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Michael Zeller: WAS ALLES WIR DER CHINESISCHEN FLEDERMAUS VERDANKEN - Corona-Logbuch Folge 20


Das englische Virus

oder

die Sache mit dem home schooling



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Mittlerweile ist die Virusseuche, die über das Land gekommen ist, längst in ihre zweite Runde gegangen. Mitte März 2020 hatte sie uns alle aus unserem gewohnten Alltag gerissen, vollkommen unvorbereitet. Und diese vergangene Zeit ist nicht ohne Spuren geblieben. Wir alle haben unsere Lektion lernen müssen, haben eigene persönliche Erfahrungen gemacht, sehr viel mehr leidvolle als erfreuliche. Wir haben schon Erinnerungen an Corona und können jetzt Vergleiche ziehen, Verluste bilanzieren, und selbst – wenn auch in erheblich geringerem Maße – Gewinne.

Gern spreche ich heute über einen solchen Gewinn gegenüber dem Vorjahr. Er macht mir persönlich Mut.


Seit kurzem fällt in der öffentlichen Rede eine Veränderung auf. Das Sprachverhalten sowohl in Politik wie bei den Medien ist deutlich ein anderes geworden. Vor einem Jahr waren die Anglizismen nur so aus dem Boden geschossen - wie ein Naturereignis. Nahezu das gesamte Vokabular für Corona wurde aus dem englischen Wortschatz bestritten. In dieser Jahrhundertkrise, in der es für jeden von uns um Tod und Leben geht – reichte dafür unsere Sprache nicht aus? Brauchte man eine Fremdsprache dafür? Es schien, als hätte der Schock uns unsere Zungen gelähmt.

Daß es sich dabei meist auch noch um ein ziemlich mißliches Englisch handelte, wenn zum Beispiel die schlichte Arbeit zu Hause als home office geadelt wurde, womit die Engländer ihr Innenministerium bezeichnen – geschenkt! Auch, daß die Übernahmen überwiegend falsch geschrieben sind, nach englischen wie nach deutschen Regeln – in einem sprachlichen Niemandsland gibt es offenbar keine Regeln.


Doch seit kurzem nehme ich eine zuehmende Rückkehr zu unserer eigenen Sprache wahr. So dumm und so häßlich scheint sie also gar nicht zu sein. Als ein Beispiel nenne ich das Wort “Fernunterricht”. Es hat inzwischen in fast allen Nachrichten dem englischen home schooling den Rang abgelaufen.

Und das mit gutem Grund, wie ich meine.


Im Vergleich zu home schooling ist “Distanz- oder Fernunterrricht” der ungleich passendere Begriff. Er trifft präziser und bildhafter die traurige Situation, die unseren Schulkindern seit einem Jahr zugemutet wird. Beinahe wochenweise werden sie zwischen Schul- und Fernunterricht hin- und hergeschoben. Das Fernsein vom Schulalltag, die fehlende Nähe zu den Mitschülern, mit denen man mal einen Blödsinn machen kann, die Ferne von den Lehrkräften, wo niemand einem etwas persönlich verklickern kann, kein Nachfragen möglich ist – ja, diese ganze schmerzliche Ferne, das Außergewöhnliche, Behelfsmäßige, zumal für Kinder, steckt in dem deutschen Wort Fern-Unterricht. Fernunterricht ist für Kinder absolut kein gemütliches Herumsitzen daheim, wie es das Wort home schooling fälschlich suggeriert.


In dem gesamten englischen Wortzauber, wie er zu Beginn von Corona hier über Land und Leute ausgekippt wurde (von wem eigentlich? und wozu?) – ich finde keinen einzigen Begriff darunter, der nicht auf Deutsch ebenso gut wenn nicht besser die Sache träfe.

Deshalb freut mich dieser Rückgriff auf das Eigene mächtig. Wenn nicht mit der Sprache – womit sonst sollte eine Gesellschaft denn zusammengehalten werden?



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Über den Autor: MICHAEL ZELLER, geb. 1944 in Breslau, (Dr. phil. habil.), Romancier, Lyriker und Essayist in Wuppertal, mit einem umfangreichen Werk (u.a. derzeit acht Romanen). Unter seinen Auszeichnungen zuletzt der Andreas-Gryphius-Preis (2011). Auf Einladung des ukrainischen PEN hat er den September 2019 in der ostukrainischen Stadt Charkiv verbracht. Letzte Buchveröffentlichungen: Die türkische Freundin. Oberhausen 2018. Die Sonne! Früchte. Ein Tod. Codolzburg 2015. Sechste Auflage 2020.


Sein Pest-Roman Der Wiedergänger wird aus aktuellem Anlaß von dem Rezitator Olaf Reitz vorgelesen - jede Woche eine neue Folge, unter: www.podcast.studio-kurzwelle.de



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