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Mario Alexander Müller: NICHT ZUM KÄMPFEN HIER. Mit zwei Sanitätern im Freiwilligen-Bataillon (II)


Immer wieder fahren die beiden Männer mit ihrem umgebauten Geländewagen – genannt „The Beast“ – hinaus, um Verwundete zu bergen und noch während der Fahrt auf der engen Ladefläche zu versorgen. „Wir haben hier fast alles, was ein Rettungswagen braucht: Trage, Intubationsbesteck, Defibrillator, Notfallmedizin. Alles von Spenden gekauft, auch das Fahrzeug. Das Lenkrad ist natürlich rechts“, sagt Conor stolz. Doch die Verletzungen, die Mörser-, Artillerie- und Panzerbeschuss verursachen, sind schrecklich und die Mittel der Sanitäter begrenzt. Auf dem Handy zeigt Conor ein Video von einem Bergungseinsatz. Eine russische Drohne nimmt ihn dabei unter Beschuss. Conor stürzt zu Boden, die Hände im Nacken und den Mund geöffnet überlebt er den Angriff.



Weit gereist und voller Tatendrang: Zwei unbekannte Argentinier unter ukrainischen Bäumen.


Eine andere Szene: Am Eingang des Kellers, der dem Bataillon als Unterschlupf dient, hat ein Schrapnell einen Lungenflügel eines Soldaten zerfetzt. Der Atem rasselt dem Mann aus dem aufgeschlitzten Rücken, trotzdem schreit er nicht. Konzentriert gibt Conor die Befehle: „Gebt mir ein Chest-Seal! Ich brauche Morphium! Ich brauche das Rettungsfahrzeug!“ Conor weiß genau, was er tut. Moth assistiert ihm. Trotzdem wird der Ukrainer wenige Stunden später im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen erlegen. Etwa zwanzig Tote hat die Einheit bisher zu beklagen, jeder vierte ist verwundet oder gefallen. Einige Wochen später wird auch Kommandant Kutzin zu den Märtyrern zählen, die in der Ukraine dieser Tage mit der Parole „Herojam Slawa“ gepriesen werden. „Wir haben vielen das Leben gerettet und bei vielen weiteren unser Bestes gegeben“, resümiert Moth. Jeder neue Tag an der Front ist wie Russisch Roulette spielen: Es geht eine Weile gut, vielleicht sogar eine ganze Weile. Doch der Tod ist ein Meister aus Russland. Und er ist geduldig.



Pause im Keller: Rauchen, essen, chatten, auch das ist der Krieg. Fotos: MAM


Die meisten Menschen denken zuerst an sich und dann an andere. Wenn man mit Conor und Moth spricht, bekommt man den Eindruck, dass es bei ihnen genau andersherum ist. Sie tun das alles als ausländische Freiwillige, riskieren ihr Leben für ein Land, in das sie ohne Krieg wohl nie einen Fuß gesetzt hätten, dessen Sprache sie nicht verstehen. Conors Rücken ist kaputt, seit er einmal unter Trümmern begraben wurde. Man hat ihn in ein Krankenhaus gebracht, doch er entließ sich selbst, nur um gleich wieder an die Front zurückzukehren. Conor spricht mit niemandem darüber. Nur in den Nächten im Keller, wo nach den Detonationen der Betonstaub von der Decke rieselt, schreit er oft vor Schmerzen. Eva deutet raunend sein Schicksal: „Er hätte längst aufhören müssen, aber er tut es nicht. Er kann nicht mehr zurück in ein normales Leben. Arbeiten, Haus bauen, Familie gründen.“


Manchmal machen die älteren Soldaten böse Scherze über Conor. Überhaupt Conor: Vielleicht ist sogar schon dieser Name ein böser Scherz. Conor wie Conor McGregor, der Kampfsport-Champion, Superstar der UFC. Mag sein, dass die Kameraden ihn so getauft haben, weil er in seiner Freizeit wirklich im Boxring steht. Oder weil er ihnen das zwar erzählt hat, aber mit seiner schmalen Figur und dem nervösen Blick überhaupt nicht danach aussieht. „Sie spotten über ihn, weil er ihnen ihre eigenen Ängste vorhält“, versucht Eva eine Deutung. Auf jeden Fall ist es Conor, der bei jedem Angriff nach draußen geht und Erste Hilfe leistet. Dieser 23-Jährige Sanitäter hat mehr vom Krieg gesehen als die meisten Berufssoldaten. Conor McGregor, Kämpferherz.



Mario Alexander Müller, Kriegsberichterstatter, Ost-Ukraine im Sommer 2022


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