Der afrikapolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Dietmar Friedhoff plädiert in dem im Juli erschienenen Bändchen “Denken wir Afrika” für eine Kehrtwende deutscher Entwicklungspolitik. Er fordert die Abkehr von einer Entwicklungshilfeindustrie, die Abhängigkeiten erzeugt und deren Geldströme zu großen Teilen in den Bürokratien der Geber- und Nehmerländer und den Taschen korrupter Eliten versickern. Friedhoff fordert eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu beiderseitigem Nutzen. Grundsätze einer konservativen Entwicklungszusammenarbeit wären für ihn “Besinnung auf das Eigene, das Nationale, das Lokale, auf Eigenverantwortung und Selbstbestimmung.”[1]
Herkömmliche Entwicklungshilfe muss als “Transfer des Geldes der Steuerzahler eines Geberlandes in die Hände der Regierenden eines Empfängerlandes” betrachtet werden, so lautet vereinfacht die Theorie des 2002 verstorbenen britischen Entwicklungsökonomen Peter Thomas Bauer. Rainer Hank, der sich kürzlich in einem Artikel in der “Weltwoche” auf den liberal-konservativen Lord Bauer bezieht, beschreibt die internationale Entwicklungspolitik als Tummelplatz von Planwirtschaftlern, die der Meinung seien, Protektionismus, Preiskontrollen und zentral geplante Wirtschaftspolitik müssten einen Wachstumsschub auslösen.[2] Geschehe dies nicht, läge dies daran, dass nicht genug Geld in die Hand genommen werde. Geld, von dem nachgewiesenermaßen nur 13 Cent eines jeden Dollars bei den Hilfebedürftigen landen.
Der Cambridge-Ökonom Bauer entgegnet den Anhängern der Lehre, dass der Teufelskreis der Armut nur mit Geld von außen durchbrochen werden könne, dass "Geld zu haben, das Ergebnis wirtschaftlicher Anstrengungen sei, nicht deren Voraussetzung."[3]
Friedhoff weist anhand von Beispielen eigener Anschauung auf die verheerenden Folgen fehlgeleiteter oft paternalistischer Entwicklungshilfe hin, die eine Kultur der Abhängigkeit erzeugt und nicht selten allgemeine Initiativlosigkeit zur Folge hat. Diese Erkenntnis scheint inzwischen auch in den Nehmerländern gewonnen worden zu sein. So wird Ruandas Präsident Paul Kagame mit der Aussage zitiert: “Afrika braucht keine Babysitter. Je weniger sich die Welt um Afrika kümmert, umso besser geht es Afrika.”[4] Von demselben Präsidenten, der 2018 für ein Jahr zum Präsidenten der Afrikanischen Union gewählt wurde, erhält die chinesische Afrikapolitik hingegen großes Lob. Das chinesische Engagement in Afrika wird vielfach als Gegenmodell zur westlichen Entwicklungshilfe verstanden, da China den einzelnen Staaten nicht in ihre politischen Strukturen hineinredet oder etwaige Verletzungen der Menschrechte anprangert. Zumindest die Staatsoberhäupter und herrschenden Klassen scheinen sich von China als ebenbürtig behandelt zu fühlen.
Friedhoff warnt vor der Entwicklungspolitik der Chinesen, die wenig uneigennützig daherkommt und eindeutig neokolonialistische Züge trägt. Das Interesse Chinas liegt offensichtlich in der Ausbeutung der Rohstoffe und chinesische Entwicklungshilfe besteht in erster Linie in Projekten, die der infrastrukturellen Erschließung dienen und über die Verschuldung der jeweiligen Staaten finanziert werden. Chinas Außenminister Wang Yi erklärte 2017, dass China auf dem afrikanischen Kontinent zwischenzeitlich insgesamt 6.200 km Eisenbahnschienen und 5.000 km Straßen gebaut bzw. finanziert habe. Im Zeitraum von 2000 bis 2019 erhielten afrikanische Staaten chinesische Kredite in Höhe von 153 Mrd. US-Dollar. Angola als Spitzenreiter der Empfängerliste hält chinesische Kredite in Höhe von 42,6 Milliarden.[5]
So werden fast unauflösbare Abhängigkeiten geschaffen, da diese Infrastrukturprojekte hauptsächlich der Erschließung und dem Abtransport der Bodenschätze dienen. Gleichzeitig wird der afrikanische Markt mit chinesischen Konsumgütern überschwemmt. Was Afrika hingegen zur eigenen Entwicklung notwendig bräuchte, wäre der Auf- und Ausbau eines sekundären Sektors, eine eigene Industrie, in der Wertschöpfung stattfindet.
Als Barometer der Zweischneidigkeit chinesischen Engagements in Afrika kann das wachsende Ressentiment der afrikanischen Bevölkerungsgruppen den Chinesen gegenüber gelten. Man spricht inzwischen von einer Sinophobie, wie sie auch aus den Tigerstaaten Südostasiens bekannt ist.
Bereits die Erfahrungen der Deutschen Kolonialzeit hatten gezeigt, dass uns ein “Platz an der Sonne” teuer zu stehen kommt, wie schon 1899 von den antikolonialen Kräften des Kaiserreichs bemerkt wurde[6], noch bevor das Kapitel deutscher Kolonialgeschichte aufgeschlagen wurde, das zu den astronomischen Entschädigungsforderungen der Nama und Herero von heute geführt hat. Diese geschichtlichen Erfahrungen und die vielen Jahrzehnte wenig erfolgreicher Entwicklungshilfe könnten eigentlich zur Einsicht führen, dass ein Kurswechsel in der Entwicklungspolitik notwendig ist. Es würde dem deutschem Interesse eher entsprechen, den Schwerpunkt auf die Unterstützung deutscher Investoren in Afrika zu legen als auf die oft korrupten Machthaber und deren Bürokratien. Gleichzeitig müssten unsere nationalen Interessen auch da durchgesetzt werden, wo wir immer wieder in die Rolle derjenigen geraten, die für die imperialistischen und neokolonialen Kollateralschäden anderer Staaten den humanitären Ausgleich schaffen, indem wir uns berufen fühlen, die hierdurch verursachten Flüchtlingsströme aufzunehmen.
Eines der Hauptanliegen konservativer Entwicklungspolitik muss damit die Unterbindung der Massenmigration aus Afrika sein, die auf beiden Seiten Schaden anrichtet. Während man hier meint, “Fachkräfte” anzuwerben, deren Ausbildung, sofern überhaupt vorhanden, dann doch nicht unseren Standards entspricht, kommt es zu einem “Braindrain” in den Ländern, aus denen die Migrationsströme stammen, denn es sind ja in der Regel die besser Ausgebildeten, die Gesünderen, die jungen Männer und somit die humanen Ressourcen des jeweiligen Landes par excellence, die durch die Pullfaktoren der westlichen Staaten abgeworben werden. Jene Pullfaktoren, die dazu führen, dass Einwanderung oft Einwanderung in unsere Sozialsysteme bedeutet, die einen ähnlich lähmenden Effekt haben, wie eine Entwicklungshilfe, die nicht Hilfe zur Selbsthilfe ist.
Gleichzeitig müsste dringend der Bevölkerungsdruck als eine der Hauptursachen der Massenmigration aus Afrika gemindert werden. Zentrales Anliegen einer afrikanischen Entwicklungspolitik muss daher eine Bevölkerungspolitik sein, mit der die Staaten der Malthusianischen Bevölkerungsfalle entkommen können, in der das Wirtschaftswachstum von der noch schneller wachsenden Bevölkerung aufgegessen wird. Friedhoff zeigt auf, dass im Jahr 2040 nicht weniger als 40% aller Kinder in Afrika geboren werden.[7] Vielleicht sollten die Chinesen in diesem Punkt ihren Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent ausbauen und ihre erfolgreiche Einkindpolitik nach Afrika exportieren.
Tatsächlich wäre es eine elegante Lösung, übernähme China diesen Part, da es sich für uns aus moralischen Gründen problematisch gestaltet, eine Kreditvergabe an Bedingungen zu knüpfen, die gemäß unseren Wertvorstellungen als Einschränkung von Freiheitsrechten zu betrachten sind. Wir neigen eben dazu, wie auch bei Friedhoff deutlich erkennbar, Entwicklungshilfe von der Bereitschaft der Übernahme unserer Wertvorstellungen abhängig zu machen.
Wenn Friedhoff im letzten Kapitel des Bändchens “Denken wir Afrika” seine Vorstellungen von konservativer Entwicklungspolitik dahingehend ausführt, dass man afrikanische Auszubildende in deutschen Handwerksberufen ausbilden solle, um über deren Rückkehr in ihre Heimat deutsche Arbeitsmoral und handwerkliche Fertigkeiten in die afrikanischen Entwicklungsländer zu exportieren, ist das naiv gedacht und klingt zudem ein wenig nach “Deutschem Wesen, an dem die Welt genesen” solle. Wenn er dann noch darauf besteht, dass man nur mit den Ländern kooperieren sollte, in denen Dinge wie Genitalverstümmelung etc. unter Strafe gestellt sind, muss man sich die Frage stellen, ob das Recht auf Konservativismus hier nicht doch etwas einseitig verstanden wird. Wir erwarten von den Nehmerländern immer wieder auf die Verteidigung des Eigenen zu verzichten und Bräuche aufzugeben, weil wir diese für barbarisch halten.
Wer entscheidet, welche Bräuche als erhaltenswert zu gelten haben und welche nicht? Wo wird die Grenze gezogen? Wieviel Verstümmelung ist erlaubt? Liegt die Grenze genau dort, wo den Angehörigen mosaischen oder islamischen Glaubens Genitalverstümmelung noch erlaubt wird? Warum liegt diese Grenze nicht schon beim rituellen Befeilen der Schneidezähne, wie es bei den Bench in Äthiopien oder den Nyam-Nyam im Kongo der Fall ist?
Wenn man der Meinung ist, eine konservative Politik solle hier wie dort gelten, indem eben nationale und ethnische Eigenheiten im Sinne einer wirklichen Vielfalt respektiert und für erhaltenswert erachtet werden, müsste man nicht seinen missionarischen Eifer und damit den Export abendländischer Werte zügeln? Auf diese Weise könnte man sich auch glaubwürdig das Recht vorbehalten, den Import fremder Werte und Bräuche einzuschränken und auf einer eigenen Leitkultur zu bestehen.
Es stellt sich damit die Frage, ob Friedhoff die eingangs angeführten Kriterien für eine konservative Entwicklungspolitik wirklich ernst meint in dem Sinne, dass sie auf beide Partner einer Entwicklungszusammenarbeit Anwendung finden und damit wirklich zu einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe führen. Entweder verzichtet man auf den Werte-Export und versucht sich tatsächlich auf Augenhöhe zu begegnen oder man spricht den anderen das Recht auf einen eigenen Konservativismus ab und fordert von ihnen, sich unsere Werte zu eigen zu machen, womit man doch wieder im Paternalismus landet. Hier finden sich meines Erachtens grundsätzliche Widersprüche.
Vielleicht ist ja alles nur eine Frage des Machtgefälles und Zusammenarbeit auf Augenhöhe nur dort möglich, wo man sich auch tatsächlich auf Augenhöhe befindet, die doch immer das Ergebnis ähnlichen Wuchses ist. Man versucht dort ein fremdes Wertesystem zu manipulieren, wo man es eben kann. Eingriffe in die “Freiheitsrechte” und die körperliche Unversehrtheit, sogenannte Biopolitik, sind schon immer und überall als Zeichen der Unterwerfung Begleiterscheinungen von Macht und Herrschaft gewesen. Wir erfahren es ja seit eineinhalb Jahren am eigenen Leib. Warum sollte eine Genitalverstümmelung verwerflicher sein als eine Zwangsimpfung oder Genmanipulation? Warum sollte das Wegschließen von Frauen verachtenswerter sein als das Wegschließen einer ganzen Gesellschaft?
Eine Gesellschaft, die sich derartiges gefallen lässt, kann schlecht mit dem Finger auf die Einschränkung von Freiheitsrechten und Eingriffen in die körperlichen Unversehrtheit zeigen und diesbezüglich Forderungen stellen. Vielleicht befinden wir uns ja doch auf Augenhöhe...
[1]Dietmar Friedhoff “Denken wir Afrika” Bad Schussenried 2021 S.21 [2]Rainer Hank “Arme Westler bezahlen für Drittwelt-Eliten” Weltwoche Nr. 36.21 S.50f [3]ebenda S.51 [4]Paul Kagame zitiert von Friedhoff S.68 [5]Friedhoff S.85f [6]https://de.m.wikipedia.org/wiki/Platz_an_der_Sonne [7]Friedhoff S.113
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Über die Autorin:
DÖRTHE LÜTJOHANN, geb. 1966;
Studium und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Freiburg.
Magistra der Politikwissenschaft und Ethnologie.
Lesende Hausfrau und Mutter dreier Kinder.
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