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Frank Böckelmann: WO STEHT 'TUMULT'? — NEUJAHRSBOTSCHAFT 2022

Aktualisiert: 9. Jan. 2022

Zum Jahreswechsel beantwortet der Herausgeber überfällige Fragen der Redakteure Benjamin Jahn Zschocke und David Reinhard.



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BJZ: Lieber Herr Böckelmann, in den Jahren 2015 ff. ist der Markt für alternative Medien stark expandiert und wurden der Hegemonie der Mainstream-Medien Grenzen gesetzt. Auch TUMULT ist in dieser Zeit sehr gewachsen. Ist unser Magazin ein Produkt des Kulturkampfs?


Im Jahr 2015 ereignete sich die zweifache Ungeheuerlichkeit, dass viele Hunderttausende Muslime Deutschland fluteten und eine Mehrheit der Deutschen gleichsam mit den Schultern zuckte: „Da war nichts zu machen …“ Oder: „Egal – was soll’s?“ Oder auch: „Gut so!“ Eine ansehnliche Minderheit aber lässt sich seit diesem traumatischen Ereignis von der Entgrenzungsdoktrin in den reichweitenstarken Medien nicht mehr beeindrucken, entgegen allen Erfahrungswerten der Massenpsychologie und Fernsehdemokratie. Erstaunlich genug, und ebenso der Befund, dass diese Minderheit in jedem Konfliktfall – Zuwanderung, Klima, Corona – unterschiedlich groß und unterschiedlich zusammengesetzt ist. Die Verleumdungspraxis mit den Prädikaten „fremdenfeindlich“, „wahnhaft“, „rechtsextrem“ stößt auf Granit – und entfaltet zugleich ihre ganze Durchschlagskraft bei einer Mehrheit der Deutschen. Diese erweist sich ebenfalls als unerschütterlich und mobilisierbar für Massenkundgebungen.


2015 war also das eigentliche Geburtsjahr der alternativen Medien – eine Verlegenheitsbezeichnung übrigens. Diejenigen, die sich im eigenen Land nun endgültig fremd fühlten, suchten Erklärung, Rechtfertigung, Rückenstärkung und Trost. Und manche von ihnen fanden ihrerseits Gefallen an moralischer Empörung über die Selbstgerechtigkeit einer Mehrheit, die ihre Sündenböcke – „uns“ – mit tendenziöser Berichterstattung und übler Nachrede bekämpfte. Ich habe diese Empörung niemals geteilt. Wie treuherzig oder autoritätsgläubig muss man denn sein, um Meinungsfreiheit und Fairness – Schiedsrichterqualitäten – ernsthaft einem böswilligen und von sich selbst völlig überzeugten politischen Gegner abzuverlangen?


Ich hatte 2013 zusammen mit Horst Ebner TUMULT als Periodikum gegründet, mit dem Untertitel „Vierteljahresschrift für Konsensstörung“. Den dabei unterstellten gesellschaftlichen Konsens bestimmten wir als epochal herangereifte Gewalt der Gleichschaltung und Botmäßigkeit im Zeichen „westlicher Werte“. Wir beschrieben eine postdemokratische Massenkultur zwanghafter Entleerung mit einem Anpassungsdruck, an den die Repressionsmittel der Bolschewiken und Nazis bei Weitem nicht heranreichten – denn gegen Postulate, die wir alle auf die eine oder andere Weise selbst verinnerlicht haben, ist Immunität schwer zu erlangen. (Doch möglich ist sie.) Ein großer Teil der sogenannten Konservativen will das nicht wahrhaben und umwirbt unverdrossen das gut liberale und gut weltoffene Bürgertum.


TUMULT profitierte vom 2015 ausgebrochenen Kulturkampf. Wir verdoppelten, ja verdreifachten unsere verkaufte Auflage, allerdings in den Grenzen, die einer Zeitschrift intellektuellen Zuschnitts gesetzt sind. In den folgenden Jahren begann in der erweiterten Gegenöffentlichkeit der Wettbewerb um Marktanteile. Von ihm wurde nur selten gesprochen; man zeigte in Krisensituationen Solidarität, auch deswegen, weil es die Anhängerschaft so erwartete. Die Platzhirsche in Berlin und Schnellroda witterten Morgenluft, arrondierten ihre Verbreitungsräume mit (weiteren) Magazinen und digitalen Plattformen, bauten ihren Veranstaltungsbetrieb aus und eröffneten Videokanäle. Große Blogs wie die Achse des Guten erhöhten ihre Reichweite. Und neue Mitspieler mit starken Kooperationspartnern fassten nun auch im Printbereich Fuß. In den Jahren 2017 bis 2019 bot der Zulauf zur nunmehr parlamentarisch gestützten Fundamentalopposition noch genug Spielraum für alle. Doch es verringerten sich bereits die Wachstumsraten – eine Folge des Wettbewerbs. Dann stutzten die Seuchenbekämpfungsmaßnahmen das Entfaltungspotenzial aller Beteiligten. Die Rivalität der Alleinvertretungsansprüche und Expansionskonzepte mündete in einen Verdrängungswettbewerb, erkennbar auch an einem gereizten Umgangston.


Denn die Ressource der Zuwendungsbereitschaft gegenüber Printmedien im Zeitbudget ist knapp – auch im Zustand der Internierung – und schrumpft weiter. Um sie wird heftig gerungen. Abonnenten kündigen geschätzte Zeitschriften, weil sie wenig Zeit zum Lesen finden. Mutmaßlich habe alle Marktteilnehmer gegenwärtig gewisse Einbußen hinzunehmen und versuchen, sie mit zusätzlichen Angeboten (Verlagsauslieferung, Podcasts, Videorunden) zu kompensieren.



BJZ: Wo steht TUMULT heute im Wettbewerb der alternativen Medien?


Da muss ich ein wenig ausholen. Das globalmoralische Gesinnungskartell der großen Sender und Blätter, der Altparteien und Massenorganisationen diffamiert die alternativen Medien nach Kräften und versucht zugleich, sie totzuschweigen – ein Verwirrspiel, das seltsame Blüten treibt. Die Verleumder richten über Magazine und Blogs, die selbst in Augenschein zu nehmen sie nicht für nötig oder für verwerflich halten. Täten sie es, würden sie erkennen, dass die originellen, die schürfenden und die hellsichtigen Geister heute auf der „rechten“ Seite schreiben. Ich will mir nicht selbst auf die Schulter klopfen. Auch in der Sezession, in CATO, in eigentümlich frei, in alten und neuen Wochen- und Monatsblättern wie Tichys Einblick, auf der Achse des Guten, auf publico und anderen großen Blogs finden sich bestechende Analysen. Ich jedenfalls finde sie regelmäßig. Was Autoren, Themen und Thesen betrifft, bescheinige ich diesen Organen beachtliche Kapazitäten.

Doch zugleich nehme ich bei ihnen Befangenheit wahr: die der Selbstinstrumentalisierung für ein bestimmtes politisches Konzept, ausgesprochen oder unausgesprochen, was wiederum bestimmte Feindseligkeiten und Unleidlichkeiten bedingt. Bei allen erwähnten Titeln und Plattformen handelt es sich um Kampagnenprojekte. Alle wollen auf die öffentliche Meinung im eigenen Lager und möglichst auch im Mehrheitslager Einfluss nehmen. Daher behandeln sie den möglichen Erkenntnisgewinn ihrer Publikationen als abhängige Variable ihrer jeweiligen Strategie. Die einen sind auf die Anschlussfähigkeit gegenüber dem konservativen Flügel der CDU/CSU bedacht, die anderen auf die Chancen einer „neurechten“ Sammlungsbewegung. Die einen achten auf das Wählerpotenzial der AfD, die anderen auf demonstrativen Abstand zu ihr. Wieder andere bekämpfen mit fast allen Mitteln bestimmte Strömungen in der AfD, um der Partei neue Wählerschichten zu erschließen. Die einen beschwören einen liberalen Konservatismus, die anderen Tradition und Heimat. Die einen wollen das Christentum revitalisieren, die anderen das Erbe der Aufklärung im säkularen Nationalstaat auffrischen.


Grundsätzlich wäre ein solches Mit- und Gegeneinander zu begrüßen, denn Zeitschriften hatten seit jeher Manifestcharakter und wurden von ihm getragen. Heute jedoch, in einer Phase der Diffusion aller Weltanschauungen und Begriffe, muss schonungslose Neuorientierung der Strategie vorausgehen. Der Nebel in und über Europa lichtet sich erst durch Erkundung des globalen Wandels (zur Plattformökonomie der Konzerne, zu einer neuen Großmächtekonstellation, zur „Befreiung“ ins Gleichförmige).


TUMULT verortet sich nicht auf der Links-Rechts-Achse, abgesehen davon, dass die Redaktion auf einen Weltzustand fortgeschrittener Entgrenztheit reagiert und sich in diesem Sinn als neoreaktionär versteht. Aber TUMULT hat einen dringenden Rat für patriotische und eurokulturelle Bewegungen und Parteien parat: sich ein Profil zu geben, das langfristig einleuchtet, indem es in „den großen Konflikten der Gegenwart und absehbaren Zukunft“ die Missachteten, Abgestiegenen, Eingedenkenden, Zugehörenden und Abgestoßenen zum Zusammenwirken einlädt. Diese Konflikte resultieren aus der zunehmenden Überbevölkerung in den Ländern mit der größten Migrationsbereitschaft, "dem Raubbau an unserer Erde und dem drohenden neoarchaischen Überlebenskampf, der absehbaren Demütigung Europas, dem Verlust der gemeinsamen Überlieferung und Erinnerung, dem Abgleiten der westlichen Welt in ein buntes Einerlei, der Ablösung des Homo sapiens durch reparaturabhängige Cyborgs" (TUMULT, Herbst 2020, S. 8).


Im Übrigen vergisst TUMULT nie den Faktor des Unkalkulierbaren, in Erinnerung daran, dass in der Entwicklung der letzten drei, vier Jahrzehnte das Unerwartete jeweils den Ausschlag gab – mitsamt den sinnverwirrenden Suggestionen des humanitären Universalismus, dem Kurzschluss zwischen Hypermoral und Konzernmacht.


BJZ: Die letzte Frage zielte auch auf die ökonomische Situation unserer Vierteljahresschrift.


TUMULT finanziert sich durch Abonnements, durch den Verkauf in den Presseshops der Bahnhöfe, aus unserem eigenen Bestelldienst und aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Dieses Fundament hat sich auf relativ hohem Niveau stabilisiert. Im pandemischen Ausnahmezustand stagniert es.

Die gedruckte Auflage hat sich bei 4.000 Exemplaren eingepegelt. Aus Gesprächen und Mitteilungen weiß ich, dass viele unserer Abonnenten zugleich andere Zeitschriften beziehen, mit deren Autoren und Positionen sie ebenfalls sympathisieren. Jene Leser, die TUMULT-spezifisch vor allem auf Erkenntnis (und weniger auf die Kräftigung ihres Wir-Gefühls) erpicht sind, machen in unserer Leserschaft vermutlich nur eine Minderheit aus. Bei Freunden und Gegnern gilt TUMULT somit hauptsächlich als Lager-Organ. Wir regen uns aber darüber nicht auf. Jede Wendung der Dinge bringt neue Gelegenheiten, im toten Winkel der öffentlichen Wahrnehmung zu stöbern und uns selbst und die Leser zu überraschen.

Die Entwicklung des Magazins folgt keinem Masterplan, sondern der Eingebung, den Zulauf von Konsorten eingeschlossen. Unser Agens und unser Faible ist das Unerwartete.



BJZ: Wie haben Sie die Zeit der Lockdowns erlebt? Als Klausur oder als Aufenthalt in einem goldenen Käfig?

Zur Eindämmung der Corona-Pandemie wurden Maßnahmen der Isolierung und Internierung erprobt, auf die wir unbewusst schon lange gefasst waren. Ich erinnere mich, dass meine Tagträume in den frühen sechziger Jahren immer wieder zu einer Megalopolis der Zukunft wanderten: zu breiten Turmbauten mit komfortabel ausgestatteten Wohnzellen, in denen anonyme Individuen und Kleinfamilien steckten, gut versorgt von Lieferdiensten und Telemedien. Versetzte ich mich in die Lage der Insassen, überkam mich eine Art von behaglichem Schauder. Und im alten TUMULT mit dem Untertitel Schriften zur Verkehrswissenschaft erschien 2012 ein Band mit dem Titel „Container – Containment“, in dem der belgische Philosoph Lieven De Cauter ausführte, dass unsere „Netzwerkgesellschaft“, die sich ihrer Offenheit rühmt, aus Knotenpunkten besteht, die Kapseln gleichen. Ja, ich erlebe unsere Halb-, Quasi- und Total-Lockdowns wie eine zugleich erzwungene und ersehnte Verkapselung, auch als Vorbereitung auf eine digitalisierte Zukunft, in der wir unsere Wohnung nicht mehr verlassen müssen, weil wir ja ohnehin schon überall sind. Der Lockdown entlastet uns von vielen anstrengenden Aktivitäten und Kontakten, bei denen vor allem leeres Stroh gedroschen wird. Man leidet unter der Isolierung und hofft im Stillen, dass sie noch lange andauert – jene Eltern ausgenommen, die umtriebige Kinder in Quarantäne beschäftigen müssen. Hochgradige Ambivalenz. Es ist doch symptomatisch, dass die erzwungene Distanzierung nicht durch mehr Telefongespräche kompensiert wird. Nein, man telefoniert weniger und schreibt weniger E-Mails als vorher. Bei mir persönlich überwog das Gefühl des Eingesperrtseins.


Es spielt übrigens keine Rolle, ob die COVID-19-Pandemie unerwartet, schicksalhaft über uns gekommen ist oder ein in die Tat umgesetzter Plan war. Auch eine geplante Pandemie würde in ihrer unkontrollierbaren Entwicklung den Urhebern entgleiten, ganz abgesehen davon, dass die Ausführung eines weltumspannenden Vorhabens sehr vieler Mitwisser bedurft hätte und einige von ihnen garantiert nicht dichtgehalten hätten. Aber wie auch immer: Nachdem das Virus sich verbreitet hatte, wurde die Epidemie unvermeidlich zu einer Inszenierung – zu einer Inszenierung von disziplinarischen Konzepten, vertrauensbildenden Maßnahmen und Bewältigungsstrategien. Zweckbündnisse mit Pharmakonzernen und globalen Organisationen mussten und müssen legitimiert, Missmanagement muss schöngeredet, Unfolgsame müssen diskriminiert werden.


Daher lässt sich die Pandemielage auch nicht „wissenschaftlich objektiv“ erfassen und alternativlos bewältigen. Ihre Ausdeutung ist von Anfang an politisch umkämpft und sodann vor allem eine Beute der hegemonialen Kräfte. Ob man das Virus und seine Mutationen sich ausrasen lässt und eine komplette Durchseuchung – als letztlich kleineres Übel – anstrebt oder zwischen mehr oder weniger schützenswerten Gruppen und Branchen unterscheidet, ist eine politische Entscheidung. Aus demselben Grund hat auch der Widerstand gegen Massenimpfungen und andere Maßnahmen immer mehrere, nämlich politische Motive und lässt sich nicht auf Unvernunft, Verstocktheit, Ideologie, „Staatsfeindschaft“ oder „Hass und Hetze“ reduzieren.


Die Renitenten präsentieren den Regierenden und Ordnungskräften immer zugleich eine Rechnung für die Systemlogik, die schon seit Jahren waltet und nun auch die fahrigen Entscheidungen für diese oder jene Hygieneverordnung bestimmt. Folglich lässt sich der Widerstand durch Einbläuen der einen, wahren, überzeugenden Vernünftigkeit nicht kleinkriegen.



BJZ: Sie sind in diesem Jahr 80 geworden: Wie kann man sich einen durchschnittlichen Arbeitstag bei Ihnen vorstellen?


Ich lege mir jeden Morgen einen Arbeitsplan zurecht, aber regelmäßig wird er durchkreuzt. Jeder Tag konfrontiert mich mit unerwarteten Aufgaben und Chancen, sodass ich kaum jemals zur ersehnten Routine finde. Durchschnittliche Arbeitstage gibt es nicht, nur eine durchschnittliche Arbeitszeitdauer von rund zehn Stunden, auch an Sonn- und Feiertagen. Seit etwa fünf Jahren habe ich keinen einzigen freien Tag, auch nicht im Urlaub und beim Wandern (mit iPad). Nähme ich mir einen, hätte die Säumigkeit Folgen, zumindest die von Mehrarbeit am nächsten Tag. Über diesen Tumult klage ich nicht. Er ist das Lebenselixier des Projekts. Fast immer sind irgendwelche Texte zu schreiben. Nach dem Aufwachen kann ich am besten formulieren, also arbeite ich zwei, drei Stunden im Bett, hetze zum Telefon, wenn es läutet, und lasse mich wieder fallen. Daher frühstücken meine Frau und ich meist erst gegen elf Uhr. Dann arbeite ich die E-Mails, die Telefonate und die Briefpost ab. Spätestens jetzt wird meine Agenda zu Makulatur. Irgendein Angebot oder organisatorisches Durcheinander zwingt mich zur überstürzten Improvisation. Dabei handle ich stets nach der Regel: das Lästige, Unangenehme zuerst, meist etwas Organisatorisches oder Finanztechnisches oder eine Auflistung von Adressaten, eine Beschwerde oder das Aufzählen von Gründen, warum wir einen bestimmten Text erst später oder gar nicht bringen können. Anschließend versuche ich spazieren zu gehen, vorzugsweise mit meiner Frau, ansonsten gedankenverloren, wobei ich stets einen Zettel zum Kritzeln bereithalte.


Es folgt die zweite Arbeitsschicht, häufig das Redigieren von Artikeln oder eben ein unvorhergesehener Noteinsatz. Irgendwann in den Stunden zwischen 18 und 21 Uhr essen wir zu Abend. Auch hier ist keine Festlegung möglich. Manchmal gibt es dann noch Termine, Gespräche, Treffen – pure Sabotage an der erwünschten Routine. Unverzichtbar ist es, nicht durchzuarbeiten, sondern einige Stunden lang den Kopf leerzumachen, damit sich Ideen, Worte, Ahnungen einfinden können. Deswegen verbringe ich nach dem Essen gern einige Stunden meditierend im Heimkino oder mit Lesen. Der Schwamm muss sich vollsaugen, bevor er wieder gedrückt wird. Gegen 22 Uhr, 23 Uhr dann die dritte Schicht. Befriedigung über das Vollbrachte fördert unbeschwerten Schlaf.



DR: Wovon wurden Sie als Herausgeber zuletzt freudig überrascht?


Vom Interesse der jungen Gründer – bei Krautzone, Anbruch und Freilich – an TUMULT und mir. Und vom Erkundungsdrang und der Sprachkraft junger Autoren, die TUMULT ihre Texte anvertrauen.




DR: Kommen die besseren Texte als Auftragsarbeiten oder unverhofft zu Ihnen?


Unter herausragenden Artikeln befinden sich viele Auftragsarbeiten und auch manche unverlangt eingetroffene. Aber die meisten TUMULT-Beiträge gehören einer dritten Kategorie an. Viele unserer Stammautoren nämlich treten jeweils mit ihrem Thema an mich heran und lassen sich, wenn ich nicht akzeptiere, nur schwer oder gar nicht zu einem anderen Thema überreden. Sie sind eben keine Journalisten. Ich fungiere somit oftmals als beauftragter Redakteur. Allerdings nehmen die meisten Stammautoren meine Erwartungen schon vorweg beziehungsweise wissen, was die Uhr geschlagen hat. So ergibt sich ein Wechselspiel des Erwartens und Überredens.




DR: Welchem der in Ihrem Arbeitszimmer hängenden Bildmotive fühlen Sie sich während der redaktionellen Arbeit am nächsten?


Nach wie vor dem Büroangestellten, der auf Edward Hoppers Gemälde Office in a Small City vom Schreibtisch aus über den Ort blickt. Kunststück, das Bild hängt über dem Fernsehgerät. Aber dort eben auch nicht zufällig.




DR: Nicht nur an Weihnachten sehnen sich gerade die Deutschen nach Harmonie. Wie gesund ist Konsensstörung als Dauerzustand?


Zeit meines erwachsenen Lebens hat mir nur die Konfrontation mit der ganzen Realität, das bedeutet: der bestürzenden Realität, innere Ruhe gegeben. Weil nur sie mich auf alles gefasst macht. Der herrschende Konsens ist weit mächtiger, als die anti-woke Résistance es sich gewöhnlich eingesteht. Denn in ihm sind Liberalismus und Sozialismus zur Massendemokratie verschmolzen. Das sogenannte Woke Capital wurde bereits in den 1960er Jahren ausgebildet, in den USA bereits in der Zwischenkriegszeit. Damals schmückte sich der Massenkonsum mit Hedonismus. Heute hat uns die Symbiose von Konzernmacht und Hypermoral im Griff. Ihre Sackgassen, Kreisbewegungen, Leerläufe offenbaren sich erst in ihrem totalen Sieg. Illusionen – etwa die weit verbreiteten über Demokratie, Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung, Chancengleichheit und Vielfalt – machen uns gefügig. Konsensstörung ist ein bewährtes Stärkungsmittel.




DR: Wie feierlich begehen Sie den redaktionellen Abschluss einer jeden neu entstandenen Ausgabe?


Nicht feierlich, doch hochgestimmt. Jedes Mal habe ich das Gefühl, das bisher beste Heft komponiert zu haben – bis die Stammautoren das Heft einer Generalkritik unterziehen.




DR: Welches war das schlimmste Lob, das Sie als Herausgeber jemals zu hören bekamen?


Das des Rezensenten Michael Buselmeier, der mir unterstellte, dass ich mich immer als Teil der Avantgarde habe fühlen wollen und deshalb heute von rechts aus provoziere, weil der Zeitgeist heute eben weit links stehe. Er deutete also meinen Gesinnungswandel in den letzten vierzig Jahren als Ausdruck von Renommierbedürfnis – wie es übrigens auch mein Bruder in München zu tun pflegt.




DR: Was gibt es heute zum Glück, das es zu TUMULT-Gründungszeiten nicht gab?


Die Genugtuung, auf der souveränen Seite zu stehen – nämlich die Mehrheitler besser zu verstehen, als diese sich selbst verstehen. Die TUMULT-Gründungszeiten, wohlgemerkt, waren die Jahre 1978-1980.




BJZ und DR: Sie sind jetzt 80 Jahre alt. Hat TUMULT überhaupt Zukunft?


Ich halte Ausschau nach einem Nachfolger, der wirtschaftlich und intellektuell unabhängig ist und unser vogelfreies Unternehmen fortführt.






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