Mit einem Begriff wie Gegenaufklärung zu arbeiten ist aus einer ganzen Reihe von Gründen schwierig. Dies deshalb, weil schon der Begriff der Aufklärung als einem europäischen Ereignis mit seinem Fokus auf 1789 einen Ereignishorizont beschreiben will, der nicht als kontinuierlich im Sinne einer fortschreitenden Emanzipation (von Herrschaft) gesehen werden kann. Insoweit gerät der Begriff in den Rang einer Kampfvokabel stets dort, wo die politische Gegenposition als reaktionär, also ihrem Wesen nach einer Moderne zuwiderlaufend dargestellt wird. Dass hierbei der Begriff einer Moderne selbst umfänglich zu beschreiben wäre, ergibt sich aus den sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen hierzu, welche jeweils für sich ein Vernunftprinzip geltend machen, welches entweder für den jeweils aktuellen Zeitgeist (Stichwort: Mainstream) steht oder eine ihm auf wesentlichen Gebieten unterschiedliche oder ablehnende Haltung entgegenstellt.
Maria Langmann, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Für einen Begriff wie Gegenaufklärung kann deshalb nur der Versuch abgeleitet werden, substantielle Verständnis- und Verständigungskategorien ihrer historischen Plausibilität zu entfremden, sie (absichtlich) umzudeuten, ihrem Kontext zu entreißen oder gar in ihr Gegenteil überführen zu wollen. Der hierfür erforderliche Vorsatz ist nachzuweisen. Wo er nicht ausfindig zu machen ist, kann der Begriff nicht angewandt werden. Dummheit hat zwar eine gesellschaftliche Faktizität, ist aber allenfalls die Folge eines fortgesetzten Bildungsdesasters.
Raum bedingt Herrschaft
Unter der Voraussetzung, dass eine fortschreitende Emanzipation des Menschen durch Wissensvermittlung möglich ist, was eine entwickelte Diskurs-Kultur voraussetzt, wäre es zweifellos ahistorisch, eine Situation oder einen Ort ausfindig machen zu wollen, in welcher oder welchem die Voraussetzungen für einen herrschaftsfreien Austausch von unterschiedlichen Meinungen im gesellschaftlichen Raum möglich waren oder sind (Hierzu: Jürgen Habermas/Der herrschaftsfreie Diskurs). Ein Raum ohne Verbindung zu politischen Herrschaftsverhältnissen ist nicht vorstellbar und er ist stets Ausdruck von verschieden organisierter Gesellschaftlichkeit auf der Ebene einer legitimierten Plattform mit offenen oder versteckten Begrenzungen und Regulativen, die seine Substanz beschreiben und schützen sollen.
So verwahren sich auch diese Plattformen der vermeintlich offenen und als demokratisch legitimierten, vornehmlich westlichen Gesellschaften, gegen einen öffentlich geführten systemkritischen Diskurs, dessen Schwerpunkte aktuell (und dies vor allem vor dem Hintergrund der Umwelt-, Klima-, Energie-, Verkehrs- und Armuts-Debatte) deutlicher denn je zutage treten.
Dies hat zur Folge, dass die seit Jahren ins Wanken geratenen, vom klassischen (Kapitalismus-) Modell längst abweichenden Besitz- und Organisationsverhältnisse im ökonomischen Bereich (hier vor allem im Umfeld des modernen Managements und der internationalen globalistischen Diversifizierung) in ihrer Umfänglichkeit nicht ausreichend wahrgenommen und reflektiert werden. Das führt zu einer Verengung des kritischen Denkraumes. Exemplarisch beobachtbar ist das bei der aktuellen politischen Linken, so sie denn überhaupt (noch) imstande ist (oder sein will), in marxistischen Kategorien zu denken.
Eine Kapitalismusanalyse, die modern genannt werden kann, ist zumindest bei der Parteilinken nicht zu verorten. Dort hat man sich bereits vor Jahren von den ökonomisch-sozialen Problemen zugunsten eines sog. Minderheitenschutzes und der Ökologiedebatte abgewandt. Das muss im Zusammenhang mit den politischen Erfolgen der Grünen gesehen werden, weil der ihnen zuteil gewordene Erfolg beim Wählervotum eine Vorbildfunktion hatte. Zugleich bedeutet das keine grundsätzliche Abkehr der Parteilinken von sozialen Problemen, aber diese stehen bis auf einige plakative Anmerkungen und Forderungen nicht für eine fundamentale Ökonomie-Kritik, die ein neues Staatsziel zu beschreiben imstande wäre.
Der Staat setzt sich in Szene
Einmal unabhängig davon, dass die wissenschaftlich erforschten Grundwidersprüche der kapitalistischen Produktionsweise erhalten bleiben und sich verstärken, ist aktuell zu beobachten, wie sich der Staat (als Retter u.o. Statthalter) schon über Jahrzehnte als Teilhaber, Treuhänder und kontrollierender Anteilseigner in Szene setzt, so dass der Glaube an ein marktwirtschaftliches Regulativ zwischen Angebot und Nachfrage längst nur noch in Teilen des Mittelstandes zu verorten ist. Das heißt aber konkret, dass es den Kapitalismus der klassischen Akteure nicht mehr gibt!
Was es dagegen (vermehrt) gibt, ist eine Profitmaximierung ganz ohne entfremdete Produktion auf der Ebene der spekulativen Finanzmärkte als einer gefährlichen Spielwiese skrupelloser Hasardeure.
Der hierbei bereits entstandene Schaden hat längst den eines regionalen Krieges erreicht.
Trotz zahlreicher Aufrufe auch und vor allem aus dem Bereich der Wissenschaft, ist bislang keine Wende bezüglich eines vernünftigen Regulativs der Kapitalbestände in Sicht. Vielmehr besteht sogar die Gefahr, dass bei weiteren Einbrüchen im Bereich der Güterproduktion oder ihrer Verlagerung durch oligopolistische Unternehmensstrategie die Anreize für Investitionen in den Bereich der Finanzspekulation erneut attraktiver werden können.
Klimawandel, ein dankbares Thema
Die vom Weltklimarat (IPCC) gesammelte Klimawissenschaft hat es bis heute nicht geschafft, auch nur einen einzigen Beweis oder eine einzige Beobachtung zu erstellen, woraus hervorgeht, dass mehr oder weniger ausschließlich CO² das Klima und damit unsere Atmosphäre erwärmt. Man verlässt sich einzig und vor allem auf modifizierte Wetter-Computermodelle. Einer der ehemaligen IPCC Leitautoren (John Mitchell) gibt zu, es sei nur möglich die Erwärmung im 20ten Jahrhundert auf menschliches Handeln zurückzuführen, wenn man rein numerische Systeme (Modelle) eines Klimasystems verwende.
Diese Einsichten müssten ja zumindest zu einer gewissen Vorsicht bei der Setzung politischer Vorgaben führen, die für einen (noch) potenten Industriestandort nicht gleichgültig sein können.
Das ist aber nicht der Fall, wenn sich z.B. das Bundesverfassungsgericht auf eine Rechtsgrundlage einigt, welche ausschließlich menschliches Handeln für einen Klimawandel verantwortlich macht.
Ein fragwürdiges Rechtsverständnis und Taktieren im Umfeld der höchsten deutschen Gerichtsbarkeit ist Anlass zur Sorge, weil sich daraus eine Reihe möglicher Einschränkungen ergeben, deren Anlass mit der Rettung des Weltklimas begründet werden können.
Eine Abkehr von gesichert faktenbasierter Erkenntnis, hin zu moralisierender Getriebenheit, war bereits im Umfeld von Fr. Merkels Flüchtlings-Willkommenskultur offensichtlich geworden.
Zugleich war dies nur unter Ausblendung gravierender Probleme und einer bislang einmaligen massiven Beeinflussung und Indienststellung der Leitmedien möglich, welche weiterhin andauert.
Jegliche Kritik, selbst aus den Bereichen der Wissenschaft, wurde und wird mit dem Anwurf politischer Rechtslastigkeit zurückgewiesen, womit zugleich eine zuvor übereinkunftsfähige Definition der/einer politischen „Rechten“ inhaltsleer wurde.
Wenn jede Kritik am Mainstream rechts ist, dann ist nichts mehr rechts!
Die Politik bewegt sich in diesem Falle auf dem Boden der Psychologie, wenngleich nicht mit dem Anspruch aufklärender Erkenntnis, sondern in der durchsichtigen Absicht, ein denunziatorisches Umfeld zu installieren, welches geeignet scheint, dem politischen Gegner einen quasi krankhaften Zustand (Stichwort: Islamophobie) zu unterstellen, womit jeder Debatte der Boden entzogen wird. Kranke müssen bekanntlich ärztlich und nicht politisch betreut werden. Das erinnert fatal an die Einweisungen politischer Gegner in psychiatrische Kliniken nicht nur in der ehemaligen Sowjetunion. Wer diesen Vergleich für übertrieben hält, möge sich sachkundig machen, denn es gibt bereits vom Steuerzahler finanzierte Leitstellen gegen Antifeminismus und Antiislamismus. Es handelt sich also um die Absicht, Strafen zu verhängen!
Der Druck, der auf die Sprache mit dem Anspruch einer Antidiskriminierung ausgeübt wird, ist dabei ein gewichtiger Teil dieses Phänomens. Diese, in keinem Falle mehrheitsfähigen Agenden, reklamieren für sich das Credo unausweichlich zukunftsweisender Weit- und Weltsichtigkeit und werden gegen eine Mehrheit apodiktisch durchgesetzt.
Energie ohne Sicherheit
Unabhängig dieses Teils der Kulturpolitik als „neue Normalität“, erweist sich die neue Energiepolitik (als Strafmaßnahme gegenüber dem Nachbarn Russland) als besonders gefährlich für eine energieabhängige Volkswirtschaft. Dabei wird der Eindruck erweckt, als ob der industrielle Komplex auf der Ebene einer quasi experimentellen Energie-Versorgung mit einer Reihe höchst fragwürdiger Anbieter (die dabei moralische Gnade erfahren), zwar schwierig ist, jedoch den Industriestandort nicht grundsätzlich in Frage stellt.
Fakt ist derweil aber, dass sich potente Unternehmen aus Deutschland verabschieden. Sie verkaufen z.B. ihre Stromverträge an der Börse, die sie für 2023 bereits abgeschlossen hatten. Ein ziemlich sicheres Indiz für einen Weggang aus einem Land mit unzureichender Energiesicherheit.
Die diversifizierten, international agierenden Großunternehmen, sind zudem längst nicht mehr an eine nationale Standortpolitik gebunden.
Da die regenerativen Energien nicht grundlastfähig sind und z.Z. nur gut 5% der gesamten Primärenergie decken, ist der Zeitplan der Bundesregierung für die Umstellung der Industrie und der Haushalte nicht etwa ambitioniert, sondern fern jeder technisch verfügbaren Alternative und Vernunft (Hierzu: Prof. Hans Werner Sinn/Energiewende ins Nichts). Eine Dauersubventionierung von Energie mit z.Z. 200 Mrd. € ist auf Dauer nicht vorstellbar. Hinzu kommt, dass es keine ausreichend sicheren und längeren Lieferverträge gibt, da der amtierende Bundeswirtschaftsminister eine kurzfristige Umstellung auf eine grüne Wasserstoffwirtschaft (bis 2030) für realistisch hält.
Zugleich verfügt der amtierende Wirtschaftsminister Habeck das Abschalten der drei letzten Atomkraftwerke als alternativlos, während die Atomenergie in allen anderen großen Industrienationen einen exorbitanten Ausbau erfährt. Die regierungsamtlichen Stellungnahmen hierzu verweisen auf die Dringlichkeit der zu erreichenden sog. Klima-Ziele, womit der Eindruck erweckt wird, als ob der deutsche CO²-Anteil von 2,3% im Weltmaßstab eine wesentliche Rolle spielt und unabhängig davon, dass die Nuklearenergie in diesem Zusammenhang ja eine eher positive Rolle spielt.
Die Vernunft geht um
Hier ist der nicht unwesentliche Teil einer fundamentalistischen Gegenaufklärung auf der rein technischen Ebene evident und erweist sich als beratungsresistent gegen die Kritik einer Reihe von Physikern, Chemikern und Ökonomen. Erstaunlich und beachtenswert ist hierbei auch, dass die „Delle“ welche durch die Corona-Hysterie auf der CO²- Ebene durch das Ausbleiben ökonomischer Tätigkeiten hätte verursacht werden müssen, offenbar nicht nachweisbar ist.
Propagandistisch wird als Vernunft ausgegeben, was die gerade opportunen Agenden vordergründig positiv begleitet. Hierzu gehört offensichtlich auch die „Einsicht“ in das Überantworten von gut 80% zuvor nationalstaatlicher Entscheidungskompetenz nach Brüssel oder auch die „sinnvolle“ Zuwanderung von Muslimen, die dann später mal unsere Kranken und Alten versorgen.
An deren ökonomisches Engagement, etwa im industriellen Bereich, ist nach anfänglicher Euphorie mittlerweile wohl längst nicht mehr gedacht.
Summiert man die gerade anhängenden Agenden der sich selbst als Fortschrittskoalition bezeichnenden aktuellen Regierung, so erweisen sie sich rein rechnerisch als ausgabenintensive Dauerbaustellen mit ungewisser Zukunft. Hinzu kommen eine Reihe höchst verstörende, bestehende Begrifflichkeiten dekonstruierende und neudeutende Eingriffe in den alltäglichen Sprachgebrauch, die den Eindruck zu erwecken versuchen, es bedürfe einer neuen Weltsicht zwecks Überwindung der bisherigen (nur) sozialen Konstrukte. Dabei entsteht eine Absurdität des Alltags, die allenfalls noch mit Sarkasmus zu kompensieren ist. Ein neues Sprachregime betreibt mit Codewörtern wie Vielfalt, Toleranz und Antidiskriminierung den Totalitarismus einer Pseudo-Moral.
Das wird möglich durch einen schleichenden Feldzug gegen die kulturell gewachsene Herkunft der gesellschaftlichen Subjekte, eine (medial forcierte) Entwöhnung vom Gewohnten. Der Philosoph Michael Esders spricht in diesem Zusammenhang von den Beständen einer bestandserhaltenden Vernunft (Hierzu: Michael Esders/Ohne Bestand), die abgeräumt werden. So entsteht eine „Agonie des Realen“ (Jean Baudrillard[1]), eine Gegenaufklärung, die den Eindruck erwecken will, als lebten wir in einer Brutstätte von Rassismus, Diskriminierung und Neo-Kolonialismus. Sie hat ihre Wurzel in der relativistischen Vorstellungswelt eines menschenrechtlichen Universalismus ohne ein (notwendig) normatives Einverständnis von gemeinsamer Lebenswelt. Das erinnert an eine Äußerung der Bundestags-Vizepräsidentin Aydan Özoguz. Sie hatte ernsthaft die Forderung erhoben, das Zusammenleben in einem Einwanderungsland müsse ständig neu ausgehandelt werden, was auf eine kulturelle Selbstaufgabe hinausläuft, von der man nicht so recht weiß, ob sie regierungsamtlich sogar erwünscht ist.
Die Sprache macht verdächtig
Der bedeutendste, derzeit zu registrierenden Angriff, ist zweifellos der Angriff auf das zentrale Element der menschlichen Verständigung,- die Sprache. Wenn bisher für sicher erachtete Begrifflichkeiten im umgangssprachlichen Kontext vor allem dort, wo dieser politische Kategorien betrifft, nicht nur in Frage gestellt, sondern auch bisweilen in ihr exaktes Gegenteil verkehrt werden, dann darf dahinter ein systematisches Vorgehen vermutet werden.
Der Philosoph Alexander Ulfig und der Archäologe Harald Schulze-Eisentraut sprechen in ihrem Buch „Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit“ von einem zunehmenden Druck und um sich greifenden Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit dort, wo kritische, nicht einer Mehrheitsmeinung entsprechende oder als „politisch unkorrekt“ bezeichnete Thesen und Theorien vertreten werden. Die Autoren würden ausgegrenzt, ignoriert und persönlich angefeindet, so die Autoren.
Kollegen, die einem solchen Schicksal entgehen wollen, übten sich in vorauseilendem Gehorsam und gingen potentiell „gefährlichen“ Themen aus dem Weg. Eine vorurteilsfreie und offene Diskussion sei deshalb nur noch eingeschränkt möglich. Damit werde Erkenntnisgewinn und wissenschaftlicher Fortschritt behindert. Wissenschaft sei ein ergebnisoffener Prozess und funktioniere nur, wenn ständig neue Hypothesen formuliert, überprüft, verworfen oder akzeptiert würden und dabei von keinen Tabus behindert werden.
Wenn ein Begriff wie „Mutter“ unter Diskriminierungsverdacht gerät, um ihn, wenn irgend möglich, durch „Gebärende“ zu ersetzen[2], dann ist es sicher nicht übertrieben, eine tabubehaftete Paranoia zu unterstellen, die zumindest politisch nicht heilbar ist. Das ständige Erfinden neuer Tabus als Ausdruck eines Hypermoralismus biedermeierischer Provenienz, beschreibt den Teil einer „neuen Normalität“ die medial zum alltäglichen Erziehungsprojekt geworden ist, was uns (vor allem) die Damen der visuellen Leitmedien allabendlich „glaubwürdig“ vermitteln.
Allerdings ist diese neue Normalität kein signifikant nur deutsches Phänomen, wie etwa am Beispiel (und den Folgen) der „me too“ Debatte oder „Black lives matter“ vor allem in den USA deutlich wird und wissenschaftlich noch nicht ausreichend erforscht ist. Solcherart zu Dauerkränkungen aufgeblasene postdemokratische Deformationen, sind mit einem Hinweis auf Dekadenz nicht umfänglich zu erklären.
Agenda der Antiaufklärung
Wenn die Faktizität einer erkennbaren Wirklichkeit mit einer projekthaft anmutenden propagandistischen Gegenoffensive konfrontiert wird, die durch eine ständig sich verstärkende Wiederholung für sich eine Wahrheit reklamiert, dann handelt es sich um eine grundsätzlich antiemanzipatorische und antiaufklärerische Agenda.
Dabei entsteht unvermeidlicherweise eine Entfremdung der gesellschaftlichen Subjekte von der politischen Klasse, die mehrheitlich in einem Bruch münden kann.
Dieser nimmt keine revolutionäre Gestalt an, sondern eine resignative, weil das Erkennen von Realität, von gesellschaftlicher Wirklichkeit, durch die Verwandlung von Ideologie und Propaganda in (Schein-) Realität fast unmöglich geworden ist.
Ein nicht unerheblicher Teil der Konservativen sieht hier einen Kulturmarxismus am Werk.
Die Deutung, es handele sich um einen bestandsvergessenen Liberalismus ist allerdings naheliegender. Dies deshalb, weil dem Marxismus ein herrschaftskritischer Habitus als Teil seines Anspruches zu Grunde liegt. Wo dieser nicht vorfindlich ist, ist der Marxismus keine angreifbare Kategorie. Was vielleicht zu erkennen ist, hat mit ihm nichts zu tun!
Der sich als Staatsraison oder auch als „Mitte“ gerierende Liberalismus, dessen einzig sichtbares Bekenntnis das eines Gewährenlassens ist, zerstört die Bestände als deren Hüter er sich (bestandsvergessen) aufspielt.
Liberalismus, kein Kulturmarxismus
Die aktuellen europäischen Demokratien sind pseudoliberale Suggestionen, die einst ein im Grunde konservatives Wertsystem aus Pflichtgefühl, Respekt und Selbstbescheidung als Betriebssystem verinnerlicht hatten, welches aktuell in Auflösung begriffen ist.
Ein Ersatz oder eine Alternative durch umfangreichere demokratische Teilhabe und Mitbestimmung ist weder geplant noch organisatorisch-theoretisch ausreichend konzeptualisiert. Dies alles vor dem Hintergrund einer seit langem bereits schädlichen transatlantischen Kumpanei mit den USA, deren im Weltmaßstab völlig andere ökonomischen Interessen für Europa zu einem gefährlichen Anachronismus geworden sind.
Es wäre die Aufgabe der/einer politischen Linken gewesen, Alternativen zu entwickeln, gewissermaßen als ein Geschäftsmodell. Essentiell wichtige Positionen wären auf dem Gebiet der globalen Strategie, der Bildung, der Ökonomie, der Kultur, der Diplomatie und der Formulierung eines nicht mehr kapitalgetriebenen Staatszieles zu beziehen, um den hyperrealen Beschwörungsformeln angemaßter Absurditäten wirksam entgegentreten zu können.
Das sichtbar größte Dilemma ist aktuell die Omnipotenz der politisch gelenkten Leitmedien. Sie haben zumindest in Deutschland ihren demokratischen Anspruch nachweislich verloren und sind nicht mehr imstande, im Sinne einer politischen Emanzipation Diskurs-Räume offen zu halten, die im Habermas´schen Sinne nicht herrschaftsfrei sein müssten, jedoch offen gegenüber herrschaftskritischen Positionen[3].
Der formaldemokratische Anspruch kann längst nicht mehr eingelöst werden. Hier ruht das revolutionäre Potential, das es mit Nachdruck einzulösen gilt, um es verteidigen zu können.
1 Jean Baudrillard (1929-2007) Französischer Medientheoretiker, Philosoph u. Soziologe (u.a. das System der Dinge)
2 Es handelte ich hier um einen Versuch der „Tagesschau“ im April 2023.
3 Hierzu auch die Studien des Medienwissenschaftlers Norbert Bolz (u.a. Avantgarde der Angst)
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