Eine essayistische Miszelle zu Geltungsmacht und Geltungssucht.
Um es vorweg zu sagen: Von einem Star-Philosophen – oder müsste es nicht besser heißen einem Philosophie-Star? – ist die Rede. Noch verrate ich nicht seinen Namen, sondern stelle nur mir und zugleich dem Leser die Frage, wie man als ernsthafter Denker zu solch koketter Wertschätzung in der Öffentlichkeit gelangt. Bei „Star“ (anders als bei ‚As‘ zum Beispiel oder ‚Koryphäe‘) denkt man sofort ans Schaugeschäft – und das sollte Philosophie, die sich selbst treu ist, nicht sein. Aber vielleicht ist sie – ohne dass wir es recht bemerkt haben – längst ins Schaugeschäft hinabgestiegen, weil ohne Schau keine Aufmerksamkeit mehr zu erzielen ist.
Peter Heeling; Skitterphoto, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons
Berühmte und sogar gefeierte Philosophen, solche, die sich staatlicher Protektion erfreuten, hat es zu allen Zeiten gegeben. Einen zu finden, der am höfischen Leben teilnahm, gelingt mir jedoch nicht. Er hätte wohl dem Hofnarren zu nahegestanden. Selbst Seneca hielt sich eher fern von Rom. Und Hegel wurde – trotz aller Achtung, die er da genoss – nie bei Hofe gesehen. Die Tafelrunde Friedrichs in Sanssouci war geradezu eine Abkehr vom höfischen Leben, wie sich leicht daran erkennen lässt, dass Frauen im Kreis nicht geduldet wurden.
Auch Philosophen, die populär geworden wären, fallen mir nicht ein. Gewiss, jeder rechtschaffene preußische Beamte hielt sich an Kants kategorischem Imperativ fest. Nur fragen, wie der lautete, durfte man nicht. Einst galten Philosophen mehr, wenn sie verfolgt oder wenigstens ver- oder missachtet wurden, als die gefeierten oder verehrten. An Friedrichs Tafelrunde gehörten die meisten zur ersten Kategorie – es war eine Zufluchtsrunde.
Sich einen Philosophen zu denken, der als Gesellschaftslöwe zusammen mit Stars von Film und Fernsehen sowie anderen Öffentlichkeitslieblingen, mit Politikern und Wirtschaftsmagnaten auf Partys prasst oder auch nur diniert, fällt schwer. Doch es gibt ihn. Zu den illustren Hochzeitsgästen von Bundesfinanzminister Christian Lindner auf Sylt gehörte nach Medienberichten „der Star-Philosoph Peter Sloterdijk“. Nun ist kein Mensch dafür verantwortlich, wie ihn andere benennen. (Wir haben genug Ärger mit dem N-Wort!). Wohin und in welche Gesellschaft er sich begibt, unterliegt aber seinem freien Willen und Geschmack.
An dem fehlt es unserem konfessionslosen Finanzminister gewiss nicht: Zur schnieken weißen Braut wählt er eine schnucklige Kirche auf einer der schönsten deutschen Inseln (ausgestattet mit einem Flughafen – wie praktisch für die High Society!) und als Würze und Zierde für Zeremonie und Familienalbum einen Star-Philosophen am Tisch. Da muss selbst der Tycoon Trump neidisch über den Atlantik äugeln. Das alte Europa bewahrt bei allen Gelegenheiten Geist und Bildung. Darin wenigstens sind wir unschlagbar.
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Eigentlich sollte an dieser Stelle meine Miszelle über den als solchen erkannten neuen Stern am Himmel der Philosophie enden. Doch dann beschlichen mein verkrustetes wissenschaftliches Denken Bedenken. Hast du dich ausreichend vergewissert, dass tatsächlich einzig Peter Sloterdijk unter den Philosophen zum Star erklärt, oder sagen wir angemessener, verklärt worden ist? Gibt es womöglich mehr solcher neuartigen Geistesadligen, als du in deiner rückwärts- gewandten Naivität denkst? Ich war doch tatsächlich bisher fest überzeugt, dass es für einen Denker etwas Anrüchiges hat, zum Star erhoben zu werden, sich also mit vollbusigen Schauspielerinnen und Schönlingen des Showbusiness gleichsetzen zu lassen. Und ich meinte, dass sich unsere Journalisten solcher feinen Befindlichkeiten grübelnder Menschen wohl bewusst sein würden. Die Bezeichnung für unseren aktuell wohl bekanntesten deutschen Philosophen wäre also ein Fauxpas der Sylter Hochzeitberichterstatter.
Weit gefehlt! Die bloße Eingabe des Begriffs „Starphilosoph“ bei Google warf mir eine ganze Gilde solcher Sterne am Philosophenhimmel entgegen. „Starphilosoph“ ist offenbar eine längst gängige, wissenschaftlich sagt man eingeführte, Benennung. Und ich reiner Tor habe das verschlafen! Neben Sloterdijk werden so genannt: Jürgen Habermas. Giorgio Agamben. Slovoj Zizek. Mark Gabriel. Richard David Precht. Bernard-Henri Lévy. Thomas Nagel. Yoram Hazony. Den bereits 1941 verstorbenen Henri Bergson zögere ich aufzuführen. Sein Name taucht bei Google aber unter dem Begriff „Rock Star der Philosophie“ auf, der er für jemanden offenbar war oder noch ist.
Ich konnte nicht verhindern, dass mich ein ketzerischer Gedanke beschlich: Die Schulnoten werden immer besser, während der Wissenstand der Schüler ständig verflacht. Sollte es sich ähnlich mit der Philosophie verhalten? Die Gedankenwelt fällt brach, der öffentliche Lobpreis für die Denkenden steigt? (Ich benutze sicherheitshalber die geschlechtsneutrale Bezeichnung, obwohl ich keine ‚Starphilosophin‘ auffinden konnte.) Und wieso sollten die neu geborenen Stars am Geisteshimmel sich einer zeitgerechten Würdigung widersetzen? Gar resolut dagegen protestieren? Welch dumme Erwartung! Stararchitekten gibt es doch schon lange. Und der völlig von Allüren und öffentlichen Auftritten freie Gerhard Richter ist in den Medien zum „Starkünstler“ gekürt worden. Sollen allein die Philosophen weise oder scheu vor dem Zeitgeist zurückweichen? Es wäre wohl eine verfehlte Erwartung. Zu denken gibt mir freilich, dass einige kluge Frauen es mittlerweile als sexistische Herabwürdigung empfinden und sich dagegen auflehnen, wenn man sie öffentlich wegen ihres Aussehens lobt.
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Über den Autor: Jörn Sack, geb. 1944 in Saalfeld/Saale. Lebt in Berlin. Jurist. Privatgelehrter. Schriftsteller. Zahlreiche Titel darunter Lyrikbände und der Roman „Schalksknecht“ bei Edition Bodoni. Jörn Sack stiftet den seit 2013 alle zwei Jahre vergebenen „Preis für Politische Lyrik“. Näheres zu Werk und Wirkung auf der Webseite des Autors www.joernsack.eu
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