Wenn Schiiten Sunniten aufwiegeln: die globalistische Mission der Mullahs.
Anschläge und Anschlagsversuche auf Synagogen in Essen, Dortmund und Bochum entpuppen sich in den letzten Wochen als mögliche Projekte der Islamischen Republik Iran. Friedliche Demonstranten gegen das Mullah-Regime werden in Berlin von radikalen Moslems tätlich angegriffen. Anhänger der iranischen Diktatur leben ihre antijüdische und antiwestliche Ideologie offen in Deutschland aus. Das Teheraner Regime scheint sogar wieder einmal völkerrechtswidrig Hoheitsakte auf deutschem Territorium zu setzen, ähnlich wie bei der weltweiten Fatwa gegen Salman Rushdie oder anderen Terrorakten der letzten Jahrzehnte. Ein Regime, das alltäglich jammert, jeder verstoße gleich gegen das Interventionsverbot und mische sich angeblich in seine inneren Angelegenheiten ein, wenn er die brutalen Menschenrechtsverletzungen im Iran auch nur verbal kritisiert.
Voyou Desoeuvre, CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons
Die allzu bequeme westliche Annahme, die Mullahs ließen die ganze Welt in Ruhe, wenn man sie nur im Iran ungestört herrschen lasse, wird seit vier Jahrzehnten immer wieder als fatales Wunschdenken entlarvt. Dass diese Annahme ein Irrtum ist, geht bereits aus der Geschichte dessen hervor, was im Westen gemeinhin „Islamismus“ genannt wird – was sich aber ebenso schlichtweg als wörtliche Auslegung des Korans oder aber als islamische Spielart des Totalitarismus bezeichnen ließe.
Der unterschätzte dritte Totalitarismus
Der moderne Islamismus – die Unterordnung sämtlicher Gesellschaftsbereiche unter den Islam – ist, wie bereits zahlreiche Forscher unterschiedlicher politischer Ausrichtung betonten, die islamische Spielart des Totalitarismus, also die dritte totalitäre Herrschaftsform nach Kommunismus und Nationalsozialismus. Die ältere islamische Variante entstand zwar bereits in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts in einem sunnitischen Land. Verbunden sind diese Anfänge insbesondere mit den beiden Ägyptern Hassan Al-Banna und später Sayyid Qutb (beides Bewunderer Adolf Hitlers). Allerdings blieb der säkulare Panarabismus, eine Art nationaler Sozialismus, bis Ende des Jahrhunderts die bestimmende Ideologie in der arabischen Welt. Zu politischer Wirksamkeit sollte der Islamismus schließlich nicht nur außerhalb der arabischen, sondern gar außerhalb der sunnitischen Sphäre gelangen, und zwar 1979 im Zuge der Islamischen Revolution im Iran.
In welchem Maße die vom Islamismus ausgehende Gefahr weltweit unterschätzt wurde, zeigt vor allem die linke Unterstützung dieser Revolution. Nicht nur die iranischen Sozialisten, sondern auch zahlreiche Linke im Westen begrüßten den Sturz des zwar autoritär regierenden, aber prowestlichen Schah Reza Pahlavi. Vor der Revolution waren sie in Scharen nach Neuphle-le-Chateau, einem Vorort von Paris, gepilgert, wo Ruhollah Khomeini, das geistige Haupt des religiösen Widerstands gegen den Schah, im Exil saß. Sie feierten ihn als Propheten. Er ließ es sich gefallen und gab zu dieser Zeit bei jeder Gelegenheit vor, sich nach einer etwaigen Revolution nicht in die Politik des Iran einmischen zu wollen. Der antikolonialistischen, wohl bis auf Rousseaus „edlen Wilden“ zurückgehenden Sehnsucht der Linken erschien Khomeini als ideale Projektionsfläche; Josef Martin „Joschka“ Fischer lobpreiste die islamische Revolution in der linken Zeitschrift Pflasterstrand als „gegen den konsumistischen Atheismus der westlichen Industriegesellschaften“ gerichtet. Das damals völlig fehlende Bewusstsein für die islamistische Gefahr entstand bei vielen Linken und Liberalen erst mehr als zwanzig Jahre später mit den Anschlägen des 11. September; auch die im Anschluss an die Revolution der Mullahs folgende brutale Umformung der iranischen Gesellschaft und die Vertreibung nahezu sämtlicher Oppositioneller geriet keineswegs zu einem Weckruf.
Dabei darf die Machtergreifung schiitischer Islamisten im Iran unter keinen Umständen als isoliertes Phänomen betrachtet werden. Ihre Nachwirkungen blieben weder beschränkt auf dieses Land noch auch nur auf die schiitische Sphäre. Bereits kurz nach der Machtergreifung erklärte der zum obersten Revolutionsführer aufgestiegene Khomeini: „Wir müssen versuchen, unsere Revolution in die weite Welt zu exportieren. Und eine Revolution und Ideologie, die wir nicht exportieren, können wir sofort wieder verwerfen. […] Der Islam ist die einzige Unterstützung für alle unterdrückten Völker der Welt.“
Vergessene Rolle Irans in der Türkei
Die theologische Spaltung des Islam in Sunniten und Schiiten führt zwar bis in die Anfänge dieser Religion zurück und ist bis heute ein politischer Faktor. Allerdings wird die Wirksamkeit dieser Trennung insbesondere von westlichen Beobachtern oft überschätzt. Dass der iranische Revolutionsexport keineswegs auf schiitisch besiedelte Territorien beschränkt blieb, zeigen nicht nur die notorische und bis heute anhaltende iranische Unterstützung der sunnitischen Hamas im Gazastreifen sowie die Entsendung von Revolutionsgardisten zur Unterstützung der sunnitischen Bosniaken im Jugoslawienkrieg. Am deutlichsten wird dieser Umstand am Beispiel der heute fast vergessenen iranischen Beteiligung an der Islamisierung der bis vor wenigen Jahrzehnten völlig laizistischen Türkei.
Dieser erklärtermaßen antiislamische Staat, in dem Kopftuchträgerinnen nicht einmal studieren durften, musste den Mullahs zwangsläufig als Dorn im Auge erscheinen. Es kam im Anschluss an die Revolution im Iran zu einer staatlich forcierten antikemalistischen, aber eben nicht antisunnitischen Kampagne – welche allerdings kaum Konsequenzen von türkischer Seite nach sich ziehen sollte.
Der mutmaßliche Hauptgrund dafür ist ein simpler. Die Islamische Republik Iran befand sich 1980-88 in einem Krieg mit dem damals mächtigen, panarabistisch ausgerichteten Irak, den die Türkei als Bedrohung empfand. So kam es, dass die kemalistische Regierung fälschlicherweise annahm, den nun islamistischen Iran als nützlichen Idioten oder Rammbock gegen Saddam Hussein „einrahmen“ zu können. Dementsprechend lau fiel die Reaktion der damaligen türkischen Regierungen auf den beginnenden iranischen Revolutionsexport aus. Im August 1986, noch während des Krieges mit dem Irak, reiste der türkische Außenminister Halefoglu gar in den Iran und übte zwar Kritik an der iranischen Rhetorik, ergriff allerdings keinerlei konkrete Maßnahmen.
Die Türkei duldete zudem, dass über die iranischen Botschafter und Generalkonsule religiöse Propaganda, darunter die 1989 erlassene Fatwa gegen Salman Rushdie, ins Land geschmuggelt wurde. Auch gegen das teilweise in für Türken verständlicher aserbaidschanischer Sprache sendende iranische Radio, das gezielt zu einer Islamisierung der Türken beitrug, ging man zunächst nicht vor. Zudem gelangten etliche Agenten des iranischen Regimes unerkannt ins Land, da man zur Einreise kein Visum benötigte und die Türkei daher für säkulare iranische Flüchtlinge oft erster Anhaltspunkt war (über den die meisten von ihnen weiter nach Europa oder in die USA reisten).
Die weitgehend laizistische türkische Regierung war zwar besorgt, doch unternahm sie in den 80er Jahren nichts, außer einmal den damaligen iranischen Botschafter in Ankara, Manutschehr Mottaki (der später Außenminister unter Ahmadinedschad werden sollte), ins türkische Außenministerium zu bestellen. Diese iranische Förderung des Islamismus in der Türkei brachte eine Entwicklung ins Rollen, deren Fatalität die Kemalisten lange unterschätzten.
Erst nach mehreren zu Beginn der 90er Jahre von Iranern durchgeführten Bombenattentaten und Ermordungen laizistischer, auch jüdischer Personen des öffentlichen Lebens versuchte die türkische Regierung, islamische Verbände zu verbieten. Allerdings erwiesen sich diese Maßnahmen als verspätet, da insbesondere die Landbevölkerung im Verlauf des vorangegangenen Jahrzehnts zunehmend islamisiert worden war.
Als die Stimmung kippte
So kam schließlich 1996 die erste islamistische Regierung der Türkei unter Ministerpräsident Necmettin Erbakan (dem geistigen Vater Erdogans) an die Macht. Dessen erste Auslandsreise führte ausgerechnet in den schiitischen Iran. Die in der Opposition befindlichen Kemalisten unter Deniz Baykal bezeichneten diese Reise als „großen Fehler“; indes war die Stimmung in der türkischen Bevölkerung bereits gekippt.
Diese fatale Entwicklung sollte auch nicht ohne Auswirkungen auf die Deutschen bleiben, angesichts von über drei Millionen hier lebenden Türken und deutschen Staatsbürgern türkischer Herkunft. Denn die Kinder der ehemals mehrheitlich säkular eingestellten Gastarbeiter, die ab den 60er Jahren einwanderten, neigen inzwischen ganz überwiegend (und sogar mehr noch als die Durchschnittsbevölkerung in der Türkei) zum Islamismus. Das lässt sich unschwer an den Wahlergebnissen Erdogans und seiner AKP ablesen, die unter hierzulande lebenden türkischen Staatsbürgern auch bei den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2018 wieder deutlich besser abgeschnitten haben als in ihrer Heimat.
Es war eine unglückliche Mischung aus falscher Taktik, übermäßiger Toleranz und einer unklugen Unterschätzung der politischen Wirksamkeit von Religion, die die Türkei in diese Lage gebracht hat. Deutschland darf nicht denselben Fehler wie die türkischen Laizisten begehen. Es muss darauf bestehen, dass die Anprangerung von Menschenrechtsverletzungen keineswegs gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot verstößt. Vor allem aber darf Deutschland den Islamismus weder durch die rosarote Multikulti-Brille verharmlosen noch den Umstand, dass ein Großteil der islamischen Attentate im Westen seit dem 11. September 2001 von Sunniten begangen wurde, zum irrigen Anlass nehmen, andere Strömungen des Islam für weniger universalistisch oder aggressiv zu halten.
Über den Autor: Jürgen Braun, Jurist und Hochschuldozent, ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und Menschenrechtspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion.
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