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Jörg Schnatz: ZWISCHEN DICHTER UND BAEDEKER

Vor rund 100 Jahren ging der Reiseschriftsteller Richard Katz zum ersten Mal auf Weltreise


Die populäre Reiseliteratur des frühen zwanzigsten Jahrhunderts gleicht einem versunkenen Archipel. Wer hinabtaucht, wird mit Einblicken in fremde Welten belohnt und mit manchem Kleinod einer im heutigen Bildschirmzeitalter kaum noch gepflegten Beschreibungskunst. Ein Meister dieser Kunst der unterhaltsamen, atmosphärisch dichten wie ironisch-spöttischen Beschreibung ferner Länder war der Reiseschriftsteller Richard Katz. Er wurde 1888 in Prag geboren und erlebte dort während seiner Jugend den kulturellen Glanz sowie die schwelenden Nationalitätenkonflikte Altösterreichs: „Das einzige Mal, daß mein Vater mich schlug, geschah, weil ich ins Tschechische Theater gegangen war. Ich hatte Smetanas ‚Verkaufte Braut‘ hören wollen, die das Deutsche Theater nie aufführte“, schreibt er in seiner Autobiographie „Gruß aus der Hängematte“. Wie Franz Kafka, den er gelegentlich in der Schwimmschule an der Moldau traf, studierte Katz Jura. Nach dem Studium arbeitete er als Journalist, unter anderem für das Prager Tagblatt und die renommierte Vossische Zeitung, die der Ullstein-Verlag – damals das größte Verlagshaus Europas – zuvor erworben hatte. Weil Katz neben seinem Schreibtalent auch eine besondere organisatorische Begabung besaß, ernannten die Brüder Ullstein ihn zum Direktor ihrer maroden Leipziger Verlagsdruckerei. Katz machte das Unternehmen wieder rentabel, führte es durch die Inflation, strich 150.000 Goldmark als Erfolgsprämie ein und fuhr von dem Geld auf Weltreise. Das war Anfang Dezember 1924.



Wieder zuhause: Richard Katz in Locarno, 1952
Wieder zuhause: Richard Katz in Locarno, 1952

Zwei Jahre lang reiste er mit „Kamel und Schiene, Schiff und Auto“ über Nordafrika, Indien, Indonesien (damals ‚Insulinde‘ genannt), Australien, Neuseeland und die Fidschi-Inseln nach Japan, weiter in die USA und von dort zurück nach Europa. Seine Reportagen, die in der Vossischen Zeitung und später gesammelt in dem Band „Ein Bummel um die Welt“ erschienen, bilden ein faszinierendes Kaleidoskop der Zwanzigerjahre unter Einbeziehung von Weltgegenden, die heute als Globaler Süden bezeichnet werden. Katz schildert, wie er in Bombay zwischen „Zauberern, Hindu-Theatern, Marktschreiern“ und Zuhältern umherstreift. Auf den Fidschi-Inseln kostet er das würzig-süffige Kava-Bier, das aus vorgekauten Wurzelfasern gebraut wird, und auf Tahiti scheitert ein Interview mit der Königin Pomare, weil er sie mit einer ihrer Dienerinnen verwechselt. Ebendort trifft er auch auf lächelnde Leprakranke sowie inkonsequente „Naturmenschen“, die zwar Schallplatten hören und ins Kino gehen, sich aber ausschließlich von Früchten ernähren. Hawaii erlebt er bereits als ein „Paradies nach amerikanischem Zuschnitt“, wo die Automarke den sozialen Status anzeigt, während er Japan zunächst als Hort altehrwürdiger Traditionen und vollendeter Kultiviertheit kennenlernt. Doch die Desillusionierung folgt auch hier auf dem Fuß: Im Zug von Tokyo nach Kyoto ekelt er sich vor „kotigen Holzsandalen“, Essensresten und „durchgeschwitzten Kimonos“. Manche seiner Beschreibungen erinnern wegen ihres neusachlichen Steno-Stils und ihrer coolen Schnoddrigkeit an Gedichte des frühen Gottfried Benn: „‚Rickschah? Rickschah?‘ Ein dürres Männchen zappelt in der Wagengabel, schwenkt sein Lampion, grinst wie ein Totenkopf, sattelnäsig, gelb, morsch“, schreibt Katz im März 1926 aus Yokohama. So humorvoll wie zeitlos gültig sind die meisten seiner Ratschläge für Reisende, z.B. „Aergere dich nie und dann nur selten darüber, daß nicht überall so gekocht wird wie bei dir zu Hause“ oder „Bedenke, daß du kein Archäologe bist!“


Als Katz wieder zurückkehrte, wurde er Prokurist in der Berliner Ullstein-Zentrale und bekam den Auftrag, eine neue Zeitschrift zu gründen. Unter dem Motto „Muße statt Sensationen“ gründete er die Grüne Post, einen Vorläufer heutiger Hobby- und Gartenmagazine. Das Konzept des Blattes, das seinen Lesern zum Wochenende ein Stück heile Welt bescheren sollte, stieß beim Verlagsvorstand zunächst auf große Skepsis. Aber man ließ Katz gewähren und der Erfolg gab ihm recht. Nach nur einem Jahr hatte die Grüne Post eine Million Abonnenten. Es war einer der größten Erfolge der deutschen Zeitungsgeschichte.


Zur Belohnung finanzierte der Verlag Katz eine zweite Weltreise, die diesmal sogar drei Jahre dauerte. Der schriftstellerische Ertrag war beträchtlich: Nach dem Erscheinen von „Ein Bummel um die Welt“ zu Weihnachten 1927, folgte für jedes Reisejahr ein weiteres Buch: 1929 erschien „Heitere Tage mit braunen Menschen“ über Insulinde und die Südsee, 1930 „Funkelnder Ferner Osten“, 1931 „Zickzack durch Südamerika“ und 1932 der Abschlussband „Ernte“. Katz‘ Reisebücher machten ihn weithin bekannt und zu einem der beliebtesten deutschsprachigen Reiseschriftsteller seiner Zeit. Von den Sonderbänden über Länder und  Weltregionen ist „Heitere Tage mit braunen Menschen“ vielleicht der gelungenste, denn selten hat ein europäischer Reisender ein ähnlich kenntnisreiches wie originelles Länderporträt vorgelegt. Political Correctness kann man von einem Autor des frühen 20. Jahrhunderts natürlich nicht erwarten.


So nimmt Katz den Kolonialismus als Faktum hin, ohne ihn zu verdammen. Zugleich beobachtet er ein Erstarken antikolonialistischer Tendenzen unter den Einheimischen, das er auf ein langsames Zurückweichen der Europäer und ein Nachlassen ihrer „kolonisatorische[n] Kraft“ zurückführt. Die zur damaligen Zeit verbreitete Annahme, „europäisches Niveau stünde höher als asiatisches“, lehnt er jedoch ab. Ja er sieht in dem Versuch, die Einheimischen nach westlichem Vorbild zu bilden, sogar einen Irrtum, der den „Machtverlust der weißen Rasse“ noch beschleunige. Zu verschieden seien die Völker beider Hemisphären, als dass sie sich einander angleichen könnten. Dabei seien die einen nicht besser als die anderen, sondern eben nur ‚anders‘. Was nach der Herrschaft der Weißen komme, sei folglich nicht „Freiheit und Selbstverwaltung“, sondern die Herrschaft einer einheimischen Dynastie oder Kaste. Man mag hinter solchen Spekulationen Zynismus und Rassendünkel wittern. Doch Katz sieht die Unzulänglichkeiten der westlichen Zivilisation ebenso schonungslos: „Blüte der Kultur ist die Kunst; Blüte der Zivilisation ist das Wasserklosett. Glücklich die Völker, die beides haben! Die meisten haben nur eins, die Amerikaner z.B.: Zivilisation; die Balinesen: Kultur.“ Auch den Bali-Tourismus seiner Zeit nimmt Katz unerbittlich aufs Korn: „Die Frau Gemahlin sieht sich die Tempel an und der Herr Gemahl die Brüste. So schafft man ‚Bali in drei Tagen‘.“


Nachdem Katz Asien durchquert hatte, reiste er im „Zickzack durch Südamerika“, so der Titel einer weiteren Reportagensammlung. Doch anders als in seinem Buch über Insulinde merkt man dem Autor hier stellenweise seine Verlorenheit angesichts der jedes europäische Maß sprengenden Dimensionen der Gebirge und landschaftlichen Weiten an. Auch Lärm und Hektik in Großstädten wie Lima oder Buenos Aires strapazieren seine Nerven offensichtlich. Heiterkeit und Spottlust weichen dann einer sich dem Leser mitteilenden ernsten und melancholischen Gestimmtheit. Das ändert sich erst wieder, als er am Ende der Reise der Liebe seines Lebens begegnet: Rio de Janeiro. „Wenn schon Großstadt—dann so!“, schwärmt Katz und wird zum Lyriker: „Wo sonst als in Rio schießen Felsen Kapriolen, buckeln sich wie Kätzchen? Wo sonst als in Rio segeln Schmetterlinge über Mietskasernen, rauschen Königspalmen um Fabriken?“


Nach der Rückkehr von seiner zweiten Weltreise ließ sich Katz im Tessin nieder. Er hatte sein Vermögen bereits 1931 auf ein Schweizer Konto transferieren lassen, nachdem er auf der Insel Lombok durch deutsche Zeitungen vom Wahlerfolg der Nazis im Jahr zuvor erfahren hatte. Doch die Schweizer Behörden drängten den Deutschen mit dem tschechoslowakischen Pass und dem jüdischen Namen zur Ausreise. 1941 – ein Jahr später als Stefan Zweig – siedelte er nach Brasilien über, wo er bis nach dem Krieg blieb und mehrere heute noch lesenswerte landeskundliche Bücher schrieb.


Danach kehrte er zurück ins Tessin, widmete sich fortan seinem Garten sowie seinen Hunden und schrieb Bücher darüber. Zu seinem Leidwesen konnte er damit jedoch an frühere Erfolge nicht mehr anknüpfen. Dass Katz zwar Pflanzen und Tiere, aber keine Kinder mochte und auch nie heiratete, erwies sich als verhängnisvoll für seinen Nachlass. Denn so fand sich niemand, der sich nach seinem Tod 1968 um sein Archiv und seine Bibliothek kümmerte. Als dann auch noch sein Sekretär kurz nach ihm starb, wurde beides in alle Winde zerstreut. Nur seine veröffentlichten Werke haben die Zeiten überdauert und sind aufgrund der einst hohen Auflagen nach wie vor antiquarisch verfügbar. Einige davon wären es wert, wiederentdeckt zu werden.


Über den Autor: Jörg Schnatz ist promovierter Literaturwissenschaftler. In TUMULT schrieb er bisher über Ernst Jünger, den Liberalismus der Furcht und Orientreisen der 1930er Jahre.



Titel- und Beitragsbild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Comet Photo AG (Zürich) / Com_X-K106-006 / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons


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