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Lothar Fritze: DER FREIHEITLICHE STAAT UND SEINE ZERSTÖRER

Aktualisiert: vor 5 Minuten

Wer die offene Gesellschaft und den freiheitlichen Staat schätzt, vermag eine Reihe von Vorgängen in unserem Land nur noch mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis zu nehmen. Eine politisch-mediale Elite zieht derzeit alle Register, um ihre ideologische Vorherrschaft zu zementieren, eine von ihr favorisierte Werteordnung zu etablieren und tiefgreifende gesellschaftliche Umgestaltungen auf den Weg zu bringen.



Der freiheitliche Staat und seine Zerstörer


Ihr Minimalziel ist eine multikulturelle Einwanderungsgesellschaft, in der Aspekte der gemeinsamen Abstammung, Traditionen sowie nationale Interessen und kulturelle Eigenheiten eine immer geringere Rolle spielen. Kosmopolitisch eingestellte Denker und Politiker betrachten die Idee des Nationalismus – das ist die Auffassung, dass die Welt vorzugsweise in Gestalt souveräner Nationalstaaten politisch geordnet sein sollte – als historisch überlebt und moralisch defizitär. Sie glauben, dass vom Nationalismus jeder Form, also auch von einem nicht-chauvinistischen und nicht-imperialistischen Nationalismus, überwiegend negative, insbesondere friedensgefährdende Wirkungen ausgingen. Ihr langfristig zu realisierendes politisches Ideal ist der demokratische Weltstaat. Dass sich ein solcher auch als Despotie erweisen könnte, wird nicht angemessen reflektiert.


I

 

Flankiert und zum Teil konkretisiert wird dieser übergreifende Wille zu einer politisch-moralischen Neuorientierung durch eine ökosoziale Neuausrichtung des gesamten Reproduktionsprozesses sowie eine Strategie zur identitätspolitischen Transformierung des gesellschaftlichen Bewusstseins.

 

Für diese Transformation gibt es keine mehrheitliche Zustimmung. Teils ihren politisch-moralischen Grundüberzeugungen folgend, teils getrieben durch eine Reihe politischer, ökonomischer und sozialer Krisen, versucht die herrschende Elite, dem Volk Veränderungen aufzunötigen, die mit gesellschaftlichen Verwerfungen und enormen Risiken verbunden sind und von einer signifikanten Mehrheit der Menschen nicht gewünscht oder sogar vehement abgelehnt werden.

 

Dabei werden zum einen die Zwecke der Transformation nicht allgemein geteilt; zum anderen sind erhebliche Teile des Volkes – und zwar trotz des Einsatzes von Technologien zur manipulativen Bewusstseinsformung – nicht überzeugt, dass die auf den Weg gebrachten oder angemahnten Veränderungen notwendig oder geeignet seien, um diese Zwecke zu realisieren. Trotz des Ausmaßes der Manipulationsbemühungen, trotz problematischer Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit und trotz der spürbaren Beschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit sind diese Gegenstimmen auch in der Öffentlichkeit deutlich vernehmbar. Indem die politisch dominierende Elite wohlbegründete Kritik ignoriert und ungeachtet verbreiteter Bedenken ihre Transformationsziele weiterverfolgt, überschreitet sie ihre Legitimation.

 

Politik und Medien werden derzeit von einem Machtkartell beherrscht, das seine moralisch inspirierten Ziele brachial umzusetzen versucht – und zwar ohne sich über die Konsequenzen Gedanken zu machen, mit denen im Falle der massenhaften Ablehnung der in die Wege geleiteten gesellschaftlichen Transformation zu rechnen wäre. Der Grund dafür ist folgender: An die nicht wünschbaren möglichen Folgen des eigenen Vorgehens „verschwendet“ man deshalb keinen Gedanken, weil man die Illusion pflegt, dass es sich bei besagten Transformationsprozessen um Entwicklungen handele, die einer inneren Logik folgten und gar nicht aufhaltbar seien, sondern vielmehr einer intelligenten Moderation bedürften – wozu man sich freilich selbst berufen fühlt.

 

 II

 

Ein demokratisches Herrschaftssystem erwirbt Legitimität, indem es von urteilsfähigen Menschen auf der Grundlage einer wohlinformierten Urteils- und Willensbildung anerkannt wird.

 

Ein freiheitlicher Staat ist immer auch eine Demokratie, genauer gesagt: ein demokratischer Rechtsstaat – nicht jedes staatliche Institutionensystem, das in formaler Betrachtung eine Demokratie verkörpert, ist aber ein freiheitlicher Staat. Eine Demokratie ist insbesondere dann kein freiheitlicher Staat, wenn es eine Gruppe von Aktivisten verstanden hat, sich der Machtmittel des Staates zu bedienen und die Urteils- und Willensbildung breiter Massen manipulativ so zu beeinflussen, dass von einer freien Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen zu den Formen sowie der Praxis der Herrschaftsausübung nicht mehr gesprochen werden kann und damit die Freiheit der Individuen, die sich in ihrer Selbstbestimmung bewährt, infrage gestellt ist. Eine nicht freiwillig gegebene Zustimmung hat keine legitimierende Kraft.

 

Der kulturelle Hegemon des Landes, eine vor allem kosmopolitisch und moralisch universalistisch orientierte politisch-mediale Elite, nutzt Methoden der Informationskontrolle, einschließlich der Zensur, der Bewusstseinsformung, der Gesinnungskontrolle sowie der Einschüchterung und Bestrafung, um die bestehende Gesellschaft unabhängig vom Mehrheitswillen der Staatsbürger in einem großangelegten, ihr oktroyierten sozialen Experiment in eine Gesellschaft zu verwandeln, die seiner eigenen ideologischen Grundausrichtung entspricht. Wir erleben derzeit den Versuch einer Minderheit, ihre eigenen weltanschaulichen Überzeugungen als Systemideologie zu etablieren.

 

 III

 

Jeder Versuch, Zustimmung der Bürger durch Unterdrückung der Wahrheit, durch Falschinformationen oder durch Propaganda zu erzeugen, jeder Versuch, Freiheitsrechte unverhältnismäßig oder auf der Grundlage fadenscheiniger Begründungen einzuschränken, ist ein Angriff auf den freiheitlich-demokratischen Staat. Der Versuch einer über staatliche Machtmittel gebietenden Elite, durch Indoktrination der Massen Zustimmung zu generieren, delegitimiert aber nicht nur den demokratischen Staat; er missachtet zudem die Menschenwürde jedes Einzelnen. Die elementarste, lebenspraktisch wichtigste und moralisch höchste Freiheit ist die Freiheit, seine Überzeugungen und seinen Willen unabhängig von nicht gewünschten Einflussnahmen selbst bilden zu können. Eine notwendige Voraussetzung dafür ist die durch äußere Gewalt unbeschränkte Möglichkeit, öffentlich zu kommunizieren. Eine sich ausbreitende Atmosphäre der Angst hingegen, durch politisch inkorrekte Äußerungen Nachteile zu erleiden, behindert den freien Austausch der Gedanken und beschneidet die Möglichkeiten, „gleichsam in Gemeinschaft mit anderen“ zu denken (Immanuel Kant). Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit haben daher nicht nur Konsequenzen für die Freiheit zu sprechen und zu schreiben, sondern auch für die Freiheit zu denken und damit für die Urteils- und Willensbildung.

 

Die Verwendung von Steuergeldern zu Indoktrinations- und Manipulationszwecken untergräbt die – auf freier, nicht manipulierter Zustimmung beruhende – Legitimität des demokratischen Verfassungsstaates. Weiß die politisch-mediale Elite des Landes, was sie tut? Staatliche Propaganda ist kein Kavaliersdelikt; es ist ein schweres Vergehen am demokratischen Gemeinwesen.

 

 IV

 

Dieses Sozialexperiment wird den freiheitlichen demokratischen Staat vernichten. Sind systematische Versuche der herrschenden politischen Kaste, die Bewusstseinsbildung der Staatsbürger durch staatliche oder öffentlich-rechtliche Organe zu steuern, erst einmal endemisch geworden, bleiben nur zwei Ausgänge:

 

Entweder es gelingt diesen Organen, Zustimmung auf dem Wege geistiger Manipulation zu erzeugen. In diesem Falle entstünde ein Staat mit neuartigem Legitimationstypus: eine totalitäre Demokratie – eine Staatsform, die für legitim zu halten mit dem Selbstbild eines autonomen Wesens unvereinbar wäre.

 

Oder aber die Indoktrinierungsversuche des kulturellen Hegemons werden von hinreichend vielen Bürgern durchschaut und die Erzeugung von Zustimmung misslingt. Im Falle des Misslingens einer ideologiekonformen Konditionierung blieben dem Staat Sanktionsdrohungen und Gratifikationsversprechen, um den nötigen Gehorsam herzustellen. Ein solcher Staat jedoch, bevölkert von Eingeschüchterten, Mitläufern und Opportunisten, stünde in der Gefahr – eben weil der Gehorsam abgenötigt wäre und jederzeit aufgekündigt werden könnte –, in einen schleichenden oder auch rasanten Zerfallsprozess zu geraten. Eine Herrschaftsordnung jedenfalls, die von der großen Mehrheit der Beherrschten nicht mehr als legitim betrachtet würde, wäre auf Dauer nicht stabil.

 

In was für einem Zustand also befindet sich Deutschland derzeit? Der bundesdeutsche Staat und vielleicht der Westen generell befinden sich an diesem Scheideweg. Sie sind nicht mehr oder nur noch bedingt bereit, ihre eigenen Voraussetzungen zu schützen. Eine linke, illiberale politisch-mediale Elite ist – in Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und Stiftungen und gestützt von Medienkonzernen, die sich in den Händen weniger Milliardäre befinden – auf dem Weg, den offenen Streit unterschiedlicher Standpunkte zu unterbinden, die Betätigungs- und Artikulationsmöglichkeiten der Opposition einzuschränken und das Volk zu entmachten. Sie bedient sich dabei verschiedenster Methoden – der Indoktrination und geistigen Manipulation des Wählers, einer ideologisch einseitigen Neuauslegung des Grundgesetzes und der daraus abgeleiteten Stigmatisierung gegnerischer politisch-moralischer Grundorientierungen als verfassungsfeindlich.

 

 V

 

Um die für notwendig gehaltenen Bewusstseins- und Gesellschaftsveränderungen

auf den Weg zu bringen, nimmt es diese herrschende Minderheit in Kauf, den unaufhebbaren konstitutionellen Grundzusammenhang zwischen einer rechtsstaatlich gesicherten liberalen Streitkultur und einer freien, selbstverantworteten Meinungs- und Willensbildung als Voraussetzung einer Herrschaft legitimierenden Zustimmung aufzulösen. Damit entzieht sie dem demokratischen Staat generell, aber auch ihrer eigenen Herrschaft die Legitimationsbasis. Ihre ideologische Selbstfesselung macht es ihr unmöglich, die geistige Spaltung der Gesellschaft zu registrieren oder wenigstens einzuräumen. Zu beobachten sind darüber hinaus mediale Diffamierungs- und Rufmordkampagnen sowie Ein- und Übergriffe von Behörden oder staatlichen Einrichtungen, die man sonst nur von den in totalitären Diktaturen praktizierten „Zersetzungsmaßnahmen“ zur Einschüchterung von Oppositionellen her kennt.

 

Diese „Elite“ ist dabei, die Bedingungen der Möglichkeit eines freiheitlichen Staates zu unterminieren. Während Staaten einer nicht demokratischen Staatsform den Anspruch erheben, objektiv legitimiert zu sein – indem sie sich etwa auf göttliche Richtlinien, ein vorgegebenes Naturrecht oder soziale Gesetzmäßigkeiten berufen –, beziehen demokratische Staaten ihre Legitimation ausschließlich aus der Zustimmung der Herrschaftsunterworfenen. Aus dieser Besonderheit der demokratischen Legitimationsform folgt für staatliche Akteure ein Verbot, Staatsbürger zu indoktrinieren und dadurch ihre Zustimmungsbereitschaft zu beeinflussen. Die tatsächliche Legitimation, die die „staatstragenden Parteien“ aus dem faktischen Zuspruch in Wahlen gewinnen, schrumpft in dem Maße, in dem sich die Zustimmung staatlich orchestrierter bewusstseinsmanipulierender Maßnahmen verdankt. Das Deutschland der Gegenwart ist auf dieser abschüssigen Bahn weit vorangeschritten. Es nähert sich der Zone, in der der Übergang des freiheitlichen Staates in eine totalitäre Demokratie für jedermann sichtbar wird.



Auszüge aus: Lothar Fritze: Der freiheitliche Staat und seine Zerstörer. Wie eine politisch-mediale Elite die Entmachtung des Volkes betreibt. Graz: Ares, 2025.



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Über den Autor: LOTHAR FRITZE, Prof. Dr. phil. habil., geb. 1954, Philosoph und Politikwissenschaftler, lehrte als außerplanmäßiger Professor an der TU Chemnitz. Neuere Buchveröffentlichungen: Anatomie des totalitären Denkens. Kommunistische und nationalsozialistische Weltanschauung im Vergleich, München: Olzog, 2012; Der böse gute Wille. Weltrettung und Selbstaufgabe in der Migrationskrise, Waltrop und Leipzig: Manuscriptum, 2016; Kritik des moralischen Universalismus. Über das Recht auf Selbstbehauptung in der Flüchtlingskrise, Paderborn: Schöningh, 2017; Die Moral der Nationalsozialisten, Reinbek: OLZOG edition im Lau-Verlag, 2019; Der freiheitliche Staat und seine Zerstörer. Wie eine politisch-mediale Elite die Entmachtung des Volkes betreibt. Graz: Ares, 2025.




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