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Jörg Gerke: NATURWISSENSCHAFTEN IM WÜRGEGRIFF VON POLITIK UND MEDIEN

Einer der dümmsten Ratschläge in öffentlichen Diskussionen zum richtigen Handeln lautet spätestens seit 2020 in einer Art Neudeutsch: „follow the science“ – folge der Wissenschaft.


Dumm ist dieser Ausspruch, weil weder das Folgen noch der Begriff der Wissenschaft dabei geklärt sind. „Science“ im anglo-amerikanischen Sprachraum meint in der Regel „Naturwissenschaft“. Aber Naturwissenschaften geben keine Handlungsanweisungen. Und jenes „follow the science“ klärt und bestimmt nichts. Eine Steigerung liegt vor, wenn Akteure behaupten, dass sie selbst Wissenschaft repräsentieren würden.


Beide Formulierungen verweisen auf die Rolle von Experten, die in „bestimmten Bereichen, aufgrund ihres besonderen Sachverständnisses, ihrer größeren Unabhängigkeit oder ihrer moralischen Integrität ein besseres Urteil haben als Andere“ (Wellmer, 2004, Sprachphilosophie, S. 462).



Glas und Erkenntnis: Naturwissenschaftler im Labor. Yves Tessier CC BY-SA 4.0


Der Naturwissenschaftler als Experte


Das Vorbild des Experten ist auch heute noch der in der Regel professorale Naturwissenschaftler. Solche Experten werden im öffentlichen Diskurs häufig bemüht. Das gilt für Diskussionen um die Emission klimarelevanter Gase, um die Gefahr durch Atomkraftwerke, die Gefährlichkeit von Covid-19 und den Sinn und Unsinn einer Impfung dagegen. Der (naturwissenschaftliche) Experte wird auch dann bemüht, wenn es darum geht, das Funktionieren westlicher Industriestaaten im großen Maßstab auf Elektroenergie umzustellen.


In einer vergangenen Zeit, bis vielleicht vor zwanzig Jahren, gab es tatsächlich solche Experten unter anderem unter den Professoren für Physik, Chemie, Geochemie und Geophysik, Biochemie und Medizin. In der damaligen Zeit war es auch die Regel, dass ein Naturwissenschaftler nach Berufung auf eine Planstelle an Universität oder Forschungseinrichtung, als Professor oder wissenschaftlicher Mitarbeiter oder Abteilungsleiter kaum mehr einem persönlichen, wirtschaftlichen Zwang unterworfen war. Mit der Abschaffung von solchen Dauerstellungen und der häufigen Evaluierung der eigenen Arbeit hat sich dies grundlegend geändert. Nicht zuletzt ist im Rahmen der Internationalisierung der universitären Strukturen im Rahmen des „Bologna-Prozesses“ die Habilitation als Voraussetzung für den Ruf auf eine Professur entfallen. Die Habilitation war aber einst eine umfassende Arbeit, die mehr noch als die Promotion, eine vollständige Ausarbeitung auf einem Sachgebiet darstellte und sich damit besonders als eine seriöse Grundlage für politische Diskurse eignete.

Grundsätzlich gelten die Anmerkungen zur Entwicklung der Wissenschaftsstruktur für Naturwissenschaften wie auch für Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Naturwissenschaften verfügen jedoch über ein Instrument, das sie besonders auszeichnet: Erkenntnisse werden im Rahmen von Experimenten überprüft. Das räumt bei weitem nicht alles Strittige aus dem Weg. Deswegen entlarvt die populäre Forderung „follow the science“ diejenigen als in der „science“ inkompetent, die sich hinter einer solchen Formulierung verstecken. Im Experiment werden unterschiedliche Theorien, ja sogar Paradigmata ganzer Forschungsbereiche einer Überprüfung zugänglich, ohne dass wissenschaftliche Gegensätze verschwinden. Im besten Fall werden einige Irrtümer bei der Reformulierung von Hypothesen, Theorien oder Paradigmata verschwinden, wie wir seit Thomas S. Kuhn wissen.

Phosphor – ein Element im Brennpunkt


Ein Beispiel: Für das Wohlergehen der Menschheit, genauer: für die ausreichende Ernährung der Weltbevölkerung, ist ein nachhaltig hoher Pflanzenertrag auf den kultivierten Flächen unabdingbar. Es ist in der Naturwissenschaft, in der Botanik nicht strittig, dass das Element Phosphor (P) essentiell ist für die Ernährung der höheren Pflanzen, ohne P kein Wachstum der Kulturpflanzen und damit keine ausreichende Ernährung der Weltbevölkerung. Konsequenz dieses unstrittigen naturwissenschaftlichen Sachverhalts ist die Erkenntnis, dass für eine angemessen gute P-Verfügbarkeit in den Kulturböden gesorgt werden muss, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.


Diese Erkenntnisse aus den Disziplinen Bodenkunde und Pflanzenernährung, verknüpft mit den Erkenntnissen aus Geologie und Geochemie, dass nämlich die weltweiten P-Reserven wie bei keinem anderen Pflanzennährstoff knapp sind, führt zu der Einsicht, dass weltweit die Erträge durch P-Mangel langfristig begrenzt sind und die Verteilung der knappen P-Dünger so erfolgen muss, dass die bedürftigen Böden P erhalten und die gut versorgten Böden nicht. Die Realität sieht anders aus: P wird vor allem auf den Böden der schon gut versorgten reichen Länder gedüngt, während die häufig schlecht mit P versorgten Böden der Tropen und Subtropen kaum oder gar nicht mit P gedüngt werden.


Der globale P-Mangel ist kein Thema des politischen Diskurses in Deutschland. Dies unter anderem deswegen, weil ein weltweit effektiver Umgang mit dem Rohstoff P den Focus auf die heutige, industrielle Ausrichtung der Landwirtschaft in Deutschland richten würde, die weder ressourcenschonend noch nachhaltig ist, nicht zuletzt beim Nährstoff P. Und weil dies so ist, kommen im öffentlichen Diskurs auch keine Experten zu Wort, die zur P-Ressource Substantielles zu sagen hätten. Es gibt auch keine Jugendlichen, die für das global so wichtige Thema eines weltweit nachhaltigen Umgangs mit dem Rohstoff P demonstrieren.


Was sich an der Oberfläche als Fehlentwicklung öffentlicher Diskurse zeigt, hat tiefere Gründe.

Wenn in den Naturwissenschaften Drittmittel immer wichtiger werden, wenn diese in einem immer höheren Ausmaß durch interessengebundene und teilweise inkompetente politische Akteure verteilt werden, so wird es in absehbarer Zeit dazu kommen, dass Experten für wichtige, aber politisch tabuisierte Themen gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Experten aus den Universitäten und Forschungseinrichtungen werden nicht mehr zur Verfügung stehen, weil politisch missliebige Forschungsgegenstände aussortiert werden oder die Fragestellung in dem betreffenden Bereich so geändert wird, dass diese kompatibel mit den Ansprüchen des herrschenden politisch-medialen Komplexes ist.


Unter solchen Bedingungen kommen kompetente und kritische Experten eher nicht mehr aus den Universitäten und Forschungseinrichtungen, sondern von außen, z.B. sind es pensionierte oder emeritierte Wissenschaftler, die in einer anderen Zeit ihre Kompetenzen erworben haben.

Genau diese Situation findet sich heute, wo Kritik an den polit-medialen Erzählungen zur Klimakatastrophe oder zu Covid-19 von außerhalb der Universitäten und Forschungseinrichtungen erfolgt, nicht vollständig zwar, aber zu großen Teilen.


Mit dem Verlust der universitären Unabhängigkeit überlegt sich jeder wissenschaftliche Angehörige von Universitätseinrichtungen genau, ob und in welcher Weise Kritik an den polit-medialen Erzählungen geübt wird, auch wenn diese seinen Bereich betreffen, auch wenn solche Wissenschaftler es in einem besonderen Bereich tatsächlich besser wissen. Wer nicht affirmativ funktioniert, wird öffentlich mehr oder weniger demontiert, unabhängig von wissenschaftlichem Renommee und Kompetenz.


Massive Bedrohung durch Covid-19?


Ein Beispiel dafür ist der US-Epidemiologe und Standford-Wissenschaftler John Ioannides, einer der renommiertesten Epidemiologen weltweit, wenn seine wissenschaftlichen Statistiken beispielsweise auf der Wissenschaftsplattform „Research Gate“ zugrunde gelegt werden. Ioannides hat schon früh, im Jahr 2020 und danach mehrmals, die Mortalität von Covid-19 in verschiedenen Gruppen berechnet und zusammen mit seinen Mitarbeitern in renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht. Die von Ioannides dort veröffentlichten Daten zeigen eine Mortalität von 0,1 – 0,3%, vergleichbar einer leichten bis mittelschweren Grippe.

Ioannides wurde mit diesen Ergebnissen weder in den etablierten, öffentlichen US- noch in deutschen Medien gehört, er wurde allenfalls erwähnt, um ihn zu diffamieren. Hatte noch 2019 (vor Covid-19) die Süddeutsche Zeitung von Ioannides als einem renommierten Epidemiologen geschrieben, so wurde daraus (31.1. 2021) der „schillernde“ Ioannides; in der FAZ wurde Ioannides zum „Verharmloser“ (14.4. 2021). Diese Demontage übernahmen die regierungsaffirmativen Medien, weshalb sich die Regierung eines kompetenten Experten wie Ioannides entledigen konnte. Und genau dieser, wissenschaftlich überaus renommierte Ioannides wurde im deutschsprachigen Raum zu Covid-19 nur vom österreichischen Privatsender Servus TV interviewt – ein Armutszeugnis für die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in der Bundesrepublik.


Ähnlich ging es den Initiatoren und Unterzeichnern der „Great Barrington Declaration“ zu Covid-19. Diese von renommierten Medizinern und Wissenschaftlern initiierte Deklaration forderte die Politik auf, die Entwicklung natürlicher Immunität insgesamt bei besonderem Schutz vulnerabler Gruppen als Ziel anzugehen. Die Erklärung hatten schon im August 2021 15.000 Wissenschaftler und 45.000 Mediziner unterschrieben. Die Reaktion auf diese Initiative war einerseits Totschweigen, andererseits Diffamierung der Initiatoren, die in Harvard, Oxford und Stanford lehren.


Die Einbeziehung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse hätte die Einbeziehung dieser vielen Wissenschaftler und Mediziner bei Covid-19 erfordert. Genau das ist nicht passiert und wird bis heute verhindert. Dazu dienten und dienen Zensur bei Facebook, Twitter; eine Zensur, die offenbar sogar von der US-Regierung erzwungen und koordiniert wurde. Experten werden ignoriert, wenn ihre Positionen politisch-medialen Interessen zuwiderlaufen.


Klimawandel, Erkenntnis und fachfremder Unsinn


Etwas Ähnliches ist festzustellen, wenn Experten tabuisiert und aus der öffentlichen Diskussion ausgeschlossen werden, die kritische Anmerkungen zur Erzählung des menschengemachten Klimawandels beitragen. Hierzu zwei Beispiele.


Der Stanford-Wissenschaftler G. Frank hat im Jahr 2019 in der renommierten Online-Zeitschrift „Frontiers in Earth Science“ einen Beitrag veröffentlicht, der sich kritisch mit den mathematischen Modellierungen und Prognosen zu Klimaveränderungen aufgrund der Emission von Treibhausgasen auseinandersetzt (G. Frank, 2019, Front. Earth Sci., 7: 223). In diesem Blog-Beitrag ist nicht die Stringenz der Argumentation Franks von Interesse, sondern ein strukturelles Phänomen: Frank dankt im Anhang des Artikels einem anderen Wissenschaftler, der ihm zugearbeitet hat, „a climate physics who prefer anonymity“, also einem Kollegen, der anonym bleiben wollte. Welcher Gesinnungsdruck muss in der Klimaphysik herrschen, der dazu führt, dass Fachwissenschaftler auf ihrem eigenen Gebiet anonym bleiben wollen?


Eine weitere beliebte Variante im öffentlichen Diskurs ist der missbräuchliche Umgang mit Ergebnissen von Naturwissenschaftlern in Form einer falschen Vereinnahmung.


In der Wissenschaftszeitschrift „Science“ erschien 2019 ein Beitrag zum Potential der Kohlenstoffspeicherung durch Aufforstung bisher nicht bewaldeter Flächen weltweit (Bastin et al., 2019, 365, 76- 79). Die Autoren haben mit Hilfe von bildgebenden Verfahren ermittelt, dass ca. 900 Millionen ha weltweit aufforstungsfähig sind, deren C- Speicherung zu einer Reduktion der CO2-Gehalte der Luft von 20% führen würde. Die etablierten deutschen Medien nahmen diesen Beitrag erstaunlicherweise auf, allerdings ließen sie Experten zu Wort kommen, die den Beitrag kritisch kommentierten, z.B. eine Volkswirtschaftlerin, die dies für die Zeitschrift Cicero erledigte und eine Soziologin für die taz, also Personen, die mit den relevanten Naturwissenschaften nichts verband. Das Ergebnis des Science-Artikels wurde in Cicero, der taz, auf tagesschau.de, heute-online, Spiegel, Zeit-online, Handelsblatt und einer Vielzahl von Tageszeitungen um den 5.7. 2019 in etwa so kommentiert: das CO2-Speichervermögen von Bäumen ist schon lange bekannt. Ende.


Das Ergebnis der Arbeit von Bastin und seinen Mitarbeitern (2019) wird neutralisiert und durch eine fachfremde, geradezu ignorante Behauptung einer öffentlichen Diskussion entzogen. Nahezu alle erwähnten Medien behaupten in ihren Beiträgen zu dem Thema, dass Bäume CO2 speichern würden. Tatsächlich speichern Bäume kein CO2, sondern C in organischer Form, das damit der Bildung von CO2 entzogen wird.

Kurzum: In der öffentlichen Diskussion wird fachlicher Unsinn wiedergegeben, um die Bindung von C in der Holzbiomasse als Lösung für das Treibhausgasproblem aus der Diskussion zu eliminieren.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem der politisch-mediale Komplex nicht das „Heißlaufen“ der Erde zum Thema hat. Das dahinterstehende politische Ziel ist die Aufgabe der Verbrennung fossiler Energien. Dass aber über 90% der weltweiten CO2- Emissionen nicht aus der Verbrennung fossiler Energien stammen, also die politische Zielrichtung falsch gewählt ist, wenn es tatsächlich um einen anthropogenen Klimawandel geht, wird im zweiten Teil behandelt.


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Beiträge von Jörg Gerke finden sich auch in unseren Ausgaben vom Frühjahr 2019 und Winter 2019/20.



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