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Ralf Rosmiarek: SPITZENPOLITIK(ER): Wenn ein Tierarzt und ein Virologe...


Spitzenreiter, Spitzensportler ... das klingt nach Leistung, nach Anstrengung, nach Spitze eben. Beim Spitzenmanager sind es dann schon weniger die Leistung und Anstrengung, oft sind es ein Beziehungsgeflecht und der Stallgeruch, denen sich die Position verdankt und viel eher ist es das Gehalt, was auf die Spitze verweist. Erinnert man sich noch an den Berliner Flughafen, das Umkrempeln der Deutschen Bahn, an Stuttgart 21? Gänzlich anders ist es nun beim Spitzenpolitiker. Zwar legt eine erste Vermutung nahe, es handele sich auch bei ihm um einen Leistungsträger, doch hier markiert Spitze allein eine Position in der Parteienhierarchie. Und vielleicht muß es sogar so sein und braucht uns nicht über die Maßen zu verwundern, denn schon Friedrich Nietzsche warnte: „Alle politischen und wirthschaftlichen Verhältnisse sind es nicht werth, dass gerade die begabtesten Geister sich mit ihnen befassen dürften und müssten: ein solcher Verbrauch des Geistes ist im Grunde schlimmer als ein Nothstand“. Daß wir derzeit beides im Überfluß haben, steht außer Frage, den „Verbrauch des Geistes“ und den „Nothstand“.

Ein Blick somit auf letzteren: Anfang Dezember 2019 wurden in der zentralchinesischen Stadt Wuhan erste Fälle eines neuartigen Virus entdeckt. Die ersten Leitartikler hatten gutes Gespür und witterten eine Story mit Potential - und einen Notstand, bald figurierend als Pandemie. Es begann eine sich stetig steigernde Umtriebigkeit - nach Geschichten, nach Zahlen. Bald brauchte es mehr - Horrorszenarien und Schreckensmomente schossen wie Pilze aus dem Boden. Erfaßte Paul Watzlawick die Situation nicht wunderbar: „Die Prophezeiung des Ereignisses führt zum Ereignis der Prophezeiung“? Die Politik reagierte anfänglich nahezu gar nicht. Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums versicherte Ende Januar noch, die von dem Erreger ausgehende Gefahr für Deutschland sei „sehr gering“. Auch das staatliche Robert-Koch-Institut, das im Jahr 2012 eine Risikoanalyse unternahm, die dem Bundestag in der Drucksache 17/12051 zur Kenntnis kam, wiegelte anfangs eher ab. Nur sehr gemächlich schlich sich ein dramatischerer Ton ein. Am 14. März dann - das Datum wird sich einbrennen - folgte Merkels Handstreich im Namen der Gesundheit und die Republik verharrt seitdem im nahezu totalen Stillstand. Was zur Sicherung des biologischen Überlebens oder Vegetierens dient, darf weiterhin produziert und verteilt werden, etwas mehr oder weniger Bewegungsfreiheit wird überdies zugestanden, denn die Arbeitsstelle muß erreicht werden, der Bäcker ebenso. Düster sieht es dann schon mit dem Gang zur Parkbank aus. Irrsinn sagen die einen, Spitzenpolitik im Namen der Gesundheit nennen es die anderen.

Eine alles beherrschende Angst ist zur neuen Kultur dieser Wochen geworden. Besaß das Angstgefühl bereits eine hohe Präsenz im Lebensgefühl der Bürger, ausgemacht für Individuen etwa in der Zunahme psychischer Erkrankungen, so beschreibt die soziologische Forschung das häufiger werdende Auftreten von Abstiegs-, Versagens- oder Identitätsängsten. Die englische Historikerin Joanna Bourke sieht in der Angst sogar „die tiefgreifendste Emotion der modernen Gesellschaft“. Angst gehört zur menschlichen Grundausstattung, tief verankert in den psychischen Strukturen wird sie sichtbar in vielfältigsten Erscheinungsformen - affektive Verwirrung, Verunsicherung, Besorgnis, Furcht, gesteigert zur Todesangst. Doch menschliches Leben ist immer auch körpernahes und körperliches Zusammenleben. Das schließt den wechselseitigen Austausch von Krankheitserregern mit ein, nahezu immer und überall: zwischen Müttern und Kindern schon, zwischen Liebenden ebenso. Da verblieben dann noch die Kontakte zwischen Lehrern und Schülern, Orchestermusikern untereinander, Verkäufern und Kunden, Ärzten und Patienten, Sozialarbeitern und Klienten, Künstlern und Publikum etc. Das bedeutet in der Regel dann eben auch keine Katastrophe, verfügt jeder Mensch über ein Immunsystem, das von Beginn des Lebens an lernt, mit den natürlichen Bedrohungen umzugehen, fortlaufend ist es programmiert, sich an neue Gefahrenlagen anzupassen.

Spitzenpolitiker - weltweit - sind urplötzlich traumatisiert und greifen zur Ultima Ratio und rufen die Pandemie aus. Alternativlosigkeit einmal mehr, dem deutschen Mitbürger ja bekannt spätestens seit 2015. Was damals „No Borders“ und „Refugees welcome“ hieß, um einmal auch mit Neusprech zu glänzen, heißt heute - „Im Namen der Gesundheit“ oder im „Namen der Solidarität“ - das Opfern der Freiheit, der ökonomischen Sicherheit, der Gemeinschaft, der psychischen Gesundheit. Die Spitzenpolitikerin dieser Republik hält alternativloses Regieren offensichtlich für hohe politische Kunst, wenngleich selbst interne Kritik im Jahre 2017 feststellte, „dass der Kanzlerin persönlicher Machterhalt wichtiger scheint“ als etwaige inhaltliche Positionen. Der seinerzeit nur für die CDU konstatierte „Kadavergehorsam“ entfaltet sich, ebenso das „Demokratiedefizit“. Ungerührt und beinahe einmütigen Sinnes scheint dieses Land zu sein, übt sich (wieder) in Servilität und Demutsbezeugungen. Waren es kurz vor der Parteiauflösung 1945 zwischen 7,5 und 8 Millionen an NSDAP-Mitgliedern, die auf eine Armhebung des Führers dressiert waren und ihr Gehirn abschalteten, sind es auf „Muttis“ Handraute hin dieser Tage fast 82 Millionen Bundesbürger. Zu guter Letzt dann noch der medizinisch unsinnige, politisch freilich hochwirksame Rat des Tierarztes Wieler: Maske drüber und aus! Schon Arthur Schopenhauer sah für den Staat ein probates Mittel darin - „Raubtieren“ den „Maulkorb“ umzuhängen, sie werden dadurch zwar nicht moralisch besser, dafür „unschädlich wie ein grasfressendes Tier“.

Irrte also Kurt Tucholsky, der vermutete, daß das Volk zumeist vieles falsch versteht, was im Staate vor sich geht, aber oft das richtige Gespür besitzt? Der Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel ist überzeugt - (und Mediziner bestätigen selbst für Corona-Betroffene das Wiederkehren von Geschmacks- und Geruchssinn) - der „richtige Riecher“ der Massen könnte wieder belebt werden und Witterung neu aufnehmen: „Die Leute spüren, dass wir das System übersteuert haben“. Zugleich verdeutlicht er, was Spitzenpolitik nach Merkel bedeutet: „Es wird nicht gesteuert … Merkel gibt die strenge Mutti … Mit vernünftigem Krisenmanagement hat das nichts zu tun“. Zu fragen wäre mindestens noch, wem die Solidarität zu gelten hat? Den Kindern, die an Masern sterben (werden), weil etliche Länder angesichts von Corona die Schutzimpfungen aussetzen? Den indischen Arbeitern, die angesichts des wirtschaftlichen Stillstandes aber weder ihre Familien noch sich selbst versorgen können? Den zahlreichen Flüchtlingen, die zwar physisch versorgt, sich ansonsten jedoch selbst überlassen werden? Oder gilt sie doch nur mit uns selbst, weil wir um unser Leben fürchten und denen noch, die mit uns im selben Boot hocken? „Gesundheit ist das Wichtigste im Leben“, plakatiert ein Backhaus in Erfurt und setzt hinzu - „Bitte achten Sie deshalb auf unsere Abstandsregeln!“ Ist das die beschworene Solidarität? Mit chronisch Kranken etwa? Oder schon blanker Zynismus? Abgesagt wurden mehr als 50 Prozent aller deutschlandweit geplanten Operationen, die aber nötig sind, so Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft. 30 bis 40 Prozent weniger Patienten melden sich bei den Rettungsdiensten, die hinsichtlich von Herzinfarkt oder Schlaganfall der Behandlung bedürften: „Und zwar nicht, weil es weniger Erkrankte gibt, sondern weil viele Angst vor Corona haben“ (G. Gaß). Vergessen wir es nur nicht - Im Namen der Gesundheit! Im Namen der Solidarität!

Von den „begabtesten Geistern“ läßt sich somit schwerlich sprechen, der „Verbrauch des Geistes“ hält sich in der Politik ebenfalls im überschaubaren Umfang. Und wenn nur begrenzte intellektuelle Ressourcen zur Verfügung stehen, dann braucht es externe Unterstützer, braucht es zudem ein Empörungs- und Meinungsmanagement, gewürzt mit reichlich Diffamierungs- und Denunziationsfutter, um die öffentliche Meinung in den gewünschten Kanal zu leiten. Natürlich bedarf die Komplexität des gesellschaftlichen Lebens der Experten, längst sind naturwissenschaftliches und geisteswissenschaftliches Denken zu „zwei Kulturen“ (C.P. Snow) geworden, die unüberbrückbar scheinen. Und dennoch erleben wir gerade eine seltsame Wandlung, denn die Naturwissenschaft übernimmt die Deutungshoheit. Virologen, Epidemiologen, Tierärzten gar wächst die Rolle von Schriftgelehrten zu, wie man sie aus alten Religionen kennt, die nun im Namen der körperlichen Unversehrtheit die Verhaltensregeln für unseren Alltag bestimmen. Diese Schriftgelehrten sind die neuen Einflüsterer der Regierenden und fühlen sich augenscheinlich wohl in der übernommenen Rolle. Medialer Pomp übernimmt die Inthronisierung „der“ Wissenschaft als populärer, zugleich monolithischer Wahrheitsinstanz.


Die politisierten Medien und medialisierten Politiker treiben jedoch zugleich auch die ultimative und alternativlose Wahrheitsinstanz „Naturwissenschaft“ vor sich her. Das macht die Crux - die Naturwissenschaft verfügt über keine geeigneten Grundlagen aus sich heraus, die Sinn-„Erzählungen“ von Politik und Medien zu beantworten. Stützelemente vermag die Naturwissenschaft zu liefern, aber in einem massenmedialen, gemeinverständlichen Kontext ist „Wissenschaft“ nicht existent. So erleben wir es tagtäglich, vermeintliche Ergebnisse, oftmals noch ihrem eigentlichen Kontext entrissen, werden den ideologischen Bedürfnissen ihrer Nutzer angepaßt. Angesichts etwa der ständig sich verändernden Zahlen (Todesfälle, Infektionen etc.) und des scheinbar beliebigen Methodenwechsels bei der Berechnung der Reproduktionszahl durch das Robert-Koch-Institut wird daher der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki zu scharfer Kritik verleitet und konstatiert: die Zahlen „vermitteln eher den Eindruck, politisch motivierte Zahlen zu sein als wissenschaftlich fundiert“ und kommt nicht umhin festzustellen: „Es trägt nicht dazu bei, die täglichen Wasserstandsmeldungen des Instituts noch für seriös zu halten“. Auch dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet dämmert: „Wenn Virologen alle paar Tage ihre Meinung ändern, müssen wir in der Politik dagegenhalten“.

Weltweit ist der „Kritische Rationalismus“ an den Hochschulen, Universitäten und Forschungseinrichtungen noch immer hochangesehen und Grundlage für seriöses Arbeiten. So gilt eine Theorie als stimmig, wenn durch sie reale Phänomene widerspruchsfrei erklärt werden können. Verifikation und Falsifikation sind Grundelemente der Theoriebildung. So gilt es, Zahlen nicht nur zu belegen, sondern auch Gegenargumente aufzuspüren, die eine andere Interpretation ermöglichen. Unsinn aber ist es, Daten für eine Statistik zu erheben, deren Grundbegriffe nur unzureichende Klärung besitzen und obendrein widersprüchlich sind. Als wissenschaftlich gelten somit Hypothesen nur dann, wenn sie auch widerlegbar sind. Für die Corona-Pandemie benutzt man hingegen ein Theoriegebilde, daß durch die Realität nicht zu widerlegen ist, die Erkenntnistheorie nennt es die „Logik der Möglichkeit“. Man ist nun gefeit gegen jegliches Argumentieren, vor allem jegliche Empirie. Und mit dieser „Logik der Möglichkeit“ ist alles verpackbar, was gewünscht wird, jede Rechtfertigung der Pandemie legitimiert sich mit ihr. Covid-19 könnte bedeuten: mehr Ansteckung als …, mehr Lungenerkrankungen als …, völliges Zusammenbrechen des Gesundheitssystems als …, mehr Todesopfer als … Ein jeder darf sich nun daranmachen, die „Logik der Möglichkeit“ auf ihren Realitätsgehalt zu untersuchen und eine realistische Risikobeurteilung vorzunehmen. Ein jeder dürfte danach einigermaßen ernüchtert sein, es werden sich gewisse Gefühle einstellen - Vergnügen und Wohlbehagen werden sie nicht heißen.

Die Logik der Möglichkeit, wird - da dürfen wir sicher sein und tatsächlich „Vertrauen“ haben - der Politik auch weiter das theoretische Rüstzeug bleiben. Und man übt unter Führung von Wieler und Drosten fleißig daran: der Höhepunkt der Pandemie könnte möglicherweise noch anstehen, verlautet es, im Herbst, im Frühjahr könnte eine neue Welle uns fluten. Realiter - erneutes Zuhausebleiben und Schutzhaft und Wielerscher „Maulkorb“. Die Polizei steht ganz wirklich wieder auf den Straßen und wir werden dann tatsächlich bestraft, wenn wir mittelalterliche Ausgangsregeln und Abstandsregeln ignorieren. Home-office-bewährt sind wir dann ja geworden. Und so könnte es munter fortgehen mal entlassen, dann bei Bedarf wieder eingesperrt werden usw.? Der Irrsinn der „Logik der Möglichkeit“ ad infinitum? Die Logik der Möglichkeit impliziert natürlich auch eine Errettung. Denn eines schönen nah-/fern-zukünftigen Tages dürfen wir auf die Knie fallen und dem HERRN über Leben und Tod und der WHO, HERRN Bill Gates danken, hält er doch dann im Verbund mit der Pharmabranche einen Impfstoff bereit. Vorbereitet sind wir durch seinen Auftritt am 15. April 2020 in den Tagesthemen und seine Verkündigung, daß 7 Milliarden Menschen geimpft werden sollen. Ist es süffisant, noch den Blick auf die Partner zu richten, die da sind Hillary Clinton, Marc Zuckerberg und die großen Pharmakonzerne?

Ein Versagen der theoretischen Grundlage ist allerdings ebenso möglich. Ahnt ein Spahn dies bereits, wenn er nun betont: „Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen“? Doch das mit dem „Verzeihen“ wird schwierig, geht es allein nur darum, daß unablässig angsterzeugende Politik und Journaille um Verzeihung zu bitten hätten. Wiederholt versucht Spahn, den politischen Raum zu moralisieren, zugleich schnellstmögliche Selbst-Absolution für zukünftige Fehlentscheidungen zu erzeugen - die „Logik der Möglichkeit“.

Grotesk - auch wenn das Lachen uns schon länger im Halse erstirbt - ist die Zunft der Politiker, die auf der Basis von Ahnungslosigkeit, Beratungsresistenz und dem „Verbrauch des Geistes“ zwanghafte politische Ordnungsvorstellungen (Polizei, Datenweitergabe, Überwachung etc.) bis hin zur Verwerfung der Demokratie (Demontage des Grundgesetzes) befürwortet. „Politik ist Macht, Macht und Macht und eigentlich nichts anderes“, wird ein in diesen Tagen Verbrämter in seinem neuen Roman schreiben und luzide veranschaulichen: „Da sie Macht ist, [die Politik], braucht man die Interpretatoren, die Ausleger, die Sichtbarmacher, und das sind die Medien mit ihren Torhütern, ihren Gatekeepern zwischen Politik und Bürger - [„Zweifüßler“ - in Schopenhauers Diktion]. Und man braucht also, auf Seiten der Macht, jemanden, der die Gatekeeper wiederum steuert, eine schwierige, fast unmögliche Kunst“.


Noch lächerlicher und widerwärtiger wird es, wenn das Ungleichgewicht von Wissen und Handlungsforderungen nicht mehr auffällt, den Medien, denen die Rolle des Hinterfragens naturgemäß zufällt, schon gar nicht. - Die Bundesrepublik Deutschland sei eine „liberale, offene, pluralistische und auch reflexive Demokratie“, schrieb der Rechtswissenschaftler Ulrich K. Preuß einmal. Ich gerate über diese Worte ins Staunen … Friedrich Schiller war sich einst sicher: „Die Großen hören auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen“, aber das waren andere Zeiten, da gab es das Suchen noch - nach Verstand und Maß und Klarheit. - Freilich: „Einigkeit und Recht und Freiheit“, so sangen auch wir - manchmal freudig, manchmal stolz, manchmal auch trotzig ... vielleicht sollten wir von Stund an doch besser singen: „Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt“?



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Über den Autor:


Geb. 1962, Studium der Theologie, seit 1989 Tätigkeit in der Stadtverwaltung Erfurt, seit 2007 Mitbegründer und -organisator des Klassik-, Kunst- und Literaturfestes „Sommerklang“ (Oberbösa), Beiträge in „Nietzsche-Studien“, hpd.de, „Aufklärung und Kritik“, https://makroskop.eu/.



 

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