„Cancel Culture“ ist eine um sich greifende linksmoralistische Anmaßung, die zunehmend mehr Literaten trifft. Monika Maron wurde so von der DDR- zur BRD-Dissidentin.
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Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst der Cancel Culture. Das puritanische Phänomen, das den Entzug medialer Aufmerksamkeit einerseits und mediale Rufschädigung andererseits umfasst, bedeutet den Sieg der Gesinnung über rationale Urteilsfähigkeit: „Nicht die besseren Argumente zählen, sondern zunehmend zur Schau gestellte Haltung und richtige Moral“ heißt es im „Appell für freie Debattenräume“ der Publizisten Gunnar Kaiser und Milosz Matuschek, der sich seit kurzem gegen die Materialisation dieses Gespensts richtet. Zu den illustren Erstunterzeichnern gehören neben Autoren wie Monika Maron oder Günter Wallraff Politiker wie Boris Palmer (Grüne), Journalisten wie Harald Martenstein (Tagesspiegel/Zeit) und Alexander Kissler (NZZ), Satiriker wie Dieter Nuhr und Wissenschaftler wie Götz Aly (Historiker) oder Hartmut Esser (Soziologe). Jüngst knackte die Unterschriftenliste die 17.000er Marke.
Die Initiatoren sehen in Deutschland die Meinungsfreiheit bedroht und fordern „das freie Denken aus dem Würgegriff“ zu befreien, den sie „in pauschalen Demonstrationsverboten, der Zensur von Karikaturisten, der Ausladung von Kabarettisten und Maßnahmen von Verlagen, die Bücher aus ihrem Sortiment genommen oder aus Bestsellerlisten entfernt haben“, sehen. Sie wenden sich außerdem gegen das Phänomen der „Kontaktschuld“: Man werde nicht schon „mitschuldig“, wenn man mit einer Person, die für ihre Meinung in die Kritik geraten ist, auf einem Podium sitzt oder auf einer Unterschriftenliste steht. Hartmut Esser etwa schrieb auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung SZ, er sei schon auf Twitter darauf hingewiesen worden, „in welche ‚Gesellschaft‘ er sich mit seiner Unterschrift begeben habe – was aus seiner Sicht den Vorwurf des Appells bestätigt, dass inzwischen eine ‚Kontaktschuld‘ gelte“.
Wie nötig diese Befreiung aus dem Würgegriff ist, wurde Ende Oktober manifest, da sich der Münchner Karl-Heinz Brunner, der für die SPD im Bundestag sitzt, twitterwirksam an die Deutsche Bahn und Stroer wandte mit der Forderung, ein – ordnungsgemäß bezahltes und gebuchtes – Plakat auf dem Frankfurter Hauptbahnhof zu „canceln“. Darauf ist in weißer Schrift auf schwarzem Untergrund zu lesen: „I Love JK Rowling“; das „Love“ ist durch ein rotes Herz ersetzt. Brunners Kritik: „Diese Botschaft ist eine Provokation für alle queer|en Menschen. Es ist hinlänglich bekannt, dass J. K. Rowling gegen transidente Menschen hetzt.“
Mit „Hetze“ ist hier allerdings gemeint, dass die Harry-Potter-Erfinderin, eine begnadete Sprachspielerin, in einigen Tweets ankündigte, sie werde nicht mitmachen bei Marotten wie ausdifferenzierten Geschlechterbezeichnungen. So spottete sie beispielsweise über die Formulierung „Menschen, die menstruieren“. Warum, so fragte sie, sage man nicht wie seit Urzeiten einfach „Frau“. Seitdem wird sie bestürmt von selbst ernannten Sprachreformern und unerbittlichen Meinungswächtern. Rowling habe sich auf die Seite der dunklen Mächte geschlagen, diskriminiere Transsexuelle und sei ohnehin reaktionär. Von Gruppen, „die ihre eigene Ethik, Moral und Ausschlusskriterien haben“, schreibt der Schriftsteller Peter Schneider.
Für das sattsam bekannte Szeneportal queer könne die Liebeserklärung „als eine indirekte Hass-Deklaration gegen trans Menschen verstanden werden“. „I Love JK Rowling“ stünde in der Tradition anderer harmlos klingender Sprüche, die codiert eine bestimmte Gruppe mit einer versteckten Bedeutung ansprechen - sogenannte Hundepfeifen-Politik. Beispiele seien Sprüche wie „All Lives Matter“ (statt „Black Lives Matter“) oder auch „It's okay to be white“ (Es ist in Ordnung, weiß zu sein), „mit denen Rechtsradikale und Neo-Nazis ihre Ideologie in die politische Mitte tragen wollen“, so das Portal. Stunden später twitterte Brunner seinen vermeintlichen Sieg: „Heute Morgen hat mir die Fa. Stroer zugesichert, dass das Plakat auf meinen Hinweis entfernt wird. Toll!“
„Individuelle Sperroptionen“
Die Notwendigkeit dieser Befreiung wird inzwischen nahezu täglich greifbar an Beispielen der „Unkultur des Niederschreiens, des Ausladens und Löschens“, wie Alexander Grau im Cicero schrieb. Cora Stephan erkennt in der Jungen Freiheit gar „totalitäre Züge“, wie Angela Merkel in Thüringen bewiesen habe. Ob das Entfernen von Rolf Peter Sieferles „Finis Germania“ von der SPIEGEL-Bestsellerliste, ob das Rückgängigmachen der Wahl des PEN-Mitglieds Jörg Bernig als Kulturamtsleiter im sächsischen Radebeul, ob die Ausladung der Kabarettistin Lisa Eckardt, die laut FAZ „von Kopf bis Fuß aufs Böse eingestellt“ sei, aus der Hamburger Kleinkunstszene, ob der Shitstorm gegen den vorgeblichen Wissenschaftsleugner Dieter Nuhr – all das sind beängstigende Indizien einer Polarisierung, eines „Säuberungsfurors“ (Stephan), der den freien Meinungsaustausch erdrosselt und jeden Widerspruch denunziert. Besonders deutlich wahrnehmbar wurden diese Säuberungen - Rowling kann da als ausländisches Indiz gelten - zuletzt auf publizistischem, zumal literarischem Terrain.
So veröffentlichte das „Börsenblatt – Fachmagazin der Buchbranche“ im Spätsommer einen umfangreichen Artikel zum Thema „Auslistung im Onlineshop: Zwischen Meinungsfreiheit und Zensur“, bezogen auf „Titel von aggressiven Verschwörungstheoretikern oder neurechten Verlagen“. „Auslistung“ in einem Atemzug mit „Meinungsfreiheit“? Das ist kein Witz. „Individuelle Sperroptionen sollen jetzt für mehr Gestaltungsspielraum im Onlinesortiment sorgen“, heißt es. Illustrierend kommen „Buchhändler*innen“ zu Wort, die sich unisono begeistert zeigen. Ein Buchhändler Patrick Musial aus Recklinghausen meint etwa: „Sehr gut! Ganze Verlage sperren zu können, auch in der Bibliografie im Laden, wäre natürlich auch toll. Müssen ja nicht nur Kopp und Konsorten sein…“ Verlage sperren? Auch das ist kein Witz.
Dazu passt, dass der Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera mit seinem Buch „Klimawandel im Notstandsland – Biologische Realitäten widerlegen politische Utopien“ in diesem Jahr zu einer Druckerei nach Luxemburg auswandern musste, weil er in Deutschland keinen Verlag fand. Seine Vergehen: Er ist Mitglied im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, kritisiert die „Gender-Ideologie“ und lehnt die gleichgeschlechtliche Ehe ab – bei einem Adoptionsrecht für „Mann-Mann-Erotikvereinigungen“ sieht er „staatlich geförderte Pädophilie“ auf Deutschland zukommen. Im August wurde er der Beleidigung Homosexueller für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 6000 € verurteilt. Kutschera hatte das Verfahren zuvor als „Präzedenzfall der Abschaffung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit in diesem Land“ bezeichnet und angekündigt, den Fall falls nötig bis vor das Bundesverfassungsgericht zu tragen – Berufung hat er bereits eingelegt. Aber auch der Extremismus-Experte Karsten D. Hoffmann handelte sich 40 Absagen von Verlagen ein, bevor sein Buch „Gegenmacht. Die militante Linke und der kommende Aufstand“ erscheinen konnte.
„Es geht um Einschüchterung“
Im Oktober nun traf der Furor gleich zwei Personen, zunächst den Übersetzer und Musikkritiker Helmut Mauró. Er hatte sich in der SZ kritisch mit dem 33-jährigen Starpianisten Igor Levit auseinandergesetzt, der auf seiner Webseite - in dieser Reihenfolge – sich als „Bürger, Europäer, Pianist“ präsentiert und auf seinem Twitter-Account, dessen Profilbild eine erhobene schwarze Faust zeigt, alle paar Stunden etwas zu Flüchtlingen, Gender, Alltagsmasken und – vor allem – zum „Kampf gegen Rechts“ postet. Legendär ist Levits wiederholte Aussage, AfD-Mitglieder hätten „ihr Menschsein verwirkt“. Prompt fragt sich Mauró, ob Levits politisch genehme Twitterei maßgeblich die Karriere des Pianisten befördert hat, und ob das Bundesverdienstkreuz, das Levit diesen Monat verliehen wurde, nicht eher dessen „Haltung“ ehrte als dessen Leistungen als Musiker. Sein Engagement gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus sei nichts als „ein lustiges Hobby“ und dessen Empathie mit dem Opfer eines antisemitischen Anschlags in Hamburg jüngst nur mediales Kalkül. Kurz gesagt, Levit genieße eine mediale Aufmerksamkeit, die seinem Rang als Pianist nicht entspräche.
Hartmut Welscher schlug im DLF übrigens in eine ähnliche Kerbe: „Tatsächlich aber sticht Levit vor allem deshalb heraus, weil er wie kein anderer klassischer Musiker bereit ist, sich auf die Spielregeln der Aufmerksamkeitsökonomie einzulassen.“ Selbst Axel Brüggemann befand in einem SWR2-Kommentar, dass es in Musikerkreisen rumore, wo viele nicht gut auf Igor Levit zu sprechen seien: Die Twitter-Hauskonzerte zu Beginn der Pandemie entwerteten die Kunst, die Selbstinszenierung komme am Ende nur dem Pianisten und der Vermarktung seiner „zuweilen sehr manierierten Interpretationen“ zugute. Eine „toxische Verquickung von Politischem und Ästhetischem“ konstatiert Christine Lemke-Matwey in der Zeit. Das Problem: Levit ist Jude, prompt wurde Maurós Kritik für antisemitisch gehalten – es fiel der Begriff „Opferanspruchsideologie“. Dann wurde gesagt, dem Autor sei es in Wahrheit darum gegangen, den Künstler für sein Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus zu diffamieren. Von dort war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Behauptung, die SZ betreibe die Sache der Rechten.
Auf den prompten Shitstorm verteidigte die Redaktion erst den Text und sah ihn durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Drei Tage später antwortete die Chefredaktion mit einer Entschuldigung, entzog ihrem Autor den Schutz – und zog damit erst recht Unmut auf sich. „Sie hat sich nicht dem Druck der Argumente, sondern dem von Personen in ihrer schieren Masse gebeugt. Von einem journalistischen Standpunkt lässt solch ein Verhalten nichts erkennen. Wenn die Redaktion Maurós Text als legitim ansähe, könnte sie die Gegenmeinungen dokumentieren, sich die Entschuldigung aber sparen. Wenn nicht, lautet die Frage, wie der Text, der gewiss nicht aus der Laune des Augenblicks entstanden ist, überhaupt ins Blatt gelangen konnte. In jedem Fall ist das Verhalten der Redaktion unverantwortlich“, konstatiert Jan Brachmann in der FAZ.
„Weniger beherzte Redakteure werden sich nächstes Mal genau überlegen, ob sie sich trauen wollen, über einen Helden der Szene einen bösen Satz zu schreiben. Es geht um Einschüchterung, das ist der wahre Zweck der Übung, alles andere ist rhetorisches Trallala“, zürnt Jan Fleischhauer im Focus. Er versteht nicht, „dass sie nun den Abdruck eines Textes bedauerten, den sie selbst ins Blatt gehoben und vor wenigen Tagen noch vehement verteidigt hatten? So war die Entschuldigung auch eine Bankrotterklärung der eigenen Lese- und Urteilskompetenz.“ Kolja Zydatiss befindet auf achgut: „Empörte Twitter-Nutzer sollten nicht zur de facto Chefredaktion von Zeitungen befördert werden, und Herausgeber sollten zu ihren Entscheidungen stehen und nicht ihre Autoren der Meute zum Fraß vorwerfen, sobald es Kontroversen gibt.“
„politisch unberechenbar“
Die zweite Ausgestoßene war nun just eine der Erstunterzeichnerinnen des Appells für freie Debattenräume: Der Fischer Verlag trennte sich nach fast 40 Jahren von seiner 79-jährigen Autorin Monika Maron. Sie hat einen festen Platz in der Literaturgeschichte spätestens seit dem Roman „Flugasche“, in dem sie 1981 die Umweltzerstörungen in der DDR geißelte und den, von der DDR-Zensur verboten, eben jener westdeutsche Fischer Verlag veröffentlichte - der seine berühmte Autorin jetzt nicht mehr drucken will. Die Begründung ist so scheinheilig wie vorgeschoben. Laut FAZ wurde dem Agenten der Schriftstellerin zur Begründung mitgeteilt, sie sei „politisch unberechenbar“. Verlegerin Siv Bublitz wird in der BZ so zitiert: „Für eine gemeinsame Zukunft fehlt das Vertrauen“. Denn Maron hat – keineswegs vertragswidrig – ein paar alte Texte nachdrucken lassen im Verlag Buchhaus Loschwitz ihrer Freundin Susanne Dagen. Was für ein Frevel!
Die islam- und migrationskritische Buchhändlerin, die 2015 und 2016 den Deutschen Buchhandlungspreis in der Kategorie „Besonders herausragende Buchhandlung“ gewann, saß eine Zeit lang im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und sitzt für die Freien Wähler im Dresdner Stadtrat. Überregionale Bekanntheit erlangte sie, als sie den offenen Brief „Charta 2017“ initiierte, der Störaktionen gegen neurechte Verlage auf der Frankfurter Buchmesse verurteilte. Dagens Kleinverlag hat keinen Vertrieb. Den übernimmt u.a. die Versandbuchhandlung Antaios des umstrittenen Höcke-Freundes Götz Kubitschek – wo man natürlich auch alle S.Fischer-Romane bestellen kann. Alle Verlage generieren durchaus nennenswerte Umsätze auch mit Versandbuchhändlern wie Antaios oder Kopp, die sich wiederum von Barsortimentern beliefern lassen. Es wird von den Verlagen nur schamhaft verschwiegen. „Seit wann stinkt Geld! Monika Maron aber wird abgestraft“, so Wolfgang Herles auf Tichys Einblick.
Marons Themen Islamisten, illegale Zuwanderung, Gender-Deutsch würden zwar „auf der Gasse“ diskutiert – aber eben nicht korrekt genug. „Waren Widerborstigkeit, Unabhängigkeit und Unangepasstheit einstmals wichtige Sekundärtugenden in diesem Gewerbe, gelten sie heute schlicht als rechts“, so Herles. Die Trierer Germanistin Andrea Geier bekräftigt das indirekt im DLF: „Es gibt produktiv provokative Beiträge in der Debattenkultur und es gibt abseitige. Die kann man auseinanderhalten.“ Für wie wichtig aber „Angepasstheit“ heute gilt, offenbarte eine journalistische Zumutung zu Marons „Canceln“ von Marie Schmidt in der SZ: „…man passt sich nicht an. Diese Haltung hat sie immer beibehalten. Aber die Welt passt nicht mehr dazu, heute wirkt das nicht mehr wahrhaftig, es lässt ihren Blick auf die Menschen und ihre Anliegen schräg wirken.“ Das ist ebenfalls kein Witz.
Früher wären nach so einem Rausschmiss Kollegen der Autorin auf die Barrikaden gestiegen. In der neuen Normalität rührten sich nur wenige. Die inzwischen selbst umstrittenen Autoren Jörg Bernig und Uwe Tellkamp solidarisierten sich sofort in einem offenen Brief mit Monika Maron und zugleich mit Susanne Dagen. Sie „stellen eine Verwahrlosung und gewalttätige Aufladung der Berichterstattung und Kommentierung fest, wenn über Positionen und Menschen geschrieben und gesprochen wird, die sich kritisch zu problematischen Entwicklungen in diesem Land äußern“, blicken mit großer Sorge „auf uns nachgerufene Formulierungen wie: ‚pegidafiziert‘, ‚rassistisch‘, ‚ausländerfeindlich’“ und rufen zur Mäßigung auf. Katja Lange-Müller, die wie Maron in den 80er Jahren aus der DDR in die Bundesrepublik ging, kritisierte in der Zeit ebenfalls den Umgang mit Maron.
Die Autorin und Moderatorin des literarischen Quartetts (ZDF), Thea Dorn, bezeichnete die Entscheidung als „fatales Einschüchterungssignal“ an alle Autoren: „Wehe, ihr wandelt auf Abwegen! Wehe, ihr verstoßt gegen das moralische Reinheitsgebot!“ Sie frage sich, „wie in einem solchen Klima Literatur und Kunst noch gedeihen sollen, wie die immer krassere Polarisierung der Gesellschaft aufgehalten werden soll“. Immerhin noch ein paar Granden des Journalismus gingen auch in die Bütt. Einen „herzenskalten Akt“ erkennt Iris Radisch in der Zeit. Jürgen Kaube nennt die Entscheidung in der FAZ „unsouverän, maßlos und vielleicht auch unehrlich“ und fragt zu Recht: „Wie berechenbar sind denn nun umgekehrt Verlage, die sich einer Tradition mit Werten rühmen?“ Der Münchner Historiker Michael Wolfssohn verwies unter dem Stichworte „Werte“ darauf, dass Verlagsgründer Georg von Holtzbrinck, zu dessen Imperium Fischer inzwischen gehört, als NSDAP-Mitglied mit der Deutschen Arbeitsfront sowie der Wehrmacht gute Geschäfte machte, und forderte den Verlag auf, sich bei Monika Maron zu entschuldigen. Das war’s. Beschämend, konstatiert Herles: „Die Meinungsfreiheit wird nicht einmal von denen verteidigt, die davon leben.“
„Er war mein Leben“
„Beides sind Glaubensfragen, Lagerfragen, unüberwindbar. Wer Levit verteidigt, wer ihn gegen den verschwurbelt antisemitischen Ton der SZ-Kritik in Schutz nimmt (es sind AfDler und andere Neu-Rechte, über die Levit sich in seinen Tweets aufregt), der kann ja wohl nicht gleichzeitig auf Seiten Marons sein, die einen Essayband im Buchhaus Loschwitz publiziert hat, einem Pegida- und AfD-nahen Kleinverlag“, kommentiert Christiane Peitz im Tagesspiegel unter der verräterischen Überschrift „Was die Fälle Maron und Levit verbindet“. Denn ursächlich war die Tatsache, dass das Buchhaus Loschwitz zum Umfeld von Götz Kubitscheks Antaios-Verlag gehört. Mit dessen „völkischen und rassistischen Diskursen“ will Fischer nicht assoziiert werden, „auch nicht mittelbar“, so Bublitz. Die Erfahrungen der NS-Diktatur hätten das Geschichtsbewusstsein des Hauses Fischer geprägt: „Es ging eben nicht um Inhalte, sondern um Monika Marons Publikation in einem Netzwerk, das wir für gefährlich halten. … Wir wollten eine klare Distanzierung von einem publizistischen Netzwerk, in dem völkisch und rassistisch argumentiert wird.“ Auch das ist kein Witz.
Patrick Bahners erkennt in der FAZ „Leerformeln, wie man sie aus Absagebriefen in Bewerbungsverfahren kennt, wenn unangenehme Wahrheiten nicht ausgesprochen werden sollen“. Die Verwendung der Verfassungsschutz-Schlagworte „völkisch“ und „rassistisch“ erlaube es Bublitz zudem, die Fiktion aufrechtzuerhalten, der Verlag missbillige nicht Marons Ansichten, sondern nur ihre sozialen Kontakte – „als wäre sie ein Teenager, der sich mit den falschen Leuten herumtreibt“, erregt sich Bahners. Politische Unberechenbarkeit und Kontaktschuld über zwei Ecken - das reicht heute offenbar, eine mutige ehemalige DDR-Dissidentin, die sich selbst als „freiheitssüchtig“, „demokratisch“ und „liberal“ bezeichnet, und die nie etwas auch nur annährend rechtsradikales, verfassungsfeindliches oder ähnliches geäußert hat, aus dem Programm eines renommierten Verlags fliegen zu lassen.
Monika Maron hat Bücher geschrieben, die zur Schullektüre wurden: „Stille Zeile sechs“ etwa, den Roman über eine Historikerin, die einem DDR-Funktionär die Memoiren schrieb. In „Pawels Briefe“ setzte sie ihrem jüdischen Großvater ein literarisches Denkmal. Bei Fischer erschienen auch ihre Essays über die Deutsche Einheit und die Ostdeutschen, etwa mit der Forderung, diese endlich „aus ihrem Kollektivstatus in die Individualität zu entlassen“. In der FAZ wurde inzwischen klargestellt, dass Götz Kubitschek weder den Vertrieb der im Fokus stehenden Bücherreihe „Exil“ organisiert noch die Autorin eine Vertriebskoordination geduldet habe. Kubitschek selbst habe noch nicht einmal am Umsatz partizipiert. Auch die von Durs Grünbein im DLF verbreitete Behauptung, sie sei Gast bei einem rechtsliterarischen Terzett gewesen, in der ihre Buchreihe vorgestellt worden sei, ist eine Falschmeldung. Dennoch behauptet der Tagesspiegel: „Das Nichtwissen Marons ist unglaubwürdig“.
„Er war mein Leben“, sagt die derart Gemaßregelte in der WamS zu ihrem Ex-Verlag, spricht dort von „Rausschmiss“ und vermutet als Grund ihre „politischen Äußerungen zum Islam und zur Flüchtlingspolitik“. „Man wechselt ja nicht einfach einen Verlag, bei dem man seit Jahrzehnten ist. Und ich hänge auch an dem Verlag. Und außerdem: Ich werde 80 Jahre alt, die haben meine ganze Backlist. Da geht man doch nicht einfach weg. Man bleibt doch auch bei seinen Büchern“, erklärt sie später im DLF. Der Kritik, dass sie islamfeindlich sei, widerspricht sie entschieden: „Ich bin islamkritisch überall da, wo der Islam politisch und weltlich wird, wo er weltliche Ansprüche stellt, wo er Frauen unterdrückt. Das ist doch nicht rechts. Das wäre links. Das sind Verfassungsbedingungen.“ Sie sehe sich auch in keiner Weise dem rechten Spektrum zugehörig: „Außer man hält inzwischen alles für rechts, was nicht links ist – und jede kritische Nachfrage zu irgendwas gilt dann plötzlich als rechts.“ Wer ihr das Etikett rechts anklebe, müsse ihr das beweisen: „Da möchte ich Textstellen sehen, die unmöglich sind, die das Maß, was eine normale Argumentation und Diskussion betrifft, überschreiten.“
Textarbeit, Hermeneutik - sie muss endlich wieder angemahnt und eingefordert werden, wie selbst Durs Grünbein in der Zeit eingestehen musste: „Wir müssen wieder lernen, über Texte zu reden, nicht über Haltungen.“ Denn: „Wo keine Gründe gegeben werden, wo Formeln suggerieren, jeder wisse doch sowieso, wovon man rede, da breiten sich Irrtümer und Gerüchte aus. So kommt es, wenn man den Verdacht zur Herrschaft gelangen lässt“, befindet Bahners. Wann hat seit 1945 ein angesehener deutscher Verlag einem seiner Autoren aus politischen Gründen gekündigt? „Mit diesem Vorgang tut sich ein Abgrund auf“, entsetzt sich Harald Martenstein im Tagesspiegel. Pikant: Zu Zeiten, da ein SPD-Bundespräsident eine linksextremistische Ost-Band wie „Feine Sahne Fischfilet“ empfiehlt, hat bislang kein Politiker erkennen lassen, dass er Maron als Vertreterin der Ost-Bürgerbewegung unterstützt. Unterdessen hat Verlagsleiterin Siv Bublitz in einem Brief an die Autorinnen und Autoren von S. Fischer die Trennung von Maron noch einmal verteidigt.
Eine gute Nachricht könnte sein: Jenseits des Twitter-Strebertums, das in Wirklichkeit nichts weiter ist als „ordinärer Konformismus“ (Fleischhauer), könnte Literatur plötzlich wieder an Bedeutung gewinnen. Die schlechte Nachricht aber ist: Der Grundsatz, dass in einer Demokratie, die Meinungspluralität zu ihren Grundsätzen zählt, Meinungen auch von jenen ausgehalten werden müssen, die sie nicht teilen, gilt offenbar nicht mehr – nach der „Charta 2017“ und der „Dresdner Erklärung“ 2018 ist dies bereits der dritte, diesmal lagerübergreifende Mahnruf mit namhaften Unterstützern.
„Es geht um Macht und Deutungsmacht“, sagt Maron in der Welt und spricht gar von „vorauseilendem Meinungsgehorsam“ wie weiland in der DDR. Sie hätte auch sagen können, dass es weder um Ideologie geschweige Ideale, sondern um Pfründe geht. Was bedeutet es aber gerade für junge, noch unerfahrene Kreative, wenn die politische Disziplinierungsmaschine immer hypersensibler wird und man sich ständig fragen muss, ob man einen Fehltritt begeht, der einen ins soziale, ja gar ökonomische Abseits führt? „Die Sache mit der Schuld ist wie ein Hütchenspiel. Es gewinnt immer, der sie verteilt“, hieß es 2013 in Marons Roman „Zwischenspiel“. Darüber mag man ein Weilchen nachsinnen.
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Über den Autor:
Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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