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Mariam Kühsel-Hussaini: B WIE BISMARCK

Da befindet sich derzeit so eine Person im Auswärtigen Amt Deutschlands, die sich 2022 angemaßt hat, das Bismarck-Zimmer des Ministeriums – begründet durch den Namensgeber selbst, in seinem ganzen fulminant aufregenden, komplexen, wuchtigen Wirken – umzubenennen in den Saal der Deutschen Einheit. Eine Einheit, die diese Person im Auswärtigen Amt durch ihr eigenes Zutun zerschlachtet und darüber hinaus in anhaltender Perfidie einen offenkundigen, unleugbaren, unmissverständlichen Austausch der hiesigen Bevölkerung in ungekanntem Maße unterstützt.

Diese Person stöckelt durch Weltgegenden, die mit hiesigen, menschengemachten, gefährlichen Krisen nichts zu schaffen haben. Dadurch entstehen Kriege, etwa so, als würde man allerorten ein Streichholz über das Herz der Zeit reißen. Feuer zu Feuer.



Anton von Werner: Der Kongreß zu Berlin – Schlußsitzung am 13. Juli 1878 (1881)


Diese Person spricht nicht etwa leidenschaftlich oder heißblütig, nein, diese Person krakeelt. Niemand erhebt sich und bittet sie, etwas samtiger, gütiger oder wissender zu sprechen, vor allem wahrer und freier und gefälligst zur Sache. Diese Person ist eben jetzt an der Reihe, so ist das im Verständnis von kleinen Leuten, die glauben, jetzt auch mal zu müssen, zu dürfen, Spuren zu hinterlassen – Versehrungen, Grauen, Angst.


Diese Person sagt Herkumft statt Herkunft. Diese Person liest mühsam und gleichgültig ab, schüttelt schmutzigste Hände und grinst dabei. Es geht nicht um Schul- oder Studiumshorizonte, echte Begabung zeigt sich einzig in den Momenten des Lebens, in der persönlichen Kultur, nicht in irgendeinem Lebenslauf. Darum stellen wahre Professoren kaum Fragen zum Thema, sondern verfangen mit Abseitigem, weil sich genau da die Gravitation des Gegenübers zeigt, ja die Persönlichkeit und das Können. Was kann diese Person Gutes, Schillerndes, Einzigartiges, Großartiges, Tröstendes? Dies ist kein Hohn, keine Verächtlichmachung und keine Delegitimierung: es ist Wahrheit. Ich ehre den Staat, deswegen muss ich aber nicht seine schwächsten Vertreter ehren.


Otto von Bismarck. Groß, schwer, cool. In Briefen witzig, smart und verblüffend. Unberechenbar, rätselhaft, konservativ und auch wieder nicht. Draufgänger. Zerbrechlich. Koloss. Entfessler. Ausgleicher. Maßlos, maßvoll. Wann immer etwas in seinen Entscheidungen eine Widersprüchlichkeit entfacht, ergibt sich doch plötzlich Sinn und Meisterschaft.


1815 wurde er in stolzem Hause geboren, 1898 – welch Schicksalsjahr! – starb er hochbetagt als Forelle verschlungen vom Raubfisch Politik, wie er schrieb, what a man. Der wundervolle, leicht geschlossene, wässrige Blick seiner weitschweifenden Fensteraugen zeugt von Sehnsucht und einem Glauben an den Triumph durch gerechte Politik und erlesenes Gespür. Sozialpolitik brillant, Steuersystem Katastrophe. Ein hoher Mensch, ein Herr, ein bürgerlicher Fürst, primus inter pares. Ein Superlativ der Widersprüchlichkeiten.


An die derzeitige Person im Auswärtigen Amt: Es war einmal ein Gebiet, das trug eine geheimnisvolle Energie in sich. Aus der gesunden Erde wisperte es, in den barocken Wolken brach ein intelligentes Fieber aus, etwas wollte ausbrechen, aufbegehren, sich in dieser Welt den eigenen Platz ergründen. Reflexion und Temperament lagen hier, allein, es musste noch geformt, geprägt, gerahmt und manifestiert werden – damit die Menschen, die zu diesem Gebiet gehörten, diesem Territorium angehörten, sich als ein Land begreifen konnten. Das tat Bismarck. (An dieser Stelle kurz an Herrn Markus Söder: Sie waren ein hinreißender Bismarck!) Die dosiert-pointierten Kriege, die Bismarck führte, dienten eben den Menschen hier, denen ein geografisch-geistiger Umriss fehlte und den er für sie zog. Preußen und seine Verfassung, das ist ein Bekenntnis, ein mutiges Gebilde, eine Quelle, ein Motor. Es fanden zusammen der preußische Machtstaat der „Pickel“ einerseits und die deutsche Nationalbewegung andererseits zu einem paradox-genialen Geschöpf: DEUTSCHLAND. Soldatisch. Beamtisch. Poetisch. Seine Ziele spielte Bismarck gekonnt den Mehrheiten zu, ein Politiker, der Politik eigentlich verachtete und auf einen Grund hinter der Politik hinstrebte. Preußen war in ihm. Ein Land in einem Mann! Mit allen Dimensionen, Nöten, Erhabenheiten, Träumen und Irrungen.


Otto Pflanze, Lothar Gall, der anmutige Philip Cassier oder der begnadete Gerhard Ritter haben altmeisterlich einen Bismarck als eine Zeit selbst skizziert, einen Teppich, einen großen und widerspenstigen Preußen-Verkörperer und hochbegabten Stilisten, einen Schöpfer von Gegenwart und Erneuerung, einen Taktiker, einen Einkessler, einen metallenen Durchsetzer und auch einen Gebenden, der dann das Geschenk selbst – das neugegründete Deutsche Reich von 1871 – in all seinem Geburtstaumel gewissermaßen sich selbst überließ, wie es Väter tun, mit jener übermächtigen Erbmasse, die man nicht anfassen, die man nur verinnerlichen kann. Die Variable Gott war entscheidend für Bismarck, und fürwahr, wenn diese nicht gegeben ist, so erdreistet sich Macht zu Exzessen, die nicht wieder zu heilende Wunden schlagen.


Deutschland war geboren, geeint, durchblutet. Innere Selbstgründung, Reichsbildung, erkenne dich selbst. Wie sollte eine neue Weltmacht, die sich ihren Erfolg als solche selbst zu verdanken hatte, nun mit der Welt umgehen, wie sich ihr gegenüber verhalten? Für Bismarck war klar: Ab sofort in kraftvoller Demut und dem absoluten Willen zum Frieden das Gewonnene erhalten. Doch das war leichter gesagt als getan: Bismarck hatte ungeahnte Säfte freigesetzt, die für den Moment richtig waren, doch darüber hinaus nicht mehr zu beherrschende Kettenreaktionen verursachten. Das auf ganzer Linie talentierte Deutsche Reich war zu einem Überflieger geworden, plötzlich mittendrin und dabei in der Industrieproduktion der Giganten. Eingestiegen weit hinter England, hinter den Vereinigten Staaten und Frankreich, doch bis zum Ersten Weltkrieg wird sich diese Rangordnung neu formieren: Frankreich und Großbritannien werden von den Deutschen überholt, Amerika setzt sich an die Spitze und will dort auch bleiben. Preußen hat alles aufgemischt. Neid geweckt, Komplexe und Hass verursacht, und wird nun hineingesogen in das Geschehen der Welt. Der preußische Teppich der Verheißung ist zu einem deutsch-schwankenden Grund des Verhängnisses geworden. Uneins, unruhig, tiefrotblutend, wie im Gemälde von Anton von Werner, einem der besten und traurigsten deutschen Maler, schön und zerrissen wie der unvollendete Nationalstaat.


Ich verabscheue Krieg, doch WENN es einen Krieg für Frieden gibt, so war das Bismarcks Ausgangspunkt gewesen von seinem Aufstieg bis zu seinem Scheitern, ein Macht-Macher des Augenblicks – den Preis zahlt man dann selbst. Das war der höchstwahrscheinlich wichtigste Augenblick deutscher Geschichte, weil von da an auch der Geburtsschaden integriert war, der dann alles Folgende beschleunigte und vergiftete, und zusammen mit einem kontinuierlichen im Stichlassen der Deutschen unaufhaltsam zum Versagen der Weimarer Republik führte.


Jener Geburtsschaden bestand darin, dass die Menschen zwar durch das Wahlrecht für den Reichstag politisch beteiligt wurden, zugleich aber die Regierungsverantwortung des Reichstages gedämpft blieb, als wollte man den freien Staatsbürgern nie ganz und gar ihr eigenes Land anvertrauen. Bismarck, das ist mehr als er selbst, das ist ein überragender, gleichsam schmerzhafter Augenblick, der ergreift, inspiriert, verwirrt und einschüchtert, der mitreißt und erschreckt. Der definiert. Der wichtig, der bittersüß ist. Wie kommt diese Person im Auswärtigen Amt dazu, den Namen Bismarck ausgerechnet dort, wo er für immer prangen muss, zu tilgen? Wo sind die Schranken für solche Vergehen? Wo die streng herausfordernde, großen Einhalt gebietende, landesweite Brandmauer freier Menschen endlich jenseits von links oder rechts gegen pseudopolitische Verderben und gegen die Bosheit selbst?

 

Mariam Kühsel-Hussaini, Deutsche Schriftstellerin



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