Mike Schubert, Sozialdemokrat, Oberbürgermeister von Potsdam spielt in diesem Stück zwar nur eine Nebenrolle, aber die wohl wichtigste. Der SPD-Mann ist mit einem Verwaltungsakt seiner Ausländerbehörde über Nacht zum weißen Ritter der Demokratie geworden, der einen »Umsturz« verhinderte, welcher »die Grundwerte der Verfassung zu erschüttern« drohte und für Millionen von Menschen, auch für deutsche Staatsbürger, die sichere Vertreibung und Deportation bedeutet hätte. So das regierungsamtliche Narrativ. Schuberts Gegenspieler auf der politischen Bühne ist der Österreicher Martin Sellner. Er ist der dunkle Lord mit diesem finsteren »Geheimplan gegen Deutschland«. Sellner, seine »rechten« Verbündeten, auch in der AfD, wollen eine andere Republik als die rot-grün-woke, bunte Transformations-Gesellschaft. Den Bundespräsidenten hat das »aufgerüttelt«, auch der sonst so schweigsame Bundeskanzler ruft seinen Parteigängern zu, »wir sind die Demokratie«. Wer ist wir? Was ist überhaupt dran an dieser Erzählung?
Quelle: Leipziger Messe/Jens Schlüter
Sellner hat ein neues Buch über seine Pläne geschrieben. Damit machte er schon Furore, als der Text noch gar nicht fertig geschrieben war. Es geht um Sellners »Vorschlag« (so der Untertitel), wie eine »Remigration« aussehen könnte, also die mögliche Rückwanderung von Migranten in ihre Heimatländer. Erschienen ist das Buch im Antaios-Verlag in Schnellroda, der vom Inlandsgeheimdienst als »rechtextremer« Verdachtsfall geführt wird. Ob Sellner auch einen Verlagsvertrag mit Suhrkamp, Rowohlt oder Fischer erwogen hätte, wissen wir nicht. Was wir wissen, ist, dass Literatur, die sich scharf kritisch mit der amtierenden Berliner »Fortschritts«-Koalition beschäftigt, in den etablierten Publikumsverlagen schon lange keine Chancen mehr hat, wenn sie den gedanklichen Sperrbereich des neuen Obrigkeitsstaats verlässt.
Sellner hat in seinem neuen Buch in einem für seine Verhältnisse eher nüchternen Stil, in Teilen sogar mit fast verwaltungstechnisch gehaltenen Formulierungen ein politisches Pamphlet vorgelegt, in dem er die Frage beantwortet, wie die Migrationsströme nach Deutschland eingedämmt, teilweise sogar umgedreht werden könnten. In der Wissenschaftssprache wird das als »Remigration« bezeichnet. In Deutschland ist der Begriff von identitätspolitisch linken Sprachaktivisten sogar rückwirkend ganz schnell zum »Unwort des Jahres« 2023 gekürt worden. Wie das? Ganz einfach: Sellner und andere »Rechte« deuten das Wort angeblich um und nutzten es als »Deckmantel« für millionenfache Deportationen und Vertreibung. So verkünden es jedenfalls »antifaschistische« und genderkorrekte Verschwörungstheoretiker des woken Juste Milieu.
Spätestens seit der aufgeregten Berichterstattung aller regierungsnahen Medien von ARD, ZDF bis zum Spiegel zur Correctiv-»Recherche« über ein angebliches »Geheimtreffen« von »Rechten« in Potsdam und den zur »Wannsee-Konferenz« 2.0 umgedeuteten Gedankenaustausch rechter und konservativer Bürger dort, kennt die ganze Republik das Feindbild Sellner. Der Abschreibejournalismus unserer Zeit hat das Narrativ der Aktivisten von Correctiv ungeprüft weiter verbreitet. Die Spitze des Staates stimmte umgehend ein, orchestrierte Massenaufmärsche »gegen rechts« und für sich selbst. Die Geschichte passte einfach zu gut, damit demokratische Freiheiten für politische Gegner weiter eingeschränkt werden können. Die Behauptung, eingebürgerte Migranten millionenfach vertreiben zu wollen, hält sich seitdem hartnäckig in der Welt, zumal sie bei ARD, ZDF und anderen botmäßigen Medien weiter gepflegt wird.
Doch stimmt denn überhaupt die Geschichte, die Hundertausende zu Demonstrationen an der Seite der Staats- und Parteiführung auf die Straße getrieben hat? Auf der Bühne vernehmen wir, hörbar für das aufmerksame Publikum, wenn auch nicht für die auf der Linken tauben Ohren der staatsnah »Berichtenden«, einen Zwischenruf. Correctiv hat vor dem Landgericht in Hamburg offen eingeräumt, dass Sellner das alles nie so gesagt, Vertreibungen nie gefordert habe. »Die deutsche Staatsbürgerschaft hat Sellner in seinen Ausführungen ausdrücklich als juristische Sperre für eine Ausweisung anerkannt«, erklärt nun Correctiv . »Dementsprechend entwickelte sich unter den Teilnehmern auch keine Diskussion darüber.« Viel Lärm also um Nichts. Die selbsternannten Rechercheure für die »offene und demokratische Gesellschaft« können es jetzt noch einmal direkt bei Sellner nachlesen: »Der Entzug der Staatsbürgerschaft ist in vielen Fällen nicht möglich und vor allem nicht angemessen.« Es gehe ihm um Anreize und Druck auf Migranten, die Regeln der Mehrheitsgesellschaft einzuhalten, schreibt er.
Und was ist mit solchen Forderungen?
»Wir müssen mehr und schneller abschieben.«
»Wir wollen Anreize dafür senken, sich hier irregulär bei uns aufzuhalten.«
»Wer eine unbegrenzte Zuwanderung will, muss so ehrlich sein und sagen, dass wir dann unseren Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, nicht aufrechterhalten können. Wir müssten Verhältnisse akzeptieren, wie sie in anderen Ländern existieren, mit problematischen Parallelstrukturen. Das kann sich niemand ernsthaft wünschen. Deshalb macht uns das nicht zu Unmenschen.«
Und weiter: »Man muss die Kraft haben, Menschen zu sagen, dass sie hier leider nicht bleiben können.«
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier müsste bei der Lektüre dieser Sätze eigentlich Schnappatmung bekommen haben. Hat er doch gerade erst beim gemütlichen Kaffeeklatsch mit Aktivisten von Correctiv im Schloß Bellevue erzählt, wie sehr ihn die Nachrichten über die rechtsextremistischen Vertreibungspläne »aufgerüttelt« hätten. Auf der Leipziger Buchmesse, wo die Kulturschaffenden im Saal nach freundlicher Aufforderung folgsam bunte Pappkarten mit Parolen der Staatsführung in die Höhe hielten, hat der parteiische Präsident aller Deutschen dieses, sein altes »antifaschistisches« Verschwörungs-Narrativ, erneut bekräftigt. Da sind Tatsachen nicht so wichtig. Was schert es ihn, wenn er aufgerüttelt »unsere Demokratie« von der Opposition bedroht sieht.
Doch zurück zu den oben erwähnten Zitaten, in denen gefordert wird, mehr und härter abzuschieben. Nein, die kommen nicht von Sellner, dem dunklen Lord. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) höchstselbst hat das Ende 2023 in einem Interview mit dem Hamburger Spiegel gesagt. 86 Prozent der Deutschen stimmten dem nach einer Umfrage zu, berichtete das einstige »Sturmgeschütz der Demokratie« eine Woche später. Das wäre dann wohl eine »gute Remigration«? Bei Sellner, dem aktuellen Staatsfeind Nr. 1, klingt das passagenweise gar nicht so anders: »Rechtsstaat und sozialer Friede gründen auf einem gegenseitigen Vertrauensverhältnis der Staatsbürger untereinander«, schreibt er. Oder: »Je ausgeprägter multiethnisch eine Gesellschaft ist, in desto größerem Ausmaß ist sie anfällig für Korruption, Kriminalität, gegenseitiges Mißtrauen, Vertrauensverlust in demokratische Entscheidungen, Sozialmißbrauch, Gleichgültigkeit gegen soziale Mißstände, Faustrecht, Clandenken und so weiter«. Die Verfechter einer multikulturellen Gesellschaft, die bewusst verdrängen, dass eine multikulturelle Gesellschaft immer auch eine multiethnische Gesellschaft ist, fürchten, dass Sellner und die AfD mit jenen Vorschlägen zu viel Zuspruch im Volk finden könnten, zumal Scholz über Abschiebe-Ankündigungen nicht hinausgekommen ist. Deswegen gibt es jetzt die neue, quasi staatlich verordnete »gemeinsame Erzählung unserer Demokratie« (Steinmeier), die im Andersdenkenden nicht mehr den demokratischen Gegner, sondern den »rechten« Feind sieht.
Sellner setzt seine »patriotische Weltanschauung« dagegen und will sie wieder »hegemoniefähig« machen, indem die wirklichkeitsverdrängende Multikulti-Ideologie der woken Wohlfühlbourgeoise zurückgedrängt wird. »Der Rechtsstaat muß dem Sozialmißbrauch und der eingeschleppten Kriminalität von ganzen eingebürgerten Clans nicht tatenlos zusehen«, schreibt er. Mit Gesetzen, die strukturell und ökonomisch definiert sind, sei die Massenmigration in den Sozialstaat umzukehren. Und: »Es findet selbstverständlich keine ethnische Diskriminierung zwischen den Staatsbürgern statt.«
Wenn Scholz und Sellner bei den konkreten Vorschlägen für Remigration sogar Berührungspunkte haben, muss es beim Einreiseverbot für Sellner um mehr gehen. Mike Schubert wird seinen Beschluss, Sellner für die nächsten Jahre die Einreise nach Deutschland zu versperren, schließlich nicht ohne Wissen des Kanzlers, der zuständigen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und des Chefs des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang (CDU), verfasst haben. Die Kampfansage an Sellner und sein Umfeld ist deutlich: »Ich untersage Ihnen hiermit, das Bundesgebiet der Bundesrepublik zu betreten.« Kommt der Österreicher doch, droht ihm die Abschiebung in seine Heimat; sollte das wider Erwarten nicht möglich sein, weil die Alpenrepublik den »gesichert Rechtsextremen« nicht zurückhaben will, ordnet Schubert sogar an, »dass die Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen kann...«. Was doch alles möglich wäre, wenn man es wirklich wollte.
Begründet wird das Einreiseverbot vor allem mit Sellners Auftritt bei dem privaten Treffen in Potsdam und seinen angeblichen Aussagen dort – von denen wir mittlerweile wissen, dass sie reine Interpretation und »Meinungsäußerung« von Correctiv sind. So erlässt man einen dramatisch die Freiheit und die Freizügigkeit in der EU beschränkenden Bescheid, der auf Spekulationen beruht? Dass an den Vertreibungsgeschichten nichts dran ist, das geht schon aus dem Schubert und seiner Ausländerbehörde »vorliegenden Recherchebericht« eindeutig hervor. Dieser Bericht ist nämlich nichts anderes als die zu einem Theaterstück umgearbeitete sogenannte Correctiv-Recherche. Fiktion wird zum Verwaltungsakt. Als Bühnenfigur sagt Sellner: »Da muss man die Politik der Remigration anwenden.« Eine andere Figur, Journalist, interpretiert das anschließend mit den Worten: »Also übersetzt bedeutet das: es geht um die Vorbereitung einer millionenfachen Vertreibung. Remigration bedeutet Vertreibung.« Diese perfide Umdeutung und Meinungsmache linker Aktivisten wird zur Tatsachenbehauptung erhöht, auf deren Basis die Regierung Massenkundgebungen für sich und ihre Politik inszeniert und die Verfolgung der grundlegenden Opposition verschärft.
Ähnlich dreist deuten die Repräsentanten der herrschenden Parteienoligarchie Sellners Äußerungen zum Volksbegriff um. Die Feststellung, dass es neben dem Staatsvolk in Deutschland auch ein ethnisches, kulturell-geschichtlich gewachsenes deutsches Volk gebe, verbiegt Correctiv so: Für diese Rechten sei der Staat »nur ein Instrument, um eine ›Rasse‹ oder ›Ethnie‹, wie sie es in ihrem Nazi-Marketing-Sprech nennen, von anderen ›Rassen‹ reinzuhalten.« Hier sehen wir gnostische Dekonstruktivisten am Werk, die mal eben die »Rasse« wiederbeleben und damit ihre eigene Konstruktion zur Wahrheit verklären. Wir erleben, was Theodor W. Adorno einst mit den Worten beschrieb: »Die objektive Welt nähert sich dem Bild, das der Verfolgungswahn von ihr entwirft.« Es gibt dann bald keine Freiheit mehr, ohne die Meinung, die von der Realität abweicht.
Sellner ist ja schon lange kein Einzelfall mehr. Gerade erst wurde bekannt, dass die Polizei bei einem Taxiunternehmer, der in seinem Vorgarten zwei große Plakate mit Kritik an grünen Ministern aufgestellt hatte, die Wohnung durchsuchte und die Plakate entfernte. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock erstattete in neofeudaler Machtarroganz einen Strafantrag gegen den unbotmäßigen Bürger. Was ist das für eine Demokratie, in der Machtkritik vor Gericht endet? Und wie kann es sein, dass eine Staatsanwältin im Deutschland des Jahres 2024 ernsthaft sagt: «Stimmungsmache gegen die Grünen ist keine Meinungsäußerung mehr«? Kritik an den Grünen als Straftat!? Kein Wunder, dass sich sogar die New York Times Sorgen um den Zustand der Demokratie in Deutschland macht. Wenn dann auch noch Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) in der Bild-Zeitung die Befürchtung äußert, aus dem »Kampf gegen rechts« könne ein »Kampf gegen das Recht« werden, fragt man sich, warum die Liberalen die dafür zuständige Innenministerin nicht endlich stoppen.
Wenn Sellner das aus seiner Sicht ähnlich kritisiert, macht ihn das in den Augen des Gesinnungsstaats zum Demokratiefeind. Unglaublich ist, wie die amtierende Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den Verfassungsschutz zu einer Behörde umbaut, die nicht mehr die Verfassung, sondern die Politik einer Regierung schützt, die nach Umfragen von einer breiten Mehrheit des Volkes als die dümmste und schlechteste in der Geschichte der Bundesrepublik eingeschätzt wird. Der Sozialdemokrat und frühere Bildungs- und Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb, hat in seinem kürzlich erschienenen Buch »Gesinnungspolizei im Rechtsstaat?« die größte Freiheitsbeschränkung durch die Regierung klar beschrieben. »Im Grunde lagert der demokratische Verfassungsstaat einen Teil seiner ureigensten Aufgabe an eine Behörde aus: den demokratischen Diskurs.« Indem der Geheimdienst mit staatlichen Wert- und Unwerturteilen über nicht verbotene Parteien im demokratischen Meinungsstreit entscheidet, wird die politische Auseinandersetzung außer Kraft gesetzt. Am Beispiel der AfD zeige sich das deutlich: Statt einer Auseinandersetzung über Inhalte geben Politiker der anderen Parteien nur noch die Urteile von Geheimdienstlern von sich, die der bekennend linken und »antifaschistischen« Innenministerin unterstellt sind. Der Fall Sellner ist ein weiterer Schritt auf diesem Weg.
Ohnehin wirft die Rolle des Geheimdienstes bei der Inszenierung eines rechtsextremen Vertreibungsplans manche Frage auf. Beispielsweise zitiert die Potsdamer Ausländerbehörde zur Begründung ihres Einreiseverbots Aussagen Sellners, die so klingen, als könne er sie nur bei dem angeblichen Geheimtreffen in Potsdam gemacht haben. Als Quelle wird aber ein »Behördenzeugnis« des Verfassungsschutzes vom 23. Januar 2014 genannt. Wer hat da was, wann, wo mitgeschnitten? Waren verdeckte Mitarbeiter des Amtes in Potsdam dabei? Wurden die Teilnehmer – rechtswidrig – abgehört? Hat Correctiv im »Kampf gegen rechts« möglicherweise Amtshilfe von Haldenwang erhalten? Oder nutzt das Amt Correctiv als Quelle? Schon der Zeitablauf irritiert.
Am 10. Januar, auf dem Höhepunkt der Bauernproteste gegen die Politik der selbsternannten »Fortschritts»-Koalition, kommt Correctiv mit seinen sogenannten Recherchen heraus.
Am 11. Januar, also schon einen Tag später, ruft Geheimdienstchef Thomas Haldenwang öffentlich dazu auf, »dass die Mitte der Gesellschaft, die schweigende Mehrheit, in diesem Land, dass die wach wird und auch endlich klar Position bezieht gegen Extremismus in Deutschland.«
Am 14. Januar beginnt mit der Teilnahme von Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock in Potsdam die Inszenierung der Massenaufmärsche gegen die rechte Opposition. Vieles erinnerte an die Kundgebungen der SED von weiland 1990 an der Seite der Staats- und Parteiführung, wo es auch schon hieß: »Unser Land braucht eine breite Einheitsfront gegen rechts.« Und wie damals, war es nicht die Mitte der Gesellschaft, die sich auf Linie bringen ließ, sondern es feierten sich die Parteigänger der herrschenden Klasse.
Ähnlich sieht es beim Kulturkampf um das Volk aus. »Das Grundgesetz kennt keinen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes.« Auch da behauptet Sellner in seinem Buch nichts anderes. Was er schreibt ist, dass es neben dem Staatsvolk – das aus allen rechtlich gleichberechtigten deutschen Staatsbürgern besteht – auch ein ethnisches deutsches Volk, eine historisch gewachsene Schicksalsgemeinschaft gibt, die auf gemeinsamer Geschichte, Tradition, Kultur und Sprache beruht. Davon geht auch das Grundgesetz aus, wenn es in Artikel 116 ausdrücklich heißt, dass es auch Deutsche ohne deutsche Staatsangehörigkeit gibt, zum Beispiel deutsche Minderheiten in Polen oder Rumänien. Und – der aus Flensburg stammende – Vizekanzler Robert Habeck sollte den Unterschied zwischen Staats- und ethnischem Volk doch kennen. Was wäre sonst mit der dänischen Minderheit in Schleswig, die sich als Dänen identifizieren, aber natürlich deutsche Staatsbürger sind? Und zeigt nicht jedes Fußball-Länderspiel zwischen einer deutschen und einer türkischen Mannschaft in einer deutschen Stadt mehr als laut und deutlich, dass man in Deutschland sowohl türkische Identität und die deutsche Staatsbürgerschaft haben kann?
Sellner fordert deswegen vor dem Hintergrund der Masseneinwanderung – vor allem in den Sozialstaat –, die deutsche Identität zu stärken. Die CDU hat das einst als deutsche Leitkultur bezeichnet. »Jede einzelne Wanderungsbewegung ist danach zu bewerten, ob sie dem Gemeinwohl, dem Erhalt der Identität und der Entfaltung deutschen Lebens in Deutschland dient«, schlägt Sellner vor. Das mag man für deutsch-national halten und ablehnen, verfassungswidrig ist es nicht. Das Grundgesetz schützt demokratische Verfahren und Grundwerte – aber es schützt nicht den von der Berliner Koalition angestrebten grün-woken-staatskapitalistischen Transformations- und Obrigkeitsstaat. Ein »anderes Deutschland« als das des Frank Walter Steinmeier muss möglich sein, wenn die Mehrheit es über demokratische Wahlen will. Wahlen besagen schließlich gar nichts, wenn nicht Verschiedenes zur Wahl steht. Was wir im »Kampf gegen rechts« erleben, ist die Huldigung an eine Idee der Demokratie durch jene, die diese Idee im Namen ihrer Mission monopolisieren.
Der Staat, schrieb Carl Schmitt im Begriff des Politischen, hat in für ihn kritischen Situationen immer schon den »inneren Feind« bestimmt. Auf der politischen Bühne tobt ein politischer, kein moralischer Kampf. Es gibt sie schon wieder, die Einreiseverbote, die Sondergesetze, die soziale Ächtung Andersdenkender, den Bann. Sellner wolle mit seinem Buch erreichen, »dass sich die deutsche Gesellschaft anhand migrationspolitischer Themen entzweit«, sagen seine Feinde. Auf die Idee, dass diese Entzweiung durch die Politik der Regierung entstanden ist und Sellner und die AfD nur davon profitieren, kommen die Sozialkybernetiker nicht, die alles für machbar und planbar halten. Die wachsenden kulturellen und sozialen Spannungen durch die ungebremste Masseneinwanderung führen dazu, dass die Wirklichkeit und die Zeit für Sellner und seine Vorschläge arbeiten. Das gibt seinem Buch eine selbstbewusste Grundmelodie. Auch deswegen wird das Einreisverbot gegen ihn sofort vollzogen und hat der Rechtsschutz keine aufschiebende Wirkung. Nur so könne verhindert werden, dass er »den derzeitigen ›Aufschwung‹ weiter für sich nutzen« und seine »Umsturzpläne bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens ungehindert weiterverbreiten» könne. Da schlägt die Umdeutung von Demokratie und Rechtsstaat zum reinen Maßnahmenstaat nun endgültig in eine Farce um. Geben wir mit Kurt Tucholsky einem Mann das Schlusswort, der sich mit der Machtanmaßung der herrschenden Klasse seiner Zeit auskannte und sich gegen sie wehrte. »Dieser Rechtsstaat aber hat jedes Anrecht verloren, uns durch den Mund seiner führenden Kleinbürger irgend eine Moral zu predigen.«
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Über den Autor: Carsten Germis ist Chefredakteur von TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung
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