Wir haben uns angewöhnt, von Medien zu sprechen. Doch der Begriff ist missverständlich. Er klingt, als sei da eine neutrale Instanz, ein Medium, damit beschäftigt, eine Ware weiterzureichen. So ist es aber nicht. Die Ware, mit der die Medien handeln und ihr Geld verdienen, ist die Information; und die ist nie neutral. Sie ist, zumal in einer Informationsgesellschaft, ein Machtfaktor allerersten Ranges. Sie kann aufgeblasen oder unterdrückt, entstellt, verkürzt oder verfälscht werden; und wird das auch. Als vierte Gewalt üben die Medien eine beträchtliche Macht aus. Eine Macht, die alle anderen Gewalten, vor allem die Gewalt des Staates, dazu reizt, sie unter ihre Fuchtel zu bringen.
harmon from austin, tx, usa, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons
Um solche Übergriffe zu vermeiden, hatte das Bundesverfassungsgericht das duale Rundfunksystem erfunden. Es unterscheidet zwischen den privaten Sendern, die sich durch Werbung finanzieren, und den öffentlich-rechtlichen Anstalten, die einen Zwangsbeitrag erheben dürfen. Ihre Tätigkeit ist in einem Staatsvertrag geregelt, der ARD, ZDF und Deutschlandradio auf die Grundsätze der Objektivität und der Vielfalt, der Unparteilichkeit und der Ausgewogenheit verpflichtet. Soweit die Theorie. Aber die Theoretiker sind die Schlimmsten, hat ein erfahrener Mann einmal gesagt.
Die Praxis sieht ja auch ganz anders aus. Da hält der Redakteur einem willigen Experten das Mikrophon unter die Nase. Wenn der dann sagt, was der Redakteur auch schon gesagt hat, gilt das als objektiv. Wenn er Bekannte, Freunde oder Mitarbeiter als Zeugen vor die Kamera bittet, leistet er einen Beitrag zur Unparteilichkeit. Vielfalt beweisen die Sender dadurch, dass sie den Zahlen über kriselnde Firmen und schwindende Erlöse eine Meldung hinterherjagen, die Hoffnung aufs Frühjahr macht. Und Ausgewogenheit, indem sie das Loblied auf die rot-grün-gelbe Wirtschaftspolitik an die große Glocke hängen, Kritik an derselben Politik aber verstecken.
So könnte man endlos weitermachen; aber wozu? Wer Sendungen wie Tagesschau und Heute auch nur halbwegs regelmäßig verfolgt, kennt Beispiele genug. Sie vorzutragen und anzuprangern bringt aber nichts, weil die Intendanten Einwände und Vorbehalte mit einem Hinweis auf die Gremien, die Rundfunk- und Verwaltungsräte beantworten, die Ausgewogenheit, Vielfalt und so weiter garantieren sollen. Angesichts der Zusammensetzung dieser Gremien ist das ein Witz – der ZDF-Verwaltungsrat tagt unter der Leitung des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, der ihm von Amts wegen vorsitzt –, mit dem die Sender aber so lange durchkommen, wie sich die Gerichte mit einer rein formalen Überprüfung der erwähnten Grundsätze zufrieden geben. Die Zeichen mehren sich, dass sie dazu nicht mehr bereit sind, sie wollen mehr.
Und mehr ist nötig, wenn das Vertrauen in die gründlich erschütterte Glaubwürdigkeit der Sender nachwachsen soll. Allein in den östlichen Bundesländern scheint sich die Zahl der Zwangsempfänger, die mit ihrem Beitrag im Rückstand sind, auf mehr als 300.000 zu belaufen; und täglich kommen weitere hinzu. Alle Welt wartet nun auf den Richter, der die alles entscheidende Frage, ob die Anstalten ihrem Auftrag nicht nur formal, sondern auch inhaltlich gerecht werden, nicht länger an die Gremien delegiert, sondern selbst aufgreift. Also anhand von Beispielen, an denen ja kein Mangel ist, überprüft, ob die vom Staatsvertrag geschaffenen Strukturen dazu geeignet sind, die hochgesteckten Ziele – internationale Verständigung, europäische Integration, gesellschaftlichen Zusammenhalt im Bund und in den Ländern – zu befördern. Oder ob sie dazu einladen, Partei zu ergreifen, Stimmung zu machen, Vorurteile zu befestigen, Gräben aufzureißen und das Land zu spalten.
Die Sender propagieren ein Weltbild, das zwischen Gut und Böse, Oben und Unten, Freund und Feind klar und unzweideutig unterscheidet. Sie erheben den Anspruch, Wahrheiten zu verkünden, die nicht bezweifelt oder hinterfragt, sondern nur geleugnet, also wider besseres Wissen bestritten werden können. Sie predigen den Dialog, den sie dann allerdings verweigern. Sie loben die Menschenrechte, um sie dem Gegner vorzuenthalten. Sie verbieten nicht, sie canceln, zitieren die Unschuldsvermutung, beachten sie aber nicht. Sie wollen nicht mehr Aufschluss geben über das, Was ist, sondern versprechen Erkenntnisse und Erleuchtung über das, Was wahr ist.
Wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist, hatte Hannah Arendt seinerzeit bemerkt, wird die Meinungsfreiheit zur Farce. In Deutschland ist sie nicht mehr garantiert, jedenfalls nicht durch Sendungen wie Tagesschau oder Heute. Die Grenze zwischen Meldung und Kommentar, zwischen Nachricht und Werbung, zwischen Sprecher und Influencer ist brüchig geworden, sie wird verwischt und übertüncht, wo nicht sogar in voller Absicht überschritten. Und damit hängt dann auch die Meinungsfreiheit in der Luft. Sie wird beschworen, aber nicht mehr garantiert.
Ich möchte gern erfahren, worin der konkret nachweisbare, individuell zurechenbare Vorteil bestehen soll, der mir und allen anderen Zwangsteilnehmern von Intendanten, Gutachtern und hohen Richtern zugesprochen wird. Da ich das immer noch nicht weiß, habe ich den ÖRR-Beitrag nicht etwa verweigert, sondern bloß gekürzt; mehr als 60 Euro im Jahr scheint mir das Angebot nicht wert zu sein. Über die Risiken und Nebenwirkungen, die mit diesem Schritt verbunden sind, bin ich mir im Klaren. Aber muss ich sie nicht in Kauf nehmen, wenn es mir ernst ist mit der Verteidigung der Meinungs- und der Pressefreiheit?
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Über den Autor: Konrad Adam, geb. 1942, Journalist, Publizist und Politiker, war 1979 bis 2000 Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, anschließend bis 2007 Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt.
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