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Carsten Germis: UNSERE DEMOKRATIE BEI DER ARBEIT


Theorie 1: »Die Verengung der Diskursräume ist keine Entwicklung in jüngster Zeit. Wer Meinungsvielfalt ernst nimmt, muss auch andere Sichtweisen aushalten. Nicht jede Meinung, die ich nicht teile, kommt dem Extremismus gleich.«

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner in ihrer Grundsatzrede nach ihrer Wahl

 

Theorie 2: »Ich will an dieser Stelle sagen: Mehrheiten, die demokratisch gefunden worden sind, das sind keine Kartelle.«

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner in eben dieser Grundsatzrede

 

Praxis 1: Als Vizepräsidenten des Bundestags im ersten Wahlgang mit Mehrheit gewählt wurden: Josephine Ortleb (SPD), Andrea Lindholz (CSU), Omid Nouripur (Grüne), Bodo Ramelow (Linke). Nicht gewählt wurde Gerold Otten (AfD) mit 411 Nein- gegen 185 Ja-Stimmen.

 

Praxis 2: Im zweiten Wahlgang wurde Gerold Otten (AfD) mit 401 Nein- gegen 190 Ja-Stimmen erneut nicht gewählt.

 

Praxis 3: Im dritten Wahlgang wird Gerold Otten mit 403 Nein- gegen 184 Ja-Stimmen erneut nicht gewählt. Als einzige Fraktion ist die größte Oppositionsfraktion im Präsidium des Bundestags damit nicht vertreten.

 

Einwurf 1: »Das Kartell hat gemauschelt.«

Zwischenruf nach dem dritten Wahlgang (wahrscheinlich aus den Reihen der AfD), nachdem die Abgeordneten der anderen Fraktionen nahezu geschlossen die systematische Ausgrenzung der zweitstärksten Fraktion und ihrer Wähler durchgesetzt haben

 

Theorie 3: »Hier mauschelt kein Kartell in diesem Bundestag.«

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner als Reaktion auf den Zwischenruf

 

Einwurf 2: »Diese Kartellpolitik, die konsequenterweise sich am deutlichsten zeigt, wenn andere, dem Kartell nicht zugehörende Parteien auf der politischen Bühne erscheinen, läuft auf einen consensus über die Manipulation hinaus… Die daraus sich ergebende ›Politik der Gemeinsamkeit‹ ist in Wirklichkeit Ausdruck einer gemeinsamen Interessenlage.«

Johannes Agnoli, Die Transformation der Demokratie (1967), Hamburg 2012, S. 83 f

 

Einwurf 3: »Das Recht, auch das Recht der Mehrheitsentscheidung, wird zur leeren Hülse, sobald der Kern der Legitimität herausfällt.«

Dolf Sternberger, Grund und Abgrund der Macht, Frankfurt am Main 1986, S. 267 

 

Resümee: »Die gemeinsame Schamlosigkeit der Parteienoligarchie spürt sich selber nicht.«

Karl Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? München 1966, S. 140

 



Über den Autor: Carsten Germis ist Chefredakteur von TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung



Titelbild im Original: Kurt Löwenstein Educational Center International Team from Germany, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons



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