Der russische Überfall auf die Ukraine hat eine für Putin fatale Folge gehabt, die in ihrem ganzen Ausmaß noch gar nicht erkannt worden ist. Denn sonst gäbe es nicht solche unsinnigen Diskussionen über europäische Atomwaffen oder den Einsatz von Bodentruppen von Nato-Staaten in der Ukraine.
Der Beitritt der beiden skandinavischen Länder verändert die strategische Lage in Europa grundlegend, weil nun Russlands Zugang zur See rundum nicht mehr gesichert ist. Das Land ist wie vor Peter dem Großen auf seiner riesigen Landmasse eingeschnürt und damit, wenn der Westen will, wirtschaftlich gelähmt. Aus dieser Lage kann es sich ohne einen offenen Krieg mit der Nato nicht mehr befreien.
Nato-Schiffe im norwegischen Geirangerfjord während des Großmanövers Cold Response 2022
Russland lahmlegen
Betrachten wir die Lage im Einzelnen. In der Ostsee kann die Nato im Kriegs- und Spannungsfall Russland nun gleich an zwei Stellen vollständig blockieren. Sie kann von Estland und Finnland aus sowie von der See her den Finnischen Meerbusen abriegeln und damit St. Petersburg militärisch und wirtschaftlich lahmlegen. Allein diese Möglichkeit ist ein Horror für Russland, weil St. Petersburg sein einziger voll funktionierender Ostseehafen ist. Königsberg (Kaliningrad) ist eine Exklave mit geringem Hinterland. Obendrein ist der Hafen schwer zugänglich. Darüber hinaus kann die Nato die Ostsee bereits an ihrem Eingang für russische Schiffe sperren: am Sund und an den Belten. Russland ist dagegen wehrlos, weil die Sperrung durch land- und seegestützte Mittel möglich ist. Sie könnten bestenfalls durch einen massiven Angriff aus der Luft ausgeschaltet werden, was heißt, nur durch einen großen Krieg, in dem Russland der Angreifer wäre.
Durch die Möglichkeit wirksamer Seeblockaden hat sich die Sicherheit der baltischen Staaten immens erhöht. Sie waren wegen ihrer kleinen Armeen bisher weitgehend hilflos einem russischen Frontalangriff oder der Infiltration durch lockere Kampfverbände ausgesetzt. Wenn die Sperrung der gesamten Ostsee für den Schiffsverkehr von und nach Russland die Antwort ist, wird sich Moskau sehr überlegen, ob es sich auf ein solches Abenteuer einlässt. Die Existenz des Landes stünde auf dem Spiel. Dass dabei ganz Europa der Untergang drohte, änderte daran nichts.
Bei einem Angriff Russlands auf die baltischen Staaten könnten von der Nato auch seine übrigen Zugänge zur See nahezu vollständig gesperrt werden. Der Hafen Murmansk am Nordmeer wäre ohnehin wenig geeignet, den Ausfall von St. Petersburg zu ersetzen. Doch auch dieser Hafen könnte von der See her seitens des Vereinigten Königsreichs und Norwegens mit Unterstützung Frankreichs weitgehend blockiert werden.
Ebenso verhält es sich mit Russlands Schwarzmeerhäfen. Selbst wenn die Türkei – stets ein unsicherer Kantonist im Bündnis – die Meerengen nicht für russische Schiffe sperrte, könnte von den griechischen Inseln her mit Hilfe amerikanischer und britischer Flotteneinheiten, denen sich italienische und französische Seestreitkräfte zugesellen würden, der Zugang zum Schwarzen Meer praktisch unmöglich gemacht werden.
In den Armen Chinas
Bleibt fern im Osten Wladiwostok. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass sich Japan und Südkorea der Nato anschlössen, geriete sie in eine Auseinandersetzung mit Russland; aber die amerikanische Flotte könnte doch den Schiffsverkehr mit Wladiwostok verhindern. Russland geriete dann im Fernen Osten in eine völlige Abhängigkeit von China, um weiter Handel zu betreiben.
Der größte Vorteil der durch den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens geschaffenen Lage ist, dass, sieht man vom Fall Wladiwostoks ab, die Blockade der Ostsee und des Nordmeers allein von den Europäern vollzogen werden könnte. Bei Hilfestellung der Türkei gilt das auch für die Schwarzmeerhäfen. Europa hinge damit nicht mehr vom Wohlwollen Washingtons ab.
Um die Seeblockaden gegebenenfalls prompt und wirksam zu vollziehen, bedarf es jedoch rascher Planung zu Lande und auf See, vor allem einer perfekten Zusammenarbeit aller Beteiligten (Ostseeanrainer, Norwegen, Großbritannien und Frankreich, Italien und Griechenland, möglichst auch Türkei).
Die Vorbereitungen für die Seeblockaden sollten in aller Öffentlichkeit sogleich beginnen, um Russland seine insofern fatale Lage klarzumachen und von unbedachten Ausweitungen des Ukrainekrieges abzuschrecken.
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Über den Autor: Jörn Sack, geb. 1944 in Saalfeld/Saale. Lebt in Berlin. Jurist. Privatgelehrter. Schriftsteller. Zahlreiche Titel darunter Lyrikbände und der Roman „Schalksknecht“ bei Edition Bodoni. Jörn Sack stiftet den seit 2013 alle zwei Jahre vergebenen „Preis für Politische Lyrik“. Näheres zu Werk und Wirkung des Autors auf der Webseite www.joernsack.eu
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