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Thomas Hartung: "ARBEIT AM SOZIALEN FRIEDEN"

Die minderheitenfreundlich getarnte Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ungarns einerseits – die Feigheit vor tatsächlich homophoben Nationen andererseits: Nie entlarvten sich Doppelmoral und Gratismut westlicher Dekadenz besser als unter dem Symbol des Regenbogens im „Pride Month“.



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Da verabschiedete sich also der selbsternannte Moralweltmeister namens „Die Mannschaft“ sang- und klanglos von der „Euro 2020“ just mit dem Ende jenes „Pride Month“ Juni, der alles und jeden, ob gewollt oder nicht, mit einer quietschbunten Regenbogensoße übergoss: Die Größe der Gesten durfte locker die Zahl der Tore übersteigen – auch wenn es nur mit letzteren etwas zu gewinnen gab. „Es ist mir unerträglich, dass sich als deutscher Staatsbürger und Sportpolitiker mein Bedauern über das Ausscheiden in Grenzen hält“, ärgerte sich der sportpolitische AfD-Fraktionssprecher Baden-Württembergs Hans-Peter Hörner MdL. „Es besteht die reale Gefahr, dass die Regenbogenflagge am Ende mehr polarisiert als zusammenführt“, muss selbst die Geschäftsführerin der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association ILGA, Evelyne Paradis, im ipg-journal zugeben.


Der Monat, der eigentlich an die Krawalle nach der Polizeikontrolle der Schwulenbar „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New York am 28. Juni 1969 erinnern soll, hat sich längst seinem Ursprung entfremdet, ja mehr noch: „Der Beschwörungs- und Betroffenheitshumanismus der Meinungsindustrie ist gar kein Humanismus. Er ist die radikale Verkehrung in sein Gegenteil“, wird Monika Hausammann im Schweizer Monat sehr deutlich. Aus der Debatte um die Sichtbarmachung/Gleichberechtigung nichtheterosexueller Menschen, die selbst bei wohlwollender Schätzung (2016) höchstens 7,4 % der deutschen Bevölkerung stellen (noch bei EMNID waren es 2000 gerade mal 1,9 %), ist die identitätspolitische Politisierung, ja ökonomische Funktionalisierung einer Minderheit geworden, die langsam pathologische Züge annimmt.


Die Verlogenheit der Marketingperspektive tritt schon allein dadurch zutage, dass Autohersteller wie BMW, Audi oder VW, aber auch andere Firmen wie Siemens, für den „Pride-Monat“ ihre Logos mit den Farben des Regenbogens unterlegten – die arabischen Länder, in denen Homosexualität unter Strafe steht, jedoch ausließen: Man spricht vom „virtue signaling“, also dem bloßen Zurschaustellen der eigenen Tugendhaftigkeit. DFB-Kapitän Manuel Neuer sitzt mit seiner Regenbogen-Binde vor einer Sponsoren-Wand mit dem Logo von Qatar Airways - die Staatsairline jener absoluten Monarchie, in der Homosexualität als „Sodomie“ verboten ist und unter Gefängnisstrafe steht. Ob er die Binde nächstes Jahr auch zur WM in Qatar trägt?


Regenbogen-Marketing nur da als „mutiger“ Protest, wo er allgemein gefeiert wird. Das ist so, als würde man sich bei jeder Gelegenheit auf die Lehren des Holocaust berufen, nur wenn Juden in Deutschland in Gefahr durch Islamisten sind, dann…


Der „Pride Month“ stellt die Doppelmoral in der westlichen Welt zur Schau. Hierzulande schmückt man sich mit Gratismut, propagiert eine Einstellung, der wirklich nur ein minimaler Teil der Bevölkerung widerspricht. Wo Schwulenrechte sowieso gelten und sogar die „Ehe für alle“ möglich ist, da kämpft man gegen Homophobie. Dort, wo Schwule inhaftiert, gefoltert, hingerichtet werden, ist man hingegen brüllend still: Pinkwashing, ja Queerbaiting. Da toben Linke natürlich, dass sich auch die europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex unter dem Regenbogen niedergelassen hat: sie sorge dafür, dass unzählige Menschen dorthin zurückkehren mussten, wo sie verfolgt wurden - etwa für ihre sexuelle Orientierung, oder ihre Hautfarbe, empört sich Simone Meier auf dem Portal watson.



„Dieses Gesetz ist eine Schande“


Die identitätspolitische Perspektive setzte dieser Doppelmoral dann sowohl diplomatisch als auch sportlich die Krone auf. Anlass war ein Gesetz der ungarische Regierungspartei Fidesz zu einem Werbeverbot für Geschlechtsumwandlungen und Homosexualität unter Minderjährigen. Demnach sollen künftig sogenannte Bildungsprogramme und Werbung von Großunternehmen, die sich mit Homosexuellen solidarisieren, verboten werden. Wie könnten auch Hunderttausende kleiner Ungarn zu verantwortungsbewussten Frauen und Männern werden, ohne wie ihre deutschen Nachbarn schon im Kindergarten mit Büchern wie „Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“, Drag-Queen-Vorlesestunden oder Theaterstücken über Analsex beglückt zu werden, ergötzt sich David Bendels in der Jungen Freiheit JF. Nach einem im Dezember angenommenen Gesetzespaket, das gleichgeschlechtlichen Paaren die Adoption von Kindern verbietet, ist dies ein weiterer Schritt der ungarischen Regierung, der international für Empörung sorgt.


Ein Bündnis verschiedener Nichtregierungsorganisationen, darunter auch Amnesty International, warf Ungarn eine Beschneidung der Meinungsfreiheit und der „Kinderrechte“ vor: „Die Regierung wendet sich gegen ihre eigenen Bürger, indem sie dem Beispiel Russlands oder Chinas folgt.“ Der Redaktionsleiter des ARD-Magazins Monitor, Georg Restle, regte an, dass der DFB beim Spiel der deutschen Nationalelf am 23. Juni gegen Ungarn Regenbogenflaggen als Zeichen der Unterstützung von Homosexuellen verteilen solle. „Ihr seid doch so für Diversität. Wie wär`s: Eine Regenbogenflagge für jeden Fan im Stadion? Dann kriegt das auch Herr Orbán mit“, schrieb Restle auf Twitter. „Wollen wir auch eine eigene Farbsprache für Raucher, Veganer oder Mobbingopfer etablieren“, fragte Baden-Württembergs AfD-Fraktionschef Bernd Gögel MdL.


Bei dem Turnier stellte sich Ungarn von Anbeginn gegen den Strom: Anders als beispielsweise die Nationalelf von England kniete sie vor dem Anpfiff nicht nieder. Mit der Geste, die sich durch die „Black Lives Matter“-Bewegung weltweit verbreitete, protestieren seit rund zwei Jahren Sportler gegen angeblichen Rassismus. Prompt fuhr auf das Land ein geballtes europäisches Unwetter nieder: „Dieses Gesetz ist eine Schande“ vergriff sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Ton, gab damit aber den Tenor der Debatte vor. Rund die Hälfte der 27 EU-Staaten einschließlich Deutschland forderte die Europäische Kommission auf, umgehend dagegen vorzugehen.


Laut Ministerpräsident Viktor Orbán richtet sich das Gesetz nicht gegen Homosexuelle, auch werden sexuelle Minderheiten in seinem Land nicht diskriminiert: „Im kommunistischen Ungarn wurden homosexuelle Menschen verfolgt. Heute garantiert der Staat nicht nur die Rechte von Homosexuellen, sondern er schützt sie aktiv. Die Freiheit des Einzelnen ist das höchste Gut.“ Jeder Mensch müsse sich „fraglos“ frei für seinen Lebensweg entscheiden dürfen. Die Aufklärung heranwachsender Kinder gehöre aber ins Elternhaus. „Wir schützen diese Aufgabe der Eltern“, sagte Orbán.


Dieser Streit verknüpfte sich natürlich mit der Debatte um die Regenbogenbeleuchtung des Münchner EM-Stadions. Orbán appellierte an die deutsche Politik, das UEFA-Verbot für eine Beleuchtung des Münchner EM-Stadions in Regenbogenfarben zu akzeptieren. Denn die Europäische Fußball-Union UEFA hatte einen Antrag von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) abgelehnt, die Münchner Arena beim Spiel der deutschen Mannschaft in Regenbogenfarben zu erleuchten. Sie sei „aufgrund ihrer Statuten eine politisch und religiös neutrale Organisation. Angesichts des politischen Kontextes dieser speziellen Anfrage - eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen Parlaments abzielt - muss die UEFA diese Anfrage ablehnen“. „Ob das Münchner Fußballstadion oder ein anderes europäisches Stadion in Regenbogenfarben leuchtet, ist keine staatliche Entscheidung“, bekräftigte Orbán gegenüber dpa. Prompt erfuhr auch die UEFA einen minderheitsfeindlichen Shitstorm.



„Gratis-Mut ist überhaupt kein Mut“


Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte „das nicht bewerten“. Sie könne nur feststellen, dass die UEFA einen Unterschied mache zwischen der Stadionfrage und einer Binde in Regenbogenfarben, wie sie der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, Manuel Neuer, trägt. Sie verschwieg, dass die UEFA daraufhin gegen ihn ermittelte, da die Armbinde als politisches Zeichen verstanden werden könnte. Die Regenbogenbinde werde „als Zeichen der Mannschaft für Vielfalt und damit für einen ,good cause‘ (guten Zweck) bewertet“, teilte der DFB via Twitter mit, nach dem die Ermittlungen eingestellt worden waren. Auch zu dem ungarischen Gesetz fand die Bundeskanzlerin deutliche Worte: „Ich halte dieses Gesetz für falsch und auch mit meiner Vorstellung von Politik nicht vereinbar.“ Wenn Ungarn homosexuelle Lebenspartnerschaften einerseits erlaube, aber die Aufklärung darüber einschränke, habe das auch mit der Freiheit von Bildung zu tun und sei für sie etwas, dass sie politisch ablehne.


Auch die FDP-Bundestagsfraktion schloss sich an. Auf Twitter fordern die Liberalen, dass bei Treffern der deutschen Mannschaft Lieder mit Homosexuellen-Bezug eingespielt werden sollen – so zum Beispiel „YMCA“ von den Village People oder „I want to break free“ von Queen. Es war die FDP, die bereits die Beleuchtung der Allianzarena in München gefordert hatte – nach Willen der Freien Demokraten soll nicht nur um, sondern auch auf dem Platz politisiert werden. Schon die politische Kritik am Gesetz der Regierung Orbán ist etwas, das in eine Botschaft oder ein politisches Gremium, nicht aber auf einen Fußballplatz gehört. Doch die FDP im Bundestag will noch über Kritik hinausgehen: Jedes deutsche Tor soll umfunktioniert werden zu einem Schuss auf Budapest und die ungarische Politik, jeder Treffer auch eine Demütigung des ungarischen Staates werden.

Denn schwule Torhymnen wären nichts anderes als eine Umdeutung jedes deutschen Tores zu einem politischen Triumph gegen die Ungarn. Von einer EM als Völkerfest bleibt so nicht mehr viel übrig – die Ungarn, die als Gäste zu uns kommen, sollen durch die sich selbst als moralisch überlegen sehenden Deutschen vorgeführt werden. Und ausgerechnet die „Europapartei“ FDP ist an vorderster Front dabei, wenn es darum geht, Zwietracht zu säen. Passend dazu werden die Ungarn während ihrer Nationalhymne ausgepfiffen. Auch Gögel stört an dem Münchner Antrag vor allem die Arroganz, ein Land zu demütigen. Der Stadtrat maße sich an, einem souveränen Staat mit eigener Gesetzgebung seine Moral vorzuschreiben: „Dieses zwanghafte ‚Haltungzeigen‘ zu natürlichen Gegebenheiten politisiert und spaltet die Gesellschaft“.


Das muss selbst Paradis zugeben: „Wenn zugelassen wird, dass die Flagge und die LGBTI-Rechte zum Sinnbild einer ‚Wir gegen die‘-Debatte gerät, wird dabei nichts Gutes herauskommen.“ So gab Polen bekannt, dass es an einem Anti-LGBTI-Gesetz nach ungarischem Zuschnitt arbeite. „Wenn wir die Regenbogenflagge dazu benutzen, ganze Länder an den Pranger zu stellen, tragen wir vielleicht unabsichtlich zur Isolierung der LGBTI-Personen in Ländern wie Polen und Ungarn bei, statt Menschen zusammenzubringen, die sich für Gleichberechtigung starkmachen“, erkennt Paradis und kommt zielsicher auf den Punkt: „Eine Flagge zu schwenken ist viel einfacher, als sich darüber klar zu werden, wie man … Finanzregularien so ändern kann, dass LGBTI-Aktivisten in Ländern wie Ungarn, Polen und Bulgarien leichter an die Gelder kommen, die sie brauchen.“ Gelder? Soso.

Auch von kirchlicher Seite regte sich Kritik. „Jeder, der nicht der Gender-Ideologie mit ihren 1000 Fantasy-Geschlechtern der sogenannten Homo-,Ehe‘ und der Indoktrinierung von unschuldigen Kindern zustimmt, wird an den Pranger gestellt, ausgegrenzt und muss mit gesellschaftlichen und beruflichen Nachteilen rechnen. In so einer Zeit ist es sehr unangebracht, diese Fahne zu hissen“, erklärte Patrick Martin, Diakon beim Erzbistum Bamberg, auf Facebook. „Gratis-Mut ist überhaupt kein Mut. Sondern nur da zur eitlen Selbstbeweihräucherung – hier in Form von Selbstbeleuchtung“, knirscht Fritz Goergen auf Tichys Einblick TE mit den Zähnen.


„Aus einem Fußballspiel gegen Ungarn wurde ein politisches Regenbogen-Spektakel gegen Victor Orbáns konservativen Kurs in der Flüchtlings- und Familienpolitik“, erkennt Achijah Zorn auf TE. Selbst Reinhard Müller ärgert sich in der FAZ: „… das breite Eindreschen auf die UEFA, die das Erleuchten des Münchner Stadions in Regenbogenfarben aus Protest gegen die Politik des ungarischen Regierungschefs abgelehnt hat, ist so bigott wie billig. Niemand hindert den wandelbaren bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder daran, Orbán im Regenbogenkostüm zu begrüßen. Niemand hindert die Bundeskanzlerin, deren Sprecher sich auch geäußert hat, daran, das Wachbataillon beim nächsten Staatsbesuch kunterbunt antreten zu lassen.“ Apropos Besuch: Orbán sagte seine Reise zum EM-Spiel nach München ob dieser Umstände ab.


Die Debatte, die keine war, blendete daneben alles aus, was wir den mutigen Ungarn verdanken. „Wie können wir vergessen, dass wir Deutschen es den mutigen Ungarn verdanken, dass der Eiserne Vorhang des Warschauer Paktes 1989 eingerissen und der Weg zum Mauerfall und Wiedervereinigung geebnet wurde“, fragte Dieter Stein in der JF und erinnerte daran, dass am 27. Juni 1989 der reformorientierte ungarische Außenminister Gyula Horn mit dem österreichischen Außenminister Alois Mock den Signalzaun der ungarischen Sperranlagen nach Österreich durchtrennte und dass es beim von ungarischen Oppositionellen organisierten Paneuropafrühstück in Sopron am 19. August 1989 dann zur historischen Öffnung des Grenzzauns und zur ersten Massenflucht von fast eintausend DDR-Bürgern nach Westen kam.


Angesichts dessen ist fast absurd, dem Land aktuell eine Abkehr von der Freiheit zu unterstellen: Der Verein „Reporter ohne Grenzen“ führte in seiner Liste der „Feinde der Pressefreiheit“ Anfang Juli mit Orbán erstmals einen Regierungschef aus der Europäischen Union auf. Festgemacht wird das nicht an inhaltlichen Kriterien, sondern organisationalen öffentlich-rechtlichen (!) Medienstrukturen. Damit wird also praktizierter Konservatismus inzwischen als „rücksichtslose Unterdrückung der Pressefreiheit“ verunglimpft. Und das von einer Organisation, die nach Recherchen der linken junge welt von US-Multimilliardär George Soros finanziert wird, der mit Orbán erwiesenermaßen auf Kriegsfuß steht, und deren Etat schon vor knapp 20 Jahren zu einem Viertel vom französischen Staat und von der EU getragen wurde.



„für sein Verhalten schämen“


„Wir Ungarn glauben nicht, dass die Deutschen allesamt verrückt geworden sind“ beeilt sich Mariann Őry in der Magyar Hírlap zu versichern. „Aber es gibt einen erstaunlichen Gruppendruck, und wer sich der Hysterie nicht anschließt, wird zum Aussätzigen. Der saarländische Ministerpräsident wollte sich an die Spitze der anderen setzen, und verkündete deshalb stolz, er habe die Weihnachtsgrußkarte von Viktor Orbán in den Papierkorb geworfen. Vielleicht wird er sich in einem seiner besseren Momente für sein Verhalten schämen.“ Der Autor hegt daran große Zweifel.


Deutschland, so muss man erinnern, befand sich schon mehrmals in Situationen, da sportliche Großveranstaltungen, zumal olympische Spiele, politisch funktionalisiert wurden: 1936, 1980 und 1984 - was jedes Mal in die machtpolitische Anmaßung der einen führte, den anderen ihre Perspektive aufzunötigen. Und das tat die Republik auch diesmal ausgiebig. Eine Reihe anderer deutscher Fußballstadien und öffentlicher Gebäude leuchtete am Abend in Regenbogenfarben. Die Vertretung der EU-Kommission in Deutschland hisste an ihrem Berliner Standort die Regenbogen-Flagge. Der Lesben- und Schwulenverband Bayern protestierte vor der Münchner Arena, die Menschrechtsorganisation Amnesty International versuchte 10.000 Regenbogen-Fahnen am Stadion zu verteilen – doch wurde nur wenige los.


DFB-Kapitän Manuel Neuer kündigte an, als „Zeichen gegen Rassismus“ auch vor dem Anpfiff des Achtelfinals gegen England kollektiv in die Knie zu gehen und mit Regenbogenbinde zu spielen. Der Stern freute sich noch, dass die DFB-Elf „endlich“ mal politisch wird. Aber in wessen Sinne, und aus welcher Perspektive? Diese Elf hat sich spätestens seit ihrer Umbenennung 2016 in eine wesen- und seelenlose „Mannschaft“ ins sportliche Mittelmaß herabbegeben und erntete mit dem Ausscheiden die Früchte ihrer Politisierung. Aus Fußball-Unterhaltung wurde Polit-Haltung; leider nichts Neues in der deutschen Geschichte. „Denn wer sein eigenes Volk nicht achtet, hat die Achtung seines Volks auch nicht verdient. Aber beim Toreverhüten bei gleichzeitigem Toreschießen braucht man eben keine europäische, sondern eine nationale Lösung!“, meint Hörner.


Zorn verwies dabei völlig zu Recht auf die Ambivalenz des DFB, dessen Scout-Politik im professionellen Fußball-Milliarden-Betrieb für einen konsequenten Kurs jenseits der Regenbogen-Ideologie steht: Abgrenzen von Geschlechtern, Altersgruppen, Behinderungen. Nur so kommt man zu funktionierenden Fußball-Ligen und international konkurrenzfähigen Leistungen. „Ich kenne keinen Bundesligaverein, der seine Grenzen geöffnet hat und allen Fußballspielern zusagt: ‚Im Namen der Vielfalt – wir nehmen euch alle in unseren Kader auf‘“, weiß Zorn. Da kann man ob ihrer Herkunft oder ihres Alters durchaus fragwürdige Spieler wie Jatta (HSV), Mvumpa (VfB Stuttgart) oder Moukoko (BVB) schon mal unterschlagen.


Wie sehr die Debatte inzwischen aus dem Ruder gelaufen ist, zeigte allein die Tatsache, dass jetzt auch schon sportpolitisch offenbar zwischen genehmen und falschen Opfern bzw. Tätern unterschieden wird: Denn gleichzeitig durfte ein abgelehnter und polizeibekannter Asylbewerber frei herumlaufen und schließlich in Würzburg am 25. Juni ein Blutbad anrichten. Die Alternative eines Trauerflors aber wurde nirgends thematisiert. Das Dubiose daran: Seit den Morden von Würzburg war von Merkel nichts zu sehen und zu hören. Kein Statement, kein Wort des Trostes, nicht einmal das sang- und klanglose und kniebeugende Ausscheiden der „Mannschaft“ gegen England war ihr ein Wort wert, auch nicht die Rückkehr der letzten Soldaten aus Afghanistan. Thilo Schneider verwundert das auf dem Blog Achgut nicht: „Ein Satz wie ‚Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion von Intellektuellen‘ würde heute Helmut Schmidt seine SPD-Mitgliedschaft kosten“, befindet er. Wohlbemerkt: Merkel ist CDU-Kanzlerin, die SPD Koalitionspartner.


Das fußballpolitische Diversitätsnarrativ wurde nach dem Ausscheiden Deutschlands weiter forciert: „Die UEFA fordert von ihren Sponsoren, dass die Gestaltung der Werbung den lokalen Gesetzen entsprechen“, teilte sie auf Anfrage der Sportschau mit. Es geht um die Werbung des UEFA-Sponsors Volkswagen, der nach dem Streit um die Beleuchtung des Münchner Stadions in Regenbogenfarben wie mehrere andere Sponsoren seine Werbung in eben diesen Farben gestaltet hatte. Die UEFA sieht in beiden Ländern rechtlich keine Möglichkeit für die Regenbogen-Werbung. Der Volkswagen-Konzern hatte zuvor mitgeteilt: „Diese Entwicklung bedauern wir.“ Man habe erneut ein „deutliches Zeichen pro Vielfalt“ setzen wollen.


Das Maß der medialen Unterstützung des hehren Ansinnens korrelierte mit dem Maß des medialen Zorns über die italienische Mannschaft, die sich neben der ungarischen auch dem Kniefall und der Regenbogenbinde verweigerte – und bislang alle Spiele gewann. „Italien ist Favorit auf den EM-Titel, aber im Umgang mit einer simplen Geste gegen Rassismus zeigt sich das Team überfordert“, schulmeisterte Tammo Blomberg in der Zeit. „Der italienische Fußball setzt sich nach wie vor nicht ernsthaft genug mit Rassismus auseinander“, folgert er. Das ist kein Witz und machte erneut die FAZ wütend, diesmal in Gestalt ihres Italien-Korrespondenten Mattias Rüb: Nur weil sich jemand „dem Kommando ihres polit-sozialen Codierungssystems widersetzt“, dürften Tugendwächter keine „Urteile über Menschen … fällen, deren innere Haltung sie nicht kennen.“



„die Mehrheit tut‘s“


„Wie konnte es geschehen, dass eine ganze Zivilisation, die noch vor 100 Jahren kulturell, technologisch und politisch den gesamten Erdball dominierte, nunmehr ihre gesamte Energie in eher unappetitliche Quisquilien wie gender-gerechte Toiletten, non-binäre Geschlechter, LGBTIQ-Rechte oder Ehe für alle steckt, während im selben Zeitraum China den Sprung von der frühneuzeitlichen Agrargesellschaft zur führenden Industrie- und Technologienation der Welt geschafft hat“, fragte Bendels völlig zu Recht in der JF – und bringt damit die Causa zugleich auf den Punkt: Den „umgekehrten Humanismus“ Hausammanns interpretiert er als „Posthumanismus“.


Hinter der angeblichen Verteidigung sexueller Minderheiten, deren Freiheit zur Auslebung ihrer Geschlechtlichkeit ohnehin schon seit Jahrzehnten überall gewährleistet ist, steht vielmehr die rechtliche Grundlegung eines „neuen Menschen“. Der fühle sich weder dem Natur- noch dem Gottesgesetz unterworfen, sondern bilde sich ein, zu jedem beliebigen Zeitpunkt jede beliebige Rolle ausüben zu können; „eine desinkarnierte Existenz, die dank transhumanistischer Hochtechnologie rücksichtslos über die Natur herrschen und die eigenen Interessen und Triebe ohne jede Bindung an Solidargemeinschaften wie Familie, Heimat, Glauben, Nation oder Kultur durchsetzen will“, so Bendels.


Von der Wiege bis zur Bahre sei dann alles „verhandelbar“, nichts absolut: Die Zeugung wird durch Leihmutterschaft ausgelagert, gentechnisch manipuliert und durch Abtreibung beliebig unterbrochen; sexuelle Befriedigung wird schon im Kindergarten propagiert und der Mitmensch zum Instrument der eigenen Lust deklassiert; das Geschlecht wird dank Hormonen und Chirurgie frei angepasst; eheliche Partnerschaft wird zunächst für Homosexualität, dann für Polyamorie, schließlich wohl auch Inzest und Pädophilie geöffnet; Kinder werden zur Verfügungsmasse verfallender Familienbande und können durch Verweis auf „Kinderrechte“ politisch missliebigen Eltern jederzeit entzogen werden.

Das kann man für weithergeholt, überspitzt, ja dystopisch halten. Doch wenn Terroropfer, Kinder, Fußballer… für Politik missbraucht werden, muss man fragen, wo die Grenze, ja das Ende ist. Gemeinsam vertretene Interessen seien der Kern demokratischer Willensbildung, erklärt Andrea Dernbach im Tagesspiegel. Denn nicht Minderheiten sortierten sich nach Merkmalen, „die Mehrheit tut‘s.“ Also sei Identitätspolitik „Arbeit am sozialen Frieden“. Das kann nur gut finden, wer von der Gleichheit aller „Minderheiten“ ausgeht. Aber sind Jäger und Pilzsammler, Podologen und Hufschmiede, Vegetarier und Metzger wirklich alle über einen Kamm zu scheren?


„Organisationen, die Vielfalt predigen, produzieren nur noch Einfalt“, sieht das Alexander Zinn in der FAZ konträr. „Statt den Diskurs zu suchen, auf Kritik mit Argumenten zu antworten, besteht man auf Unterwerfungsgesten. Wer sich nicht beugt, muss mit Ausladung, Ausgrenzung und öffentlicher Denunziation als homo- oder transphob, AfD-nah rechnen.“ Die Verweigerung der rationalen Auseinandersetzung, der Rückzug in eine emotional grundierte Opferkultur, in der wie in archaischen Stammesgesellschaften die eigene Gruppe vor „schädlichen Einflüssen“ und „Ehrverletzungen“ in Form von „Safe Spaces“ geschützt werden soll, und die Diskreditierung jeder Kritik als „verletzend“ und deswegen homophob, frauenfeindlich, rassistisch oder rechtsextrem, ist im Kern demokratiefeindlich, ja demokratiezersetzend. Und das darf man nicht müde werden, immer wieder zu betonen.



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Über den Autor: Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.




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