Von Straßen über Apotheken und Vögeln bis hin zu Keksen ist der Bürger inzwischen Umbenennungsärger gewohnt. Dresdens Museen vergreifen sich jetzt auch an Alten Meistern. Das tut sehr weh.
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Für Marion Ackermann muss in der alten deutschen Redewendung „Aller guten Dinge sind drei“ das „gute“ durch „schlechte“ ersetzt werden. Die Göttinger Kunsthistorikerin ist seit 2016 Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden SKD und begründete seitdem drei veritable Skandale. Zuerst verbannte sie DDR-Kunst ins Depot, was den „Dresdner Bilderstreit“, einen Aufstand des Kulturbürgertums, nach sich zog. Dann ließ sie sich von Berliner Clangangstern elf unschätzbare und bis heute verschwundene Kleinode aus dem Grünen Gewölbe buchstäblich unterm Hintern wegstibitzen. Die Sicherheitseinrichtungen hätten doch funktioniert, log sie, und freute sich später: Die Räuber hätten doch gar nicht alles mitgenommen, es wäre ja immer noch was da. Und nun vergriff sie sich an teilweise jahrhundertealten, vertrauten Bezeichnungen für Kunstwerke.
Was war geschehen? Im Zeichen der „äußersten Sensibilisierung für Sprache“ wurden insgesamt 143 Exponate in Orwell‘scher Manier um- oder gleich ganz neubenannt, weil ihre Werktitel „rassistische oder anderweitig diskriminierende Begriffe oder Inhalte“ aufwiesen: „Der effektivste Weg, Menschen zu zerstören, besteht darin, ihr eigenes Verständnis ihrer Geschichte zu leugnen und auszulöschen“, schrieb der Brite in „1984“. Aus „Zwerg“ wurde „kleinwüchsiger Mann“, aus „Knabe“ wurde „Junge“, aus „Zigeunermadonna“ wurde „Madonna mit stehendem Kind“, und aus „indischen Eingeborenen“ wurden einfach nur „Menschen“. Der Name des Gemäldes „Landschaft mit mohammedanischen Pilgern“ von Christoph Ludwig Agricola (ca. 1710) wurde beispielsweise in „Landschaft mit betenden Muslimen“ abgeändert. Vor allem die Tilgung von „Mohr“ und „Zigeuner“ fiel auf: Aus einer „Zigeunerin“ wurde eine „Frau mit Kopftuch“. Ob es sich dabei um eine Katholikin im Petersdom oder eine Muslimin handelt, spielt offenbar keine Rolle mehr.
Bei elf Exponaten wurde der Titel nicht umgeändert, sondern durch Asterisken (Sternchen) unkenntlich gemacht. Die Statuette „Mohr mit der Smaragdstufe“ von Balthasar Permoser als Bildhauer und Johann Melchior Dinglinger als Goldschmied, eins der namhaftesten Kunstwerke überhaupt, wurde so etwa zum „**** mit Smaragdstufe“. Ackermanns Begründung in der Sächsischen Zeitung liest sich absurd: Die Trägerfigur symbolisiere – aus europäischer Perspektive – in jedem stereotypen Detail vermeintliche „Andersartigkeit“: dunkle Hautfarbe, als „afrikanisch“ gelesene Physiognomie. Tätowierungen und Schmuckstücke, die wiederum als Repräsentationsformen indigener Kulturen Nordamerikas gedeutet wurden. Aus postkolonialer Sicht ist auch die Herkunft der Smaragdstufe aus kolumbianischen Smaragdminen, die während spanischer Eroberungskriege 1537 erschlossen wurden, problematisch.
Wer denkt, das war jetzt alles, irrt. Denn die – nunmehr bereits arg entzauberte – Smaragdstufe wird auf einem Schildpatt-Tablett dargeboten. Das Staunen über die Schönheit des Materials, so die Generaldirektorin, wird getrübt durch den Gedanken an das viel zu spät ratifizierte Artenschutzabkommen für Meeresschildkröten. „Offenbar hatte August der Starke seinerzeit vergessen zu unterschreiben“, ärgert sich Erik Lommatzsch auf achgut. Kurzum, in der Figur spiegele sich Ausbeutungsgeschichte: der von Menschen und der Natur. Da fällt fast gar nicht mehr ins Gewicht, wie sich ein schwarzer „People of Color“ fühlen muss, wenn er plötzlich nicht mehr benannt, sondern auf vier Symbole reduziert wird. Mohr soll auch der Spitzname von Karl Marx gewesen sein, in der DDR erschien der Jugendroman „Mohr und die Raben von London“. Wird der jetzt in „**** und die Raben von London” umbenannt? Mehr Sprach-, mehr Geschichtsklitterung war nie.
„da wird Bewusstsein geschaffen“
Ackermanns Pressesprecher Holger Liebs nennt das gegenüber der Süddeutschen Zeitung einen „didaktischen Ansatz, der die Historie des Begriffs nicht ausblendet, sondern sie im Gegenteil sichtbar macht; da wird Bewusstsein geschaffen“. Sie selbst verteidigte das Vorgehen als „übliche Museumsarbeit“, es gehe nicht nur um Begriffe, die historisch bewusst abwertend benutzt wurden, sondern auch um den Sprachgebrauch einer Zeit, in den „unreflektiert Begriffe Eingang fanden, die heute als eindeutig rassistisch oder diskriminierend bewertet“ würden. „Um keine Menschen über die Reproduktion dieser Sprache zu verletzen, werden die Werktitel … sukzessive überarbeitet“; über dies bedürften sie, „je nach Forschungsstand, der wissenschaftlichen Kontextualisierung“, was neben der Vermeidung von Diskriminierung „der kunsthistorischen Begriffspräzisierung“ diene. Ja mehr noch: So könnten „künstlerische Interventionen und Neuproduktionen angeregt und gefördert werden. Wir könnten sagen, der monolithische Status des Objekts wird dadurch aufgebrochen, entmaterialisiert und wieder rematerialisiert.“ Das ist kein Witz.
Aufgedeckt hatte den Frevel der kulturpolitische Sprecher der sächsischen AfD-Landtagsfraktion Thomas Kirste MdL mit einer Kleinen Anfrage. „Allein der Nennung ‚Kopf eines Eskimos‘ Diskriminierung zu unterstellen und daraus ‚Kopf eines Inuit‘ zu machen, ist keine ‚kunsthistorische Begriffspräzisierung‘, wie die SKD behauptet, sondern schlichte Zeitgeistanbiederung, die das Fremde höher schätzt als das Eigene – und damit das Gegenteil dessen betreibt, was sie zu bezwecken vorgibt“, erregt sich der kunstpolitische AfD-Fraktionssprecher Baden-Württembergs, Dr. Rainer Balzer MdL: Ackermann hatte sechs Jahre auch das Kunstmuseum Stuttgart geleitet. Prompt warnte Balzer die baden-württembergische Museumslandschaft davor, dem absurden sächsischen Vorbild zu folgen. „Man stelle sich vor, Nicola Grassis ‚Hiob, von seinem Weib verspottet‘ in der Stuttgarter Staatsgalerie würde nun heißen ‚Hiob, von seiner Frau verspottet‘“.
Auch dass Werke überhaupt einer „kunsthistorischen Begriffspräzisierung“ bedürfen, ist eine ungeheuerliche Unterstellung, die alle Kunstinteressierten unten den Generalverdacht der Dummheit stellt – hier trifft ebenfalls das Gegenteil zu. Und geradezu unverfroren ist es zu behaupten, dass diese Praxis „eine übliche, seit Jahrhunderten in sehr vielen Museen in aller Welt stattfindende Praxis“ sei: Damit mutieren Orwells Phantasien langsam zu Tatsachenbeschreibungen. Die Anbiederung an den Zeitgeist wird besonders daran deutlich, dass das Kirste antwortende Dresdner Kunstministerium auf Nachfrage von Bild sagte, dass es „eine solche Überprüfung weder veranlasst noch durchgeführt“ habe - der Schluss liegt mehr als nahe, dass Ackermann allein und in vorauseilendem Gehorsam gehandelt hat.
Besonders perfide erscheint dabei das Eingeständnis, dass diese stille Tilgung in dem seit 1560 bestehende Museumsensemble bereits seit 2020 vollzogen wird. In diesem Jahr hatte sich die Initiative „DDekolonisieren“ in einem Offenen Brief an das Albertinum und die Staatlichen Kunstsammlungen gewandt und darin beklagt: „Die Ausstellungen setzen viel Wissen zu den geschichtlichen und kolonialen Hintergründen voraus, anstatt diese Kontexte direkt zu thematisieren und zu erläutern.“ Auch sei die Reproduktion von rassistischer Sprache und rassistischen Stereotypen „erschütternd und besorgniserregend“. Prompt heißt es seitens der Aktivisten, die von der linken und grünen Jugend unterstützt wurden: „Sie müssen Verantwortung übernehmen für die Kontextualisierung ihrer Ausstellungsstücke in einer kolonial geprägten Gesellschaft und für die zugehörige Bildungsarbeit.“
„reißerische Zuspitzungen“
Sich heute von Kunstwerken und Worten aus früheren Jahrhunderten beleidigt zu fühlen, sagt mehr über die Beleidigten als über die Kunstwerke und deren Benenner: „abgrundtiefe Bildungsdefizite – gepaart mit verbohrter Ideologie. Eine höchstgefährliche gefährliche Kombination, wie die Geschichte lehrt“, erkennt der Ex-Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, in Tichys Einblick TE. Wer einmal an den SKD tätig werden durfte, galt forthin als kunstästhetische Koryphäe, als Lordsiegelbewahrer höchster Kultur, als souveränes Bollwerk gegen den Zeitgeist, als Hüter manifester Beweise für die Existenz der Ewigkeit. Damit scheint es spätestens jetzt vorbei zu sein. Denn die über Kandinsky promovierte Museumschefin entblödete sich nicht, parallel dazu eine „Antidiskriminierungs-AG“ zu etablieren, „in die so viele interne Mitarbeiter*innen wie möglich einschließlich externer thinkers of color eingebunden“ wurden. Auch das ist kein Witz.
Prompt ließen die Relativierungen des Vorgangs, den der DLF „Diskriminierungscheck“ nannte, nicht lange auf sich warten. Der Gesamtbestand aller bislang in der Datenbank der SKD erfassten Objekte beträgt über 1,48 Millionen - die Aktualisierungen entsprächen damit gerade 0,01 Prozent der katalogisierten Titel, hieß es eilfertig. Außerdem hinge die Bearbeitung von Werk- oder Objekttiteln damit zusammen, dass diese bis ins 19. Jahrhundert hinein nur selten von denen betitelt wurden, die sie geschaffen haben. Insofern würden sie in den allermeisten Fällen keinen vom Künstler vergebenen Originaltitel ausweisen. „Da herrschte nicht nur eine gewisse Willkür, sondern es wurden auch sachliche Fehler gemacht“, behauptet Sebastian Frenzel im Monopol-Magazin, ohne die These zu belegen.
Außerdem beziehe sich der Vorgang vorerst (!) nur auf die Online-Datenbank und die Recherche darin. „Da haben wir die Möglichkeit, einen sehr demokratischen Zugriff zu erlauben. Wenn man von außen kommt, kann man wählen, welche Titel man sich anzeigen lassen möchte“, so Ackermann im DLF. Wer sich für das Anzeigen des historischen Titels entscheide, werde Beschreibungen sehen, die rassistisch oder diskriminierend sind, heißt es dort warnend, und dass sich die Sammlungen von diesem Sprachgebrauch distanzierten. Bei extremen Fällen mit diskriminierenden Begriffen seien auch andere Tabuworte mit Sternchen ersetzt worden. Wer auf die Sternchen klicke, könne sich das Originalwort dann trotzdem noch anzeigen lassen. Da gehe es um Begriffe wie „Bastard“, „Mischling“, „Viertelblut“ oder „Hottentotten“, erklärt Ackermann.
Die Tabuisierung bestimmter Wörter aber dürfe es in Museen nicht geben, und wenn sich Titel über die Jahre verändern, dann sollte das auch sichtbar sein, sagte Reinhard Spieler, Vorstand des Deutschen Museumsbunds und Direktor des Sprengel Museums in Hannover, dem MDR: „Ich finde, wir sind als Museen historische Institutionen und wir wollen eigentlich sichtbar machen, dass man in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten andere Werte vertreten hat. Das ist der Sinn von Museen.“ Auch der jüdische Historiker Michael Wolfssohn sieht die Umbenennungen kritisch. Ackermann bezeichnete die Kritik dagegen als „reißerische Zuspitzungen“: „Es ist immer das Problem, dass die Dinge sehr komplex sind“, sagte sie dem MDR. Man habe es mit einem transparenten Prozess zu tun. Kunsthistoriker fürchten nun, dass die Umbenennungen zu erheblicher Verwirrung in den wissenschaftlichen Katalogen führen werden.
„Entsorgungsplatz des westdeutschen akademischen Prekariats“
Dresden hat es geschafft, seine Schätze durch die DDR-Zeit zu bewahren und zu halten, selbst den Abriss des Schlosses und anderer Gebäude zu verhindern und jüngst sogar quasi verschwundene Kunstwerke wie Frauenkirche und Taschenbergpalais wiederauferstehen zu lassen. Dresden hat immer wieder bewiesen, dass es Geschichtsbewusstsein hat und das Tradierte, Überlieferte zu schätzen weiß. Nie also hätte man ausgerechnet in Dresden so etwas erwarten können. Prompt richtete sich der vor allem sächsische Unmut gegen die Hessin Ackermann. „Warum muss die ostdeutsche Kulturlandschaft dreißig Jahre nach der Wende immer noch als Entsorgungsplatz des westdeutschen akademischen Prekariats dienen?“, empört sich etwa ein Kommentator auf TE.
Torsten Küllig, der sich für die Freien Wähler Dresden engagiert, startete am 20. September eine Online-Petition, in der die Staatlichen Kunstsammlungen aufgefordert werden, „die 143 Kunstwerke wieder so zu benennen, wie sie seit Generationen schon immer heißen. Das sind wir insbesondere unseren Vorfahren, die diese Werte erschaffen und erwirtschaftet haben, schuldig.“ Diese Kunstwerke gehören den sächsischen Bürgern, argumentiert er einerseits, Ackermann sei „lediglich die Sachwalterin dieser weltweit einzigartigen Kunstschätze. Ohne sich bei den Sachsen, also den Eigentümern, für so einen weitreichenden Eingriff die Zustimmung einzuholen, fehlt der Museumsleitung schlichtweg jedwedes Mandat.“
Andererseits seien Eingriffe in die Sprachgestaltung grundsätzlich autoritären Regimen zuzuschreiben und von Demokraten klar abzulehnen: „Sobald sich Vertreter von staatlichen Einrichtungen unmittelbar oder auch mittelbar in die Sprachgestaltung einbringen, sollten wir alle sehr aufmerksam werden, denn die Manipulation der Sprache ist letztendlich auch die Manipulation des Denkens.“ Das trifft ins Schwarze: Unaufhebbare Unterschiede zwischen Menschen sollen also durch sprachliche Manipulationen aufgehoben, unkenntlich gemacht oder eingeebnet werden. Ging es bisher um die Manipulation realer Dinge wie Straßen, Vögel oder Konsumgüter an, sind es nun irreale Dinge, nämlich Interpretationen von ästhetischer Wahrnehmung.
Das ficht Ackermann nicht an: „Wir müssen einen Weg finden, diese Zerrissenheit der Gesellschaft und die Vielstimmigkeit umzusetzen und Angebote zu machen für die Menschen“, sagt sie im DLF. Wie man mit Fragen der Umbenennung weiter verfahre, kann sie sich als Teil einer öffentlichen Diskussion vorstellen. „Ich habe mir überlegt, eine Art Bürgersprechstunde für unsere Forschungsabteilung einzurichten, damit die Menschen gerade nach dieser Debatte die Möglichkeit bekommen können, Einblick zu nehmen, wie hier entschieden und gearbeitet wird.“ Das ist ebenfalls kein Witz. Kein Wort darüber, die „Zerrissenheit der Gesellschaft“ zu überwinden, sie zu einen; stattdessen ihre Abbildung, gepaart mit einer Demokratiesimulation, um Partizipation, ja Einfluss vorzugaukeln.
„Folgt Identitätsraub auf Kunstraub?“, stehen nicht nur Küllig die Haare zu Berge ob solch diktatorischer Arroganz. Der Vorgang erscheint wie ein Mosaikstein im Wandel von der deutschen Kulturnation zu einer von den historischen Wurzeln der Deutschen losgelösten „multikulturellen Willensnation“, den der Berliner Politikwissenschaftler Martin Wagener („Kulturkampf um das Volk“, 2021) jüngst behauptete. In Politik und Medien sei eine ausgeprägte Distanzierung vom Eigenen zu beobachten, parallel dazu verschwänden historische Anknüpfungspunkte durch Prozesse der „Hypokognition“, also der sprachlichen Vernachlässigung, aus dem Bewusstsein. Und diese Vernachlässigung wird durch Ideologen wie Ackermann aktiv betrieben. An dieser Stelle schließt sich der Kreis zu Orwell: „Um die Lügen der Gegenwart durchzusetzen, ist es notwendig, die Wahrheiten der Vergangenheit auszulöschen.“ Das klingt so erschreckend wie es ist.
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Über den Autor:
Thomas Hartung, geb. 1962 in Erfurt; promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig; der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute; Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Seit März 2020 ist er Pressesprecher der AfD-Fraktion Baden-Württemberg.
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