Das ist keine Buchbesprechung. Es sind Gedanken zu Gedanken. Bewunderung, Geheimnis, Macht und Wahrheit. Der ganze sehnsüchtige Klangglanz der Verachtung, der Leere und der Gleichgültigkeit, die das Leben in dieser Welt für den Erkennenden bestimmen und unerträglich machen.
Sebastian Schwaerzel hat in diesem Jahr im Wiener Castrum Verlag einen Roman veröffentlicht, Schizoid Man. Was für raffiniertester Alb! Alles, was ich will, beginnt der Ich-Erzähler, ist ein Publikum für meinen Narzissmus. Wie durch eine immer weiter und riesiger werdende Pupille blickt der Leser als gaffender Zeuge von dieser Stelle an in die persönliche Seelen-Arena des jungen Helden, erzählt in seiner Verlorenheit, die tief unterhalb seines nun fortwährend – von ihm und von anderen – geschändeten Körpers schreit, wie von keinem anderen dieser Generation. Denn Schwaerzels Generation, das ist die Generation Null. Ausgezeichnet durch überhaupt nichts.
Bewusstlos Heransiechende, keinen Instinkt, keine eigene Bewegung. Verwesende Jungmitläufer eines Stillstands im Formalin ihres räudigen Zeitgeistes. Ohne Leidenschaft und ohne Gefühle. Ohne Geschlecht und ohne Begehren. Ohne Verstand! Ohne Geist, ohne Persönlichkeit. Hässlich, dreckig und unverzeihlich dumm kommen sie daher und verstopfen alles. Plötzlich fabulieren sie für charismatische Musik-Zeitschriften, dürfen tote Videos für außergewöhnliche Galerien drehen oder studieren das bedeutende und altehrwürdige Fach Diversitätsmanagement. Sie sind da. Sie sind überall.
Schwaerzel fällt aus all dem heraus. Wie traurig, dass etwas so Schönes einfach so kaputtgehen kann … wie die kaputten Marmorstatuen im Vatikan – so steht es in seinem zarten Meisterwerk und so meint er es. Was ist das Schöne? Schönheit ist alles, was einem Plan folgt. Einer Idee. Einer Reinheit. Schizoid Man aber lebt in einer Zeit, in einem Raum, in einem Land, auf einem Planeten, wo jeder Plan eines möglichen Gottes, einer verletzlichen Komposition oder einer menschlichen Wunderordnung ausgelöscht wird. Es ist nicht möglich auf dieser Erde noch glücklich zu sein, an etwas zu glauben, ehrlich zu hoffen. Und wenn das so ist, und es ist so, dann will man das wenigstens ausgesprochen und definiert serviert bekommen, wie von Schwaerzel auf 273 eleganten, abscheulichen, wundervollen Buchseiten: es muss einen Gott geben.
Man wundert sich über die wohlerzogene Zurückhaltung, Disziplin und leichtfüßige Hartnäckigkeit seiner wehtuenden, monströsen Fieberbilder einer erbärmlichen Schock-Allgegenwart, wie sie da draußen herrscht und wie Schwaerzel sie ganz durchschaut und entlarvt. Man staunt über seine Effekte, Kontraste und Experimente. Man spürt seine unaufgeregte Stimme im Kopf. Sein weiches Höllenrufen. Sein schulterzuckendes Dimmen jeglicher Menschlichkeiten.
Er erzählt, während er schreibt und umgekehrt. Die Geschichte erklärt sich immer im nächsten Bild, das Buch selbst aus Hautfetzen zusammengeatmet. Dabei brennt und verbrennt er vor Überschuss an Erkenntnis. Das nämlich sind seit jeher die wahren Brennenden, man merkt es ihnen nicht an, zu vornehm, um mit dem Feuer anzugeben. In Flammen, gefilmt von Scorsese, in seiner, wie es im Buch so wunderbar heißt – Gravitas, die einem Tarantino abgeht. Schwaerzel flackert lautlos um den Rand einer Ekel erregenden Dauerpornografie, die uns tagaus-tagein missbraucht und bedrängt. Körperlich vollständig enthaarte, zahngereinigte, entseelte Bestien, die inzwischen auch erfolgreich den Massenmenschen prägen. Dazwischen der Typus des Dutzendmenschen – links, Luft, läppisch. Die glänzende Filmspule eines Universums der Gelächter umschnürt uns. Allseitiges Grauen und phantasielose Weltgifte. Die Engel sind verflucht. Der Homo Sapiens ein Homo. Die Milchstraße verseucht. Es ist eure Welt, sagt das Buch, nicht meine, ihr könnt sie behalten.
Niemand in »unserer Szene« kennt einen S. Schwaerzel – heißt es von rechts. Befremdliche Äußerung. Mit keinem der dann aufgelisteten Buchtitel hat Schizoid Man irgendetwas zu tun. Völlig begabungslos schnoddert die rechte Stimme dann etwas von unserem Protagonisten, von einem (Möchtegern)-Selbstmordattentäter und schließlich wird Schwaerzel als Berichterstatter bezeichnet. Einmal sehr scharf: Sebastian Schwaerzel ist Schriftsteller!
Die Absurdität der Sojamilch scheint unsere rechte Berichterstatterin überhaupt nicht verstanden zu haben, ganz zu schweigen von der dann unfassbaren Szene des Buches im Supermarkt, für sie nur ein Zitat – zack – wert. In einem anmaßenden Ton schmiert man da an diesem federleichten, abgründigen und trefflichen Buch herum, als sei es schlechte Ware – für rechts. Was soll rechts für ein qualitativer Richter über Ästhetik, Philosophie und deutsche Sprache sein? Und was ist eigentlich eine rechte Frau? Wie kann es sein, dass man das Potenzial einer eigenen Freiheit, persönlichen Weltabkehr und inneren Befreiung durch Literatur bei Schwaerzel nicht aufspürt und feiert? Wo ist die Sittlichkeit, würde die Aster fragen? Wo ist die geistige Liebe in einer Besprechung ausgewachsener Leute über einen jungen, intelligenten, magisch unorientierten, vom Zeitgeist unfolterbaren Schwaerzel?
Wer mich nicht liebt, sagte Martin Walser, soll mich auch nicht beurteilen. Wahrscheinlich waren es die von Schwaerzel wie lumineszierende Steine in den Roman geworfenen Worte Faschist und Verfassungsschutz, die unsere Rezensentin dazu nötigten, sich zuständig zu fühlen, wo sie dann aber vollkommen fehl am Platze ist. Ist er nicht geschickt, der Schwaerzel, wie er sie alle miteinander in die Irre führt? Er will nirgends dazugehören. Er macht, worauf er Lust hat. Gehört sich selbst. Er ist weder hier für noch dort gegen. Überhaupt, links-rechts verbittet er sich nobel. Er schreibt ganz einfach und er hat einen Verlag hinter sich, der wie ein gebieterisches Schmunzeln über diesen dumm-deutschen Links-Rechts-Kleinbürgereien funkelt.
Schizoid Man ist Meister-Horror und Sinnsuche-Masochismus. Ganz richtig, Schwaerzel. Sein Duktus ist altmeisterlich durchblutet, antik-minimalistisch, konvex und sehnsüchtig, knapp, Alteuropa für Liebhaber und Kenner des perfide Anmutigen in der Klassik von Form und Geist – doch 2024 macht alles räudig, bis man es selbst ist, bis man selbst so klingt wie unsere Zeit aussieht. Eben weil Schwaerzel das nicht verleugnet, ist dieser Castrum-Roman so beeindruckend und stemmt sich gegen alles Seichte, Verlogene, Perverse.
Das Großartigste an diesem Buch ist ein expliziter, umwerfender Abschiedsbrief des Erzählers. Man will ihn sich an die Wand hängen, von feinem Barockgold gerahmt. Der Brief ist der Horkrux dieser ganzen Geschichte. Horkruxe, erdacht von J. K. Rowling, sind Dinge, in denen einer wie Schwaerzel einen Teil seines beseelten Geistes – seinen Animus – bannt, diesen Splitter aber muss er zuvor von seiner Seele lösen, so etwa durch unergründlich Böses gegen sich selbst oder gegen andere. Früher bin ich aufgewacht und nach ein paar Minuten hatte ich vergessen, wovon ich geträumt habe. Jetzt ist es dasselbe, nur umgekehrt. Das Buch ist wie ein edles, aber angenagtes Möbelstück, das man sich in die hochrömische Lügenhalle stellen mag, wie einen gemeinen und widerlichen Zirkel, der tanzend und tanzend und schlittschuhtanzend immer nur das Eine neu errechnet: dass es kränkender denn je ist, in diesem Jetzt ein Jetzt sein zu müssen. Was wissen Stimmen der Provinz von der Mühsal, sich täglich innerhalb einer hirn- und herztoten Generation bewegen zu müssen, erstickend, in den für die Provinzler doch nur wie von fern puckernden BladeRunner-Städten schizophrener Wirklichkeit? An welchen Kassen müssen die Stimmen der Provinz die den Menschen selbst hassende Jung-Bunt-Menschheit ertragen? Von welchem charakterlosen Dunst echter, satter Obszönitäten jenseits von Übermigration und Parteitheater sind die Stimmen der Provinz umzingelt? Auf dem Land ist die Luft doch weitestgehend gut und würzig.
Sebastian Schwaerzel hat das Zeug zu einem Literaten. Wenn er schreibt, dann duelliert er sich selbst. Sein Ton ist federnd, geräuschlos und konzentriert. Am Ende, jetzt schon. Fähig, noch sehr lange. Er jagt sich. Schizoid Man hat dieselbe implodierende und fesselnd widernatürlich beklommene Kraft von The Substance. Der hochkarätige Film, der gerade mit einer faszinierend irren Demi Moore und einem schlicht perplex machenden Dennis Quaid in die Kinos kommt, ist ein zerreissender Überschallwahnsinn aus den perfiden Fehlbildungen westlicher Vernichtung von ureigenem Ideal und geschichtsloser Schönheit hin zu einer Diktion von Fratzenkultur einerseits und künstlicher Körperparanoia anderseits. Have you ever dreamt of a better version of yourself? In derselben Schnelligkeit, Dreistigkeit und Anspannung geworfen wie Schizoid Man! Genauso unpolitisch gefangen in der Realität. Acid! Genauso traurig hämmernd. Genauso Spiegel zerschlagend. Hart, kalt und zitternd. Acid! Ruhig. Verdorben. Verborgen! Genial! Fatal! Infernal! Acid! In derselben Sphäre der Kunst herrschend, auf jener Ebene, die keine Erklärung schuldig ist und nicht angefasst, eingeordnet, von niemandem gemocht oder nicht gemocht werden will. Acid. In derselben Meisterklasse von Entsetzen und Schmerz. Acid. Laut. Stumm. Sexy.
Sebastian Schwaerzel: Schizoid Man. Castrum Verlag: Wien 2024
M a r i a m K ü h s e l - H u s s a i n i
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