Nach den zahlreichen positiven Corona-Tests bei Mitarbeitern von Großschlachthöfen richtet sich der mediale Blick wieder einmal kurzzeitig auf die Agrar- und Fleischindustrie. Die Titelzeile der FAZ-Wochenendausgabe vom 27.06.2020 lautete dazu: „Klöckner: Es wird keine zweite Chance für die Fleischindustrie geben.“
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Diese Stellungnahme der Landwirtschaftsministerin hat zwei Aspekte: Erstens die Aussage einer von verschiedenen Lobbygruppen getriebenen Ministerin und zweitens die Suggestion, dass die Ministerin die Fleischindustrie zu Reformen zwingt.
Zum ersten Aspekt: Die Aussage von Klöckner unterstellt, daß die Fleischindustrie nach einem ersten Anlauf in Gefahr steht, zu verschwinden. Tatsächlich aber gibt es die industrialisierte Landwirtschaft in Deutschland seit mindestens 40 Jahren. In der DDR existierte sie sogar schon länger; dort war seit den 1960er-Jahren die industrialisierte Landwirtschaft das Leitbild. In Deutschland und der EU werden eine Vielzahl von politischen Aktivitätenunternommen um die industrielle Fleischerzeugung und Verarbeitung zu fördern. Bestandteile solcher Förderung sind die Subventionierung beim Neubau industrieller Zucht- und Mastställe bei Schwein, Geflügel und mittlerweile auch Rindern, die Förderung der Errichtung von industriellen Schlachthöfen und Verarbeitungsbetrieben sowie die Subventionierung von Fleischexporten in Nicht-EU-Staaten.
Die erhebliche direkte und indirekte Subventionierung der Agrar- und Fleischindustrie durch staatliche Stellen in Deutschland hat die damalige Agrarreferentin des Bundes für Umwelt und Natur (BUND), Reinhild Benning, vor rund 10 Jahren zusammengestellt. Bürokratische Anforderungen wie Zertifizierung und Qualitätskontrollen für Schlachteinrichtungen kommen noch dazu. All dies hat dazu beigetragen, daß vor allem kleinere Schlachthöfe geschlossen und Großschlachthöfe gebaut wurden. Doch je größer die Schlachthöfe sind, desto länger sind die Transportwege der Tiere zu den Schlachthöfen, was die damit verbundene Tierquälerei noch verschärft.
Der größte deutsche Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück, NRW, hat eine Schlachtkapazität von rund 20.000 Schweinen/Tag. Daß in solchen Schlachthöfen die Schlachtung tiergerecht erfolgt, kann nicht erwartet werden.
Und die häufig geäußerte Unterstellung, daß „moderne“ Großstallanlagen artgerechter als kleine Ställe seien, ist schlicht aus der Luft gegriffen.
Da die Lobbyisten der agrarindustriellen Fleischerzeugung schon lange ahnten, daß eine Untersuchung der „Artgerechtigkeit“ in großen Tieranlagen nicht förderlich für diese Art der Tierhaltung wäre, hat die Lobby von Deutschem Bauernverband, Deutscher Landwirtschaftsgesellschaft und deutschen Agrarministern den Begriff artgerechte Haltung einfach abgeschafft. Stattdessen wurde der wenig verbindliche Begriff „Tierwohl“ eingeführt.
Die Fleischindustrie innerhalb der Agrarindustrie wird also seit Jahrzehnten in Deutschland und der EU massiv gefördert durch eine Reihe von Maßnahmen, wie Subventionen und bürokratische Besserstellungen. Dabei von einer zweiten Chance für die Fleischindustrie zu reden, wie das Ministerin Klöckner tut, ist sachfremd und skurril.
Zum zweiten Aspekt: Und da die Situation in der Fleischindustrie bezüglich der Situation der Tiere und der Arbeitssituation der Mitarbeiter so wenig populär und politisch vermittelbar ist, sehen sich nun Regierungsmitglieder wie Sozialminister Heil gezwungen, einzelne Aspekte der Agrarindustrie in routinierter Betroffenheit zu kritisieren. Und eine Zeitung wie die FAZ, die als zentrale Schlagzeile der Woche die Behauptung der Ministerin zur zweiten Chance der Agrarindustrie abdruckt, betreibt nichts anderes als plumpe Propaganda für die Bundesregierung. Stattdessen wäre es Aufgabe eines kritischen, reflektierten und anspruchsvollen Journalismus, anlässlich des Zitates von Klöckner zu fragen, durch welche politischen und finanziellen Mittel die Fleischindustrie in Deutschland zu dem wurde, was sie ist.
Der Aufstieg der Agrarindustrie in Deutschland ist eng geknüpft an das Subventionssystem, das große Landbewirtschafter und Tierhalter bevorzugt.
Der Aufstieg der Fleischindustrie ist darüber hinaus geknüpft an nicht-artgerechte Haltungsformen vor allem bei Geflügel und bei Schweinen.
Ohne die tierquälerischen Kastenstände in der Sauenhaltung wäre eine Haltung in Großanlagen kaum möglich. Die – zeitweise – Kastenhaltung bleibt für weitere acht bzw. 15 Jahre erlaubt. Dies haben Bundestag und Bundesrat vor Kurzem beschlossen - übrigens mit den Stimmen der Landesregierungen im Bundesrat, an denen die Grünen beteiligt sind. Bemerkenswert: Auf Bundesebene wird von Habeck, Künast und anderen genau diejenige Tierhaltung kritisiert, die im Bundesrat mit den Stimmen der Grünen beschlossen wird.
Wie weitreichend die Unterstützung für die tierquälerischen Beschlüsse der Bundesregierung ist, zeigt sich daran, daß die einflussreichsten Tierschutzorganisationen, nämlich der Deutsche Tierschutzbund und ProVieh, die Beschlüsse zu den Kastenständen als Schritt in die richtige Richtung begrüßen. Und die FAZ leistet ihren Beitrag zur Verteidigung der bestehenden Mißstände in der Tierhaltung in der Samstags-Ausgabe vom 04.07.2020: Auf Seite 1 lautet die Überschrift zu der Verlängerung der Sauenhaltung in Kastenständen: „Mehr Bewegungsfreiheit für Sauen“, während auf Seite 17, im Wirtschaftsteil die Überschrift dazu heißt: „Die Sau muß raus- aber nur ein bißchen.“
Die Nachricht auf Seite eins soll aussagen, daß unter der wohltätigen und weitsichtigen Bundesregierung auch bezüglich der Schweine alles in Ordnung ist, während auf Seite 17, eher versteckt, schon die Überschrift zeigt, daß es beim eher tierquälerischen Alten bleibt.
Die Politik unterstützt weiterhin aktiv tierquälerische Haltungsformen und die FAZ demontiert sich selbst!
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