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Günter Scholdt: ALLES WAS RECHTS IST

Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant. Aber gilt das auch gegenüber »Rechten« und Leuten, die sich »fremdenfeindlich« oder »frauenfeindlich« gebärden? Ist eine Denunziation dann nicht geradezu Pflicht?     Günter Scholdt beleuchtet in seinem neuen Buch »Anatomie einer Denunzianten-Republik« eine lebendige Kultur des Denunziantentums zur Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Republik. Ganz offensichtlich zahlen sich heute in Deutschland der Tugendterror und die Jagd auf Korrektheitsverächter materiell und symbolisch aus. Auf Wunsch der TUMULT-Redaktion hat Günter Scholdt ein Kapitel, das uns ganz besonders interessiert, aktualisiert und erweitert.     Lesen Sie seine Ausführungen über die Konjunktur der »Lingua Quarti Imperii« - Victor Klemperer lässt grüßen - und die große Sprachverwirrung beim Gebrauch der scheinplausiblen Worte »links« und »rechts«. Und bitte besorgen Sie sich Scholdts wahrhaft erschütterndes Buch (Angaben siehe unten) - Sie werden aus Ihrem eigenen Dunstkreis manches wiedererkennen, das Sie bisher kaum mitzuteilen wagten.

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»Oft heißt es, Deutschland sei das Volk der Frührentner, der Schadenfrohen, der Besserwisser. Alles Unsinn. Es ist ein Volk von Antifaschisten oder vielleicht besser: der Gegen-Rechts-Aktivisten. Denn Rechts heißt das Zauber-, Schmäh- und Schlusswort schlechthin. Mehr muss man gar nicht sagen und auch nicht wissen. Rechts? Alles klar. Sattelt die Pferde!«

Markus Günther: FAZ 18.2.2015

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In der politischen Welt tobt, vielfach unterschätzt, ein folgenreicher Krieg um Worte. Denn das Establishment besetzt Begriffe, Werte oder Kriterien und fälscht sie um. Zurück bleiben Sprachhülsen als PR-Instrumente, die auf falsche Spuren führen, indem sie Probleme und eigene Politziele verklären, Gegner entmutigen oder diffamieren. So entstand eine Art »Lingua Quarti Imperii« (»Sprache des vierten Reiches«), wie man in Analogie zu Klemperers »LTI« formulieren könnte, die weniger abbildet als denunziert.

Solche vergifteten Worte unbefragt zu verwenden, kann argumentativ tödlich sein. Man denke an (Kampf-)Begriffe wie »antieuropäisch«, »antiamerikanisch«, »antisemitisch«, »antiislamistisch«, »fremden- oder frauenfeindlich«, »sexistisch«, »homophob«, »rassistisch«, »Populismus«, »Menschlichkeit«, »Stammtischparolen«, »einfache Wahrheiten«, »postfaktisch«, »wissenschaftlich belegt«, »Hass und Hetze«, »Menschenwürde«, »Toleranz«, »Vielfalt«, etc. Von üblen Gewaltbeschönigungen wie »wehrhafte Demokratie«, »Zivilcourage« oder »Zeichen setzen!« ganz zu schweigen. Doch die Königsvokabel, die jeder Parteinovize schon in seiner ersten Lehrwoche agitatorisch zu handhaben lernt, heißt »rechts«.

Es könnte historisches Klippschulwissen sein, aber im heutigen Deutschland muss man gleichwohl daran erinnern. »Rechts« oder »links« waren einst selbstverständliche politische Richtungsbegriffe. Sie signalisierten gemäß der Sitzordnung vom jeweiligen Parlamentspräsidenten aus schon optisch Nähe zur Regierung oder Opposition. Aktuell entscheiden sie hierzulande jedoch – lässt man sich auf die Kampfbegriffe des Mainstreams ein – über die Zugehörigkeit zur Zivilität oder Barbarei. Denn während sich selbst zur radikalen Linken zu bekennen (trotz ihrer im 20. Jahrhundert weltweit neunstelligen Mordbilanz), weiterhin irgendwie schick ist, grenzt ein Bekenntnis zur Rechten karrieremäßig fast an Selbstmord.

Das Ganze wirkt logikfrei und entspricht reinem Tabu-Affekt. Denn rechts wie links sind epochenabhängige, stets neu zu konkretisierende Begriffe. Dies umso mehr, als Merkels Kannibalisierung fremder Parteiprogramme die politischen Koordinaten völlig verwirrt hat. Und die Annahme, dass das tolerierbare Meinungsspektrum eines intakten parlamentarischen Systems einen Millimeter rechts von Söder zu Ende sein müsse, erscheint so abwegig wie die Zeichnung des Bundesadlers mit nur einem Flügel. Doch befinden wir uns ja nicht im Bereich rationaler, sondern taktischer Definitionen. Und auch wo der Begriff inzwischen weithin jegliche Kontur verlor, behielt er seine propagandistische Stigmatisierungsbedeutung. Denn mit dieser Zuschreibung endet jedes ergebnisoffene Gesellschaftsgespräch. Und alles, was jenseits des vom Establishment abgesteckten politischen Terrains vorgebracht wird, findet sich quasi ins Illegale verbannt. Dieses Denunziationsmuster ist deshalb so beliebt, weil es ohne intellektuelle Mühen Gegner diffamierend kleinhält und letztlich den eigenen Politikkurs für alternativlos erklärt.

Indem es ständig vorgibt, ein neues Auschwitz verhindern zu müssen, reklamiert es quasi theokratisch den höchstwertigen Standpunkt als Gralshüter aktiver Vergangenheitsbewältigung. Und der durchschlagende Erfolg solcher »Argumentation« animiert ideologische Trittbrettfahrer im Dutzend, sich als Anschlussberechtigte einzuklinken: Schwule und Lesben, Gender-Konstrukteure und -Konstrukteurinnen, Inklusionisten, die Immigrations-Branche oder Tausende vom Staat gehätschelte Schriftsteller, Künstler und Journalisten sowie EU-Eurokraten, die ihre Geschäfte ohne Nationen und Völker besorgen wollten. Ja, selbst Klimaforscher beanspruchen alternativlose Akzeptanz ihrer Modellrechnungen. Zu dem Zweck erfanden pfiffige Zyniker per sprachlicher Analogie das skurrile Drohwort »Klimaleugner«. So stehen nun auch »Wissenschaftler« unter umfassendem politischen Artenschutz.

Die Absurdität dieser Rechts-Phobie erschließt sich besonders, wenn wir uns die abenteuerliche Liste dessen vor Augen führen, was bei uns alles schon einmal unter »rechts« respektive »Nazi« lief. Für 68er z.B. Adenauer, am Ende auch der als Law-and-Order- oder Aufrüstungskrieger verschriene Helmut Schmidt. Sogar Willy Brandt hatte groteske Vorwürfe zu erdulden, als er zum Ärger nationalmasochistischer Intellektueller gemeinsam mit Kohl die Wiedervereinigung feierte. »Rechts« waren oder sind das Kapital, das dreigliedrige Schulsystem, Elite- und Leistungsvorstellungen, die Nato, bis ein zum Außenminister promovierter Joschka Fischer weiße Hemden tragen und seinen persönlichen Wortschatz mit Phrasen wie »Kollateralschäden« bereichern durfte. Als »rechts« gilt die Ablehnung einer (konkrete Lebenschancen gefährdenden) sturen Gleichheitsideologie, einer leistungsblinden Quotenregelung oder Skepsis gegenüber ökologischen, gendermanipulativen oder geschichtspolitischen Dogmen.

»Rechts« ist, wer ein Europa der Vaterländer und Heimaten der Brüsseler Technokratie vorzieht, eine konzeptionslose Einwanderungspolitik so nennt wie es Sarrazin und Buschkowsky taten, die sich die enormen Integrationsprobleme nicht schönrednerisch wegdisputieren ließen. Desgleichen, wer schon vor Jahrzehnten die einschneidenden Konsequenzen der demografischen Entwicklung in Deutschland erkannte. »Rechts« war die Einsicht, dass man vermeintliche soziale Kälte nicht wirklich bekämpft, wenn man die nächste Generation verschuldet und die Rentner durch Geldentwertung um das ihrige bringt. »Rechts« sein heißt, sich vornehmlich alternativer Nachrichtenquellen, statt des Staatsfunks und der »Qualitätspresse« zu bedienen und gegen den hiesigen alltäglichen Totalitarismus zu opponieren. Und wer gar die Lückenpresse, wo sie zur »Lügenpresse« entartete, – ein von Karl Kraus übrigens bedenkenlos verwendeter Begriff – für weithin gleichgeschaltet hält, zeigt offenbar demokratiefeindliche Gesinnung.

Auch wenn mal wieder – natürlich stets als »Einzelfälle« – immigrationsbedingte deutsche Opfer zu beklagen sind, gilt als »rechts«, wer dies angeblich »instrumentalisiert«, indem er politische Schlussfolgerungen anmahnt (»Merkels Tote«), statt auch noch in der Trauerzeit pietätlos dagegen zu demonstrieren. Man denke exemplarisch an das auch staatlich gesponserte perverse Chemnitzer Rockkonzert, als Zehntausende, statt dass es ihnen vor einem viehischen Messermord geschaudert hätte, ihre (teils linksextremen) Popstars umjubelten. »Wer nicht springt, der ist ein Nazi«, tönten modisch verblendete Derwische nicht zuletzt weiblichen Geschlechts.

»Rechts« sind Identitäre, die, konsequent gewaltlos, dafür streiten, dass ein Europa der Nationen noch eine Zukunft hat, was sie zum Zielobjekt sog. »Verfassungsschützer« macht, während die notorisch gewaltaffine Antifa noch beachtliche (verdeckte) Förderung erhält. »Rechts« war die Empörung vieler Chemnitzer, die auf die Straße gingen, weil sie von Messerstecher-Szenen in Wildwestmanier bis zum Erbrechen genug hatten. »Rechts« bedeutet heute tatsächlich elementare Grundrechte und den Rechtsstaat zu verteidigen, der nicht zum Gesinnungsstaat verkommen darf.

»Rechte« halten die Gender-Ideologie für Hokuspokus, einschließlich der (im Kirchenblatt »Chrismon« verbreiteten) Theorie von Prof. Heinz-Jürgen Voß, wonach die klare biologische Zweiteilung auf die Nazis zurückgehe. Sie spotten über Bildungsphantasten, die sich an Abiturienten-, Bachelor- oder Inklusions-Rekorden delektieren, während unser Schul- und Hochschulsystem nicht zuletzt durch internationale Anpassung inzwischen niveaumäßig ruiniert ist und jeder fünfte Fünfzehnjährige als funktionaler Analphabet gilt. Sie empfehlen, sich aus einer fremdbestimmten Haltung zur eigenen Geschichte zu lösen und Historiografie nicht an aktuellen geschichtspolitischen Opportunitäten auszurichten. Sie hinterfragen eine vornehmlich negative Gedenktradition und wagen z.B. als Dresdener Bürger, sich skandalöserweise der Bombardierung ihrer Stadt auch einmal anders zu erinnern, als der Magistrat es vorschreibt.

»Rechts« war, bevor das WM-»Sommermärchen« dann offiziell von der Kanzlerin mitbejubelt wurde, in GEW-Kreisen das Schwenken von Deutschland-Fähnchen und Hymne-Singen. »Nazi« waren angeblich Heino aus der Sicht neidischer Pop-Kollegen oder auch mal die Kabarettistin Lisa Fitz laut einer Berliner »Initiative gegen Verschwörungstheorien«. Eva Herman war »rechts«, weil sie unsere Familienpolitik attackierte, und viele sind’s, weil sie sich zugunsten der bösen Realität und des gesunden Menschenverstands unserer liebgewordenen Sozialutopien verschließen.

Und da nichts so abstrus ist, als dass es hierzulande nicht vorkäme, sei noch ein als Pädagogikprofessor waltender Pädophilen-Versteher erwähnt, der vorbestrafte Homosexuelle mit Strichjungen versorgte, damit sie nicht dem Faschismus anheimfielen. Darüber hinaus amtierte er als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, Gerichtsgutachter und Professor für Sonderpädagogik. Vielleicht hätte man den Lehrstuhl besser »für absonderliche Pädagogik« ausgeschrieben.

Insofern übertrieb Konrad Adam kaum, als er 2015 auf dem Essener AfD-Parteitag unter Beifall ausführte, als rechts gelte heute schon, »wer einer geregelten Arbeit nachgeht, seine Kinder pünktlich zur Schule schickt und der Ansicht ist, dass sich der Unterschied zwischen Mann und Frau mit bloßem Auge erkennen lässt.« Wem dies übertrieben scheint, bedenke, dass sich hierzulande kaum noch Satiren schreiben lassen, die der Realität gewachsen sind. Und so erschien jüngst, vom Bundesfamilienministerium gefördert, eine Broschüre zum »Umgang mit Rechtspopulismus und Menschenfeindlichkeit in Kitas«, betitelt »Ene, mene, muh – und raus bist du!«. Für Kahanes federführende Zivilfahnder(innen) der Amadeu Antonio-Stiftung sind danach bereits Kleider und Zöpfe tragende Mädchen völkischer Einflüsse verdächtig oder Jungs, die diszipliniert und körperlich gefordert wirken. O heiliger George Orwell, du hat es schon vor 70 Jahren beschrieben und beschworen! Warum lernen wir nichts?

Bringen wir das das Ganze auf die Kürzestdefinition gemäß heutigem Sprachgebrauch des Establishments! Das Wort umfasst inzwischen fast alles, was die politische Klasse nicht mag bzw. sich nicht mehr sagen lassen will. Die semantisch abgenutzte Streitvokabel figuriert nur mehr als machtpolitischer Passepartout zur Denunziation. Sie dient als pauschale Ausrede – Legitimation lässt sich hierzu wirklich nicht sagen – des Herrschaftskartells, einem Politkonkurrenten, dessen Aktien auf Gewinn stehen könnten, demokratische Spielregeln zu verweigern. Ihre epidemische Verbreitung belegt das argumentative Armutszeugnis einer Postdemokratie, die, statt um die Zustimmung der Bürger zu werben, ihre administrativen, justiziellen und vermeintlich verfassungsschützenden Kampfhunde von der Leine ließ.

Insofern hat es für Betroffene wenig Sinn, sich vor dergleichen Zuschreibung zu distanzieren. Ohnehin könnte – wie schon einmal vor drei Jahrzehnten – die Zeit kommen, da beglaubigen solche Stigmata zumindest einzelnen, tatsächlich Charakter gezeigt zu haben. Oder, Hand aufs Herz, wenn das, was unsere Zeitgeist-Politiker, -Medien, -Bürokraten, -Juristen, Staatsbüttel oder angepassten »Kulturschaffenden« momentan propagieren, links ist …

...Nein in dieses Lager gehören wir wirklich nicht.

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Günter Scholdt: Anatomie einer Denunzianten-Republik. Über Saubermänner, Säuberfrauen und Schmuddelkinder. Lichtschlag Buchverlag. Grevenbroich 2018. ISBN: 978-3-939562-83-2 € 18,90  Kindle: € 7,99

Ludwig von Elliott: Sitzung der Frankfurter Nationalversammlung im Juni 1848


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Über den Autor: Der Historiker Prof. Dr. Günter Scholdt war bis zum Ruhestand 2011 Leiter des Saarbrücker Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass. Veröffentlichungen u.a.: Autoren über Hitler (1993); Die große Autorenschlacht. Weimars Literaten sreiten über den Ersten Weltkrieg (2015); Literarische Musterung (2017).


 

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