Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Das Sprichwort kennt wohl jeder, obwohl es so alt noch gar nicht ist. Es wird dem Werbefachmann Fred R. Barnard zugeschrieben, der es 1921 mit einem Artikel in der amerikanischen Werbefachzeitschrift Printer’s Ink eingeführt hat. Das Foto, das wir hier sehen, ist ein Eintrag auf der Webseite des Bundespräsidialamts vom 16. Januar. Dort sollte es auch bleiben und das Bild von kritischen Medien besser nicht verwendet werden. Auf die Anfrage an die Bundesbildstelle, es in unserem Blog zu zeigen, bekam TUMULT die schlichte Antwort: »Das Bildmaterial dienst (Fehler im Original) ausschließlich der Bebilderung der Webseite des Bundespräsidialamtes. Eine anderweitige Verwendung ist nicht vorgesehen.«
Screenshot bundespraesident.de vom 4.März, 13:17 Uhr
Zeigen wir also eine Aufnahme der öffentlich zugänglichen Webseite des Präsidenten, auf dem das Bild zu sehen ist: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) diskutiert in vertrauter Kaffeetafelrunde mit Aktivisten des sogenannten Recherche-Portals Correctiv. Demonstrativ sorgt sich die verständnisinnige Gesellschaft um die – wie es in der Erklärung des Amtes heißt – »Absicht von Rechtsextremisten, Millionen Menschen aus Deutschland zu deportieren, die durch die Recherche von ›Correctiv‹ aufgedeckt worden sei«. Und der Präsident aller Deutschen wäre nicht der Parteifunktionär, als der er schon länger aufgefallen ist, wenn er nicht erneut vor „rechts“ gewarnt und sich über die auf die Enthüllungen folgenden Massenaufmärsche des neuen Juste Milieu an der Seite der Staats- und Parteiführung gegen die »rechte« Opposition gefreut hätte. »Wir müssen uns den Verfassungsfeinden entgegenstellen.«
Da stimmten wohl alle »Ritter für die Demokratie« an der Tafel zu. Das Foto präsentiert den neuen deutschen Gesinnungsbiedermeier der Linken besser als jeder Pressetext. Man schätzt sich, man ist gegen »rechts«. Oder, um Steinmeier zu zitieren: »Die Nachrichten über Ausbürgerungspläne, wonach Rechtsextremisten Millionen Menschen, selbst deutsche Staatsbürger, vertreiben wollen, haben unser Land aufgerüttelt.« Einen großen Schönheitsfehler aber hat die Sache. Die Geschichte, die der langanhaltend »aufgerüttelte« Steinmeier bis heute zu seiner eigenen macht, hat mit Fakten nichts zu tun. Correctiv hat selbst eingeräumt, dass die Geschichte von einer Art Wannseekonferenz 2.0, auf der »Rechte« (CDU-Mitglieder waren auch dabei) in geheimer Sitzung »Deportationspläne« gegen Ausländer und Eingebürgerte berieten, nicht mehr als ein Hirngespinst der selbsternannten linken Rechercheure und Demokratieretter war. Mittlerweile ist die Sache für diejenigen, die sich da privat zum Meinungsaustausch getroffen haben und sich vom Autor einer im Buchhandel beziehbaren Schrift deren Kurzfassung haben vortragen lassen, auch juristisch vom Tisch. Correctiv hat vor dem Landgericht Hamburg eingestanden, dass seine Geschichte nicht auf Fakten beruht, sondern nicht mehr als eine »Meinungsäußerung« der Autoren war, die als Demokratieförderer aus den verschiedensten Finanztöpfen des Staates einen Großteil ihres Einkommens beziehen. Steinmeiers Aufruf, sich den rechten Verfassungsfeinden entgegenzustellen, und die vollmundigen Angriffe des sonst so schweigsamen Bundeskanzlers gegen jede »rechte« Opposition: viel Lärm um Nichts.
Doch sie halten am Narrativ fest. Staatsführung, Spitzen von SPD und Grünen und Correctiv sind sich schließlich nicht nur politisch einig, sondern auch institutionell und finanziell nah beieinander. Auch das zeigt die traute Runde bei Steinmeier mit Kaffee und Keksen – man ist unter seinesgleichen. Vielleicht fand das Urteil aus Hamburg auch deswegen nicht Eingang in die Prime Time von ARD und ZDF, wo es bei Empörungsanlässen »rechter« Provenienz gewöhnlich ein zusätzliches »Spezial« direkt nach den Hauptnachrichten gibt? Die Massenaufmärsche, hervorgerufen von einer »Meinungsäußerung« der Correctiv-Aktivisten, kommen Sozialdemokraten und Grünen schließlich zupass. Der »Kampf gegen Rechts« verdrängt Berichte über protestierende Bauern und über die rasant voranschreitende De-Industrialisierung und den Eindruck der Unfähigkeit, den die Bundesregierung bei immer mehr Menschen hervorgerufen hat. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) erhöht den Druck auf die störrische FDP, im Bundestag nun endlich das sogenannte Demokratiefördergesetz zu verabschieden. Es sieht eine noch großzügigere und dauerhafte institutionelle Förderung von grünen und roten Vorfeldorganisationen zur »Demokratiesicherung« als Beitrag zum »Kampf gegen Rechts« vor. Mehr und mehr linke Gruppen hätten dann nicht nur ein gutes und sicheres Einkommen, sie dürften auch noch im Auftrag der Regierung darüber entscheiden, wer in Deutschland noch als Demokrat gilt und wer nicht. Wer die von der Ampelregierung geplante Begünstigung der rot-grünen Klientel Korruption nennt, dürfte zwar nicht ganz falsch liegen, hierzulande aber – so Innenministerin Nancy Faeser (SPD) – schon bald die harte Hand des Verfassungsschutzes spüren und „es mit einem starken Staat zu tun bekommen«. Schon wer die Regierenden (die sich wie Könige in Zeiten der absoluten Monarchie mit dem Staat gleichsetzen) verhöhnt, auch wer sich nur lustig macht über das Spitzenpersonal der Ampel-Regierung, ist künftig wohl bald wegen seines Spotts »gesichert rechtsextrem«. Was ist das wohl für eine Demokratie, in der Bürger die Regierung nicht mehr verhöhnen dürfen?
Paus jedenfalls macht kein Geheimnis daraus, dass sie liebend gerne auch gegen politische Äußerungen vorgehen will, die nicht strafbar sind. Es soll reichen, die Regierung scharf zu kritisieren oder gar zu verspotten. Eine Zensur findet dem Grundgesetz zufolge in Deutschland nicht statt; im Netz will Paus sie aber möglichst schnell einführen. Denn: »Wir wollen dem Umstand Rechnung tragen, dass Hass im Netz auch unter der Strafbarkeitsgrenze vorkommt. Viele Feinde der Demokratie wissen ganz genau, was auf den Social-Media-Plattformen gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt.« Ob sie dabei an die »Meinungsäußerungen« von Correctiv über angeblich von »Rechten« geplante »Deportationen« gedacht hat? Dessen Rechercheure jedenfalls beherrschen diese Kunst offensichtlich ganz hervorragend. Ins Bild passen auch Äußerungen auf der Berlinale, wo erstmals nach 1945 in deutschen Lichtspielhäusern öffentlich die Vertreibung – also die Deportation – von Juden gefordert wird und der Chef des staatsfinanzierten Festivals das als »Meinungsvielfalt« verteidigt und sich dann noch erdreistet, Kritik an dieser antijüdischen Hetze als »beschämend« zurückzuweisen.
Die herrschende politische Klasse hat sich mit Staatsknete für ihre Vorfeldorganisationen und weitgehenden Verfolgungsrechten für diese Gruppen gegen mögliche Oppositionelle genau den integralen Staat geschaffen, den der italienische Kommunist Antonio Gramsci beschrieben hat. Die sogenannten zivilgesellschaftlichen Organisationen werden zum Teil des Staates (der ihnen ja direkt Geld dafür zahlt); dafür übernehmen sie im Interesse ihrer Mäzene bestimmte Aufgaben – zum Beispiel beim »Kampf gegen Rechts«. Und sie nützen diese Stellung aus – so Gramsci in seinem 12. Gefängnisheft –, »um sich ungeheure Anteile am Nationaleinkommen zuteilen zu lassen«. Wer sich die Gesichter der Tafelrunde im Schloß Bellevue anschaut, bekommt eine Ahnung davon, wie so etwas in der Praxis aussieht. Es sind die braven Priester und Hofberichterstatter einer gnostischen Politikerkaste, die sich in ihrer zweiten Realität eingebunkert hat und Fakten und die Wirklichkeit nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Je stärker diese zweite Realität unter Druck gerät, desto wichtiger wird es für die Parteienoligarchie und ihre Priesterklasse, die Gesellschaft aufspaltende Ängste zu verbreiten und konforme Erfahrungen zu suggerieren, um ihre Herrschaft zu sichern.
Wären die, die eine pluralistische Demokratie fordern, die in jeder Rede Respekt für Andere und Vielfalt einfordern, zum Gespräch mit Andersdenkenden (sind ja nicht alle rechts) bereit? Der Philosoph Eric Voegelin, einer der Wiederbegründer der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik nach dem Ende der NS-Diktatur, ist da skeptisch. „Es ist sinnlos, mit einem Menschen zu argumentieren, der zwanghaft Fakten entstellt, auslässt oder erfindet, um sich selbst in eine imaginäre Welt einzusperren«, schreibt er in seinem Aufsatz »Realitätsfinsternis«. Steinmeier hat seinen Beitrag bis heute nicht korrigiert, auch wenn die Fotos »für anderweitige Verwendung« ja nicht vorgesehen sind. Die Mär von den Rechten, die Deportationen planen, hält sich. Sie soll sich – nachweisbar wider alle Fakten – auch halten. Das Ausblenden der Realität ist offensichtlich gar keine so komplexe Operation.
Auch der Werber Barnard hat übrigens schon 1921 mit Fake News seine eigene Geschichte aufgeblasen. Der Slogan, ein Bild sage mehr als tausend Worte, stamme von einem nicht näher genannten japanischen Philosophen, schrieb er da. Später gab der Werbemann zu, er habe das nur behauptet, »damit die Leute es ernst nehmen«. Die Zauberlehrlinge bei Correctiv haben diese Lektion gut gelernt.
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Über den Autor: Carsten Germis ist Chefredakteur von TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung
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