Das Unesco-Welterbekomitee hat das Schweriner Residenzensemble zum Weltkulturerbe ernannt. Ein Stab von Werbefachleuten hatte mit dem Ziel politischer Imagepflege jahrelang auf dieses Zertifikat hingearbeitet.
Selbstverständlich ist der Titel gerechtfertigt.
Weltkulturerbe: Das Schweriner Stadtschloss Laura Hasselbusch, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Schwerin, im Weltkrieg wenig zerstört, verfügt vom mittelalterlichen Dom bis zum im 19. Jahrhundert fertiggestellten pittoresken Schloss über einen ganz markanten residenzstädtischen Charakter, eingebettet in Seenlandschaft und Endmoränen-Buchenwälder.
Die Politik, vorweg die mehr schon sozialistische als nur sozialdemokratische rot-rote Schwesig-Regierung, jubelte in offensiver Eigenwerbung: „Wir sind Kulturerbe!“
Wir? Die linken Funktionäre ignorieren, dass sich dieses Erbe Zeiten und Kräften verdanken, die ihnen ansonsten als politisch extrem missliebig gelten.
Im Großherzogtum gab es weder Verfassung noch Demokratie noch Wahlrecht. Beide Fürstentümer, neben dem größeren Mecklenburg-Schwerin das kleinere Mecklenburg-Strelitz, blieben bis 1918 reine Ständestaaten. Und formten eben dennoch oder eher genau deswegen eine Ästhetik aus, die in Zeiten von „Demokratie“, „Toleranz“ und „Vielfalt“ nicht vorstellbar erscheint. Sie bewahrten trotz politischer Anachronismen ihre eigenstaatliche Existenz im Deutschen Bund und sogar im Deutschen Reich ab 1871. In der Weimarer Republik blieben sie Freistaaten. Der Stolz auf diese Eigenständigkeit spiegelt sich in deren Repräsentation.
Die jetzt das historische Bauensemble allzu selbstverständlich nutzende demokratische Herrschaft ist zur Schaffung von Welterbe-Werten nicht in der Lage; sie verwaltet eher schlecht als recht die Dauerkrise eines der ärmsten Bundesländer und betreibt mit steuerlichen Bundesmitteln parteipolitische Klientelpolitik zum eigenen Vorteil.
Dem Jahrhundert nach der Novemberrevolution hat Schwerin kaum künstlerischen und gar keinen architektonischen Zugewinn zu danken, im Gegenteil. Das Schweriner Schloss wurde nach der Wiedervereinigung Sitz des mecklenburgischen Landtags. Eben deswegen wurde es erhalten und restauriert. Gut so!
Nur wird kaum je ein Parlamentarier darüber nachsinnen, dass das Ambiente, in dem er seine Zeit versitzt, für die Fürstenherrschaft der slawischstämmigen Pribisliden steht, ebenso wie das Schloss Ludwigslust, Residenz von 1763 bis 1837, Schloss Güstrow, Herrschaftsort im 16. und 17. Jahrhundert, und das Schloss Neustrelitz, von 1731 bis 1918 Residenz der Strelitzer Herzöge und am 30. April 1945 katastrophalerweise ein Opfer der Brandstiftung. Andere Schlösser und repräsentative Häuser kommen hinzu, u. a. das Schloss Wiligrad im Stil der Neorenaissance.
Das gerade neu gebildete Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hatte sich bereits 1995 mit einer famosen Ausstellung geschmückt, die einmalig gewesen sein dürfte – „1000 Jahre Mecklenburg und Pommern, Geschichte einer europäischen Region“. Der Katalog dieser Ausstellung kann als ein Standardwerk der Landesgeschichtsschreibung gelten und ist als bibliophil gearbeiteter Hinstorff-Band nurmehr antiquarisch zu haben. In den liberalen Neunzigern konnte ich maßgeblich an der Ausstellung wie am Katalog mitarbeiten, heute würde mir das aus politischen Gründen verwehrt.
Damals wie heute ging es dem Bundesland darum, sich gerade angesichts soziökonomischer Schwierigkeiten über die Schau seines eindrucksvollen Erbes aufzuwerten. Man wählt dafür die baulichen und künstlerischen Zeugnisse einer Ära, die man ansonsten verkürzend als reaktionär verunglimpft, ohne sich zu fragen: Weshalb war eine ständestaatlich-landesfürstliche Herrschaft in der Lage, kulturelle Zeugnisse zu hinterlassen, denen die Landesdemokratie nichts Vergleichbares an die Seite stellen kann?
Sicher, gestern wie heute verdanken sich Charme und Pracht von Herrschaftssymbolen der harten Arbeit einfacher Leute, wie sie der mecklenburgische Dichter Fritz Reuter (1810-1874) beschrieb. Und findigen Köpfen wie dem für Schwerin maßgeblichen Architekten Georg Adolph Demmler (1804-1886).
Und damals wie heute gelten die einfachen Leute wenig, so wie die Künstler und Baumeister still hinter die Herrschenden zurückzutreten haben. Im Ruhm sonnen sich die, für die Residenzen erbaut wurden, nicht jene, die sie gebaut haben. Bertolt Brechts Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“ beschreibt dies sehr treffend. Wir wissen von den Sklaven, die die Akropolis schufen, so wenig wie von den Leibeigenen, die Petersburg in die baltischen Sümpfe bauten.
Und dennoch: Die einstigen Herrschaftsorte boten symbolträchtige Identifikationsmöglichkeiten für aufstrebende Nationen. Sie bildeten ganz maßgeblich eine Vielfalt von Identitäten aus, die vermeintlich moderne Demokraten zugunsten von Globalisierung und Weltbürgerschaft sowie im Sinne „universeller“ Werte schleifen wollen.
Die reiche, aber verlorene Vielgestalt war genau das Gegenteil der gegenwärtig phrasenhaft beschworenen „Vielfalt“. Die Buntheit all der Teile des Heiligen Römisches Reiches Deutscher Nation dürfte für die Bundesrepublik und „Europa“ unerreichbar sein, ebenso wie die künstlerischen, literarischen und philosophischen Leistungen, die einst dafür standen. Verbreitert und verflacht, in bloßer Menge gebläht findet sich allerlei, vertieft kaum etwas.
Sind wir unseres reichen deutschen und europäischen Erbes noch würdig? Trotz technischer Errungenschaften, trotz Lebenskomfort und Konsumismus mutet unsere Gegenwart ideell wie eine Schrumpfform, wie ein Restbestand des Vergangenen an, wobei auf belebende Impulse kaum zu hoffen ist. Die Europäische Zentralbank kann die Idee und Bindekraft des christlichen Abendlandes nun mal nicht ersetzen.
Die dummdreist forsche Behauptung „WIR sind Welterbe!“ offenbart jene mit historischer Ignoranz einhergehende Borniertheit, die für keine Epoche so kennzeichnend gewesen sein dürfte wie für die jetzige.
Die Schweriner Regierungs-Entourage um Manuela Schwesig kann für sich gerade nicht in Anspruch nehmen, an dieses Erbe irgendwie anzuschließen, abgesehen davon, dass sie – bei ansonsten ausufernder Verschwendung – öffentliche Gelder sinnvoll in Restaurierungen und in ein Welterbe-Bewerbungsbüro investierte. Von mecklenburgischer Landesgeschichte wird diese Truppe im Detail wenig wissen. Sie kann damit nichts anfangen.
Wenn Parlamentarier, denen nichts über Demokratie geht (oder über das, was sie dafür halten), eine fürstlich-großherzogliche Kulisse als angemessen für ihren Tagungsort empfinden, dann sagt das eine Menge – über ihr eitles Selbstverständnis etwa, ihren Hang zu barocker Lebensweise und dem Wohlgefühl, auf Kosten der arbeitenden Menschen quasi majestätisch in einem Schloss residieren zu dürfen, obwohl sie mit der Herrschaft und dem Staatsdenken, das dieses Schloss hervorbrachte, ansonsten nichts zu tun haben wollen und diese Vergangenheit abqualifizieren.
Dabei setzte die vermeintlich vormoderne großherzogliche Regentschaft in Mecklenburg auf Tugenden, die von der Demokratie vergessen wurden – Sparsamkeit etwa, Verantwortungsempfinden, Würdigung substantieller Werte, Erhalt des Bestehenden, Maß und Demut. Vor allem: Mehr sein als scheinen!
Wenn ich auf das Schweriner Schloss zuradle, denke ich oft: Was würde wohl der letzte Großherzog zu den parlamentarischen Eitelkeiten sagen, die sich in seinem einstigen Interieur eingerichtet haben? Auf der Schlosskuppel jedenfalls ist der vergoldete Erzengel Michael dabei zu sehen, wie er unter sich das Böse besiegt.
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Über den Autor: Heino Bosselmann, geb. 1964, stammt aus der Prignitz, ist Lehrer, Autor und Sportler. Letzte Buchveröffentlichung: Alterndes Land: Verlag Antaios 2022.
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