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Christian J. Grothaus: WANDERUNGEN IM GE-STELL - Die Architekturmaschine

Architektur: von der Königin der Kunst zum binärkodierten Bild innerhalb von Rechenmaschinen. An einer ehemaligen Zunft lässt sich der Siegeszug der Kybernetik trefflich nachzeichnen und zugehörig die bedingungslose Kapitulation vor dem Sachzwang des Ge-Stells. Diese Kolumne wird Spaziergänge auf den Schlachtfeldern der Moderne dokumentieren. Sie wird kriegsgeschichtliche Beispiele referieren, Operationspläne, taktische Skizzen, Munitionsreste und Waffensysteme sichten, Trümmer betrachten oder auch versprengte Stoßtrupps zu Wort kommen lassen.



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Stund um Stund brachten wir Studenten im Computerraum der Hochschule zu. Der erste Entwurf geschah zwar immer noch auf Transparentpapier, wahlweise mit Kohle, Blei- oder Buntstift. So bald als möglich, wollten wir aber die Idee in die Maschine übertragen und 3D-modellieren, um allerhand Perspektiven und Lichtführungen auszuprobieren und Oberflächen mit Materialbildern zu belegen. Nächtelang rechneten Apparate Bilder (Renderings), die anschließend „gephotoshopt“ werden mussten, um wiederum in Layoutprogramme überführbar zu sein.


Es fehlte seinerzeit jede kritische Distanz zur Maschine. Wir sahen sie als guten Freund und Hilfsmittel, berauschten uns an den schier unbegrenzten Möglichkeiten, nahmen begierig die Programmästhetik auf und hielten sie für unsere eigene. Tatsächlich scherten wir uns nicht darum, ob das Bauwerk auch entstehen konnte und der Ort, an den es kommen sollte, war nur durch recherchiertes Pläne, Karten bzw. Fotos präsent.


Wir entwarfen ohne Material, ohne Geruch, ohne Klang. Wir entwarfen ohne Körper, Raum oder Atmosphäre. Wir waren keine Architekten, sondern eher Architekturgespenster. Wie ein Spuk gerann eine intellektuelle Arbeit in eine quasi-geistige Gestalt des virtuellen Bildes. Freilich glaubten wir, dass dies kreativ sei. Die geometrische, sprich mathematische, Genauigkeit, nahm der Apparat uns ab. Die Visualisierung einer Idee war das Ziel, nicht ein Werk in der Wirklichkeit.


15 Jahre später, nun selbst Dozent, stand ich wieder im Computerraum einer Hochschule. Immer noch saßen die Studenten vor den Maschinen. Immer noch schlugen sie sich die Nächte um die Ohren. Immer noch wurde all dies als Art Initiationsritual angesehen und erzeugte einen sonderbaren Stolz bei den Bedienern. Man glaubt, etwas zu schaffen, etwas zu bewegen. Man agiert mit seiner gesamten Psychoenergie, seinem Wollen und Wehen in der Maschine. Man kämpft mit Bedienungsprozeduren, passt sich der Software an, freut sich darüber, irgendeine Programmfunktion verstanden zu haben.


Die Bedingungen der konditionierten Architekturproduktion gelten mittlerweile als selbstverständlich. Dieses „Das is halt so“ durchlief eine Entwicklung und die Ausstellung „Die Architekturmaschine“ (s.u.) historisiert diesen Prozess. Das kann unter günstigen Bedingungen einigen Rezipienten den Wink zum Nachdenken geben. Vier Kapitel sind mit einleitenden Essays und Fallbeispielen (Entwürfe, Technologien, Maschinen, Programme etc.) gebaut. Alles sehr anschaulich und das meiste gut zu lesen. Nun einige Gedanken aus dem begleitenden Katalog.


Lepik leitet „Der Computer als Zeichenmaschine“ unter anderem damit ein, dass die „digitale Revolution“ zu den „wichtigsten Schwellen der Menschheitsgeschichte“ gehöre, was seltsam unreflektiert wirkt für einen Museumsdirektor. Meister fährt kompromisslerisch fort und behauptet, dass Digitalität und Materialität nicht zu trennen seien und sich vielmehr bedingten. Vrachliotis hingegen polarisiert und unterstellt Kritikern der digitalen Seligkeit, Teil einer Kulturgeschichte der „Angst vor Maschinen“ zu sein.


Stetsons Ansatz in „Der Computer als Entwurfswerkzeug“ ist interessant, denn er zeichnet im Zeitraum 1950 bis 1970 nach, wie sich Architekten- von Computerkreativität unterscheidet. Sie bietet an, „Design“ und „design“ zu unterscheiden, also vom formalisierten Produkt zum Gestaltungsprozess zu kommen. Intuition, Einfühlungsvermögen, Sinne, historische Verortung, Tradition seien die natürlichen Voraussetzungen von Architekten (sic !). Was tun diese aber damit? Gestaltung zum Problemfall erklären. Stetson empfiehlt, anstatt Problemlösung, Problemgrübelei zu betreiben. Dann wäre die Maschine wieder Hilfsmittel und nicht mehr die überlegende künstliche Kompetenz, die etwa das parametristische (s.u.) Heil verspricht.


Bottazzi sticht hervor in „Computer als Medium des Geschichtenerzählens“, denn er macht die Bindung an mathematische Zwänge deutlich, die die Zentralperspektive der Renaissance den Architekten brachte. Die „Auge-Hirn-Trennlinie“ bescherte den Zeichnern einen Bruch zwischen Beobachtung und Verarbeitung. Dieser Geburtsfehler einer Eigengesetzlichkeit des Hilfsmittels findet sich selbstredend in heutiger Architekturproduktion wieder: „Wireframes-Ansichten sind intellektuelle, auf strenger Mathematik fußende Konstruktionen, die Zeichnungen die Fähigkeit verleihen, über die Realität hinaus zu gehen […]“. Ein Schelm, der dabei Böses denkt.


Die dekonstruktiv-antiauktoriale Obsession fokussiert das schließende Kapitel „Computer als interaktive Plattform“. Architekten braucht man nicht, sondern nur die Maschine, die sowieso alles besser kann. Das wiederum ermächtigt jedes Individuum, zu planen und zu bauen. Alles ganz toll demokratisch. Torkars Text hierzu: Computerspiele „[…] ermöglichen dabei jedem Spieler virtuell eine Handlungsmacht (sic !, CJG), zu der sonst nur ein eng gefasstes professionalisiertes Umfeld privilegiert ist.“ Vardouli zeichnet den Wandel von „Consumer“ zum „Prosumer“ nach und referiert schließend Lev Manovich, der 1996 vor einem begrenzen Verständnis der gestalterischen Offenheit der Rechenmaschinen warnte, denn vor (!) jeder Handlung stehe bereits eine vollständig anmutende Aufzählung der Möglichkeiten zur Verfügung.


Das Fazit? Ausstellung und Katalog treffen durchaus zu, denn die Lage ist vielschichtig. Vielleicht mag es noch einige akademisch nachwachsende Architekten geben, die an ihre unabhängige Schöpferkraft glauben. Andere folgen den dekonstruktiven Losungen der 1980er Jahre und lehnen Autorschaft ab. Die Partizipativen mögen ohnehin nur im, selbstredend diversen, Team spielen und buchen ihre Entwürfe lieber im Schwarm. Die Smart Building bzw. Smart City-Technologen verstehen überhaupt nicht, wo es ein Problem geben soll. Allen gemeinsam ist, dass sie in der Rechenmaschine arbeiten und ferner, dass die Reflexion dessen, in dem man sich geistig und entwurflich bewegt, weitgehend unterlassen wird.




Noch bis zum 6. Juni 2021 läuft im Architekturmuseum der TU München die Ausstellung: „Die Architekturmaschine. Die Rolle des Computers in der Architektur“ https://www.architekturmuseum.de/ausstellungen/die-architekturmaschine/ Die Zitate im Text sind dem zugehörigen Katalog entnommen: https://www.degruyter.com/document/isbn/9783035621556/html




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Über den Autor:


Dr. phil. Christian J. Grothaus ist Autor und Kulturwissenschaftler. Bislang publizierte er für: Arch+, AIT, AZ/Architekturzeitung, bauwelt, Deutsche Bauzeitschrift, der architekt, Berliner Gazette, CHEManager, digital business, Faust-Kultur, green building, Mensch&Büro, Tabularasa, Technik am Bau, Laborpraxis, Pharma&Food, Pharmind, transcript-Verlag, Virtual Reality Magazin, Welt-Online, Wissenschaftliche Buchgesellschaft.



 

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