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Parviz Amoghli / Martin Mucha: DER DRITTE UNTERGANG ROMS

Im Schatten der Corona-Hysterie ereignet sich in Wien gerade Symbolisches. Was auf den ersten Blick wie lokales Politikum wirkt, welches es auch ohne das Virus wohl kaum in die deutschen Medien geschafft hätte, stellt sich auf den zweiten als ein weiteres Menetekel im Niedergang der Alten Welt heraus. Gemeint ist die ideologische Umgestaltung des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, HGM. Es ist dies nichts weniger als der, nach 476 n. Chr. und 1453, dritte und endgültige Untergang Roms.


Als Romulus Augustus, genannt Augustulus (Kaiserchen), von Odoaker im September 476 zur Abdankung gezwungen, die Kaiserwürde ablegt, ist das das endgültige Ausscheiden Roms aus der Geschichte in politischer und militärischer Hinsicht. Fast tausend Jahre später, 1453, geht Rom in Konstantinopel ein zweites Mal unter, diesmal kulturell und religiös. Anfang der 2020er Jahre setzt man nun seitens des postheroischen Zeitgeistes an, mit dem HGM als letztem Horst des römischen Adlers aufzuräumen und so den dünnen, verbliebenen Faden zu zerschneiden, der uns noch mit der Vergangenheit verbindet.

Hierzu ist anzumerken, dass wenn Klio den finalen Untergang Roms ausgerechnet nach Wien verlegt, darin ihr untergründiger Humor offenbar wird. Es gibt schlichtweg keinen besseren Ort dafür.


Was ist geschehen? Im Spätsommer 2019 gerät das Heeresgeschichtliche Museum in Wien, HGM, ins Visier des Vereins „Stoppt die Rechten“. Obmann dieses Vereins, der bereits im Namen keinen Zweifel lässt an seiner Zeitgeisttreue, ist der Grünen-Politiker Karl Öllinger, der sich als umtriebiger „Kämpfer gegen rechts“ einen Namen in der moralisch besseren Gesellschaft gemacht hat. Wes Geistes Kind Obmann, Verein und Kampagnen sind, davon zeugt bereits die Rubrik „Was kann wie wo gemeldet werden?“ auf der Vereins-homepage[1]. In ihr finden sich – umfassend und leicht verständlich erklärt – alle notwendigen Informationen für den IM aus Leidenschaft.


Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, wenn sich „Stoppt die Rechten“ im Spätsommer 2019 des HGMs annimmt. Am 3. September erscheint auf der Homepage des Vereins ein fünfteiliger Text über das Museum im Arsenal, der, wie zu erwarten, verheerend ausfällt. Dem Museum wird vorgeworfen, „identitäre Projektionsfläche“ zu sein, außerdem biete der zeitgeschichtliche Saal eine „Steilvorlage für rechtsextreme Umdeutungen der Geschichte“ und im Museumsshop würden sich „rechtsextreme Literatur und Wehrmachtspanzer“ finden. Und schließlich ist da noch eine Panzerschau, in der „NS-Reliquien“ zur Schau gestellt worden sind.[2]


Das ist der Startschuss für eine Kampagne gegen das älteste und einzige Museum Wiens, welches nicht unter der Verwaltung der Bundesmuseen steht, sondern dem Verteidigungsministerium zugeordnet ist. Begierig nehmen Zeitgeistmedien und -politiker den Verriss auf, um zur Offensive überzugehen. Dieser kann das Verteidigungsministerium nicht lange widerstehen. Zuerst wird im Herbst 2019 eine Evaluierungskommission einberufen, außerdem nimmt der österreichische Rechnungshof das HGM unter die Lupe und zu guter Letzt wird eine Expertenkommission eingesetzt. Ihre Aufgabe ist die kritische Aufarbeitung der momentanen Situation sowie die Erstellung einer Liste von Verbesserungsvorschlägen.


Im Jänner 2021 beendet die Expertenkommission ihre Arbeit und legt der Öffentlichkeit kurz darauf ihren Bericht vor. Dieser umfasst 97 Seiten, auf denen der Reform- und Modernisierungsbedarf des HGM festgestellt sowie Empfehlungen der Kommission zur Behebung der Missstände ausgebreitet werden. Unter anderem wird die Kontextualisierung der Ausstellungsobjekte gefordert, sowie die Einbeziehung anderer Sichtweisen außer der Soldatischen oder die Erarbeitung eines durchgängigen „Narrativs“, wie es neudeutsch heißt. Was hieraus spricht, das ist die Angst vor der Vergangenheit, die so gewaltig ist, dass die Heutigen sie aufs Übelste beschimpfen und verfluchen müssen und es als notwendig empfinden, sie mit allen Mitteln der Pädagogik einzuhegen. Dazu passt die Klage der Kommission, dass die Ausstellungsstücke verschiedene, darunter ungewollte, Deutungen zulassen. Überdies wird bemängelt, dass es sich um ein Museum vornehmlich für Spezialisten handelt und schließlich, dass das HGM unter der Verwaltung des Verteidigungsministeriums und nicht der Bundesmuseen steht, was wiederum einer Modernisierung im Wege stehen würde.[3]


Dass es nicht um die bloße Modernisierung des Museumskonzeptes geht, verdeutlichen Forderungen wie die, Texte auf der Homepage „durchgehend und einheitlich zu gendern“, oder jene bei zukünftigen Dauerausstellungen „Überlegungen zu Herkunft und Geschlechterrollen“ einzubeziehen, oder, als drittes Beispiel von vielen weiteren, die Aufforderung, „Militärgeschichte in erweiterter Perspektive zu betrachten und zum Beispiel Technik-, Medizin-, aber auch Sozial-, Frauen- oder Migrationsgeschichte einzubeziehen.“[4]


Angesichts solcher sprachlichen Wendungen weiß der gelernte Bunt-Bürger, wohin die Reise geht. Die Codes der Neuen Zeit sind unverkennbar. Sie proklamieren die ideologische Einreihung des HGM, was gleichbedeutend ist mit dem Beginn der Vergangenheitsvernichtung durch Gleichschaltung der Geschichte und Uniformierung der Geschichtsbetrachtung unter besonderer Berücksichtigung geschlechter-, migrations- und identitätspolitischen Kriterien. Es steht zu befürchten, dass am Ende die Ausstellungsgegenstände hinter all den Kontextualisierungen und bunten Narrativen verschwinden werden, die den Betrachter von Beginn an die „richtige“ Sichtweise oder „Haltung“ aufdrängen.


Das Ganze erinnert an die Leichensynode von 897. Damals ließ der amtierende Papst Stephan VI seinen Vorvorgänger Formosus, der neun Monate zuvor verstorben war, aus seinem Grab reißen, steckte die bereits stark verweste Leiche in päpstliche Gewänder und setzte sie anschließend auf den Papstthron. Es folgt eine dreitägige, förmliche Anklage und das Urteil. Formosus, vertreten von einem Diakon, wird abgesetzt und alle seine Amtshandlungen und von ihm gespendeten Weihen werden für ungültig erklärt. Nachdem dem Leichnam die beiden Schwurfinger der rechten Hand abgehackt sind, wird der Rest verscharrt. Damit ist die Odyssee des Formosus allerdings noch nicht vorbei, insgesamt wird der Unglückliche dreimal beerdigt, bis er endlich seine Ruhe findet.


Gut möglich, dass die Kampagne, die seit anderthalb Jahren gegen das HGM betrieben wird, den Auftakt für eine Leichensynode der neueren Art darstellt. Ankläger sind die moralisch besseren Kreise, die Gelegenheit bekommen, den verwesten Kaiser samt Kaiserreich aus der Gruft hervor zu zerren, ihm eine Galauniform anzulegen, um den Kadaver vor Gericht zu stellen. Dort wird über dem Reich und dem Kaiser dann der Stab gebrochen. Die, die einst über die Welt geboten, werden quasi als finale Demütigung durch die Jetzigen, die LGBTQ+*-Community abgeurteilt. Hierin liegt der Symbolwert der Auseinandersetzung.

In Anlehnung an Robert Musil könnte man mit Blick auf die Neuauflage der Leichensynode bemerken: „Die Lage ist nicht ernst, aber hoffnungslos.“ Der postheroische Zeitgeist, vertreten durch den Verein „Stoppt die Rechten“ und die Wiener Grünen, greift nach dem HGM als Repräsentanz der Alten, angeblich hinfälligen Welt.


Die Groteske zeigt sich allerdings erst in vollem Licht, wenn man sich vor Augen hält, dass das HGM, anders als andere Einrichtungen seiner Art, die Militärgeschichte eines Staates inszeniert, den es seit Generationen nicht mehr gibt und der keine Verbindung mit dem aktuellen Gemeinwesen aufweist. Der Zweite Dreißigjährige Krieg 1914-1945 und der Kalte Krieg haben einen Keil in die Geschichte Österreichs getrieben und Kontinuitäten unwiederbringlich gekappt.


Dieser Umstand verstärkt die Eigentümlichkeit des HGM, die nicht nur darin besteht, dass mit dem Habsburgerreich die Geschichte eines unwiderruflich untergegangenen Staates museal aufbereitet wird. Sondern überdies darin, dass in dieser Aufbereitung die konstitutiven Selbstwidersprüchlichkeiten Kakaniens in all ihrer bizarren Pracht zutage gefördert werden. Es beginnt mit der bloßen Existenz eines militärhistorischen Museums in Wien, der Hauptstadt jener einstigen Großmacht, die ihre Macht weniger auf Bajonette als auf Heiratsverträge – „Tu felix Austria, nube!“ – stützte.


Dass dieses Museum dann aber auch noch als Motto: „Kriege gehören ins Museum!“ verwendet, sollte auch dem infantilsten Gutmenschen unmissverständlich vor Augen führen, dass das HGM in seiner jetzigen Gestalt weder Bellizisten noch Rechtsextremen ideologische Nahrung zu geben imstande ist. Überspitzt formuliert, könnte man sagen: diejenigen, die das HGM entsprechend denunzieren, erklären auch den Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ oder Joseph Roths „Radetzkymarsch“ zur Nationalstaatspropaganda.


Deswegen ist es unsinnig zu befürchten, das HGM sei Anlaufpunkt für Rechtsextreme, die sich hier an Glanz und Gloria der Monarchie berauschen und ihre nationalistischen Leidenschaften entfachen. Abgesehen davon, dass die Begriffe Nationalismus und Österreich nicht zueinander passen, eignen sich die Ausstellungsstücke im Heeresgeschichtlichen Museum nur äußerst schlecht zur Anstachelung nationalistischer Überlegenheitsgefühle. Schließlich erzählen sie nicht die Geschichte eines Nationalstaates, sondern von der eines über den einzelnen Nationen stehenden Heiligen Reiches. Daran ändert auch der Besuch von Martin Sellner nichts, dessen Video aus dem HGM den postheroischen Eliten als Beleg dafür dient, dass im Wiener Arsenal angeblich finstere Gespenster aus der Vergangenheit ihr Unwesen treiben.


Das Sellner-Video und die Reaktion darauf haben ein weiteres Mal gezeigt, wie sehr das Justemilieu geradezu nach einer Möglichkeit lechzt, das HGM in die Defensive drängen zu können. Warum, liegt auf der Hand. Es dürfte schwer fallen, eine Einrichtung zu finden, die dem Postheroismus, egal ob in Österreich oder Deutschland, mehr entgegenläuft als das militärhistorische Museum im Wiener Arsenal. Und dies nicht nur wegen der Waffen, Fahnen, Standarten, Rüstungen und dem sonstigem Kriegsgerät, die sich im Innern des Theophil Hansen-Baus mit seiner filigranen, orientalisch inspirierten Außenhaut befinden. Sondern vor allem, wofür es steht, ruft den Groll derer aus den moralisch besseren Kreisen hervor, nämlich die grundsätzlich positive Haltung gegenüber der unbedingten Bereitschaft für das Wohl der Gemeinschaft ein Opfer zu erbringen, und wenn es das Höchste ist.


Die Erfüllung des Selbst in der Förderung eines Ideals – auf diesem Fundament wurde Rom errichtet. Jedem Menschen qua Mensch steht es frei, an diesem Ideal teilzuhaben und daran mitzuwirken, unbesehen von Religion, Sprache, sexueller Orientierung und Herkunft. Das beweisen im HGM zum einen der Sarkophag von Prinz Eugen sowie die Statue von Andreas Hofer. Ein größerer Unterschied als der zwischen einem italienischen Hochadligen und einem Tiroler Bergbauern ist schlichtweg kaum vorstellbar. Und doch haben sie gleichrangige Aufnahme im HGM gefunden, wegen des Engagements und Enthusiasmus, mit dem beide für das gemeinsame Ideal gestritten haben. Standesunterschiede sind da unerheblich.


Zum anderen ist es das osmanische Feldherrenzelt, das nach der 2. Belagerung Wiens erbeutet und heute im HGM ausgestellt wird, welches das Ideal von der Selbstlosigkeit verkörpert. Ohne Hohn oder Triumphgeste steht es dort, als Zeugnis des Respektes vor der Hochkultur, gegen die man sich zweimal nur in letzter Sekunde und mit Glück erwehren konnte. Daran ist zu ersehen, dass das Ideal, welches im HGM eine Heimat gefunden hat, in der Lage ist, seinen Gegner als edel und gleichwertig anzusehen. Dafür spricht ebenfalls, dass Prinz Eugen, das Osmanenzelt sowie preußische Regimentsfahnen aus dem 7jährigen Krieg auf einer Ebene ausgestellt sind. Ein Umstand, der als Zeugnis des unbedingten Humanismus gelesen werden kann.


Von dieser Warte aus betrachtet ist das HGM in der Tat der letzte Horst des römischen Adlers. Hier ist ein Geschichtsverständnis zu Hause, welches nicht bereit ist, die Vergangenheit von vornherein zu kriminalisieren und als Vorstrafenregister, sondern diese, mit all ihren Ecken, Kanten und Brüchen als identitätsstiftend zu sehen.

Das kann der postheroische, grün-bunte Zeitgeist nicht dulden. Die Welt der Heutigen besteht in einer zügellosen Lustmaximierung, die die Prinzipien und Traditionen, die im HGM beheimatet sind, gar nicht erst verstehen will. Schließlich lebt man im 21. Jahrhundert und ist über die Vergangenheit erhaben. Daraus sowie aus der unbewussten Gewissheit, gegenüber dem, wovon das HGM berichtet, hoffnungslos unterlegen zu sein, resultiert eine tiefsitzende Verachtung.


Diese macht sich aktuell und gesamtgesellschaftlich gerade Luft in einer rabiaten und von oben betriebenen Cancel Culture, die aufgrund des Absolutheitsanspruchs ihrer ideologischen Verblendung, jede andersartige Wertung menschlich strebender Existenz grundsätzlich nur als bestialisch stigmatisieren kann. Damit befinden sich die Vertreter der Cancel Culture auf derselben Ebene wie dumpfe religiöse Eiferer, die Standbilder des Zeus zerschlagen, aztekische Tempel schleifen oder goldene Sakralgegenstände zu Barren umschmelzen.


Nun kann man hinsichtlich Militär- und Kriegsmuseen gewiss unterschiedlicher Meinung sein. Und man sollte darüber streiten, ausgiebig sogar. Eine Gesellschaft aber, die sich dieser intellektualen Orientierungsmarke entledigt – und darauf läuft die Kampagne der HGM-Gegner hinaus – ist dazu verdammt, sich endlos im Kreis um sich selbst zu drehen, ohne Chance auf Fortschritt.


Und auch wenn der geneigte Leser persönlich kein Interesse für Militärgeschichte aufzubringen vermag, so muss doch klar werden, mit was für einem geschichtsphilosophisch bedeutenden Vorgang wir es hier zu tun haben. Nach den Helden und Männern sollen nun auch die Ideale dem Zeitgeist zum Opfer gebracht werden. Das Ziel, auf das sich die Gesellschaft zubewegt, ist eine enthistorisierte, entheroisierte und entidealisierte Gesellschaft. Eine solche ist zu keinem Widerstand mehr fähig, weil dem Menschen sämtliche Orientierungspunkte genommen worden sind, anhand derer sein eigenes Verhalten bewerten kann.


Eigentumslosigkeit ist das Zeichen des Sklaven, Geschichtslosigkeit ist das Wahrzeichen des Idioten und die Abwesenheit von Idealen kennzeichnet den Wurm. „Die glücklichsten Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit.“ (Maria von Ebner Eschenbach)




Dr. Martin Mucha Parviz Amoghli






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Über die Autoren:


Parviz Amoghli; wurde 1971 in Teheran/Iran geboren. 1974 Übersiedelung in die Bundesrepublik. Abitur, Wehrdienst, Studium der Geschichte und Germanistik in Köln, Tübingen und Wien. 2009 Preisträger beim Literaturwettbewerb "Schreiben zwischen den Kulturen" der Edition Exil, Wien. 2010 Dramatikerstipendium des Bundesministeriums für Unterricht, Kult und Kultur (BMUKK) der Republik Österreich. Amoghli lebt in Berlin. Veröffentlichungen in diversen Anthologien und Zeitschriften, Mitglied des Autorenstamms von TUMULT. 2016 erschien von ihm der Langessay "Schaum der Zeit - Ernst Jüngers Waldgang heute" in der Schriftenreihe ERTRÄGE der Bibliothel des Konservatismus. 2017 verfasste er gemeinsam mit Markus Gertken zur Bundestagswahl 2017 das Drehbuch für das Filmprojekt des Bundes der Katholischen Jugend (BDKJ) in der Region München "Mut zum Kreuz - Ergreif Partei". Letzte Buchveröffentlichung gemeinsam mit Alexander Meschnig: "SIEGEN - oder vom Verlust der Selbstbehauptung". Band 5 der Werkreihe von TUMULT, Lüdinghausen/Berlin 2018.


Martin Mucha; 1976 in Graz geboren, studierte in Wien Philosophie, Geschichte sowie Theologie und promovierte anschließend in Philosophie. Seit fast zehn Jahren arbeitet er im Bereich Drehbuch für Kino- und Fernsehfilme. Mucha hat sich auch als Autor von Kriminalromanen und fantastischen Erzählungen einen Namen gemacht und lebt als verheirateter Familienvater in Wien."



 

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