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Johannes Scharf: FEINDE DER DEMOKRATIE?

Auf ein Neues war im Nachgang der Thüringer Ministerpräsidentenwahl die Rede von der Demokratie und ihren Feinden - von den demokratischen Parteien und der einen anderen - an der Talkshow-Tagesordnung. Doch wie weit ist die AfD tatsächlich entfernt von dem, was man im alten Athen oder im Nordamerika der Gründerväter unter Demokratie verstand?



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Obwohl mittlerweile zum Alltag geworden, reibt man sich doch immer wieder ungläubig die Augen, wenn Politiker und Journalisten das verbale Güllefass über Vertretern der Alternative für Deutschland auskippen. Eine Partei, die in Sachsen von fast 30 Prozent der Bevölkerung gewählt wurde und bei der vergangenen Landtagswahl in Thüringen knapp ein Viertel der Stimmen auf sich vereinen konnte, wird als antidemokratisch diffamiert, obwohl kein einziger AfD-Politiker sich jemals gegen die Volksherrschaft ausgesprochen hat. Im Gegenteil! Neben der Alternative für Deutschland fordert keine andere große Partei ein Mehr an direkter Demokratie nach schweizerischem Vorbild.


Der Missbrauch, der mit dem Wort Demokratie in unseren Tagen getrieben wird, muss einem echten Demokraten oder Republikaner die Zornesröte ins Gesicht treiben. Während ersterer, der mehr in der Tradition der alten Athener, Thomas Jeffersons und Andrew Jacksons stehen mag, insbesondere das Mehrheitsprinzip verteidigt, achtet der erklärte Republikaner darauf, dass auch Minderheiten ihrer postulierten Rechte nicht verlustig gehen. Er ist skeptisch gegenüber dem einfachen Diktat der Mehrheit und steht stärker in der Tradition der Römischen Republik und der politischen Philosophie James Madisons. Beiden ist jedoch gemeinsam, dass sie sich auf einen Staat und dessen Bürger beziehen, nicht auf eine zufällige Ansammlung von Menschen jedweder Herkunft. Beide setzten für den Modus Operandi der politisch interessierten Bürger in ihrem System das Vorhandensein eines Demos, eines Staatsvolkes, voraus.


Wenn heute so getan wird, als sei jeder Mensch Antidemokrat, der sich gegen eine Auflösung der nationalen Grenzen und eine Flutung Europas mit Afrikanern und Orientalen verwahrt, entbehrt diese Behauptung nicht nur jeder theoretischen Grundlage, sondern ist sogar im Kern antidemokratisch. Ohne Grenzen haben wir kein Land, sagte Donald Trump einmal. Ohne Volk haben wir keine Demokratie, könnte man hinzufügen. Eine exklusive Definition des Staatsvolkes ist indes nicht antidemokratisch. Nicht einmal die Sklaverei steht in einem Spannungsverhältnis zur Demokratie, denn sowohl die Athener als auch die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika sahen in dieser Institution keinen Widerspruch zum Prinzip der Volkssouveränität. Zum Volk gehörten in Athen nur Einheimische „von echtem Schrot und Korn“, wie es bei Aristophanes heißt. Zugezogene, Frauen, Sklaven oder Besitzlose hatten kein Stimmrecht. In den Vereinigten Staaten bestand das Staatsvolk zunächst in erster Linie aus freien Kleinbauern und Großgrundbesitzern britischer Abstammung und protestantischen Bekenntnisses. Ich möchte nun keineswegs der Sklaverei das Wort reden, aber eine Partei, die sie in der Bundesrepublik einführen wollte – etwa für Personen, die aufgrund schwerer Verbrechen ihr Bürgerrecht eingebüßt hätten –, wäre deshalb nicht antidemokratisch, sondern nur verfassungsfeindlich. Die Alternative für Deutschland ist weder antidemokratisch noch verfassungsfeindlich, sondern lediglich gegen die mutwillige Abschaffung Deutschlands …


Auch Thomas Jefferson wollte nicht leichtsinnig riskieren, was hatte blutig erkämpft werden müssen: die junge Freiheit der amerikanischen Staatsbürger. Bereits zu Anfang der 1780er Jahre sprach er sich in seinen Notes on the State of Virginia gegen eine unkontrollierte Zuwanderung nach Nordamerika aus, da die Einwanderer durch die absolutistischen Monarchien der Länder geprägt seien, aus denen sie auswanderten. Eberhard Straub paraphrasiert in Republik und Demokratie Jeffersons kritische Haltung wie folgt: „Die meisten brächten die ihnen vertrauten Lebensauffassungen und politischen Prinzipien ihrer Herkunftsländer mit, die nicht zur jungen Republik paßten. Würden sie diese aufgeben, verfielen sie in unbeherrschte Freizügigkeit und Sittenlosigkeit, weil nicht an die rechtlich geordneten amerikanischen Freiheiten gewöhnt. Es fiele schwer, sie an eine gemäßigte, vernünftige Freiheit und Selbstbeherrschung zu gewöhnen. Sie hielten an ihrer Sprache fest und vermittelten ihren Kindern eine ganz unamerikanische Lebensanschauung, die den inneren Frieden in Turbulenzen stürzen und die Homogenität der Amerikaner, die Voraussetzung einer demokratischen Republik, sofort aufweichen würde.“[1]


War es früher in erster Linie der Absolutismus, der die Freiheit bedrohte, ist sie heute von zwei Seiten unter Beschuss. Während sich der politische Islam zwar demographisch auf dem Vormarsch befindet, aber bisher vergleichsweise wenig Schaden angerichtet hat, droht die geistige Hegemonie neulinker Intoleranz nicht nur jeden wirklichen Diskurs von vorne herein zu verhindern, sondern auch hart erkämpfte bürgerliche Freiheiten im Keim zu ersticken. Die Verbots- und Überwachungsfantasien, aber auch die Sprachregelungen derjenigen, die im Zuge demokratischer Wahlerfolge ihnen nicht genehmer Parteien so gerne Weimarer Verhältnisse herbeireden, rufen ihrerseits verstörende Assoziationen zu George Orwells 1984 hervor. Wenn der wahrscheinlich demokratischsten Partei Deutschlands, der Alternative für Deutschland, das Prädikat „demokratisch“ von Vertretern der Altparteien verweigert wird, dann fühlt man sich unwillkürlich an die drei Parolen erinnert, die in Orwells genannter Dystopie am Wahrheitsministerium prangen: Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!


Wie häufig war im Anschluss an das politische Erdbeben in Thüringen nicht von den „Feinden der Demokratie“ die Rede, die einen perfiden Trick angewandt hätten, um das Lager der Demokraten zu spalten, und nun triumphierten? Am meisten geilten sich die Kettenhunde des Großen Bruders daran auf, dass es ausgerechnet der Höcke-Fraktion gelungen sei, die parlamentarische Demokratie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und die „demokratischen Parteien“ vorzuführen. Dabei vergaß natürlich keiner, aber auch gar keiner, auf das Gerichtsurteil hinzuweisen, nach dem es von der Meinungsfreiheit gedeckt sei, Björn Höcke als „Faschisten“ zu titulieren. Ein Freund kommentierte dieses unflätige Gebaren der selbsternannten Hüter der Demokratie auf Facebook treffend wie folgt: „Gern hätte ich Robert Habeck gefragt, ob seine Parteifreundin Renate Künast, welche man straffrei und gerichtlich bestätigt ein ‚Stück Scheiße‘ nennen darf, denn nun rein faktisch eines sei.“ Er weist in seinem Kommentar auch darauf hin, dass es ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 1992 gebe, das es erlaube, die PDS als „SED von gestern“ zu bezeichnen. Dass aber von der SED eine ungebrochene Traditionslinie zur Partei Die Linke besteht, ist nicht nur offenkundig, sondern auch aktenkundig. Vor nicht ganz einem Jahrzehnt erklärte der damalige Bundesschatzmeister Karl Holluba an Eides statt: „‚Die Linke‘ ist rechtsidentisch mit der ,Linkspartei.PDS‘, die es seit 2005 gab, und der PDS, die es vorher gab, und der SED, die es vorher gab.“[2]


Wer im Glashaus sitzt, der sollte nicht mit Steinen werfen, heißt es, aber die Politiker der Linken schmeißen offenbar völlig unbekümmert mit Hinkelsteinen und schwingen den verbalen Vorschlaghammer. Ganz unbildlich warf Linke-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow dem mit den Stimmen der CDU, FDP und AfD gewählten Thomas Kemmerich ihren Blumenstrauß vor die Füße, und ihr Parteifreund Bodo Ramelow fühlte sich angeblich an den Aufstieg der Nationalsozialisten vor 90 Jahren in Thüringen erinnert. Er habe im Moment der Entscheidung Tränen in den Augen gehabt, denn er habe an die Überlebenden und die Kränze in Buchenwald denken müssen, dem ehemaligen Konzentrationslager in Thüringen. Gehts auch eine Spur weniger dramatisch? Anscheinend nicht. Vizekanzler Olaf Scholz von der SPD erklärte allen Ernstes: „Der Höcke sagt Dinge, die klingen für mich immer sehr wie im 21. Jahrhundert Mein Kampf gesprochen. Das ist etwas, was einem übel ankommt und wovor man sich auch fürchten muss und wo auch alle Demokraten eine gemeinsame, klare Haltung brauchen.“[3] Mir wird angst und bange, wenn ich dieses grauenhafte Deutsch höre. Da fragt man sich doch, in welchem Wald unser Vizekanzler zur Schule gegangen ist!


Scholz’ Parteigenosse Walter-Borjans mahnte: „Wenn es darum geht, einen Pakt mit Demokraten gegen die Demokratiefeinde zu schließen, dann muss auch eine CDU wissen: Wer ist eigentlich Demokrat in diesem Parlament und wer nicht.“[4] Da ist sie wieder, die sattsam bekannte Demokratierhetorik! Ich habe der Verquickung von Demokratie und Menschenrechtsideologie ein Kapitel in meinem Buch Kampf ums Dasein – Metapolitische Essays am Puls der Zeit gewidmet. Diesem leidigen Thema geht auch Rudolf Brandner in einem Aufsatz in der Zeitschrift Tumult nach. Er schreibt über die Ideologisierung des Demokratiebegriffs, dieser sei „zu einem über die Menschenrechte inhaltlich aufgeladenen Heilsbegriff von ‚Werten‘“ geworden: „Werte“ aber seien „die zu äußeren Vitrinengöttern verdinglichten Idole, an denen sich der Zeitgeist selbst anbetet. […] Der Menschenrechtsdiskurs bildet nicht – er befiehlt und heischt Unterwerfung, die jede noch so scheinbare Abweichung als ‚Volksverhetzung‘ verfemt. Der über moralische Inhalte ideologisierte Demokratiebegriff kippt um ins Totalitäre.“[5]


Die Richtung ist von den progressivsten Kräften der Linken und Grünen vorgegeben und alle anderen großen Parteien – mit Ausnahme der AfD – folgen diesen Jakobinern mit mehr oder weniger Elan nach. Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Vereinigten Staaten, wo die radikal-internationalistischen Sozialisten um AOC den Takt vorgeben. Konservativ zu sein, das heiße „bewahren, verlangsamen, im Gleichgewicht halten und dem Zeitgeist widerstehen“, schreibt Alexander Gauland in seinem Buch Anleitung zum Konservativsein – Zur Geschichte eines Wortes.[6]Dieser Maxime bleibt der Ehrenvorsitzende selbst treu und erweist sich mithin als Fels in der Brandung. Wer als Konservativer ein Bündnis mit den Grünen und der Rechtsnachfolgerin der SED eingeht, wird bald selbst zum Jakobiner.

Und in der Tat: An ihren Früchten erkennen wir sie, die geistigen Brandstifter! Wurden im Nachgang an die Ministerpräsidentenwahl in Erfurt Parteibüros der FDP oder anderer Parteien von Rechtsradikalen mit wüsten Parolen beschmiert? Wurde Thomas Kemmerichs Frau auf offener Straße von den vorgeblichen „Feinden der Demokratie“ bespuckt? Benötigen seine Kinder Polizeischutz, weil mit Angriffen durch AfD-Mitglieder zu rechnen ist? Wohl eher nicht …


Während die Vertreter der Einheitsparteien im klugen Agieren der Thüringer AfD-Fraktion eine Gefahr für die Demokratie erkennen und so manchem von ihnen bereits der Geruch verbrannten Menschenfleisches in die Nase steigt, ist ihnen die mediale Repression der einzigen echten Opposition in Deutschland keine Silbe wehrt. Wehret den Anfängen, heißt es. Keine Toleranz für Intoleranz usw. Wenn heute zwei Drittel der Deutschen bekennen müssen, sie hätten Angst vor der freien Meinungsäußerung, dann wird damit vor allem eines ganz deutlich: Demokratie und Meinungsfreiheit sind in Deutschland bedroht – allerdings nicht von rechts!




[1] Eberhard Straub, Republik und Demokratie, Schnellroda 2019, S. 49f. – Im Gegensatz zur unkontrollierten Einwanderung von Fremden wurde die Sklaverei nur insoweit als Bedrohung für die Demokratie beziehungsweise die Republik gesehen, als der Streit über ihre Zulässigkeit drohte, diese zu spalten. Die Praxis einiger Sklavenhalter, mit ihren weiblichen Sklaven Kinder zu zeugen, drohte darüber hinaus, eine Bevölkerungskaste von Mulatten hervorzubringen, die der Vorherrschaft der Weißen gefährlich werden konnte. Aus diesen Gründen positionierte sich Abraham Lincoln gegen die Sklaverei. Er vertrat die Ansicht, es wäre am besten, die Institution der Sklaverei in den neuen Territorien Kansas und Nebraska gar nicht erst einzuführen, um auf diese Weise eine Vermischung von Schwarzen und Weißen in diesen Gebieten zu verhindern. Die Schwarzen wollte er am liebsten wieder in Afrika ansiedeln.

[2] Zit nach Uwe Müller, „Die Linke – Wir sind Rechtsnachfolgerin der SED“, in: www.welt.de: https://www.welt.de/politik/article3649188/Die-Linke-Wir-sind-Rechtsnachfolgerin-der-SED.html (abgerufen am 10.02.2020).

[3] Zit. nach: https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_87285448/thueringen-thomas-kemmerichs-frau-auf-der-strasse-bespuckt.html (abgerufen am 10.02.2020).

[4] Ebd.

[5] Rudolf Brandner, „Die Ideologie der Menschenrechte“, in: Tumult. Vierteljahresschrift für Konsensstörung, Winter 2019/20, S. 35–40, hier S. 38.

[6] Alexander Gauland, Anleitung zum Konservativsein. Zur Geschichte eines Wortes, Berlin 2017, S. 92.




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