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Norbert Müller: WOKE KULTSTÄTTEN

Mahnmale wie die Potsdamer Garnisonkirche dienen der Delegitimierung der Opposition und der Selbstbeweihräucherung der Elite. Ihre Funktion scheint an ein Ende zu kommen.

 

Die bundesdeutsche Elite bezieht ihr Überlegenheitsgefühl maßgeblich aus der Abwertung der Vergangenheit. Seit die Versprechen von Wohlstand, sozialem Aufstieg, Frieden und Meinungsfreiheit brüchig werden, wird die Vergangenheitspolitik zur zentralen Legitimationsinstanz. In den Reden der politischen Elite wird die deutsche Geschichte als eine Kette von Verbrechen dargestellt: Jahrtausendelang herrschte das Patriarchat, über Jahrhunderte der Kolonialismus, und bis vor kurzem noch die Nazis. Nur die Herrschenden, so die Erzählung, schützen uns vor der Rückkehr des Bösen, das sich etwa in der Ablehnung von Zuwanderung und den Wahlerfolgen der AfD oder des BSW zeigt. Die Konterrevolution steht kurz bevor.





Es ist wie in George Orwells „Farm der Tiere“, wo die herrschenden Schweine unablässig vor der Rückkehr des Bauern Jones warnen. Die Warnung vor einem Rückfall in die Vergangenheit dient als Rechtfertigung für aktuelle Entbehrungen und die Aufrechterhaltung autoritärer Herrschaft. Vor dem Hintergrund der dunklen Vergangenheit leuchtet die Bundesrepublik umso heller: Die Beschwörung der eigenen Vortrefflichkeit trägt schon groteske Züge. Joachim Gauck bescheinigte 2014 Deutschland: „Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir jemals hatten." Zufällig war er damals Präsident und wenn man ihn richtig versteht, hatte Deutschland während seiner Amtszeit die höchste Stufe seiner kulturellen Entwicklung erreicht. 2020 ist es dann Frank Walter Steinmeier, der zum Tag der Einheit sagt: „Wir leben heute im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat." Zufällig ist Steinmeier Präsident dieses Landes und Deutschland scheint sich während seiner Amtszeit noch mal zivilisatorisch höher entwickelt zu haben. Es wird wohl an der Aufnahme von Millionen muslimischer Flüchtlinge liegen. Max Weber muss Gauck und Steinmeier vor Augen gehabt haben, als er schrieb: „Dieses Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben."


Um vor den Fehlern der Vergangenheit zu warnen, müssen unentwegt Orte und Anlässe geschaffen werden. Es kann gar nicht genug Gedenktage, Erinnerungsstätten und Stolpersteine geben. Wie wenig sie mit „Erinnerung“ zu tun haben, zeigt der erschreckende Antisemitismus im grün-woken Kulturmilieu, das begeistert in die Ausrottungsparole „From the river to the sea“ einstimmt.

 

Es dürfte kein Zufall sein, dass die Einweihung des wiedererrichteten Hauptturms der Garnisonkirche in Potsdam wenige Tage vor den Landtagswahlen in Ostdeutschland erfolgt. Das verstockte ostdeutsche Volk soll kurz vor der Wahl noch mal eingeschüchtert werden. Wer AfD oder BSW wählt, hat aus der Vergangenheit nichts gelernt. Wer sich gegen die Schweine auflehnt, der will Jones wiederhaben.

 

Als sich 1933 am „Tag von Potsdam“ Hitler und Hindenburg vor der Garnisonkirche die Hände reichten, verbanden sich preußisch-protestantische Militärelite und Faschismus. Die ostdeutsche Bevölkerung will aber heute nicht im russischen Kursk erneut eine Panzerschlacht schlagen, diesen Irrsinn praktiziert gerade die woke Elite, die nichts aus der Geschichte gelernt hat. Die Ostdeutschen verfolgen auch keine rassistischen Ziele, anders als die woke Elite, die um Gauck zu zitieren, Deutschland als homogene Nation abschaffen will, „in der fast alle Menschen Deutsch als Muttersprache haben … und hellhäutig“ sind. Gerade die Ostdeutschen lehnen die fatale „preußische“ Allianz von Staat, Kirche und Untertanengeist ab, was sich deutlich in ihrem Widerstand gegen die Impfpflicht und den Entzug ihrer Grundrechte während der Corona-Maßnahmen zeigte. Die Erfahrungen von Entrechtung und Entdemokratisierung aus der DDR sind ihnen noch gut in Erinnerung.


Wie der Antisemitismus heute im Berliner Kanzleramt bei Claudia Roth wieder seinen angestammten, traditionellen Ort hat, ereignet sich die Wiederkehr von Autoritarismus und Entrechtung ebenfalls wieder in den (neuen) Zentren der Macht. Nicht in der Garnisonkirche oder im Berliner Schloss.


Historische Orte wie die Garnisonkirche werden vom Staat zu woken Kulträumen ausgebaut. Sie dienen als Beschwörungsorte einer dunklen Vergangenheit, vor der uns nur die woke Elite retten kann. Wie vieles im woken Machtsystem, hat auch diese Beschwörung stark religiöse Züge. Die Praxis erinnert an Exorzismus, an Reinigungsrituale, Tabuisierungen und (Selbst)beweihräucherung.

 

Der Mechanismus ist immer derselbe: Tourismusverbände und Kommunalpolitiker erkennen eine Leerstelle im Stadtbild – wie bei der Frauenkirche in Dresden oder dem Frankfurter Römer – und plädieren für eine zusätzliche Sehenswürdigkeit für Touristen. Dann hat der Exorzist seinen Auftritt, meist ein Linksintellektueller, der auf den Schmutz aus der Vergangenheit hinweist und in typischen Alarmismus ausbricht. Er warnt eindringlich vor Pilgerstätten für Rechtsextreme. Bei der Potsdamer Garnisonkirche war es der Architekturtheoretiker Philipp Oswalt, der vor „rechten Räumen“ warnte, die sich angeblich überall ausbreiten. Von rechten Erinnerungsorten gehe „eine Weiterführung“ der braunen Vergangenheit aus, eine Heraufkunft eines Neupreußentums.

 

Das hat mit der Realität nichts zu tun. Millionen Menschen besuchen die Frauenkirche, den Frankfurter Römer oder das Nürnberger Reichsparteitagsgelände, ohne dadurch zu Neonazis zu werden. Städte wie Frankfurt oder Dresden haben seit Jahrzehnten nie mehr als zehn Prozent rechte Wähler verzeichnet, und es zieht auch keine „Rechten“ gezielt an diese Orte. Weder Oswalt noch ein anderer Exorzist, der Professor für Grundlagen Moderner Architektur Stefan Trüby, können ein einziges Beispiel angeben, wo „rechte Räume“ tatsächlich eine rechte Gesinnung abstrahlen. Zudem kann alles „rechte Architektur“ sein: die klassische Fassade des Tempelhofer Feldes, die barocke Garnisonkirche oder das Fachwerk am Römer. Anything goes. Die Theorie „rechter Räume“ ist eine reine Beschwörung, um einen Ort des Schmutzes zu stigmatisieren, den die woke Elite dann als unrein deklarieren und „säubern“ will.


Nach den Exorzisten haben die großen Reiniger ihren Auftritt, meist Historiker, die wie die Schweine bei Orwell von der drohenden Rückkehr des Bösen erzählen, und dass es jetzt aber die Schweine sind, die die Rückkehr von Jones verhindern. Auf das Reinigungsritual folgt die feierliche Einweihung durch Staatsoberhäupter oder hohe Politiker, die das Böse symbolisch bannen und sich als die besten Repräsentanten des besten Deutschlands, das es je gab, präsentieren. Der Einweihungsfestakt beendet den Exorzismus und die Reinigung, setzt sich aber als dauerhafte Selbstbeweihräucherung der woken Elite fort. Darüber hinaus entstehen dabei gut dotierte Posten für Gedenkstättendirektor:*innen, der Schulklassen herumführen und indoktrinieren dürfen.

 

Während die woke Elite Deutschland gegen Russland einen Krieg führt (Baerbock), die Meinungsfreiheit abbaut (Digital Services Act) und die Grundrechte einschränkt (Corona), baut sie Kultstätten, die Frieden, Freiheit und Demokratie beschwören. Diese Diskrepanz war in der DDR genauso. Der DDR Bürger wußte die Verlogenheit einzuschätzen und ging in die innere Emigration. Der Ostdeutsche geht zur Wahl und wählt die Blockparteien ab. Die woke Elite hat noch nicht verstanden, dass ihre Kultstätten der Angstmache und Einschüchterung möglicherweise den gegenteiligen Effekt erzielen.

 


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Über den Autor: NORBERT MÜLLER, geb. 1965 in Frankfurt/Main; arbeitete lange als Kapitalmarktanalyst an der Börse und als Fondsmanager in New York. Er wechselte dann zu einer Institution zur Zahlungsabwicklung und leitet nun die Research einer Privatbank 


Titel-/Beitragsbild: Potsdam, Blick vom Stadtschloß auf die Garnisonkirche. Bundesarchiv, Bild 170-189 / Max Baur / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons



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