Die EU hat den Start ihrer „Entwaldungsverordnung“ verschoben. Die Galgenfrist ändert nichts am kulturellen Kahlschlag, der gedruckten Büchern den Garaus machen wird.

„Was man schwarz auf weiß besitzt, / Kann man getrost nach Hause tragen” (Faust I/1966) ist die unausgesprochene formale Prämisse jedes Schreibens: Sein Potential, die entstehenden Texte auf Papier vervielfältigend zu drucken. Doch diese Prämisse, die also vom Fortbestand gedruckter Bücher, eben „Literatur“, ausgeht, gilt offenbar nicht mehr, nachdem die „EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte“ (2023/1115 – EUDR) ab Ende Dezember dieses Jahres anzuwenden ist.
Ab diesem Zeitpunkt müssen alle, die Bücher in Umlauf bringen, mit jeder Lieferung unter anderem das Erzeugerland des Holzeinschlags, in dem die relevanten Rohstoffe zum jeweiligen Buch erzeugt wurden, sowie die Geokoordinaten aller Grundstücke, auf denen die relevanten Rohstoffe zum jeweiligen Buch erzeugt wurden, bei Bezeichnung der Holzart, sowie Nachweise für eine legale Ernte mitteilen und die Erfüllung einer Sorgfaltspflicht bestätigen, dass jedes Produkt entwaldungsfrei ist und gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes erzeugt wurde. Das ist kein Witz.
Das ganze Machwerk ist eine direkte Folge der sogenannten Lieferkettenverordnung, die nach zwischenzeitlichen Widerständen vom EU-Parlament durchgewunken wurde, und trat bereits im Juni 2023 in Kraft. „Ähnlich wie schon beim EU-Lieferkettengesetz wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit völlig außer Acht gelassen“, erklärt Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH). Für den europapolitischen AfD-Fraktionssprecher Baden-Württembergs, Emil Sänze MdL, wird das Ziel des Umweltschutzes in globalen Lieferketten ins Gegenteil verkehrt: „Damit schwächen wir uns freiwillig zugunsten von ASEAN, BRICS & Co. Das ist ein schlechter Witz. Denn vielen dieser Länder ist noch weniger an der Verbesserung der Lebenssituation von Arbeitern und an Umweltstandards gelegen. Gerade mittelständische Firmen können nicht alle Stufen ihrer Lieferketten in fernen Ländern inklusive der nachgelagerten Punkte Verkauf, Vertrieb, Transport, Lagerung und Entsorgung kontrollieren – andernfalls sollen die Betroffenen sie auf Schadenersatz verklagen können. Dieser bürokratische Aufwand überfordert die Unternehmen.“
Damit zeige sich wieder einmal die Unfähigkeit der EU: Die Regelung ist weder praxistauglich noch verhältnismäßig und vermindert Rechtssicherheit – im Gegenzug erhöhen sich Regulierung und Bürokratie. „In Krisenzeiten aber brauchen Unternehmen Flexibilisierung und Spielräume für Innovationen!“ Anfangs eher nicht beachtet – wer kann sich schon eine solche Perfidie ausmalen – spielte die Verordnung selbst auf der Frankfurter Buchmesse kaum keine Rolle, obwohl sie ursprünglich schon Ende 2024 gültig sein sollte. Claudia Roths Eröffnungs-Monolog hörte sich da durchaus makaber an: Das Buch als Symbol für das freie, vielfältige und offene Denken sehe sich heute wieder bedroht, sagte sie. Wovon, sagte sie nicht. Der MVFP Medienverband der freien Presse hatte gemeinsam mit anderen Presseverbänden, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, dem Bundesverband Druck und Medien und dem Gesamtverband Pressegroßhandel an Bundesregierung und EU-Kommission im August 2024 appelliert, das Inkrafttreten um ein Jahr zu verschieben, jedenfalls die vorgesehenen Sanktionierungen auszusetzen.
Versorgung mit gedruckten Erzeugnissen gefährdet
Dann aber überschlugen sich im Oktober die Empörungen: Einen „kulturellen Kahlschlag“ erkennt Hannes Märtin bei Tichys Einblick TE, einen „EU-Totenschein für das gedruckte Buch“ Martina Binnig auf achgut, und die Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen schreibt in einem offenen Brief an Kultusministerin Claudia Roth, Umweltminister Cem Özdemir und Wirtschaftsminister Robert Habeck (alle Grüne), dass die Verordnung „wie ein Damoklesschwert über der deutschen und europäischen Buch- und Verlagsbranche“ hänge und „eine Brandrodung bei allen Branchenteilnehmern zur Folge haben“ werde. Denn damit greifen neue unternehmerische Sorgfaltspflichten für den Handel mit Soja, Ölpalmen, Rindern, Kaffee, Kakao, Kautschuk und eben auch Holz sowie für entsprechende Produkte, weshalb auch bedruckte Papiere und damit Bücher darunterfallen.
Rohstoffe und die daraus hergestellten Erzeugnisse dürfen danach nicht auf Flächen gewonnen worden sein, auf denen seit dem 31. Dezember 2020 Entwaldung oder Waldschädigung stattgefunden hat. Zudem müssen die Rohstoffe und Produkte im Einklang stehen mit den Gesetzen des Ursprungslands und elementare Menschenrechte eingehalten werden, die in der Verordnung genauer spezifiziert werden. Mit der Sorgfaltserklärung müssen Unternehmen die Erfüllung der Sorgfaltspflicht und die Einhaltung der Verordnung bestätigen. Diese Sorgfaltspflicht umfasst das Sammeln von Informationen und Dokumenten, die zeigen, dass die Produkte „entwaldungsfrei“ sind, und muss über ein Internetportal eingereicht – und hoffentlich nicht ausgedruckt? – werden. Sie umfasst darüber hinaus aber auch eine Risikobewertung und Risikominimierungsstrategien.
Das bedeutet: Unternehmen müssen die Informationen, die sie gesammelt haben, verifizieren und analysieren – und auf dieser Basis eine Risikobewertung vornehmen, die zeigt, ob es ein Risiko gibt, dass ihre Produkte die Vorgaben der Verordnung eben doch nicht erfüllen. Die Risikoprüfung muss nachweisen, dass kein oder nur ein vernachlässigbar kleines Risiko besteht, dass das Produkt aus Entwaldung stammt – sonst dürfen Unternehmen das entsprechende Produkt nicht auf den EU-Markt bringen oder aus der EU ausführen. Die sogenannten KMU mit unter 249 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro müssen keine eigene Sorgfaltserklärung abgeben – tragen aber Verantwortung dafür, dass Produkte, die sie vertreiben, die Vorgaben der Verordnung erfüllen. Kontrollbehörde in Deutschland ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in Bonn. In einem FAQ hatte der Börsenverein häufig gestellte Fragen zu den Verpflichtungen rund um die Verordnung gebündelt und beantwortet. Die Fragen werden laufend ergänzt und kuratiert.
Geldbußen von mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes
In einem neuen, zusätzlichen Leitfaden vom 2. Oktober befleißigte sich die Kommission gar, bei der Umsetzung eine einheitliche Auslegung des Gesetzes zu gewährleisten. Zu den wichtigsten Bereichen gehören Einzelheiten zu den Funktionen des Informationssystems, Aktualisierungen zu Sanktionen und Klarstellungen zu kritischen Definitionen wie „Waldschädigung“, „Unternehmer“ im Geltungsbereich des Gesetzes und „Inverkehrbringen“. Außerdem gibt es weitere Hinweise zu den Rückverfolgbarkeitsverpflichtungen. Der Leitfaden ist in elf Kapitel unterteilt, die sich mit verschiedenen Themen befassen, z. B. mit den Anforderungen an die Legalität, dem Zeitrahmen für die Anwendung, der landwirtschaftlichen Verwendung und der Klärung der Produktpalette. Alle diese Punkte werden durch konkrete Szenarien untermauert. Das neueste FAQ wurde durch 40 Antworten ergänzt. Kleinst- und Kleinunternehmen profitieren zudem von einer Erleichterung, die ebenfalls auf einer neuen Webseite ausführlich erläutert wird.
„Aber wie soll ein Verlag für jede Buchseite garantieren, dass diese ohne Entwaldung entstanden ist?“, entsetzen sich Gerd und Renate Reuther auf dem Blog tkp. Denn gedruckt wird oft weit entfernt, die jeweilige Druckerei bekommt ihr Papier von verschiedenen Lieferanten, die sich wiederum flexibel von diversen Zellstoffherstellern versorgen. Deren Holz stammt von verschiedensten Händlern aus Regionen in aller Welt je nach Preis und Qualität. Wenn während des Drucks einer Auflage der Papiervorrat nachgefüllt werden muss, kann er aus einer anderen Charge stammen. Aber derjenige, der das Buch in den Handel bringt, muss die Einhaltung der Verordnung garantieren. Bei Verstößen gegen die Verordnung drohen Geldbußen, die mindestens vier Prozent des Jahresumsatzes betragen.
Bis heute liegt noch nicht einmal die seit letztem Frühjahr von der EU zugesagte Einordnung der Welt in Risikogebiete vor. Auch die für Juli 2024 versprochene Handreichung der Kommission, die weitere Erläuterungen in Form von FAQs bieten sollte, ist bisher nicht verfügbar. Eine funktionierende Schnittstelle zum EU TRACES System für Verlags-IT oder Software-Anbieter sei ebenfalls noch nicht vorhanden, schreiben die Verbände in ihrem Brief. Die bereitgestellten Informationen zu den Schnittstellen seien nur schwer umzusetzen. Darüber hinaus stünden den Unternehmen keine Test-Accounts für das EU-TRACES-System zur Verfügung; die EU-weite Registrierung der Unternehmen soll erst ab Anfang Dezember möglich sein. Alle großen und kleinen Unternehmen entlang der Lieferkette – vom Holzimport über den Papierhersteller, die Druckerei, den Verlag, den Großhändler bis hin zum Einzelhändler – müssten ihre Abläufe und IT-Systeme an die zusätzlichen Sorgfaltspflichten anpassen und dafür Ressourcen bereitstellen. Bürokratisierung als Kampfmittel gegen die politische Unabhängigkeit?
„Die verbleibende Zeit ist jedoch zu kurz, um die Schnittstellen zu entwickeln, zu testen und sich mit dem System vertraut zu machen. Zudem ist der zeitliche Vorlauf, um die Vielzahl an Daten in das System einzutragen, viel zu kurz bemessen“, betonen die Briefschreiber. Außerdem bestehe die konkrete Befürchtung, so der Brief weiter, dass Einzelhändler Presseprodukte aus dem Sortiment nehmen, wenn die Anforderungen der EUDR nicht erfüllt werden. Da 50 Prozent der in Deutschland verkauften Publikumszeitschriften über den Einzelverkauf vertrieben werden, sei die Sorge bei den betroffenen Verlagen sehr groß. Auch für Zeitungen und Bücher sei der Einzelhandel ein relevanter Vertriebs-Kanal. „Es wäre eine Katastrophe, wenn die Versorgung der Bevölkerung mit gedruckten Erzeugnissen und damit eine kritische Infrastruktur gefährdet würde.“ Sicher auch eingedenk dieser Appelle wurde die Einführung der Verordnung Mitte November um ein Jahr verschoben.
Nachhaltigkeit als Zauberwort
Allein von 1990 bis 2020 seien weltweit rund 420 Millionen Hektar Wald verloren gegangen. Die globale Entwaldung gelte „als wichtiger Treiber des Klimawandels und des Artensterbens“. Rund 90 Prozent der weltweiten Entwaldung werde durch die Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen hervorgerufen. Die Bekämpfung von Entwaldung und Waldschädigung sei ein wichtiger Bestandteil des Pakets von Maßnahmen, die zur Erfüllung der Verpflichtungen der Union im Rahmen des europäischen Grünen Deals sowie des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen („Übereinkommen von Paris“) führen sollen, um bis spätestens 2050 Klimaneutralität zu erreichen und die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken. Und in der „EU-eigenen Bescheidenheit“, grinst Binnig, wird gleich noch auf die Vorbildfunktion der EU für die ganze Welt hingewiesen: „Um die größtmögliche Wirkung zu erzielen, sollte die Politik der Union darauf abzielen, Einfluss auf den gesamten Weltmarkt und nicht nur auf die Lieferketten der Union auszuüben.“
Das Zauberwort heißt hier wie so oft „Nachhaltigkeit“: Im Juli 2022 hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die IG Nachhaltigkeit gegründet. Rund 80 Prozent der CO2-Emissionen in der Buchproduktion würden allein durchs Papier verursacht. Carl-Otto Gensch vom Öko-Institut e.V. hat berechnet, dass bei der Produktion von zehn Büchern mit 200 Seiten etwa elf Kilogramm CO2 entstehen. Die Papierindustrie zählt zu den größten Energieverbrauchern in Deutschland. Hinzu kommt ein erheblicher Wasserverbrauch. Zwar gibt es ökologische Alternativen, wie etwa Apfel- oder Steinpapier. Doch für den Massenmarkt kommen diese derzeit noch nicht infrage. Auch Druckerfarben und der nötige Leim senken die Ökobilanz.
„Unsere Papiere stammen überwiegend aus Skandinavien und Mitteleuropa“, sagt Barbara Scheuer-Arlt, Umweltbeauftragte beim Publikumsverlag Penguin Random House im DLF. Der Verlag setzt darauf, grundsätzlich Material einzusparen: „Dünnere Bücher, dünnere Papiere. Papiere einzusetzen, die einen sehr guten CO2-Fußabdruck haben, auch wenn Frischfaser drin ist. Frischfaser muss nicht immer von gefällten Bäumen kommen, sondern wir setzen Papiere ein, die überwiegend aus Durchforstungsholz stammen.“ Recycling kann einen guten Beitrag dazu leisten, Bücher nachhaltiger zu produzieren, ist Anke Oxenfarth vom Oekom Verlag überzeugt. „Das Recyclingpapier ist sehr teuer geworden“, räumt sie im DLF ein. Mehr und mehr Verlage fragen recyceltes Papier nach. „Seit Herbst 2021 gab es Preissteigerungen von bis zu 30 Prozent.“ Beim Oekom Verlag sinke daher die Recyclingquote – von einst über 90 Prozent auf mittlerweile 74 Prozent.
Wichtig sei das Umdenken in der Branche: „Zum ersten, muss wirklich jedes Buch innerhalb von 24 Stunden beim Buchhändler sein?“, fragt Scheuer-Arlt. „Und zum zweiten, brauche ich so viele Bücher? Muss ich so viele bevorraten? Muss ich mir wirklich diese Auflagen in die Lager legen? Denn jedes Buch, das produziert und nicht verkauft wird, ist für die Umwelt ein Nachteil und letztendlich auch eine Verschwendung von Ressourcen.“ Das ist kein Witz. In diesem Zusammenhang stelle sich auch die Frage nach der Auflagenhöhe. Bei sicheren Bestsellern wie etwa den Memoiren von Prinz Harry lassen sich hohe Auflagen leicht kalkulieren, erklärt Scheuer-Arlt. Bei vorab weniger gut kalkulierbaren Büchern setze man jedoch mehr und mehr auf kleine Startauflagen, „um zu sehen, was der Markt möchte“. Bücher, die sich rasch abverkaufen, könnten dann in wenigen Tagen nachgedruckt werden.
Potenzielle Zensur wesentlich erleichtert
Das aktuell beobachtbare Druckereisterben hat bereits dazu geführt, dass selbst in Großstädten selten ein Buch vor Ort produziert wird. Haltbarere gebundene Ausgaben sind für kleinere Auflagen oft zu teuer und aufgrund der Engpässe bei Buchbindereien nicht umgehend lieferbar. Die immens gestiegenen Papierpreise führten zudem dazu, dass kleinere Verlage Bücher jenseits von 200 Druckseiten gar nicht mehr zu einem verkäuflichen Preis anbieten können, was einen Konzentrationsprozess hin zu Großverlagen, die durch eine enge Verflechtung mit Papierproduzenten exklusiven Zugang haben (etwa Bonnier), vorzeichnet. „Manchmal erschließt sich nicht sofort, ob durch eine EU-Verordnung absichtlich Angriffe auf unsere Kultur verfolgt werden oder ob diese lediglich als Kollateralschaden entstehen“, lästert Binnig.
Aber der Buchhandel macht trotz aller Begünstigungen für e- und audio-books 95% seines Umsatzes mit Gedrucktem. Lassen sich digitale Bücher ausschließlich mit grünem Strom lesen? Tatsächlich ist laut Carl-Otto Gensch vom Öko-Institut e.V. der CO2-Ausstoß bei der Produktion und Nutzung von E-Books noch etwas geringer als bei einem Buch aus recyceltem Papier. Doch die Sache hat einen Haken: Um einen E-Book-Reader herzustellen, braucht es viele Rohstoffe. Verbaut sind Edelmetalle, darunter Kupfer, Gold und Palladium. Auch Chemikalien kommen zum Einsatz. Der Akku aus Lithium bereitet Probleme bei der Entsorgung. Die Hülle aus Kunststoff landet womöglich als Mikroplastik im Meer. Auch die Transportwege sind lang: Die Geräte werden meist in China hergestellt. Und um E-Books vorrätig zu halten, müssen die Händler Server unterhalten und die Leser Strom nutzen – beides verbraucht Energie. Das Gerät lohnt sich daher aus ökologischer Sicht eigentlich erst nach einigen Jahren und konstant hohem Gebrauch. Die Angaben zum dafür nötigen Pensum variieren. Die Biologin Nadja Gneißler von der IG Nachhaltigkeit des Deutschen Börsenvereins spricht von 30 bis 50 Büchern pro Jahr, Eva Großinsky von der Tolino-Allianz sieht die Ökobilanz schon bei mehr als zehn Büchern im Jahr ausgeglichen.
Bei der Betrachtung dieses neuen EU-Irrsinns, der nach 584 Jahren offenbar den Buchdruck abwickeln will, fallen vor allem zwei Dinge auf. Zum ersten die eigene Widersprüchlichkeit: Wälder schützen, indem man gedruckte Medien verbieten will – und Wälder abholzen für Windparks, bei denen für ein einziges Rotorblatt Dutzende tropischer Bäumen abgeholzt werden, die man auch noch über den Ozean karren muss. In Spanien wurden gleich Hunderte Bauern enteignet und 100.000 Olivenbäume gerodet, um Platz zu machen für Solargroßparks. Es ist überdies Neokolonialismus seitens der EU, Ländern außerhalb des eigenen Wirkungskreises ihre Waldnutzung vorzuschreiben. Nicht zu vergessen das EU-Verbot von Plastikbesteck, das ersetzt wurde durch – Holzbesteck.
Und zum zweiten vermutet nicht nur Männig „eine subtile Einschränkung der Publikations- und Meinungsfreiheit“: „Indem die EU den physischen Buchdruck schrittweise verdrängt und eine vollständige Digitalisierung anstrebt, wird potenzielle Zensur wesentlich erleichtert.“ „Digitale Scheiterhaufen für unerwünschte Fakten und Gedanken sind nur dann voll wirksam, wenn es keine physisch greifbaren Belege mehr gibt“, meinen auch Reuthers. Es geht nicht mehr um künstlerische Freiheit und Ehrlichkeit, gar den Erhalt von analoger Vergangenheit und Tradition, sondern schlicht um Kontrolle und also Macht. Erst importiert man Hunderttausende Analphabeten, dann richtet man es so ein, dass das Wissen von Generationen verschwindet? Immerhin wäre es ein gewaltiger Fortschritt gegenüber Orwells Wahrheitsministerium, da Heerscharen von Beamten alles Schriftgut regelmäßig prüfen und an die aktuelle Doktrin anpassen, alte Exemplare einziehen und die neue Auflage in Umlauf bringen mussten. Dieser letzte ressourcenintensive Schritt entfällt nun immerhin.
Der Vorgang ordnet sich ein in die zunehmende Politisierung nicht nur der Kultur, sondern aller Lebensbereiche, die von der EU bis hinunter in die Kommunalparlamente reicht. So erklärte Nina George vom europäischen Schriftsteller-Dachverband (EWC) nach dem Ausgang der Europawahl in DLF, dass man anstelle von reiner Kulturarbeit verstärkt politisch „gegen Rechts“ arbeiten müsse. Wie zu Zeiten der DDR-Opposition könnten Schreibmaschine und Kohlepapier für Durchschläge bald wieder Konjunktur haben. Wir dürfen gespannt bleiben, wann nach den erfolgreich umgesetzten „1984“ und „Fahrenheit 451“ nun auch „Soylent Green“ an der Reihe ist. Sarkasmus aus.
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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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