Bücher brauchen manchmal etwas Zeit bzw. den richtigen Moment, um zu zünden. So ging es mir mit dem (bereits 2019 im Neusatz Verlag erschienenen) Bändchen von Christiane Pfohlmann und Bernd Zeller: „Der Riss durch Deutschland. Ein schonungsloser Dialog in Cartoon und Text“. Mitten in der neuesten (von perfiden Unterstellungen und Verbotsdrohungen geprägten) Anti-AfD-Kampagne, die den Regierungsumgang mit der Opposition gänzlich zur Demokratie-Farce verkümmern lässt, fiel es mir neulich erneut in die Hände. Und ich las es als stellvertretenden Beitrag zur politisch-alternativen Lagebestimmung. Berührt es doch in spielerisch-unterhaltsamer Weise politstrategische wie Basisfragen der Demokratie.
Das Beispiel von Pfohlmann und Zeller (Jahrgang 1968 bzw. 1966) könnte übrigens Juli Zeh und Simon Urban zu ihrem gleichfalls empfehlenswerten Roman „Zwischen Welten“ angeregt haben. In dieser für „maßgebliche“ Kulturkreise bereits skandalösen Satire auf den hiesigen „Haltungs“-Journalismus wird nämlich vergleichbar gestritten – diesmal im erzählerischen Rahmen eines Mail-Wechsels. Doch zurück zur Kontroverse der beiden Karikaturisten, die zustande kam, weil die unter CHRISS firmierende „Eventzeichnerin“ ihren Ex-Kollegen aus F. W. Bernsteins Zeichenschule zu dieser politisch-künstlerischen Auseinandersetzung animierte.
Falls sie davon erwartet haben sollte, Zeller über die persönlich-menschliche Schiene zu milderen Urteilen über das von ihr vertretene Lager zu bewegen, ist das Experiment missglückt. In der Sache kamen sich beide kaum näher. Sogar der Abbruch des Unternehmens wurde offenbar erwogen. Dennoch lohnt sich die Musterung dieses Text- und Karikaturenbands. Denn zunächst einmal dient jedes Im-Gespräch-Bleiben der Sozialhygiene, statt im Gegenüber nur noch den Teufel oder zumindest Menschenfeind zu wittern. Das ist in diesen Tagen nötiger denn je, wollen wir nicht gänzlich einer Bürgerkriegsmentalität verfallen.
Zeller nach der Zwangsschule
Darüber hinaus fixiert der Band aber auch notwendige Grenzen von Verständigungskonzessionen. Denn für das Linsengericht einer Image-Verbesserung im Mainstream ließ sich dieser Künstler nichts an Einsichten und ihm unveräußerlichen Rechten abhandeln. Diese Weigerung liegt fernab von unversöhnlicher Rechthaberei, sondern belegt ein ungebrochenes Freiheitsverlangen. Zeller hat schließlich nicht umsonst die DDR-Zwangsschule besucht, bevor er mit dem Zeichen- und Schreibstift seine demokratische Reifeprüfung ablegte.
Von solcher gelernten Lektion künden Statements wie das folgende: Die politische Klasse gehe von der irrigen Annahme aus, der Staatsbürger habe um ihre Akzeptanz zu buhlen. Ein „herdengetriebener“ Zustimmungszwang, die Vorstellung, dass man in grundlegenden Fragen nicht anderer Meinung sein dürfe, sei schlechterdings abwegig. „Genau darum brauchen wir Demokratie und nicht diese Pseudodemokraten, die glauben, Demokratie ist, wenn sie an der Macht sind.“ Und in Anlehnung an Karl Popper setzt er hinzu: „Demokratie ist, wenn man sie loswerden kann.“ (Gemeint sind jene Führungsdarsteller, die sich überdeutlich als Mischung aus Inkompetenz und Machtanmaßung erweisen.)
Christiane Pfohlmanns Gesprächsstrategie zu beobachten, ist nicht ohne analytischen Reiz. Erwartbarerweise moniert sie anderes als Zeller, was ihr gutes Recht ist. Problematischer sind durchgehende Versuche, die Harmoniekarte zu spielen und sich als die Versöhnliche zu inszenieren, wobei sie die ungleichen öffentlichen Äußerungsvoraussetzungen bzw. -chancen strikt übergeht. Sie setzt Gefühl gegen Ratio, Persönliches gegen Prinzipien, paradiert nicht als Dogmatikerin, lehnt Rechts-Links-„Schubladen“ ab. Windräder missfallen ihr, sie gendert nicht oder plädiert nicht für Cancel Culture. So scheint sie nicht völlig in ihrem Politlager aufzugehen, das sie gleichwohl bedient und wofür sie streitet.
Pfohlmann positiv – auch Kinder werden angesprochen
Dafür bietet sie (zuweilen ablenkenden) Humor. Ihre Zeichnungen – besonders Kinder dürften sich davon angesprochen fühlen – strahlen etwas Positiv-Vermittelndes aus, selbst wo sie heftig polemisiert. So startet sie etwa mit Blick auf eine grüne Naturidylle samt spöttischer Frage: „Wirst Du die sofortige Entsiffung des Parks einleiten, falls du die ausgeschriebene Diktatorenstelle bekommst? Oder schaffst du ihn gleich ganz ab?“ Zeller versteht umgehend die darin verborgene argumentative Falle: „Du gibst die passiv Nette, so dass mir die Rolle des Aggressors zukommt.“ Beharre er jedoch auf seinem Standpunkt, folge der Vorwurf, „rechts“ zu sein.
Ähnlich wird in diesem Land jeder wirklichen Opposition die angeblich spaltende und miesmachende Spielverderber-Rolle appliziert, kulminierend in Drohungen oder erzdummen Phrasen wie: „Uns geht‘s doch noch (?!) gut.“ Übrigens eine schreckliche Floskel notorischer Apperzeptionsverweigerer gegenüber einem bereits wahrnehmbaren Politdesaster. Ironisch zitiert er aus einem Biermann-Song: „Das ist die Arbeitsteilung, der eine schweigt, der andere schreit; wenn du zu kurz gehst, gehe ich zu weit.“
Wenn schon die Sprache lügt
Darüber hinaus führt er die Debatte stets wieder auf ihren Kernpunkt zurück: die Machtfrage: „Letztlich habe ich dir nichts anderes getan als zu sagen, ich glaube den Lügenlumpen nicht. Und ich sage, wir haben Verhältnisse, unter denen die Passivität übel, schädlich und böse ist. Das genügt, um dir Angst einzujagen. Wir finden so langsam heraus, wo der Riss durch die Gesellschaft verläuft; zwischen denen, die Angst haben, und denen, die sich Angst nicht leisten können.“ Vom Establishment trenne ihn, fährt er fort, „die Arroganz der politisch-journalistisch Erleuchteten gegenüber den Düsterdummen“ und die Mandatsübertretung respektive der „illegitime Machtanspruch“ der Herrschenden: „Ein Minister oder Bürgermeister, der staatlich gegen seinen politischen Gegner vorgeht, ist näher an Nazi als ein Bürger, der für seine Freiheitsrechte eintritt.“
In diesem Sinne folgen Lehrsätze wie Hammerschläge:
- „Wenn ich merke, dass schon die Sprache lügt, weckt das mein professionelles Interesse. Und wenn ich sehe, dass mir oder anderen Angst gemacht werden soll, werde ich böse.“
- „Nicht wir müssen den Politikern, Journalisten und paramilitärischen NGOs zeigen, dass wir noch die richtige Gesinnung haben, die müssen uns zeigen, dass sie nicht Sowjetunion machen“.
- Wo bleibe denn der freie Diskurs, wenn die Positionen machtpolitisch ungleich besetzt sind? „Die einen sagen so, die anderen: so nicht! … Wenn ich ‚so nicht‘ sage, bezieht sich das durchweg auf die Herrschaftsattitüde, wogegen du meinst, ich könnte es auch bleibenlassen, mein Selbstmisstrauen in die Welt zu projizieren, und müsse oder solle es oder täte besser daran.“
- Und schließlich: „Es geht eben nicht um links/rechts; rechts ist das nur aus Sicht der Linksextremen, es geht um Macht gegen Opposition, korruptes Milieu gegen Meinungsfreiheit, Staatsterror gegen die Bürger.“
Dem ist wenig hinzuzufügen.
Christiane Pfohlmann, Bernd Zeller: Der Riss durch Deutschland: Ein schonungsloser Dialog in Cartoon und Text. Neusatz Verlag: Stuttgart 2024. 104 S., 12 €
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Über den Autor: Der Historiker Prof. Dr. Günter Scholdt war bis zum Ruhestand 2011 Leiter des Saarbrücker Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass. Veröffentlichungen u.a.: Autoren über Hitler (1993); Die große Autorenschlacht. Weimars Literaten sreiten über den Ersten Weltkrieg (2015); Literarische Musterung (2017) und Schlaglichter auf die „Innere Emigration“. Nichtnationalsozialistische Belletristik in Deutschland 1933-1945 (2022).
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