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Sebastian Hennig: DIE ANTWOORD AUF ALLE FRAGEN

Aktualisiert: 5. Dez. 2022

Über das letzte öffentliche Konzert von Die Antwoord am 25. November 2019 in Brüssel. Auftakt einer Reihe kritischer Betrachtungen randständiger Phänomene aus der Welt der schönen Künste. Vom Leipziger Maler und Publizisten Sebastian Hennig.


Fotos: Sanne Gommers


Das Phänomen Die Antwoord (bestehend aus Ninja und Yolandi Visser) wurde im Netz groß und verdankt seine Wirkung ganz wesentlich darstellerischen und bildnerischen Assoziationen. Maßgeblich dafür ist das Werk des US-amerikanischen Fotokünstlers Roger Ballen. „Auf künstlerischer Ebene sind Ninja und Yolandi so etwas wie Roger Ballens kleine Punk-Schützlinge. Es wäre durchaus treffend zu sagen, dass Roger Ballen Die Antwoord zufällig hervorgebracht hat“, sagen die beiden Gruppenmitglieder rückblickend. Die Wirkung ihrer ersten Begegnung mit den Bildern Ballens vergleichen sie mit einem Schlag ins Gesicht.


Musik nach Fotos


Als Geologe war Roger Ballen 1974 nach Südafrika gekommen. In den entlegenen Dorps des West-Transvaal fotografierte er die abgehängten Weißen. Sein Doppelporträt „Dresie und Casie, Zwillinge"(1993) wurde zu einer Ikone. Watkin Tudor Jones alias Ninja und seine Partnerin Anri du Toit alias Yolandi Visser gehören seit je zu den unbedingten Verehrern dieses Werkes und teilen dessen Ansatz. Noch 2005 weicht Roger Ballen der Bitte Vissers um eine Zusammenarbeit aus. Dann erfährt er von Freunden, dass eine eigenartige Musikgruppe sich systematisch seiner Bildästhetik bedient. Man lernt sich besser kennen und gestaltet 2012 gemeinsam das Musikvideo „I fink U freeky”. Darin ringelt sich um den Hals der damals sechsjährigen Tochter des Paares, Sixteen, eine lebendige Schlange. Ihr Antlitz ist tiefschwarz gefärbt.


Weitere sieben Jahre später windet sich eine Menschenschlange vor dem Ancienne Belgique auf dem Brüsseler Boulevard Anspach und weit in den Plattesteen hinein. Eine junge Frau geht die Reihe ab und verkündet alle paar Meter, dass heute Abend ein telefonfreies Konzert stattfindet. Am Eingang lässt jedermann sein stummgeschaltetes Handgerät in ein bereitgestelltes Filzsäckchen gleiten, welches oben mit einer Schließe verriegelt wird. In dringenden Fällen darf um ein betreutes Fernsprechen ersucht werden. Noch der kleinste Fotoapparat wird aus den Taschen gefischt und gegen Ausgabe eines Bons in Verwahrung genommen.



Rückzug ins Internet


Angekündigt ist ein besonderes Konzert aus Anlass der Ausstellung Roger Ballens „Theatre of the Ballenesque” in der Centrale for contemporary art. Ninja betont die besondere Rolle von Brüssel für seine Laufbahn. Hier hatte er sein überseeisches Debüt, stand auch das erste Mal gemeinsam mit seiner Partnerin Yolandi Visser auf der Bühne. Nun wird die letzte Tour-Runde der Gruppe ebenfalls in Brüssel eingeläutet. Denn seit langem ist geplant, dass sich Die Antwoord mit dem Erscheinen ihres fünften Albums „House of Zef“ auflösen werden. Die ausschließlich für die USA angekündigte „House of Zef“-Tour wird immer wieder verschoben und findet schließlich nie statt. Im Sommer 2022 wird das angekündigte Ende von Die Antwoord mit der Klausur in einer Discord-Gemeinschaft vollzogen. Die Antwoord verschwindet dahin zurück, von wo sie einst ausgezogen ist – ins Internet.

Die Band-Aussage „Die Antwoord and Roger Ballen are family, Mr. Ballen is our Number 1, our favourite artist alive on this planet, our master, and our friend“ bedeutet mehr als eine höfliche Floskel. Die offenkundige Absicht, die eigene hektische Popularität bedingungslos in den Dienst der stilleren Grafik des Freundes zu stellen, wird in jedem Detail des Abends deutlich. In der Lockspeise dieses kurzen Konzerts werden die Vitamine der Ballenschen Kunst verborgen.


Auftritt des Party-Kardinals


Ein strenger Programmablauf war angekündigt. Im Eingangsbereich wärmt der lokale DJ Drache Musicale das Publikum auf. Die Perkussion klingt nach Bongo und Kastagnetten, dazu ertönt zuweilen ein teekesselartiges Pfeifen. Auf fünf Minuten Filmvorführung sollen sechzig Minuten Show folgen. Der vom Publikum immer lautstarker eingeforderte Beginn verzögert sich um eine halbe Stunde. Im Parkett mischen sich unterdessen die französischen Gesprächsfetzen mit flämischen, dessen Vokaldehnung und Konsonantengeschnalz ziemlich genau dem Duktus des Afrikaans von Yolandi Visser entspricht. Auf dem transparenten Bühnenvorhang ist das Ausstellungsplakat von Roger Ballen projiziert. Wie ein Party-Kardinal in seinem zinnoberroten Pullover gekleidet wird der Fotograf dann auf die Bühne geleitet und als größter Künstler des Planeten gepriesen, dessen elektrisierende Stimme sogleich die Gemeinde erfreuen wird. Ballen kündigt mit wenigen Sätzen sein „Theater of Apparitions“ an. Über die ganze Breite der Bühne läuft der fünfminütige animierte photo-alchemistische Zeugungskampf und Totentanz, der auf Kritzeleien aus dem Frauengefängnis von Boksburg aufbaut. Am Ende der fünf Kapitel bleiben Knochen und Fotografien übrig und vielleicht einige Erscheinungen, wie es heißt.



Mündungsfeuer in den Saal

Das anschließende Konzert beginnt zurückhaltend artistisch und entfaltet sich erst im letzten Drittel zum wilden Rave. Zuvor sind die Protagonisten kaum auszumachen hinter dem Vorhang und den Projektionen. Wie zu Beginn von allen Konzerten seit dem Tod des Freundes Leon Botha im Jahr 2011 erscheint dessen überdimensionales von Progerie gezeichnetes Greisengesicht über den Köpfen des Publikums. Diesmal erstreckt es sich über den gesamten Bühnenraum. Dann kracht der

Fortuna-Gesang aus Carl Orffs „Carmina Burana“ aus den Lautsprechern: O Fortuna velut luna statu variabilis, semper crescis aut decrescis; vita detestabilis! Es folgt eine afrikanische Totenklage, die in eine Regen-Beschwörung übergeht. Auf der Bildfläche ziehen Wolken zusammen. Dann schießen Blitze auf bis sich alles in einen Wolkenbruch löst. Die Szenerie bleibt über lange Zeit schwarz-weiß und die Bühnenstars treten wörtlich in den Hintergrund der Kunst Roger Ballens, die auf den transparenten Vorhang geworfen wird. Es gibt ein knappes Dutzend Lieder, während die Scheinwerfer das Geschehen mehr verblenden als ausleuchten. Das Ganze ist ungeheuer basslastig. Die Hosen flattern um die Waden und die Haare sträuben sich auf dem Kopf. Es bleibt nichts übrig, als zuweilen die Fingerkuppen auf die Gehörgänge zu legen. Denn der Mann über den Decks ist „God“ und er thront da oben wie auf einem Riesen-Panzer, der alles niederwalzen will mit seinem Subwoofer. Die Scheinwerfer geben Mündungsfeuer in den Saal, in dem spätestens seit „Babies on Fire“ alles unablässig hüpft. Ninja trägt dazu seine zierliche Partnerin wie ein Christopherus auf den Schultern rennend über die Bühne und röhrt „I just wanna sing lullabies to my little butterfly“. Der raue Kerl und sein süßes Schätzchen, so lautet die Rollenverteilung. Die Menge grölt mehr als einmal in das ihr entgegengehaltene Mikrofon: Fuck, fuck your rules!

Im Hagel der Parodoxien

Die Antwoord ist eine aufgeräumte Mikrofamilie mit beschwingtem Freundeskreis, der keine rassistischen, klassistischen und sexistischen Vorurteile kennt und gerade darum sich über die Verkehrsregeln der neuen Puritaner hinwegsetzt. Es hagelt dabei Paradoxien ohne Ende. Die Antwoord werden geliebt oder gehasst. Als alle so richtig in Stimmung sind piepst Yolandi bereits: „Be happy, bye bye.“ Doch eine Zugabe gibt es noch, den Hit „Enter the Ninja“. Crowdsurfing wirkt eigentlich immer peinlich. Wie aber der schlaksig-nervige Ninja von der Bühne her hinterrücks mit Licht beschüttet mit seinem kantig frisierten Schädel und die affenlangen Arme schüttelnd als eine bizarre Grafik über die Köpfen der Masse schwankt ergibt ein Bild von dämonischer Urkraft. Wie überhaupt die ganze Vorstellung frei ist von der musterschülerhaften Beflissenheit der subkulturellen Hausaufgabenstreber. Mir fällt nur ein weiteres Konzert ein, in dem sich die habituelle Verheißung der Popkultur so rein erfüllt hat wie hier in Brüssel, dass war der letzte Auftritt von Laibach als einem dissidentischen Kunstprojekt, bevor sie vollends zum poststrukturalistischen Ballermann wurden. Das war während des New-Moon-Festivals am 13. Juli 1991 auf der Freilichtbühne Berlin Weißensee.



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