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Jörg Gerke: PLASTIKMÜLL

Kunststoffmüll, bestehend aus Mikroplastik (<5 mm) und Nanoplastik (1-1000 nm), fällt als Abfall in großen Mengen an. In einem im September 2023 erschienenen wissenschaftlichen Übersichtsartikel in der Zeitschrift Plants (Mészáros et al.), der online unter „open access“ kostenfrei verfügbar ist, werden einige bisher bekannte Aspekte zusammengetragen, die die Nachhaltigkeit vor allem landwirtschaftlicher Bodennutzungssysteme bei zunehmender Kontaminierung mit Kunststoffmüll betreffen. Die wichtigsten Ergebnisse des Artikels sind im Folgenden zusammengefasst und in ihrer Bedeutung bewertet.


Unter Plastik geborgen: Regenschutz in den Niederlanden, Amsterdam 1983


Stress für Pflanzen


Im Jahr 2022 wurden weltweit fast 400 Millionen Tonnen Kunststoffe produziert. Bis 2060 soll sich die Zahl mehr als verdreifachen, auf dann mehr als 1,2 Milliarden Tonnen weltweit – wovon weniger als 10% wiederverwertbarer oder biogener Kunststoffmüll sein werden. Hauptproduzent ist aktuell China, mit rund einem Drittel der weltweiten Produktion. Rund ein Drittel des Plastikmülls landet in den Böden, vor allem in landwirtschaftlich genutzten Böden, z.B. durch Hausmüll- oder Grüne-Tonne-Komposte oder Klärschlamm. Wer bisher der Auffassung war, dass dieser Plastikmüll eher wenig bis gar nicht mit dem Boden reagiert (Plastikmüll in Gewässern etwa reichert sich durchaus in der Nahrungskette an), wird durch den Übersichtsartikel von Mészáros et al. eines Besseren belehrt.


Schon Mikroplastik im Boden, also eher grobe Plastikpartikel, wirken auf das Pflanzen- und Mikroorganismenwachstum im Boden. Mikroplastik setzt die Pflanzen unter Stress, kann ein Zellgift sein und auf die Photosynthese sowie die Produktion von Metaboliten einwirken.


An die Wurzel gehen


Bei den kleineren und vielfach noch weitaus reaktiveren Nanoplastikpartikeln zeigt sich, dass diese von den Wurzeln aufgenommen werden können – in einzelnen Fällen ist sogar der Transport in die oberirdischen Pflanzenorgane, Stengel, Blätter und Früchte, also in die essbaren Teile, nachgewiesen worden. Welche Bedeutung dies hat und ob damit zusammenhängt, dass im menschlichen Blut durchschnittlich 1,6 Mikrogramm Plastik je Liter gefunden werden, bleibt allerdings unklar.


Sicher ist jedoch, dass bei den prognostizierten Steigerungen der Produktion von Plastik sich das Problem für Landwirtschaft und die Bewirtschaftung der Gewässer verschärfen wird. Die Kontamination mit Plastik ist tatsächlich eine Zeitbombe, die die menschliche Ernährung bedroht.

Warum aber ist das in den westlichen Gesellschaften lediglich ein marginales Diskussionsthema? Genau in jenen Gesellschaften, in denen Nachhaltigkeit doch einen so großen Stellenwert hat?


Recycling schwierig


Unter den heutigen Diskursbedingungen gilt – von den USA, über Großbritannien und Frankreich bis nach Deutschland – die Erzeugung von Elektroenergie aus Wind, Sonne und Biomasse als nachhaltig. Die steigende Plastikproduktion ist dabei ein unvermeidbarer Nebeneffekt. Generatoren, Elektromotoren, Solarplatten und Windenergieanlagen benötigen viele und vielfältige Kunststoffe zur Isolierung, als tragende Stoffe und als Träger für Schaltkreise. Die notwendigen Isolatoren aus einem Material wie Porzellan zu fertigen ist aus einer Vielzahl von Gründen ausgeschlossen. Und die Erhöhung der Recyclingquote von Kunststoffen scheitert an den speziellen Anforderungen an die Kunststoffe in den genannten Anwendungsbereichen: Sie würde die Trennung der Stoffklassen Polyterephtalat, Polyethylen, Polystyrol und Polyvinylchlorid (und unter Umständen noch weiterer Stoffklassen) notwendig machen, was nahezu undurchführbar ist.

Dazu kommt, dass die Kunststoffe in den Halbleitern, Isolatoren oder den Trägern vielfach mit geringen Mengen anderer Elemente versetzt sind, sodass vielfach eine praktische Entsorgung durch Verbrennung und Deponierung der Aschereste als Sondermüll möglich ist. In diesem Sondermüll sind dann geringe Mengen von eigentlich wertvollen Elementen, zum Beispiel von Schwermetallen, enthalten, deren Wiedergewinnung durch den hohen Aufwand im Verhältnis zu den gewonnenen Elementmengen nicht gerechtfertigt ist.


Die Verwendung von Kunststoffen, die aus biologischen Ausgangsstoffen hergestellt werden, hat sicher den Vorteil, dass viele dieser Kunststoffe biologisch abbaubar sind. Die benötigten Mengen aus den verfügbaren Quellen, letztlich vor allem Pflanzenrohstoffe von Acker und Grünland, sind aber so hoch, dass nicht einmal ein kleiner Bruchteil der in Zukunft benötigten Kunststoffe auf diesem Wege hergestellt werden kann.


Vorreiter Deutschland?


Wenn die Energie in Zukunft, wie in den Phantasien deutscher Regierungspolitiker, vor allem durch Solarplatten, Windanlagen, Generatoren und Elektromotoren erzeugt und umgewandelt werden soll, wird wiederum der Bedarf an Kunststoffen weltweit drastisch steigen. Wenn man die stofflichen Dimensionen der deutschen „Energiewende“ betrachtet, so ist damit keine Vorreiterrolle verbunden, sondern eine Rohstoffverschwendung und Plastikmüllbelastung der Umwelt, von dessen Ausmaß wir bisher verschont geblieben sind.


Aus einer Vorreiterrolle Deutschlands bezüglich der Nachhaltigkeit in der Energieerzeugung bleibt damit nichts übrig. Und da nach den bisherigen Daten ca. ein Drittel der Kunststoffe in den Böden landen und hier vor allem aber sicher nicht ausschließlich in den landwirtschaftlich genutzten Böden, stellt sich schon heute die Frage, ob bei steigender Plastikmüllbelastung die Pflanzenerträge überhaupt noch auf einem für die menschliche Ernährung notwendigen Niveau gehalten werden können.



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Beiträge von Jörg Gerke finden sich auch in unseren Ausgaben vom Frühjahr 2019 und Winter 2019/20.



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