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Günter Scholdt: POSTDEMOKRATIE KURZ GEFASST

Die folgenden Überlegungen erscheinen anlässlich der neuesten Publikation des Verfassers mit dem Titel „Reden wir über Postdemokratie“ (Freilich Verlag 2022)



2022 – ein Rundblick macht schaudern. Nach gut zwei Jahren politisch gepushter Corona-Panhysterie, nach einer sozioökonomisch desaströsen Förderung von Massenimmigration, CO2-Panik, Gender-Unwesen und einer deutschen Interessen feindlichen Ukrainepolitik befinden wir uns mitten in der größten Krise der Nachkriegszeit. Und wo alles auf außen- wie innenpolitische Klugheit ankäme, kennzeichnet die Staatsspitze eine seit 1945 nie gesehene Konzentration von Inkompetenz, Naivität, Volksferne und repressiv-pharisäischem Expertendünkel. Das Ganze befeuert von „Volksvertreter(inne)n“, die in ihren luxuriösen Wolkenkuckucksheimen und ideologischen Bullerbüs nie erfuhren, dass Wohlstand erarbeitet werden muss und wie schnell er verloren gehen kann.


Gegen Widerspruch rüstet sich Lady Faeser, ihres Zeichens Innenministerin ohne Berührungsängste zu Linksextremen, mit Gesetzesverschärfungen und Planspielen, in denen auch die Bundeswehr im Inlandseinsatz ihren Platz findet. Im Netz toben Löschorgien gegenüber allem, was hiesige Wokeness-Gebote verletzt. Man subventioniert Mainstream-Medien zur Bewahrung der „Vielfalt“, damit sie weiter mehrheitlich alle das Gleiche schreiben. Verhaftungen und Hausdurchsuchungen bei Querdenkern, einem unbotmäßigen Richter und anderen Widerspenstigen haben Hausse. „Reichsbürger“ werden gejagt, als stehe ein veritabler Umsturz bevor, und kein „Qualitätsjournalist“ lacht über diese durchschaubare Politposse zu Lasten der AfD. Neun Jahrzehnte nach dem Reichstagsbrand besinnt man sich offenbar wieder bewährter Herrschaftstechniken.


Dem Medizinprofessor Sucharit Bhakdi, der das Land verlassen will, droht ein Verfahren wegen Volksverhetzung. Michael Ballweg, der begnadete Organisator der Corona-Opposition, befindet sich „wegen Fluchtgefahr“ in Untersuchungshaft. Den Publizisten Oliver Janisch hat man auf den Philippinen verhaftet. Ins Ausland, teils unter verdeckten Adressen, zog es Oppositionelle wie die Bloggerin Miriam Hope, Bodo Schiffmann oder den Toxikologen Stefan Hockertz. Man muss schon beide Augen schließen, um die politische Einschüchterung nicht wahrzunehmen, zumal gerade im Schnell- und Omnibusverfahren der Volksverhetzungsparagraph aufgestockt wurde, der nun auch noch die Relativierung von Kriegsverbrechen zum Strafrechtstatbestand erhebt. Gepriesen sei der Obrigkeitsstaat, der sich auch noch um unser Geschichtsbild kümmert! Und wenn sich Richter als AfD-Abgeordnete mal rhetorische Ausflüge in die Politarena gönnen, cancelt man eben schlicht ihre Wiederbeschäftigung. Doch unsere „kritischen“ Intellektuellen echauffieren sich lieber über das „Sakrileg“ einer unangepassten Loschwitzer Buchreihe, sich „Exil“ zu nennen.


Zugleich verprasst unser „Verfassungsschutz“ Steuergelder, indem er als Agent provocateur Internetblogs betreibt, um „böse Rechte“ zu fangen, die man zuvor erst durch Gesinnungsstraftaten angelockt bzw. angestiftet hat. Nebenbei erhöht man so auch noch kriminalstatistisch die Werte für rechtsextreme Propaganda, was weitere Mittel für deren Bekämpfung generiert. Ein einträgliches denunziatorisches Perpetuum mobile.


In Berlin vollzog sich der Wahlskandal dieser Republik, deren Wiederholung selbst das dortige Verfassungsgericht als unerlässlich zur Wiederherstellung von Vertrauen in unsere Staatsform erachtet. Bis zur Feststellung dieser demokratischen Selbstverständlichkeit verging bereits mehr als ein Jahr, doch nun will sich die Ampel im Bund mit minimalen kosmetischen Korrekturen begnügen, die das grundsätzliche Machtgefüge nicht gefährdet. Der AfD stehen laut Bundestagsgeschäftsordnung wichtige Ämter zu. Doch vom Verfassungsgericht unbehindert, hält man sich schlicht nicht dran. Auch verweigert man ihr eigentlich zukommende Stiftungsgelder, die stattdessen umso üppiger fürs Mainstream-Kartell fließen.


Der Ukraine-Konflikt entfesselte eine Kriegspropaganda-Welle vom Kindergarten bis zum Parlament, die auf sämtlichen Medienkanälen und Programmen des Establishments die Waffenlobby-Karte spielt, als ob man aus den wirtschaftlichen wie geistig-ideologischen Verheerungen im Umfeld des Ersten Weltkriegs gar nichts gelernt hätte. Infolge dessen befinden wir uns mitten in der größten Energiekrise der Nachkriegszeit. Die Regierung gefährdet Währung und Wirtschaft durch Befolgung von Globalagenden und eine höchst riskante wie aggressive Sanktions- und Militärpolitik. Und die „Völkerrechtlerin“ Baerbock tönt dabei vollmundig, sie bleibe dabei, „egal, was meine deutschen Wähler denken.“


Das ist immerhin Klartext. Nur klingt es nicht ganz so verlockend wie sonst unsere politischen Märchenonkel und -tanten schalmeien. Abraham Lincoln etwa, der uns Demokratie viel verheißungsvoller als „Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk“ verklärte. Das gerade gilt momentan für Deutschland und viele Teile der westlichen Welt nicht. Vielmehr zeigen sich zunehmend Demokratie-Defizite, die weniger mit gelegentlichen Formschwächen oder unglücklichen Personalia zu tun haben, sondern eine gewisse Zwangsläufigkeit aufweisen. Colin Crouch hat dafür 2003 den Begriff „Postdemokratie“ wiederbelebt. Seine Theorie, wenn wir sie von seiner linken Blickbeschränkung befreien, trifft den Kern:


  1. Bei dieser demokratischen Schwundstufe geht die Gewalt nicht wirklich vom Volk aus. Sie liegt vielmehr bei sog. Experten, die am besten zu wissen glauben, was ihren Fürsorgeobjekten eines ständig erweiterten, abhängig machenden – vermeintlichen – „Wohlfahrtsstaats“ nützt oder zusteht. Die Mitwirkung der Zöglinge beschränkt sich weitgehend auf Alibi-Bestätigungen zur Ermittlung von Galionsfiguren. Regierungswechsel verlieren an Bedeutung, Wahlkämpfe degenerieren zu PR-Spektakeln. Globalmächte bestimmen zunehmend den Kurs. 80% der Gesetze kommen aus Brüssel, diverse verheerende Wokeness-Agenden aus den USA. Und wenn Frustrierte Wahlen fernblieben, empfehlen Stimmvieh-Eintreiber zur Legitimationsfassade, das Wahlalter zu senken oder Immigranten auch ohne Staatsbürgerschaft wählen zu lassen. Parteien konkurrieren zwar um Pfründen, bilden jedoch in nationalen Lebensfragen zunehmend eine Allianz. Fundamentale Gegensätze kommen bei fast beliebig miteinander koalierenden Parteien kaum noch parlamentarisch zum Austrag. Gerichte sprechen vielfach kein unparteiisches Recht mehr, abhängige Medien informieren nicht mehr sachlich und die Wähler werden immer unmündiger. Wenn alles nicht mehr hilft, liebäugelt man mit Wahlbetrug. Demokratie zeichnete sich ihrer Theorie gemäß v.a. dadurch aus, dass sie Herrschaft begrenzt, Wettbewerb um die Macht zulässt und Meinungen von Minderheiten schützt. Gemäß Karl Poppers Minimalhoffnung ermöglicht sie, schlechte Politiker „ohne Blutvergießen wieder loszuwerden“.

  2. In der Postdemokratie hingegen bleiben zwar alle demokratischen Institutionen, Rituale und Versprechungen erhalten, sind aber weitgehend ausgehöhlt und ihrer ursprünglichen Funktion beraubt. Zur Zeit opfern wir gerade wesentliche Garantien des Rechtsstaats und die Meinungsfreiheit auf dem Altar tugendterroristischer Orthodoxie. Und eine Demokratie ohne sie bewahrt vielleicht ihre legalistische Fassade. Vom seriösen Anspruch her ist sie nur mehr ein Zombie. Insofern lügen wir uns gehörig in die Tasche, wenn der Westen zum weltweiten Kampf der Demokratien gegen Autokratien aufruft. Realistischer ist die Betrachtung, dass beide nur Idealtypen sind, die sich im Sinne einer Konvergenztheorie aufeinander zubewegen. Eine tatsächlich auf Volkssouveränität und Mitsprache gründende Demokratie ist eine äußerst komplizierte Herrschaftsform. Sie erfordert täglich anstrengende Überzeugungsarbeit, zu der nicht jede politische Klasse bereit ist, zumal sie von globalen Antreibern in bestimmte Richtung gepusht wird. Selbst gestandene Demokratien streben daher nach Vereinfachung der Regierungspraxis und Minimierung von Wechselrisiken. Sie verbrämen diese autokratische Tendenz als Rationalisierung und Beschleunigung von Entscheidungen. Banaler formuliert: Es regiert sich bequemer, wenn man keine besondere Rücksicht auf Widerspruch nehmen muss.

  3. Vereinfachung ergibt sich durch Veränderungen der Rahmenbedingungen zugunsten der Machtsicherung der jeweiligen Herrschaftsclique. Danach erscheint der jeweilige Politkurs als alternativlos und deren hauptsächliche Träger werden fast unabwählbar. Gefördert wird dies durch weithin uniforme, global orientierte Mainstreamparteien, die Koalitionen und das Aufgehen in einem systemtreuen Machtkartell erleichtern. Eine abhängige Nachrichten- und Unterhaltungsindustrie sowie die Kolonisierung der Gerichte durch Parteien-Besetzungen tun ein Übriges. Zudem verlagert man Entscheidungen weithin auf supranationale Organisationen, was das Fundament der Demokratie entkernt. Schließlich figurieren globale Unterstützer in ungeahnten Finanz-Dimensionen zugleich als Lenker im Hintergrund: Soros, Rockefeller, Gates e tutti quanti als Partei- und Medien-Sponsoren. Andererseits tendiert Postdemokratie zu immer stärkerer Polarisierung und Ausgrenzung neuer politischer Kräfte. Dafür werden alle Propaganda-Bataillone mobilisiert im Verbund mit einer rigiden „Zivilgesellschaft“, die zunehmend das sog. „gesunde Volksempfinden“ beerbt. Die Vertiefung sozialer Gräben nimmt man billigend in Kauf und lastet sie perverserweise den Dauerattackierten an. Den Wähler gewinnt man durch mediale Verformung der Realität und Stigmatisierung der Restoppositionals urböse, demokratiefeindlich, d.h. unwählbar. Solcher Rufmord, die administrative Ausgrenzung legitimer Opposition durch den sog. „Verfassungsschutz“ und Verfassungsgerichte sowie staatlich (verdeckt) finanzierte Straßengewalt sind nichts weniger als harmlos. Und die Fahndung nach ständig neuen „Nazis“ stabilisiert die eigene Macht auf Kosten eines verträglicheren Sozialklimas.

  4. Als ständig bekämpfte politische Schreckgespenster, die angeblich die Demokratie herausfordern, gelten die Populisten. In Wirklichkeit ist Populismus eine Folge von Postdemokratie und erscheint erst in nennenswertem Ausmaß in der Krise, wenn sich die Misswirtschaft der Herrschenden nicht mehr verschleiern lässt. Bei relativer ökonomischer Prosperität hingegen bedarf es schon gewaltiger Erschütterungen, bevor sich die breite Masse statt für Brot und Spiele plötzlich für Politik interessiert. Populismus (respektive der Umgang mit ihm) dient somit als Lackmustest für den jeweiligen Zustand einer Demokratie. Sein Erstarken indiziert eine Repräsentationskrise durch postdemokratisch entfremdete Herrschaft. Ein gelassener Umgang mit ihm wiederum belegte die Fundierung eines Gemeinwesens in rechtsstaatlicher Tradition, was leider zur Zeit überhaupt nicht zutrifft.

  5. Der Herrschaft globaler Technokraten entspricht die Ideologie der Alternativlosigkeit.Wo, fern alltäglicher Erfahrung, immer abstraktere und kostspieligere Projekte im Billionenbereich gestartet werden, können sich die „Eliten“ Widerspruch immer weniger leisten, zumal Entlarvungen wie in „Des Kaisers neuen Kleidern“ drohen. Statt kontroverser Meinungsbildung fördern sie daher Orwell-hafte Instanzen, die Falschdenker und -fühler „korrigieren“, unerwünschte Historie umschreiben oder sich per Cancel Culture austoben, um massiven Vertrauensverlust zu begrenzen. International vernetzte Postdemokratien lassen sich nämlich nicht so einfach durch Wähler abstrafen. Lieber deformieren sie den Staat und das Recht zu freier öffentlicher Rede. Überspitzt gesagt: Globalisierung und Meinungsfreiheit harmonieren so wenig wie Masseneinwanderung und Wohlfahrtsstaat.

  6. Das gefährliche Endstadiumeiner von der Volksherrschaft zur Postdemokratie mutierten Staatsform ist erreicht, wenn„sanfte“ Mittel nicht mehr ausreichen, um die demokratische Fundierung der Herrschaft öffentlich zu simulieren. In der Verwandlung des Rechts- zum Gesinnungsstaat erreicht diePostdemokratie ihren höchsten Reifegrad. Ein Einstieg in den Totalitarismus, den wir verharmlosen, wenn wir ihn „sanft“ nennen.

Ein weltweiter historischer Rückblick enthüllt leider, wie oft Demokratien seit der Antike bereits gescheitert sind. Selbst in der Hochzeit des republikanischen Optimismus finden sich harsche Urteile über diese Staatsform, allen voran 1814 die Warnung des US-Präsidenten John Quincy Adams, „There never was a democracy yet that did not commit suicide.“ (Es gab nie eine Demokratie, die nicht Selbstmord begangen hätte.) Wir sollten die mahnenden Worte nicht in den Wind schlagen.


Günter Scholdt: Reden wir über Postdemokratie. Politikon 5. Freilich Verlag: Graz 2022, 17,90 €


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Über den Autor: Der Historiker Prof. Dr. Günter Scholdt war bis zum Ruhestand 2011 Leiter des Saarbrücker Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass. Veröffentlichungen u.a.: Autoren über Hitler (1993); Die große Autorenschlacht. Weimars Literaten sreiten über den Ersten Weltkrieg (2015); Literarische Musterung (2017) und Schlaglichter auf die „Innere Emigration“. Nichtnationalsozialistische Belletristik in Deutschland 1933-1945 (2022).




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