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Günter Scholdt: ALLES GEGEN HÖCKE ODER JUSTITIA LEGT DIE BINDE AB


Sie haben es schon wieder getan: deutsche Richter, die sich offenbar eine Anwartschaft auf Nennung in einer zu schreibenden Epochenbilanz sichern wollen unter dem Titel „Buch der Schande“. Abermals wurde Thüringens Oppositionsführer Björn Höcke justiziell behelligt unter dem Vorwand, er hätte die SA-Losung „Alles für Deutschland“ agitatorisch genutzt. Eine rabulistische Gerichtspraxis, die kaum zulässt, Assoziationen zu früheren Willkürurteilen in Deutschlands dunklen totalitären Zeiten zu verdrängen. Denn besäßen wir noch eine intakte Rechtsordnung, hätte eine solche Anklage keine Amtsstube eines Staatsanwalts verlassen.


„Verstoßen nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist!“ Heinrich Kleist: Michael Kohlhaas (1810)

Natürlich dementieren ein oder zwei Fehlurteile nicht das Vorhandensein eines Rechtsstaats. Aber wo eine solche Entscheidung in maßgeblichen Justizkreisen wie der Öffentlichkeit nicht auf geballten Widerspruch trifft, wo ihr gar von vielen „Qualitätsmedien“ und Mainstream-Politikern (lustvoll) applaudiert werden kann, ist etwas strukturell ins Rutschen geraten. Wenn Carsten Fiedler, Chefredakteur von Focus-online, seinen systemfrommen Kommentar (Tendenz: „Warum dieses Urteil Höcke hart trifft – und genau richtig ist“) mit der reißerischen Schlagzeile beginnt, „So geht Rechtsstaat!“, sollte man ihn selbst die Grundschulklasse für Demokratie wiederholen lassen. Denn so, Herr Fiedler, geht Rechtsstaat gerade nicht, sondern höchstens ein postdemokratisch zersetzter.



Gern stelle ich mich dem erwartbaren Vorwurf, hier triebe jemand Gerichtsschelte als Wahlkampfhilfe für die AfD oder deren bevorzugten Watschenmann. Als Parteiloser aus Prinzip, der auch frühere Eintritts-Avancen angeblich „honoriger“ Parteien ausschlug, verhehle ich gewiss nicht, beim desaströsen momentanen Politkurs parlamentarische Minimalst-Hoffnungen allenfalls mit einigen AfD-Vertretern zu verbinden. Doch nicht daher rührt meine tiefe Empörung über das justizielle Satyrspiel von Halle. Das anzunehmen, hieße einen fundamentalen Skandal zu bagatellisieren.


Stattdessen rate ich allen im Land sich wieder der zentralen Bedeutung einer unbeschädigten Justiz zu besinnen. Schließlich konstatierte bereits Kirchenvater Augustinus vor rund 16 Jahrhunderten: „Fehlt einem Staat die Gerechtigkeit, was ist er dann anderes als eine große Räuberbande!“ Und es gibt nun mal Fehlurteile, die rechtlich Dämme einreißen oder das Vertrauen in den Staat erschüttern. Bei einem erheblichen Teil des Volkes ist dies bereits geschehen. Und selbst einer Minderheit derer, die vom Höcke-Bashing leben, dämmert wohl inzwischen, dass, wo solche Urteile ergehen, wir eigentlich vor keinem Gerichtsspruch mehr sicher sind. 


Allerweltsformel und Geschichtswissenschaft


Was macht die Halle-Prozesse so spektakulär und exemplarisch, dass es angebracht wäre, ihnen (in Print- oder Digitalversion) eine ausführliche Dokumentation zu widmen, was hoffentlich noch einmal geschieht? Rein sachlich die substanzlose Beschuldigung, die sich von der richterlichen Nachweispflicht für Straftaten und dem Grundsatz „In dubio pro reo“ weitgehend verabschiedet. Ich resümiere nur Weniges von dem, was bereits vielfach im Netz kursiert (nur stellvertretend: Michael Klonovsky: acta diurna 15.5.2024; Ansgar Neuhof: Achgut 13.5.24; Tichys Einblick, 9.7.24).

 

Zunächst einmal hatten Nazis für diese Losung keinen Alleinanspruch. Sie wurde vielfach vor oder nach der NS-Herrschaft anderweitig genutzt (vom bayrischen König über Bismarck bis zum SPD-nahen „Reichsbanner“, diversen Feuerwehren, einer Fußballergattin oder Kanzler Schröder). Zudem war die Formel im Trias-Verbund ohnehin entschärft und korrespondierte mit dem regionalen Motto: „Alles für Sachsen-Anhalt“.


Jeder Grundlage entbehrt die gerichtliche Unterstellung, dem Angeklagten müsse die SA-Kontamination und Strafbarkeit einer solchen Allerweltsformel bekannt gewesen sein. Die Annahme, Geschichtslehrer wüssten dergleichen, zeugt, wenn nicht von Schlimmerem, von purer Ahnungslosigkeit. So der prominente Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter, fraglos NS-Spezialist und zudem Höcke-Verächter. Dennoch konstatierte er schneidend, das Gericht verstehe „nichts von Geschichtswissenschaft“, den „schier unermesslichen Fakten“ und Bücherbergen „über diese dunkle Zeit“, und ergänzte: „Ich bin mir sicher, dass 99 Prozent aller Geschichtslehrer (und ich schließe meine historischen Kollegen an den Universitäten dabei ein) vor dem Bekanntwerden der Strafbarkeit der Verwendung dieses Slogans nichts von seiner SA-Herkunft wussten.“ (Focus.online 16.5.24)


Auch ich bekenne solche „Ignoranz“, obwohl ich mich seit gut fünf Jahrzehnten mit dieser Epoche herumschlage und allein für mein (seinerzeit als Standardwerk klassifiziertes) „Autoren über Hitler“ ca. 30.000 Arbeitsstunden aufwandte. Und falls ich doch mal irgendwo davon las, vergaß ich es schnellstens, weil mir die Phantasie dafür fehlte, dass eine solche Slogan-Banalität bedeutsam wie besonders anrüchig sei oder gar einmal Gegenstand juristischer Denunziation werden könnte. Inzwischen pflege ich das Hobby, mein Umfeld, vor allem Fachkollegen, diesbezüglich zu befragen, und habe noch niemanden (!) gefunden, der das wusste.

 

Worte des Urbösen in Gera


Völlig verquer erscheint daher die Richter-Logik, Redner Höcke habe bei dieser allgemeinen Unwissenheit mit dem Spruch sein Publikum demagogisch verhetzen können. Der zweite Halle-Prozess steigert das Kafkaeske dieser richterlichen Scharade sogar noch. Mit welchen Worten hätte dieser angeblich „Urböse“ in Gera denn seine Anhänger über das Abwegige der Anklage informieren sollen, wenn er ihren Inhalt nicht erwähnen durfte, obwohl er vorsorglich noch „Deutschland“ wegließ? Da blieb ja nur völliger Verzicht auf öffentliche Erörterung, Kapitulation vor dem Obrigkeitsstaat, der anscheinend verlangt, selbst ein noch nicht gesprochenes bzw. erwartetes absurdes Urteil vorab zu respektieren. Lässt sich das Rederecht in einer politischen Debatte noch undemokratischer kastrieren – ganz davon abgesehen, wie hierzulande parlamentarische Immunität zur bloßen Farce verkommt?


Ein niveauvoll geführtes Landgericht, das frei von politischer Befangenheit und einem apparatschikhaften Selbstverständnis dem Recht dient, hätte zudem ernsthaft geprüft, wie sinnvoll oder obsolet eine solche Strafdrohung überhaupt noch ist. Hier fehlt der Raum, den historisch-mentalitätsmäßigen Hintergrund solcher (durch Nachkrieg, Reeducation und zuweilen schlichter Obsession stimulierten) Pönalisierung aufzuhellen. Auch die eingeschränkte Meinungsäußerungsfreiheit könnte ein verfassungsrechtliches Problem sein, da gleichzeitig die menschenverachtende Billigung von Massenverbrechen anderer politischer Couleur nicht strafbewehrt ist. Zudem muss der soziale Nutzen vieler Sprechverbote hinterfragt werden, die mehr mit polynesischen Tabu-Riten als Extremismus-Prävention zu tun haben. Und den Rubikon zwischen Sinn und Unsinn überschreitet, wer Menschen mit hohen Geld- oder Gefängnisstrafen belegt wegen Meinungsdelikten, die das Gros der Hiesigen überhaupt nicht als solche identifiziert.


In der Konsequenz läge es, künftig allen bei Erreichen der Strafmündigkeit eine mehrseitige Unterweisung auszuhändigen, welche Floskeln gerade mal wieder als kontaminiert gelten. Gesunder Menschenverstand hilft jedenfalls zur Klärung solcher Fragen wenig, worauf ein Leserbrief anspielt, den Klonovsky jüngst publiziert hat: „Es ist im besten Deutschland aller Zeiten nicht nur strafbar, gewisse Dinge zu sagen. Es ist jetzt sogar praktisch strafbar, gewisse Dinge nicht zu wissen. Das wird noch lustig werden angesichts des Zustands unserer Schulen.”


Monopol der richterlichen Weisheit

 

Weitere Ungereimtheiten zu Lasten des Angeklagten kommen hinzu. 2018 hatte die Staatsanwaltschaft Chemnitz ein vergleichbares Verfahren eingestellt mit der plausiblen Begründung, es handle sich um keine allgemein bekannte NS-Parole, der Wortlaut der Äußerung ergebe keinen solchen Bezug und Vorsatz sei nicht nachzuweisen. Halles Landrichter interessierte das nur insofern, dass sie schlicht behaupteten, von diesem und anderen Fällen, die übrigens alle eingestellt wurden, müsse Höcke zwingend von der Strafbarkeit Kenntnis gehabt haben. Eine richterliche Weisheit, für die sie gern ein Monopol behalten mögen. Meine akademischen Strafrechtslehrer allerdings hätten ihnen für diese Auslegung vermutlich den Seminarschein verweigert.


Sein Geschmäckle hat auch, dass statt des üblicherweise zuständigen Amtsgerichts eine große Strafkammer beim Landgericht die Sache verhandelte, was dem Beschuldigten eine Tatsacheninstanz nahm. Begründet wurde das mit der besonderen Bedeutung des Falles, wozu wenig passt, dass der Verteidiger-Antrag auf ein Wortprotokoll abgelehnt wurde. Hätte dies doch die Revisionsschrift wesentlich erleichtert und für die Öffentlichkeit manches Detail einer dubiosen Prozessführung offenbart. Befremdlich wirken zudem der unzulässige Eingriff von Richter Stengel in das letzte Wort des Angeklagten („Zur Sache. Keine Wahlrede“) und seine Erklärung im Gossenjargon: „Ob Sie Rechtsmittel einlegen, ist uns schnuppe.“ Belegt sie doch die Abgehobenheit einer politisch-medialen wie rechtsprechenden Klasse, die sich um allgemeine Akzeptanz ihrer Urteile kaum noch schert. Dass die Presse bereits vor dem Urteilsspruch unterrichtet war, rundet das Gesamtbild ab.


Insofern findet sich kaum Verächtlicheres als bigotte Beschwichtigungen, mit denen hiesige „gute Bürger“ ihr schlechtes Gewissen beruhigen: Vielleicht sei das Urteil juristisch etwas heikel, aber Höcke grundsätzlich alles zuzutrauen. So treffe es keinen Falschen. Was für eine jämmerliche, brandgefährliche rechts- und freiheitsfeindliche Spießermoral! „Fiat iustitia et pereat mundus“, lautete seinerzeit ein kaiserlicher Wahlspruch. Gerechtigkeit möge walten, auch wenn die Welt einstürze. Dagegen steht heute die peinliche Kapitulation vor dem veröffentlichen Vorurteil gegen jede Logik und Billigkeit in Analogie zu Lessings „Nathan“-Sentenz: „Macht nichts, der Höcke wird verbrannt.“ Welches Einfallstor für Despoten zeigt sich hier, denen man ein Passepartout zur Unterdrückung auf dem Silbertablett serviert! Welche Instinktlosigkeit! Denn schon aus Eigeninteresse sollten unsere Mainstream-Vertreter nicht sämtliche Rechtsanker lichten.


Tagespolitisierung des Rechts


Ewig dauert keine Herrschaft. Und selbst wenn die aktuell Dämonisierten nicht an die Macht gelangen, sondern bislang unterschätzte und gehätschelte Kräfte, könnte der Fall eintreten, dass man die gegenwärtig Führenden gleichfalls mal vor Gerichtsschranken zerrt. Man stelle sich etwa einen ernstzunehmenden Corona-Untersuchungsausschuss vor – nicht dessen momentane Karikatur –,  der rigoros nach Verantwortlichen für rechtswidriges oder korruptives Verhalten fahndet. Spätestens dann entdeckten heutige Sympathisanten einer Gesinnungsjustiz lamentierend wieder, dass Schuld zweifelsfrei nachgewiesen werden müsse. Und manche sehnten nostalgisch die Tage zurück, in denen sich die Justiz noch nicht gänzlich von Freund-Feind-Grundsätzen leiten ließ.


Die Urteile von Halle sind gewiss keine Einzelfälle, sondern nur Symptome für hundert andere, die von gewachsener Tagespolitisierung des Rechts künden. Für Halle gilt leider, dass Skeptiker die grotesken Entscheidungen bereits vorhersagen konnten. Auch liegen die Urteile so offensichtlich daneben, dass man sich fragt, welchen Propagandanutzen es haben soll, so schamlos die rechtsstaatlichen Hosen runterzulassen. Selbst der „taz“ wurde (um der negativen Wirkung auf die Öffentlichkeit wegen) ein wenig bange. Doch befinden wir uns anscheinend bereits in einem Stadium der Postdemokratie, in dem das Establishment glaubt, auf Bemäntelung bloßer Machtausübung weitgehend verzichten zu können.


Hier tobte ein als Gerichtsstreit getarnter Stellvertreter-Krieg gegen die einzig nennenswerte Oppositionspartei als Teil einer Kampagne, in der sich eine panisch gewordene politische Klasse vor massiven Wählerverlusten nicht mehr anders retten kann oder will. Hier vollzieht sich etwas, das auch international offenbar zur Tagesordnung gehört: Konkurrenten nicht mehr per Argument zu bekämpfen, sondern sie gerichtlich auszuschalten. Strafrecht als Politikersatz. Nachdem ich dies konstatiert hatte, erreichte mich als Beleg einer weiteren Eskalationsstufe die Nachricht vom jüngsten Coup unserer Innenministerin gegen Compact. Wer über beides noch lächelnd hinwegschauen kann, möge dies mit seinem Gewissen vereinbaren.


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Über den Autor:  Der Historiker Prof. Dr. Günter Scholdt war bis zum Ruhestand 2011 Leiter des Saarbrücker Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass. Veröffentlichungen u.a.: Autoren über Hitler (1993); Die große Autorenschlacht. Weimars Literaten sreiten über den Ersten Weltkrieg (2015); Literarische Musterung (2017) und Schlaglichter auf die „Innere Emigration“. Nichtnationalsozialistische Belletristik in Deutschland 1933-1945 (2022).



 


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