkeit und fordere von den Mitfahrenden, sich gefälligst hinzusetzen, nicht durch Fehlverhalten den Zeitplan zu gefährden, Abstand zu halten, den Gurt anzulegen und während der Fahrt nicht mit dem Fahrer zu sprechen.


Diese so geplante Rückkehr in die Normalität fuße auf einem katastrophalen Doppel-Irrtum, meint Heitmann: „Zum einen ist die Normalität weder ein Ort, den man verlassen und wieder aufsuchen kann, noch ist sie ein Aggregatzustand, den man wechseln kann. Wer die Normalität verlässt, gibt sie auf. Was auch immer auf sie folgt, es ist nicht normal. Zum anderen hat die Politik ein völlig weltfremdes Verständnis davon, wie Normalität entsteht. Diese hält sich nämlich nicht an Skizzen und Entwürfe, sondern sie ist das Produkt unzähliger menschlicher Prozesse; sie wächst aus Erfahrungen, Entwicklungen, grandiosen Siegen und schmerzhaften Niederlagen und Brüchen.“


Für die Demokratie ist lebenswichtig, dass der demokratische Souverän wieder mit dem eigenständigen Denken beginnt. Anstatt ständig darüber nachzudenken, ob irgendetwas erlaubt ist oder nicht, sollten wir fragen: „Warum sollte das nicht erlaubt sein?“ oder „Macht diese Beschränkung überhaupt Sinn?“ Das sind die Fragen der heranbrechenden neuen Normalität. Schon jetzt wird der erzwungene Abschied von unserer alten Normalität von Politikern und Aktivisten als Startsignal aufgefasst, um ihre eigene Agenda des Verzichts auf Mobilität, Konsum, Energie und Lebensstandard in die „neue Normalität“ einzubringen – womit sich der Kreis schließt.


Die Wirtschaft ist aktuell hilfsbedürftig, weil der Staat aus Gründen des Gesundheitsschutzes der Menschen tief in Grund- und Eigentumsrechte, die unternehmerische Freiheit und die Berufsfreiheit eingreift, befindet Theurer. Im Infektionsschutzgesetz ist für individuell verhängte Tätigkeitsverbote ein Anspruch auf Entschädigung vorgesehen. Es stelle sich die berechtigte Frage, ob nicht auch allgemein verfügte Beschränkungen, die hinsichtlich der wirtschaftlichen Konsequenzen durchaus den Charakter von Enteignungen annehmen können, ebenfalls entschädigt oder zumindest teilweise ausgeglichen werden müssen – Entschädigung statt staatlicher Almosen. „Dadurch blieben die Eigentumsstrukturen weitestgehend unangetastet und die wirtschaftlichen Verhältnisse im Wesentlichen intakt. Man mag einwenden, dass dies nicht finanzierbar sei. Doch wenn etwas für einen Teil der Bevölkerung finanzierbar sein soll, muss es das rein logisch auch für die Gesamtbevölkerung sein“, so Theurers Fazit.


„Wer durch staatliche Verbote einen Schaden erlitten hat, obwohl er selbst nicht für die Gefahr verantwortlich ist, die mit dem Verbot abgewendet werden soll, muss meines Erachtens einen Anspruch auf Entschädigung haben“, argumentiert auch Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek in der JF. Betroffene hätten je nach Fall durchaus einen Anspruch auf Wiedergutmachung. Die Bundesregierung habe ihre Rechtfertigungspflicht bei einigen überzogenen und verfassungswidrigen Bestimmungen nicht hinreichend erfüllt, unterstreicht er. „Bei der Abwägung der Freiheitseinschränkungen mit dem angestrebten Gemeinwohlnutzen darf der Nachteil für die Betroffenen nicht schwerer wiegen“.



„dieselbe Angst wie 1989“


Das ist die eine Seite. Die andere ist die Pervertierung des Gesundheitsschutzes im Sinne der Pazifizierung, Disziplinierung und damit Diskriminierung der „Gesamtbevölkerung“ – die dadurch auf sozialistische Verhältnisse getrimmt werden kann. So schlug JU-Chef Tilman Kuban via Twitter vor, dass sich die geplante „Corona-Tracking-App“, mit deren Hilfe die Kontakte von Smartphone-Trägern nachvollzogen werden sollen, automatisch installieren solle. Er bekam zu Glück Gegenwind und ruderte insofern zurück, dass er es doch für besser hielte, wenn Smartphone-Nutzer vor der Installation gefragt werden, ob diese gewünscht ist. Doch an der App wird mit Hochdruck weiter gearbeitet – obwohl viele Initiativen, darunter auch der Chaos Computer Club CCC, davor warnten. In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtsminister Helge Braun schreibt der CCC: „Je mehr Daten verarbeitet werden, desto größer ist das Risiko einer De-Anonymisierung – auch durch Dritte, vor denen die Daten geschützt werden müssen. Das lückenlose zentrale Verfolgen der Aufenthalte aller Bürger ist das Horror-Szenario schlechthin.“


Der Dresdner Architekt Christian Chemnitzer schrieb in einem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin: „Ich fühle dieselbe Angst wie 1989, die Angst derer, denen es an Mut und Argumenten fehlte, um frei Denkenden und Meinenden zivilisiert auf Augenhöhe zu begegnen. Ich fühle die Angst der Zensoren, die Homepages abschalten, ich fühle die Angst derer, die in Presse, Funk und Fernsehen diffamieren, Ansehen und Ruf von Menschen zerstören und nach verschärfter Zensur rufen.“ Thiels Fazit ist vernichtend: „Wenn einer Monarchie die Monarchen ausgehen, ist das lustig. Aber wenn einer Demokratie die Demokraten ausgehen, ist das beunruhigend.“





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Über den Autor:

Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.



 

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