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Rudolf Brandner: DER FALL LADENBURGER

Emotionale Selbstvergewaltigung und existentielle Perversion als Dekadenz-Christentum?


Maria Ladenburger (19, Medizinstudentin) wurde 2016 auf dem Nachhauseweg am Dreisamufer in Freiburg von einem afghanischen Asylbewerber vergewaltigt und ermordet. Der Täter Hussein K., der schon zuvor in Griechenland im Gefängnis saß, weil er eine junge Frau eine Klippe hinuntergeworfen und schwer verletzt hatte (»es war doch nur eine Frau«), aber durch eine Generalamnestie frei kam und nach Deutschland weiter zog, wohnte als Minderjähriger in der Obhut einer Familie im Stadtteil Littenweiler, die dafür laut Presse ca. 5000 € monatlich bezog.

Als Reaktion auf die Tat gründeten die Eltern von Maria, Friederike und Clemens Ladenburger, zusammen mit dem Verband der Freunde der Universität Freiburg, eine Stiftung zur Förderung karitativer Zwecke in Entwicklungsländern. Für dieses ausdrücklich belobigte »Zeichen der Mitmenschlichkeit« erhielten sie 2019 den »Bürgerpreis der deutschen Zeitungen«.


In der Belobigung dieses Verhaltens meinte Mathias Döpfner; »Und es wäre nur verständlich, auf dieses Erlebnis (sic!) mit Hass, Wut, Verzweiflung, Aggression, Anklage zu reagieren. Sie haben das Gegenteil getan«, und damit eine Geste gezeigt, »wie man auf Gewalt, Intoleranz, Hass reagieren kann«. Ebenso lobte Elke Büdenbender diese »Besonnenheit« gegen die »Populisten« als »gelebte Nächstenliebe« einer solidarischen und sozialen Gesellschaft. Die Eltern bestätigten ihr christliches Motiv, Taten des Hasses nicht mit Hass erwidern zu wollen. Dies wurde im Südkurier (13. 3. 2019) als »vorbildliches Verhalten« gelobt. Womit haben wir es hier zu tun?


Fragwürdig bleibt zuerst die politisch-mediale Belobigung und Auszeichnung des Verhaltens – das eben dadurch gerade auch politisch instrumentalisiert wird (gegen vermeintlichen Rechtspopulismus). Mit der Berufung auf christliche Werte wird die migrationsbedingte muslimische Gewalt verdrängt und im Schein religiöser Transzendenz vernebelt: Sie hört auf, ein Gegenstand der Politik zu sein. Die Dimension des Politischen verschwindet in religionssimulierender Hypermoral.



Ottiliensteg mit Gedenkbaum an der Dreisam in Freiburg-Waldsee
Ottiliensteg mit Gedenkbaum an der Dreisam in Freiburg-Waldsee

Beachtenswert bleibt die individuelle und persönliche Haltung der Ladenburgers. Sie bekundet sich in der menschlich nur zu verständlichen Wirklichkeitsabwehr, wo jede Berührung mit der Tat selbst schmerzt. So wollten sie dem Täter nie entgegentreten und ihn persönlich kennenlernen, wollten auch den Tatort nicht besuchen, und haben auch ganz bewußt nicht am Gerichtsprozess teilgenommen. Der tiefe Schmerz über Leiden und Tod des geliebten und jahrelang umsorgten Wesens zieht sich in die seelische Intimität zurück, die nur noch mit der Inkommensurabilität religiöser Transzendenz kommuniziert, aber nichts mehr mit der öffentlichen Lebenswirklichkeit, ihrer politischen und juristischen Versachlichung zu tun haben will. Transzendente Sinnstiftung mag dem emotionalen Selbstschutz dienen, um den tiefen Schmerz geistig zu verarbeiten. Das gehört ins unangreifbare Geheimnis der Person und zur Achtung der betroffenen Eltern, Friederike und Clemens Ladenburger, die sich zu ihrer christlichen Grundhaltung bekannten.


Ist der Schmerz und seine geistig-religiöse Innerlichkeit aber eine Sache des Schweigens, warum und wozu dann der ostentative Gang in die politisch-mediale Öffentlichkeit? Noch dazu die Gründung einer Stiftung? Haben wir es dann nicht mit einer Politisierung der Innerlichkeit zu tun, die den tiefen inwendigen Schmerz zu Selbstverleugnung und Selbstvergewaltigung zwingt? Und damit, ob gewollt oder ungewollt, der medialen Inszenierung religionssimulierender Hypermoral Vorschub leistet? Sich also zu ihren Zwecken mißbrauchen läßt?


Auf Haß, Empörung, innerste Abscheu und Verwerfung kann der Mensch nicht verzichten – sie entstehen unumgänglich aus tiefer existentieller Verletzung als kathartische Abwehrreaktion, die zu verleugnen einer emotionalen Selbstvergewaltigung gleichkommt. Wo sie der Innerlichkeit durch eine gesellschaftspolitische Pseudomoral gegen »Haß und Hetze« abgenötigt wird, pervertiert sich das menschliche Grundempfinden für Recht und Gerechtigkeit. Die Politisierung der Innerlichkeit wird zur Perversion, die umso zwanghafter auf die personale Identität übergreift, als man an ihr seine soziale Existenz zu bewahren hat.


Wer wie Herr Ladenburger als EU Beamter in Brüssel ganz genau weiß, was der politischen »Correctness« ziemt und was nicht, wird sich dem politischen Übergriff beugen, um sich nicht professionellen Konsequenzen auszusetzen, die nicht zuletzt auch über das Schicksal einer Stiftung entscheiden könnten. Was im Rückzug in die religiöse Innerlichkeit die Auflösung alles Politischen und seiner realgeschichtlichen Lebenswirklichkeit ist, wird in der politisch-medialen Inszenierung von Abziehbildern christlicher Dekadenzmoral zur existentiellen Perversion, Vergewaltigung und Mord mit karitativen Stiftungen zu honorieren, um alle Gewalt und alles Unrecht in den Schein metaphysischen Gutmenschentums zu transformieren. Es wird zu einem überzuckerten Guten, das als moralischer »Overkill« widerwärtig und ekelerregend wirkt. Es ist als Variation des »Halte auch die andere Wange hin« nicht weit davon entfernt: »Wenn deine Tochter vergewaltigt und ermordet wird, biete auch noch deinen Sohn an«. Das ist nicht moralisch gut, sondern unmenschlich: Es sprengt das Maß des Menschlichen und flüchtet in eine inszenierte Pseudotranszendenz, die im öffentlichen Raum alle politische Vernunft dem religiösen Kitsch opfert. Damit weist der Fall Ladenburger weit über sich hinaus auf eine allgemeine Bewußtseinslage, die sich mit pseudochristlicher Dekadenzmoral ein Alibi für ihr Unvermögen verschafft, mit dem Wirklichen umzugehen.



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Über den Autor: RUDOLF BRANDNER, geb. 1955, Studium der Philosophie, Psychologie und Indologie in Freiburg, Paris (Sorbonne) und Heidelberg, 1988 Promotion über Aristoteles, 1993 Habilitationsarbeit zum philosophischen Begriff der Geschichtlichkeit. 1985-1999 neben Lehr- und Vortragstätigkeit im deutschsprachigen Raum zahlreiche Gastprofessuren in Frankreich, Italien und Indien. 2000-2005 Rückzug in die philosophische Grundlagenforschung. Brandner lebt als freier Philosoph in Freiburg i. Br. und Berlin. Letzte Buchveröffentlichung: Muslimische Immigration und das Versagen der politischen Vernunft Europas. Werkreihe TUMULT 2024. Hier geht es zur Internetseite von Rudolf Brandner.



Artikelfoto: Andreas Schwarzkopf, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons



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