2016 ging die Serie 'The Young Pope' des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino auf Sendung, in der Jude Law den - fiktiven - ersten nordamerikanischen, dazu überraschend konservativen Papst Pius XIII. verkörpert. Nun, da eine Fortsetzung unter dem Titel 'The New Pope' ansteht, wirft die Dresdner Romanautorin Eva Rex einen faszinierten Blick zurück auf den ersten Serienteil und einen eher skeptischen voraus auf die Nachfolgeproduktion.
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Wenn Papst Pius XIII vor der Menge der auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen die drohenden Worte hinausschleudert: "Was haben wir vergessen? Wir haben Gott vergessen! Es gibt keinen Platz für irgendetwas anderes, keinen Platz für freien Willen, kein Platz für Freiheit, kein Platz für Emanzipation!", dann horcht man auf. Wer ist das, der da spricht? Was will er uns sagen?
Die Rede ist von der Mini-Serie "The young Pope" von Oscar-Preisträger Paolo Sorrentino, die vor drei Jahren von HBO produziert und auf dem Bezahlkanal Sky ausgestrahlt wurde. Wenn Pius XIII, der eine Art Gegen-Franziskus ist, mit eisernem Besen homosexuelle Umtriebe im Vatikan bekämpft, wenn er den Missbrauchsskandal auf eigenwillige Art löst, indem er kurzerhand Homophilie mit Pädophilie gleichsetzt, wenn er strikt gegen Abtreibung vorgeht ("Aus einer Sünde darf man kein Recht ableiten") und alle Errungenschaften des Zweiten Vatikanums selbstbewusst zurückdreht, reibt sich der Zuschauer verwundert die Augen und wähnt sich im sprichwörtlichen "falschen Film". Und wenn dieser Papst, der von everybody's darling Jude Law verkörpert wird und mit ungeheurem Sex-Appeal daherkommt, auch noch die Schlagwörter der modernen Aufklärung zunichte macht ("Brüder Kardinäle, Von diesem Tage an wollen wir alles, was bisher weit offen war, hermetisch verschließen. Evangelisierung? Hatten wir schon. Der ökumenische Gedanke? War gestern, interessiert nicht. Toleranz? Die wohnt hier nicht mehr."), spätestens dann fragen wir uns: Wie ist so viel politische Unkorrektheit möglich?
Es kann nur eine Erklärung geben: Es muss sich um eine Parodie, eine Persiflage handeln. Wir haben es, denkt man sich, mit einem besonders subtil ausgearbeitetem Kirchen-Bashing zu tun - eine Abrechnung mit den Machenschaften der Vatikan-Mafia, eine Decouvrierung der Oberflächlichkeit katholischen Pomps. Und tatsächlich ist dies auch die übereinstimmende Lesart der allermeisten Kritiker: Da steht die scheinbare Machtbesessenheit des jungen Papstes im Vordergrund, Vergleiche zu "House of Cards" werden bemüht, Pius XIII., heißt es, sei ein Egomane, der mit blindem Fanatismus wütet und andere erniedrigt, ein Dogmatiker, ein einsamer Herrscher, der niemandem vertraut, ein kaltblütiger Stratege. Mit Trump ist der junge Papst verglichen worden, mit Savonarola - ein despotischer Narzisst, der in Wirklichkeit keinen Glauben hat, ihn aber von anderen erzwingt. Man fragt sich aber auch: Ist das schon alles oder gehen wir hier einer besonders perfiden, weil subtilen Blasphemie auf den Leim? Ist es ein diabolisches Spiel mit der Irreführung, dem wir ausgesetzt werden?
Allerdings wäre es zu einfach, lediglich das Spektakuläre dieses Films hervorzuheben. Wer "The Young Pope" als eine Riesengaudi mit gepfefferten Dialogen versteht, als einen effektvollen Kostümfilm mit hinreissender Ästhetik, als eine surreale Pop-Oper, der verkennt dessen theologischen und philosophischen Gehalt. Es ist bezeichnend, dass die meisten Rezensenten auf diesem Gebiet blind und taub sind, im wahrsten Sinne des Wortes "religiös unmusikalisch". Denn dieser Film ist, ob beabsichtigt oder nicht, ein subversives Glaubensbekenntnis von starker Symbolkraft. Neben den vielen windungsreichen Einzelgeschichten, die in die Haupthandlung eingeflochten werden, und die sich zu einem faszinierenden Mosaik voll poetischer Momente zusammenfügen, schälen sich Inhalte von großer Bedeutsamkeit heraus, die Aufschluss geben über den Zustand der Welt und insbesondere über die Krise des Abendlandes.
Da ist zunächst die spirituelle Dürre in der liturgischen Praxis der katholischen Amtskirche. Demokratische Mitbestimmung und Bedürfnisorientierung haben die Kirche, statt ein Ort der Offenbarung zu sein, zu einer überdimensionalen Selbsthilfegruppe und sozialen Begegnungsstätte verkommen lassen, zu einem organisierten Wunschkonzert. "Beten sollte keine Liste von Forderungen sein" gibt Pius XIII. der jungen Esther mit auf den Weg, die schwanger werden will und im Gebet nach den richtigen Worten ringt. Bittere Ironie unserer Gegenwart ist indes, dass Wunscherfüllung schon längst keine Zufriedenheit mehr garantiert, sondern nur die Forderungsspirale weiter anzieht, während dem eigentlichen Bedürfnis des Menschen nicht einmal im Ansatz Rechnung getragen wird - dem nach Mystik und Transzendenz, nach der Begegnung mit Gott. "Dort draußen muss jeder Mensch lernen, dass es große Opfer, dass es Leiden erfordert, Gott zu finden", lehrt uns ein mit seinem Schmerz ringender Pius XIII.
"Es ist zu einfach, sich mit Gott verbunden zu fühlen, während des Sonnenuntergangs. Sie müssen ihn in der Finsternis der Nacht und der Kälte finden. So wie ich."
Ferner ist da die Ich-Versessenheit der Moderne, die Vergöttlichung des Individuums, die Fixierung auf das Abbild, das die Seele ersetzt. "Ich bin niemand, es geht einzig und allein um Christus! Ich habe auch kein Bild, weil ich niemand bin. Verstehen Sie? Niemand. Ausschliesslich Christus existiert. Ausschliesslich Christus!» klärt der junge Papst die entgeisterte PR-Beraterin auf und entzieht sich auf diese Weise der eigenen Verfügbarmachung durch Merchandising-Produkte. Und doch ist Pius XIII. nicht frei von Eitelkeit. Er ist sogar, neben manch einem selbstverliebten Kardinal, der eitelste von allen. Gleichwohl kämpft er mit dieser seiner Schwäche, die sich in seiner Person als Stärke erweist. "Abwesenheit ist Anwesenheit" ist seine Beschwörungsformel - was nicht ohne narzisstisches Kalkül ist. Pius XIII. will unsichtbar sein, um seine Kirche umso mehr ins Licht zu rücken. Er will Gott in den Mittelpunkt stellen und stellt sich nolens volens ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Er will Christus dienen und zelebriert sich selbst als Gott, was ein Widerspruch ist.
Das Widersprüchliche ist Teil und gleichzeitig Thema des Films. Denn dieses gehört zum Menschen, zum Glauben, zur Religion. Ein Mensch ohne Widersprüche ist einfältig, eine Religion ohne sie eine Sekte, ein politisches System, das zu hundert Prozent in sich stimmig ist, eine totalitäre Ideologie. Auch ein Heiliger, als welcher sich am Ende Pius XIII. herausstellt, ist nicht ohne Widersprüche, sonst wäre er ein Scharlatan.
Und schließlich der letzte und wichtigste Punkt: die Schuld. Allen emanzipatorischen Freiheitserfolgen zum Trotz, hat sich das Bewußtsein der eigenen Schuld nicht, wie es die Hoffnung der Aufklärer war, in Luft aufgelöst, es ist eine anthropologische Konstante geblieben. Zwar gilt die Lehre von der Erbsünde als überholt, sie kommt aber stets durch die Hintertür wieder hinein, was besonders eindrucksvoll in der Klima-Hysterie oder im Selbsthass des fanatischen Anti-Rassismus zu besichtigen ist. Heilssehnsüchte und das Verlangen nach Gnade sind Eigenschaften, die auch im modernen Menschen immer noch tief verwurzelt sind, sie sind durch säkulare Erlösungsversprechungen nicht zu befriedigen. Profanisiertes Büßertum durch CO2-Ablasshandel und kulturelle Selbstabschaffung können nur das Gegenteil bewirken.
Warum bringt Sünde Sünde hervor? Diese Frage bekommen wir im Film mehrmals zu hören. In der modernen Auffassung hat die Sünde ausgedient, es gibt keine persönliche Schuld mehr. Wenn überhaupt, kommt sie nur noch im Kollektiv vor: Die Schuld des alten, weissen Mannes. Die Schuld des Westens. Die Schuld der Deutschen. Der Einzelne hingegen wird durch seine soziokulturelle Determiniertheit entlastet. An der Last seines eigenen Gewissens trägt er unterdessen schwer. Machen wir uns nichts vor: Schuldig werden wir vor Gott und nicht vor den Menschen. Auch nicht vor der Natur. Deshalb kann nur Gott uns vergeben, nicht die Menschen.
Letzten Endes geht es um die zentrale Menschheitsfrage, die zur entscheidenden Frage des 21. Jahrhundert werden wird: Wie wollen wir mit unserem Gewissen - mit dem persönlichen Gefühl, fehlerhaft zu sein - umgehen? Schmerz unter allen Umständen zu vermeiden, bringt neuen Schmerz hervor, das haben "Menschheitsexperimente" in den letzten Jahrhunderten immer wieder bewiesen. Pius XIII. scheut sich nicht, schmerzhafte Entscheidungen durchzusetzen und die daraus erwachsenden Folgen zu tragen. Genau das erwartet er auch von seinen Kardinälen. Und von den Gläubigen. Denn nur wer mit der Last seiner Verantwortung umgehen kann, kann sich wirklich erwachsen nennen. In einer der ergreifendsten Szenen sehen wir, wie der abgebrühte und mit allen Wassern gewaschene Kardinalstaatssekretär Voiello seinen geistig behinderten Pflegesohn Girolamo an sich drückt und weint: "Solange wir nach etwas streben, (sind wir) unrettbar zur Sünde verurteilt (...) Deswegen brauche ich dich, du bist meine Oase, meine Rettung. Du, Girolamo, du bist als einziger auf der Welt ohne Sünde, du ganz allein, Girolamo, du kannst das Heilige berühren, du, der nichts weiß ..." Die Schuldfrage gehört zurück in den Zuständigkeitsbereich der Religion, sonst schafft sie nur Ersatz- und Säkularreligionen.
Bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig hat Sorrentino die Fortsetzung seiner Serie mit dem Titel "The New Pope" präsentiert. Hollywood-Star John Malkovich verkörpert darin den neuen Papst, Jude Law hat abermals die Rolle des Pius XIII. übernommen, der aus dem Koma erwacht ins Leben zurückkehrt. Ein Termin für die Ausstrahlung ist noch nicht bekannt. Der bereits veröffentlichte Teaser jedoch, in dem Jude Law im weißen Slip vor sich räkelnden Bikini-Girls zu sehen ist, erregt Unbehagen. Dass ein Bürgerschreck wie Marilyn Manson mitspielt, auch. Was kommt da auf uns zu? Eine Verballhornung ganz großen Stils oder eine Epiphanie? Womöglich hat das Ganze sogar satanischen Charakter? Wir wissen es nicht. Ihre Mehrdeutigkeit machen Sorrentinos Filme zu Kunstwerken. Er ist und bleibt unbequem, denn er ist kein Auftragskünstler der Reaktionäre, aber auch nicht der Liberalen. Er ist einer der rätselhaftesten Regisseure der Gegenwart - das wahrhaftige Alter Ego seines jungen Papstes. Das wenige, das Sorrentino vor der Presse hat verlauten lassen, macht skeptisch: Vor dem potentiellen Extremismus in der Religion will er warnen, etwas, was gemeinhin dem Islam zugeschrieben wird, was aber in jeder Religion auftreten kann - auch im Katholizismus. Das ist unbequem, aber gewiss notwendig. Gerade für uns Traditionalisten und Konservative. Deshalb seien wir gespannt und freuen wir uns auf seinen neuesten Streich.
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