Brandenburgs sozialdemokratischer Ministerpräsident Dietmar Woidke dürfte den Kater nach der Wahlparty seiner Partei in Brandenburg schneller als gewünscht zu spüren bekommen. Er verdankt die erfolgreiche Aufholjagd zur AfD und den Sieg bei der Landtagswahl nicht der Begeisterung über seine Politik und schon gar nicht der Politik der SPD-geführten Bundesregierung im nahen Berlin. In Nachwahlbefragungen gaben 75 Prozent der SPD-Wähler zu Protokoll, sie hätten die SPD nicht wegen ihrer Inhalte und Politik gewählt, sondern allein, um einen Erfolg der AfD zu verhindern. Der antifaschistische Schutzwall, den das Parteiensyndikat aus Sozialdemokraten, Christdemokraten, Grünen und FDP-Liberalen geschaffen hat, steht. Viele, die sich den Grünen oder der CDU verbunden fühlen, machten ihr Kreuz dieses Mal zähneknirschend bei der SPD. Einziges Ziel: Die AfD durfte nicht stärkste Kraft werden; als gefühlter Retter der Demokratie wählt man da als Christdemokrat oder Liberaler schon mal die SPD. Das nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen sichtbar geschwächte Syndikat der sich selbst zu den einzig wählbaren »demokratischen« Kräften erklärenden Parteien (er)findet nur noch einen Grund, warum die Bürger sie an der Macht halten sollten: den Faschismus verhindern!
Das ist das letzte »demokratische« Bindeglied der erodierenden Macht des alten westdeutschen Parteienstaates: die AfD von der Macht fernzuhalten, die Forderung nach einem funktionierenden deutschen Nationalstaat als politisches Gegenprogramm zum »wertegeleiteten« Kosmopolitismus zu denunzieren. Deswegen bauen sie – unterstützt vor allem durch »antifaschistische« Sturmgeschütze der öffentlich-rechtlichen Sender – den Popanz des »ewigen Nazi« gegen all jene auf, die den Interessen der arbeitenden Menschen im eigenen Land in der Politik wieder Vorrang geben oder auch nur die kulturelle Hegemonie des woken, kosmopolitischen, linken urbanen Milieus brechen wollen. Das zum Syndikat geschmiedete Parteienbündnis hat dem keine eigene Idee von Deutschland entgegenzusetzen. Es gibt keinen politischen Horizont, der das Eigene in den Blick nimmt. Deswegen sind sie des »Nazis« bedürftig. Nur durch die Materialisation des Bösen, durch die Simulation der »rechten Gefahr« lässt sich die bröckelnde Macht sichern. Es ist Gratismut, der sich als nachgeholter Widerstand selbst feiert.
Der Kampf dieser sich bald täglich »alternativlos« zu alleinigen Demokraten umdeutenden Kräfte erinnert fatal an Don Quichotte und seinen ewigen Kampf gegen Windmühlen. Sie brauchen ihre Mär, weil sie nur so von ihrer auf ganzer Linie gescheiterten Politik ablenken und die Macht ihrer Leute in Medien, Justiz und Hochschulen verteidigen können. Die inneren Gegensätze werden glattgeschliffen. Im Syndikat ist alles austauschbar und jeder mit jedem koalitionsfähig. Sie sitzen fest im Engpass ihrer eigenen Projektionen. In Sachsen profitierte noch die CDU vom antifaschistischen Schutzwall der selbsternannten Solodemokraten, in Brandenburg die SPD. Wenn Sachsens christdemokratischer Regierungschef in Brandenburg Wahlkampf für seinen SPD-Kollegen macht, zeigt das, wie austauschbar und beliebig ihre Positionen geworden sind. Und wie groß die Angst vor Machtverlust bereits ist.
Doch für Woidke ist es ein Pyrrhussieg. Der Bündnispartner FDP bleibt unter der Wahrnehmungsschwelle, auch die Grünen bleiben draußen vor der Tür. Die CDU reicht in Brandenburg nicht einmal mehr als Mehrheitsbeschaffer. In Potsdam – wie vorher schon in Erfurt und in Dresden – lässt sich die Macht des geschwächten Syndikats nur noch verteidigen, wenn Sahra Wagenknecht und ihr BSW mitspielen. Das BSW profitierte bei den Wahlen wie die AfD von der immer größer werdenden Repräsentationslücke, die das Parteienkartell mit seiner nach allen Umfragen unbeliebten, angeblich »alternativlosen« Migrations-, Klimaschutz-, Wirtschafts-, Wärmepumpen- und leistungsfeindlichen Sozialpolitik aufreißt. Fast jede grundlegende politische Opposition gegen diese Politik wird als »rechts« denunziert. Und »rechts« bedeutet im neuen Deutschland »gesichert rechtsextrem«. Innerstaatliche Feinderklärungen und Realitätsverleugnung wurden zum antifaschistischen Programm erhoben.
Genau das ist der Punkt, der das BSW für das Syndikat anschlussfähig macht. Deswegen verhandeln CDU- und SPD-Politiker bereitwillig mit der nostalgiekommunistischen Kaderpartei und grüßen AfD-Abgeordnete nicht mal im Flur. Das BSW ist eine kleine leninistische Kaderpartei – größtenteils mit Personal der Linkspartei bestückt – und noch weiß niemand, wofür sie wirklich steht. Überraschend schnell drohen die Masken nach dem schnellen Aufstieg zu fallen, reiht sich das elitäre Linksbündnis doch allzu bereitwillig in die »antifaschistische« Phalanx ein. Neuer Politikstil, neue Politik? In Thüringen arbeitet das BSW jetzt schon lieber mit am Aufbau einer – wie Mathias Brodkorb es beschrieb – »Bananenrepublik«, in der unter dem Deckmantel des Antifaschismus undemokratische Sonderrechte gegen die Opposition geplant werden, um »Rechts« um jeden Preis von möglicher Einflussnahme im parlamentarischen Alltag fernzuhalten. Daher rumort es im BSW – erste Richtungskämpfe und Fraktionsbildungen deuten sich an. Wann wird Sahra Wagenknecht hinwerfen, wenn sie merkt, dass ihr neues Bündnis am Ende doch nichts anderes sein wird als eine Linkspartei 2.0 mit einem kulturkonservativen Feigenblatt?
Die AfD lebt vor allem davon, dass sie (wenn das BSW dem Syndikat beitreten sollte) erkennbar die einzige politische Kraft ist, die den Finger immer wieder in die Wunde legt, wenn sich der Graben vertieft zwischen dem alltäglich erlebten Substanz- und Heimatverlust und der zweiten Realität der Berliner Politik- und Medienblase. Sicher, es gibt auch Nazis und Völkische, die in der Partei mitmischen wollen, auch manche unangenehme Gestalt. Doch, um Altbundespräsident Joachim Gauck zu zitieren, deswegen ist die AfD noch lange keine Nazipartei. Und nicht jeder, der die Flagge der Antifa hisst, ist deswegen schon ein Demokrat. Die Nazikeule nutzt sich ab, wenn alles Rechte linkisch zur Wiedergeburt des Nationalsozialismus erklärt wird. Die Menschen erleben im Alltag, dass die Eliten unablässig von Respekt, von Vielfalt und Demokratie sprechen; doch in Wirklichkeit verteidigen sie ein in der (westdeutschen) Ideologie der 1980er Jahre erstarrtes, dysfunktional gewordenes politisches System. Als »Bleiben im Verschwinden« hat Hegel eine solche Zeit der Übergänge bezeichnet. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg sind wir Zeugen dieser »haltungslose Unruhe« des Übergangs.
Über den Autor: Carsten Germis ist Chefredakteur von TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung
Titel-/Beitragsfoto von Stephan Sprinz, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons
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