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Carsten Germis: DER WELTGEIST IM OSTEN. DEUTSCHLAND NACH DEN WAHLEN IN SACHSEN UND THÜRINGEN


Als am Montag nach den Landtagswahlen die Sonne über Thüringen und Sachsen aufging, sah es so aus, als scheine sie trotz aller politischen Aufregung wieder auf nichts Neues. »Mund abputzen, weiterwursteln – so reagieren die Ampelparteien auf das katastrophale Wahlergebnis im Osten«, titelte die Neue Zürcher Zeitung. Jetzt erst recht! Das ist die Botschaft des »demokratischen« Parteienkartells an das unbotmäßige Wahlvolk. Ob CDU, SPD, besonders hysterisch die Grünen, deutlich kleinlauter die linksliberale Reste-FDP: Sie können nicht anders. Die moralische Aufrüstung, die Beschwörung der Demokratie. Alles klingt wie immer. Die Brandmauer steht. Und doch scheint selbst öffentlich-rechtliche Hofberichterstatter die Ahnung zu beschleichen, dass nach diesem Tag nichts mehr sein wird wie vorher. Die politische Welt ist plötzlich wie ein »Bleiben im Verschwinden«, um einen Ausdruck zu verwenden, den der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel des Öfteren verwendet hat. Die »Berliner Republik« steht sichtbar nur noch auf tönernen Füßen. Und doch ignoriert das herrschende Berliner Parteienkartell den dramatischen Legitimitätsverlust weiterhin. Das Bleiben im Verschwinden macht ihnen Angst.




Deswegen die Überraschung, obwohl doch eigentlich nichts überraschend war am Wahlausgang. Dass die AfD in beiden Bundesländern kräftig zulegen würde, dass es für die ungeliebten Berliner Ampelparteien zum Scherbengericht kommen würde, dass die »Blackbox« der Wiedergeburt einer populistischen Führerpartei mit Sahra Wagenknecht aus dem Stand zur Nummer drei in den Landtagen aufsteigen könnte, all das zeigten die Umfragen seit Wochen. Neuere, kleinere Störmanöver der regierungsfinanzierten Haltungsjournalisten von CORRECTIV verpufften wirkungslos; eine neue »Wannsee-Konferenz 2.0« lässt sich eben nicht alle Tage herbeifantasieren. Das bemühte Spektakel gegen rechts am Wahlabend in ARD und ZDF, die aufgeregten Leitartikel über das »verheerende Ergebnis« und die Gefährdung der Demokratie: Sie wirken in der gefühlt tausendundeinsten Wiederholung nur noch wie müde Pflichtprogramme. Die Demokratiedämmerung ist ausgeblieben.


Im Gegenteil: Die Wahlbeteiligung ist in nie gekannte Höhen gestiegen, und der Souverän hat der Obrigkeit ein vernichtendes Misstrauensvotum ausgestellt. Mehr Demokratie geht nicht. Würden Machtwechsel und Korrektur der Politik einer abgewählten Regierung als Grundlage der parlamentarischen Demokratie für die Berliner Eliten noch denkbar sein, müssten die Wahlergebnisse Konsequenzen bis hin zur Vertrauensfrage durch den Bundeskanzler haben, würden Olaf Scholz und sein Kabinett nach einem so wuchtigen – und auch wütenden – Nein zu ihrer Politik ein wählerverachtendes »Weiter so« nicht wagen. Doch spricht einer der aufgeregten Kommentatoren über die Inhalte der Ampelpolitik? Über die außer Kontrolle geratene Masseneinwanderung bildungs- und demokratieferner Menschen in den Sozialstaat; über die krachend gescheiterte Energiewende; über den dramatischen Zerfall der inneren Sicherheit; über die durch grüne Politik erzwungene De-Industrialisierung, die sogar VW schon über die Schließung deutscher Werke nachdenken lässt? Nichts dergleichen. Die sich selbst als »Auserwählte« fühlenden Ampelpolitiker steuern weiter auf den Abgrund zu und behaupten ungerührt, dies sei der Weg ins Paradies. Das störrische Volk erweist sich als demokratischer denn jene, die in oberlehrerhafter Obrigkeitsattitüde tagein, tagaus ganz selbstverständlich Folgsamkeit gegenüber ihrer »alternativlosen« Politik einfordern.


Politik ist notwendig raumgebunden. Ihre Hauptsorge hat der Freiheit und der Wohlfahrt der Bürger zu gelten. Der Raum –  Deutschland, Europa? Längst verdunstet im Postulieren von no borders, no nations. Saskia Esken, Ricarda Lang haben mit Tremolo in der Stimme erklärt, daran nicht rütteln zu wollen. Wenn die Grünen-Chefin behauptet, die Wahlergebnisse hätten mit der unkontrollierten Massenzuwanderung nichts zu tun, überschreitet die Realitätsverdrängung die Grenze zum Pathologischen. Die Freiheit? Eingeschnürt in das Korsett einer kosmopolitischen Kitschwelt, die sich die Berliner Gnostiker als zweite Realität geschaffen haben. Wie sollte eine Demokratie, in der sich bald jeder Zweite scheut, seine politische Meinung frei zu äußern, von den Bürgern noch als »unsere Demokratie« wahrgenommen werden? Und der »Wohlstand für alle«? Mit dem plankapitalistischen Transformationsstaat ist Deutschland mit »Doppel-Wumms« auf dem Weg in eine Verzichtsgesellschaft, in der am Ende vielleicht alle gleich, aber eben gleich arm sein werden. Arbeit und Leistung lohnen sich im Land rot-grüner Minderleister bald für niemanden mehr. Für die Gnostiker an der Spitze des Staates ist Realitätsverweigerung zum obersten Prinzip geworden. Da übrigens findet die wahre Delegitimierung des Staates statt, nicht an den Stammtischen oder in den Bierzelten.


Deswegen sind die »Alternativen« stärker denn je. Das ist die politische Dialektik im woken Klima- und Phrasenstaat mit offenen Grenzen. In Thüringen hat die AfD jetzt bei wichtigen Entscheidungen sogar Vetomacht. Doch wer der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel zuhörte, wer die Auftritte der Wahlsieger in Dresden und Erfurt verfolgte, dem drängte sich die Frage auf: Was machen die mit ihrer neuen Stärke? Eine patriotische Partei hat Staatsvolk und Staatsgebiet im Blick und macht die offenen Grenzen zum Thema. Das ist der große Unterschied zu den anderen Parteien, dafür werden AfD und BSW gewählt. Und sonst? Hinter dem laut und selbstgerecht demonstrierten Triumph und markigen unpräzisen Reden von »Remigration« ist kaum zu ahnen, wie die AfD ihre neue Stärke ausspielen will. Sie will mit CDU und BSW reden. Aber worüber? Wo sieht sie Gemeinsamkeiten? Wo wären Machtoptionen für Veränderung? Nicht einmal taktisch spielten ihre Vertreter am Wahlabend ihre Trümpfe aus – kein Wunder, es sind auch bei der AfD zu viele Fragen noch offen. Nehmen wir nur die Frage nach einer neuen politischen Ökonomie: Gilt nun der einst von Bernd Lucke eingebrachte, eher liberale, marktwirtschaftliche Wirtschaftskurs der Parteivorsitzenden Alice Weidel oder der mit dem BSW kompatible »solidarische Patriotismus« des Schnellroda-Vordenkers Benedikt Kaiser, den auch Björn Höcke und die thüringische AfD vertreten? Wo zeigt sich die AfD in ihrer Wagenburgmentalität offen für andere, für neue Ideen?


Die Kaderpartei BSW, die sich Sahra Wagenknecht nach ihrem Bilde geschaffen hat, erscheint offener, auch wenn niemand weiß, wie diese nach dem Führerprinzip errichtete neue Kraft an der Basis mit ihren vielen, von den Linken übergelaufenen Karrieristen wirklich tickt. Es deutet nach ersten Reaktionen – die sich von den Erzählungen der Linkspartei erstaunlich wenig unterscheiden – alles darauf hin, dass die BSW-Mandatsträger ihre Rolle eher darin sehen, das rot-grüne Milieu zu stützen und als Linkspartei 2.0 die alten Wege weiter zu beschreiten. Die Maske fällt, eine weitere linke Pathospartei betritt die Bühne. Die mit dem BSW erstmals mögliche neue Mehrheit gegen den Werte-Kult der anderen Parteien entpuppt sich schneller als erwartet als Täuschung. Hegels Dialektik gewinnt in dieser Lage neuen Reiz. Die zur blanken Phrase erstarrten Symbole und legitimierenden Narrative des herrschenden Parteienkartells treten in eine zusehends unversöhnliche Opposition zur Realität und zum Alltag der großen Mehrheit. Schon ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass Grün und Rot nur noch in den Zentren der großen Städte relativ mehrheitsfähig sind, dort, wo die vom Staat gut versorgten literarisch-philosophisch Gebildeten leben. Doch deren Appell, ihrer »alternativlosen Wahrheit« zu folgen, verhallt meist ungehört. Und auch mit der Verklärung »guter alter Zeiten« finden wir im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts keine Orientierung. Es genügt nicht, dem Gutbürger den Wutbürger entgegenzustellen. Als politische Alternative können heute nur Bündnisse und Bewegungen gelten, die auf die Gefährdung der nationalen Souveränität und der Eigenart Europas antworten und sich an gemeinsamer Gegenwehr und Grenzziehung kräftigen. Jede Alternative hat nur dann eine Chance, wenn es ihr gelingt, die leeren Ideenhülsen der Politik mit wirklich neuen Inhalten zu füllen.



Über den Autor: Carsten Germis ist Chefredakteur von TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung


Titel-/Beitragsfoto verändert. Im Original von Elke Wetzig (User:Elya), CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons



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