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Sebastian Hennig: DAS WUNDER VON CHEMNITZ

Aktualisiert: 16. Dez. 2018

In aller Regel begrüßten Vertreter der tintenklecksenden Zunft die sogenannten »Ausschreitungen von Chemnitz« als willkommenen Anlass für gravitätische Mahnworte oder volkspädagogische Ableitungen. Ungleich aufgeräumter und nahezu spielerisch gerät dagegen der Rückblick, den unser Autor Sebastian Hennig auf das Geschehen wirft.

In Sachsen folgte ein milder Nachsommer auf die afrikanischen Hitzewochen. Im Schatten des Kolossalhaupts grasen die Löwen neben den Lämmern. Durch die Herde wogt eine Erregung. Da wird ausgeschlagen, gemäht und gebäht. Unlängst erwies sich ein Windspiel als wölfisch. Noch klebt das frische Blut des gerissenen Schafs am Boden. Seit Jahren streifen nun maghrebinische Dackel und levantinische Pinscher in Rudeln durch die sächsische Oase, wecken Argwohn und nötigen zu Umwegen. Gewohnte Wildpfade von den Siedlungen in die Innenstadt beginnen nachgerade zu verwachsen. Ein Schock Schutzmänner mit Streifen und Raute auf dem Ärmel sieht sich einer tausendköpfigen Menge gegenüber. Diese wird eingefaßt durch explosive Fußball-Aficionados. Gleichwohl explodiert nichts. Stattdessen ereignet sich das Wunder von Chemnitz. Die Räuber hätten die Gendarmen überrollen können, denen sie sonst immer unterlegen sind. Diese einmalige Gelegenheit lassen die wilden Kerle verstreichen. Sie bleiben gewaltbereit, ohne dabei gewalttätig zu werden. Ansonsten besteht das abendliche Geschehen aus fotogener Rangelei und hektischem Gerenne. Nacheileverhalten. Ein Zeuge berichtet: »An einem Platz wurden mehrere Ausländer von den Hooligans eingekesselt, und man führte eine Leibesvisitation durch. Alle Ausländer waren mit Messern bewaffnet. Diese Messer wurden eingesammelt und der Polizei übergeben.« Meinte das der vormalige Ministerpräsident des wiedergegründeten Freistaates Sachsen, Kurt Biedenkopf, als er am 29. August 2018 in der Television äußerte: »Wenn man die Sache dem Staat überlässt und der Polizei, dann wird das nicht gelingen«? Zwei weitere Magi preisen den Stern der Freiheit. Der tschechische Präsident Miloš Zeman bekundet am 30. August seine Sympathie für die Versammelten in Chemnitz. Landtagspräsident Matthias Rößler schlägt vor, anstelle Dresdens für die Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt 2025 besser Chemnitz zu unterstützen. Das ist einleuchtend. Präsidentenmund tut Wahrheit kund.

Ein Beitrag von Werner Patzelt schließt mit dem Satz: »Vielleicht ist es einfach so, daß Sachsen nur so lange klein beigeben, wie es gar nicht anders geht.« Die in Chemnitz unterbliebenen Ausbrüche werden von anderer Seite nachgeholt. Nicht der III. Weg, sondern die vierte Gewalt rastet völlig aus. Schmächtige Hooligans der Tastatur geben sich jenem Triumph der Übermacht hin, dem sich das Stiernackenkommando der dritten Halbzeit versagt hat. In den Redaktionen, landauf, landab, wird der eigene Bedeutungsverlust noch einmal durch propagandistisches Trommelfeuer kompensiert. Die Artillerie der Augsteinorgeln löscht jeden Widerstand aus und zermürbt die Hirne. Ein publizistisches Flächenbombardement hat in einem nahezu dreißigjährigen Krieg bereits Hoyerswerda, Sebnitz, Mügeln, Dresden, Heidenau, Freital, Clausnitz, Bautzen ausradiert. Nun steht Chemnitz auf der Zielkarte des moral bombing ihrer toxischen Menschlichkeit. Es geht um nichts weniger als die bedingungslose Kapitulation aller Sachsen-Nazis von der CDU in der Dresdner Staatskanzlei bis zu den NS-Boys vor dem Chemnitzer Stadion. Die Netz-Enzyklopädie führt die schwarze Legende unter dem Lemma »Ausschreitungen in Chemnitz 2018.«

Ernst Jünger notiert wenige Tage nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki am 12. August 1945 in sein Tagebuch: »Schmitz berichtet mir das Wort eines Amerikaners, den er in Burgwedel getroffen hatte und das ich nicht übel fand: Es ist gut, daß Hitler diese Waffe nicht gekannt hat – er würde sie verwandt haben.‹« Nach der nämlichen Logik wird bedenkenlos die Superbombe über dem Zielgebiet abgeworfen. Die Zerstörung der Demokratie durch ihre vorgeblichen Verteidiger ist eine Art Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Die Kanzlerin spürte wohl noch den Schatten des Kaukasus in ihrem Rücken als sie in Richtung Erzgebirge wiederholt verkünden ließ, das sich dort unzweifelhaft Hetzjagden ereignet hätten. Der Ministerpräsident des Freistaates war wohl zu nahe dran, um die Wahrheit erkennen zu können. Liebe machte ihn blind, so wie den Berichterstatter einer Chemnitzer Tageszeitung, der gleichfalls keine Anhaltspunkte für Verfolgungsjagden entdecken konnte.

Eine andere Zeitung berichtet vorsichtig oder versehentlich von einer durch Rechte getragenen anstatt einer rechten Kundgebung. Das kommt der Wirklichkeit nahe. Die Chemnitzer Herde befindet sich in größter Irritation. Verlassen von Hirten und Hunden, sucht sie sich dennoch zu wahren und nimmt dabei so Aufstellung, daß der zu erwartende Aufprall die geringste Opferzahl erwarten läßt. Statt friedlich im Stall den Tag ihrer Schächtung abzuwarten, harren die ermatteten Schafsköpfe hinter den düster grollenden Schafsböcken aus. An breiten Schultern bergen sich jene, die sich allein nicht mehr auf die Straße wagen. Nicht weil sie sich öffentlich zu kompromittieren fürchten, sondern einzig wegen der physischen Bedrohung. Weil sie anders keine Beachtung finden, legen ganz normale Chemnitzer ihre Lasten nieder auf die Nacken vierschrötiger Kerle aus der Szene samt zugereister Schlachtenbummler. Zugleich wirkt sich ihre hilfsbedürftige Gegenwart mäßigend auf diese Burschen mit dem notorischen Kraftüberschuß aus. Das unvermutete Generationsbündnis ist ein weiteres Merkmal des Wunders von Chemnitz. Das die Frauen im schlimmsten Fall begütigend einwirken beurkundet der Ton des einzigen Videos, welches immer wieder als fadenscheiniger Beweis herangezogen wird. Dort vernehmen wir eine Frauenstimme mit den Worten: »Hase du bleibst hier! Du bleibst hier!« Verbreitet wurde dieses weitere Friedenswunder von Chemnitz in niederträchtiger Mißdeutung unter dem unliebenswürdigen Decknamen Zeckenbiss.

Über die nächstfolgende Versammlung am Montag resümiert der Polizeisprecher: Demonstranten von Pro Chemnitz hätten nicht gehindert werden können, zu den Gegnern hinüberzuwechseln. Nun, endlich kommt man einmal zusammen. Weiter spricht er von Pyrotechnik und Flaschen, »die von der einen auf die andere Seite geworfen wurden«, ohne die Flugrichtung anzugeben. Auch die zwei Verletzten werden keiner Seite zugeordnet. Später zeigt sich, daß sie auf das Konto selbst erklärter Nazijäger gehen. Im Polizeibericht steht: »Ebenso begannen sich ca. 200 Teilnehmer der Versammlung ‚Die Linke‘ im Stadthallenpark zu vermummen.« (Haben sich schon einmal Hundertschaften von AfD-Anhängern vermummt?) Aus der Nacht tauchen diese Dunkelmänner wieder auf. »Gegen 21.35 Uhr wurde bekannt, dass sich ca. 200 Personen in der Hartmannstraße vermummen und mit Stöcken sowie Stangen bewaffneten. Wenig später kam es zu Übergriffen auf ehemalige Versammlungsteilnehmer, die im Begriff waren abzureisen. Unter anderem wurden wiederum pyrotechnische Erzeugnisse durch Vermummte geworfen. Dabei wurden mindestens zwei Personen verletzt. Es wird wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs ermittelt.« Das Fazit: »Dennoch gelang es den Einsatzkräften, die Versammlungsfreiheit und die Sicherheit der Teilnehmer weitgehend zu gewährleisten.« Wer das Kräfteverhältnis dieses Abends berücksichtigt, der kann erahnen, woran das gelegen hat.

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In seinem »Titan« läßt Jean Paul verlauten: »Der Regent ist der Ober-Hirt, nicht der Schächter des Staats, sogar die Wollscheere nehm' er nicht so oft als die Hirtenflöte in die Hand ... « Hier aber ruft die Gerichtsfanfare zum Schauprozeß. Niemand kommt ungeschoren davon. Gut und Böse, Schuld und Entschuldbares, Unverzeihliches und Läßliches wurden zuvor festgelegt, die passenden Bilder werden nachgereicht, Beweise bleiben aus. Abweichende Anblicke werden anders gedeutet. Mit wechselndem Augenkneifen rückt alles per Daumensprung immer weiter nach rechts. Die Polizei hatte Öffentlichkeitsarbeit für die Regierung zu verrichten. Aus einem struppigen Bündel Wildkräuter, für dessen Kultivierung jahrelang nichts getan wurde, soll ein vorzeigbares Bukett entstehen. Die Journalisten liefern nötigenfalls etwas Verschleierungskraut für pfiffige Floristik-Ideen. Hetze mit Herz statt nüchterner Liebe. Der Anblick der protestierenden Menge wird unterlegt mit dem Bild vom getrockneten Blut des Opfers. Eben dieses selbst betriebenen Mißbrauchs für eigene Zwecke wird dann die Gegenseite bezichtigt. Eine Kommentatorin versteigt sich dazu, an Herschel Grynszpans Pariser Mord an Exzellenz vom Rath und die damals inszenierten Folgen zu erinnern. Und genauso ist es auch, nur eben andersherum.

Die »Times« stellt kühl-sachlich fest: »Aus dem ganzen Land sind Demonstranten in die Stadt geeilt. Unter ihnen sind Konservative, die kaum Kontroverses, sondern lediglich eine bessere Integration von Immigrantengemeinden verlangen.« Perfides Albion. Maas (und Habermaas) strafe England.

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Vom mutmaßlichen Täter Yousef hören wir, er soll ein lieber und netter Kerl gewesen sein, der nur »manchmal komisch« wurde. Weil er oft mit viel Geld unterwegs war, steckte er immer ein Messer zu sich. Jetzt, wo wir aufgeklärt wurden, welch rechter Mob sich zuweilen durch die von angloamerikanischen Bomberverbänden im Verein mit sozialistischen Stadtplanern geräumig gestaltete Innenstadt wälzt, verstehen wir diese josephinischen Vorkehrungen. Ein arabischer Satz auf seinem Gesichtsbuchprofil wird automatisch ins Deutsche übersetzt mit: »Ich werde Euch töten, meine Freunde!« In Englisch allerdings ist die Rede von »I miss you, my friends.« Ebenso irreführend wie die Sprachautomatik funktioniert die Übersetzung der Wirklichkeit durch die Journalisten. With kill regards. Killingly yours. Die reizend-blasierte Feuilleton-Kokotte Ronja von Rönne verkündete vor Jahr und Tag: »Ich bin es übrigens müde, immer über die AfD zu reden, aber leider ist es die AfD nicht müde, zu einer immer gewichtigeren Partei zu werden.« Ferda Ataman fragte im Mai auf »Spiegel Online«: »Sind Ossis auch nur Migranten?« Nach den Demonstrationen forderten die Konkurrenzparteien eine geheimdienstliche Ausspähung der AfD. Allerdings waren die Befürworter nur in der alten Republik in der Überzahl, und im Anschlussgebiet machten sie nicht einmal ganz die Hälfte aus. Die Menschen haben hier während der letzten achtzig Jahren Dinge erlebt, von denen sie bis heute lieber nicht unumwunden reden wollen, schon gar nicht mit denen, deren von Zweifel vibrierende Gesichter mit geborgten Gewißheiten und Vorurteilen gepanzert sind. Sie sind entschlossen in ihrer Verzweiflung, während jene völlig zerrüttet sind von ihrer Sicherheit. Eine (Wieder-)Vereinigung bleibt unausweichlich. »Mein Freund, wir lieben uns und es wird schlimm.«

Alles wird nach soziologischen Gesichtspunkten gedeutet, nur die Gesellschaft selbst mit dem Kalkül eines Innenarchitekten taxiert. Die Einrichtung der Behausung soll den Schwieger- oder Stiefeltern, gegebenenfalls dem Vormund zusagen. Aber wenn man ihnen das letzte Licht ausknipst, muß man sich nicht wundern, das Silberfischchen über die Tapeten huschen. Urtiere, die gegenwärtig geblieben sind. Tief im Germany liegt verborgen immer noch ein Deutschland. Die DDR ergab den mageren Kleister, von dem es sich nährte, während westwärts die fette Nährlösung des Wohlstands die Flügel, die sie wachsen ließ, gleich wieder verklebte.

Das Versammlungsgeschehen von Chemnitz ist zugleich der Ausdruck des Ringens zwischen Großstadt und umgebender Landschaft. Die Grenzen der einen zur anderen sind in Sachsen durchlässiger als anderswo, und das Erzgebirge ist das am dichtesten besiedelte Mittelgebirge Deutschlands. Hier liegt bis auf den Kamm hinauf eine freie Stadt an der anderen. Hier lebt man herrschaftsfrei und doch beherrscht. Das Berggeschrey zog seit dem Mittelalter tüchtige Unternehmer an. Die Ausbeutung wurde genossenschaftlich betrieben. Als die Gruben sich im 18. und 19. Jahrhundert langsam erschöpften, gelang damals schon ein beispielhafter Strukturwandel. Das Gezähe aus Industriefleiß und Heimatliebe erhält die Leute in ihrem Land. Die Brüderlichkeit hat hierzulande noch keine Mode streng geteilt. Der realexistierende Sozialismus der DDR vermochte einen »Kommunismus des Geistes« (Hölderlin) nicht zu erledigen. Um diese unerwünschte Gemeinschaft zu exorzieren, wurden Partygäste aus allen Landesteilen zu einem Gratisfestival unter dem bezeichnenden Motto »Wir sind mehr« nach Chemnitz gerufen. Der Kreuzzug der Rechtgläubigen soll die lokale Vielfalt egalisieren.

Dabei geht es nicht um Wahrheit und Objektivität. Es geht um Macht und Deutungshoheit. Als unverzeihlich gilt es, daß die Gescholtenen das inzwischen erkannt haben. Am Donnerstag griff die imaginierte Lynchjustiz von Chemnitz auf einen Journalisten aus. Fernsehschaffende wollten von einem Minderjährigen wissen, »ob das ein Problem wäre, wenn wir mal kurz den Balkon benutzen.« Nachdem sie eine Weile aus der Privatwohnung gefilmt hatten, wurde das Geschehen um sie dynamischer als das zu ihren Füßen: »Plötzlich stand dann halt ein Mann hinter uns, sehr sehr kräftig, hat uns von hinten am Schlafittchen gepackt und uns rausgezogen.« Der Medienschaffende guckt ernst aus braunen Augen, während ganz sachlich berichtet, was ihm widerfuhr. Die Treppe wären sie hinabgeworfen worden, und »die Kamera ist kapuhut.« Leute gleich ihm haben weit mehr zerstört an jenen Tagen in Chemnitz und zuvor in Dresden, Sebnitz, Heidenau, ganz Sachsen, Deutschland und darüber hinaus. Als der Reporter Manuel Gogos vor einem Jahr von einem impulsiven Bannerträgern der Identitären Bewegung in Dresden einige unüberlegte Worte für seine Reportage einsammeln will, wird er von diesem auf die Medienabteilung verwiesen. Frustriert höhnt der Abgeblitzte: »Soviel zu Volkes Stimme.« Friedrich Hölderlins »Stimme des Volkes« sei ihm nahegelegt: »Du seiest Gottes Stimme so glaubt ich sonst, / In heilger Jugend; ja, und ich sag es noch! / Um unsre Weisheit unbekümmert / Rauschen die Ströme doch auch, und dennoch, / Wer liebt sie nicht?« Wer liebt sie nicht? Das ist die entscheidende Frage.




 


Nachtrag am Martinstag

Als Ende September ein sächsischer Verwaltungsbeamter im gehobenen Dienst Dr. Hans-Georg Maaßen für den Sächsischen Verdienstorden vorschlug, gab ein Redakteur des Berliner Tagesspiegel vor, sich köstlich darüber zu amüsieren. (Matthias Meisner ist Mitherausgeber einer programmatisch betitelten Aufklärungsschrift über die »Unter Sachsen.« Das sind offenbar die neuen ostischen Untermenschen, auf die auch Andreas speit). Auf sein Gezwitscher flötete die Sächsische Staatskanzlei zurück: »Brief mit Vorschlag ist eingegangen, wird wie üblich geprüft. Kriterien sind übrigens (...) außergewöhnliche Leistungen über längeren Zeitraum oder ganz außergewöhnliche Einzeltat (...)‹; nicht: Erfüllung einer Berufspflicht oder Wirken für eigenes Erwerbsunternehmen (...).‹« Immerhin reichte Bei Dr. Maaßen die Erfüllung einer Berufspflicht aus, den Betreffenden von seinem Beruf zu entpflichten. Ganz in diesem Sinne tiriliert anderer Piepmatz in Richtung des Anregers Torsten Küllig: »ein sehr umständlicher entlassungsgesuch (sic).«

Die geistige Landschaft wurde in den vergangenen vier Jahren durch massive Spannungen umgeformt, die bislang nur als unterirdische geologische Verwerfungen verliefen. Angesichts dieser Eruptionen wurde, wenn auch unwillig, nachträglich manches eingestanden. Jetzt aber erleben wir die Obersten ohn' Maaßen grimmig. Am längeren Hebel sitzend haben sie mutwillig den Bruch riskiert, haben das Tischtuch zerschnitten und beide Hälften weggerafft. Ein geistreicher Komiker stellte einmal fest: »St. Martin war kein Linker, denn er hat seinen eigenen Mantel geteilt.« Am Tag der Deutschen Einheit stellte ein Autor der Wikipedia dort den Eintrag »Hasi-Video« fertig. Das Wunder von Chemnitz hat für die 1990 wiedervereinigten Deutschen eine Bedeutung gewonnen, wie weiland die Verlautbarungen des Ersten Vatikanisches Konzils für die Katholischen Christen. Fortan muß weder der Augenschein bemüht werden, noch ist ein Consensus Ecclesiae erforderlich, sobald der unfehlbare Amtsträger Wahrheit kundgibt. Die anderen Altkatholiken aber spalteten sich nicht ab, sie sind ausgeschieden worden von jenen, denen Irrtumslosigkeit, Fehlerlosigkeit, Perfektion im Handeln eignet. Wie damals ist die Deklarierung der eigenen Unfehlbarkeit das unfehlbare Kennzeichen unumkehrbarer Zerrüttung. Diese nimmt nicht ab mit der Weigerung, ihre Anzeichen wahrzunehmen. Die Diagnose klingt zunächst schrecklich. Jedoch: »Immer wieder kommt ein neuer Frühling. Immer wieder kommt ein neuer… Auch das Häschen steckt sein Näschen frech heraus aus seinem Bau



'Saxonia' von Johannes Schilling, dem Schöpfer des Niederwalddenkmals. © (Museum 'Alte Pfarrhäuser' | Johannes-Schilling-Haus | Mittweida)


Über den Autor:

SEBASTIAN HENNIG, geb. 1972 in Leipzig, lebt als bildender Künstler, freier Publizist und Buchautor in Radebeul bei Dresden. Letzte Buchveröffentlichungen u.a.: PEGIDA – Spaziergänge über den Horizont (2015); Unterwegs in Dunkeldeutschland (2017); Nie zweimal in denselben Fluss. Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig (2018).


Beiträge von Sebastian Hennig finden sich etwa in den TUMULT-Ausgaben vom Frühjahr 2014 oder Sommer 2018.

 

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