Auf dem mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Parforceritt, zu dem unser Autor sich durch die maschinenähnliche Christus-Darstellung in einer lombardischen Kathedrale inspirieren ließ, empfiehlt sich selbst für Vorgebildete gutes Festhalten, um auch bei den Auftritten von Jakob Augstein und Elke Schmitter noch im Sattel zu sitzen, der mit Filippo Tommaso Marinetti bestiegen wird.
Die Gleichgültigkeit des Südens
Wer die Chiesa di San Lorenzo vor dem am Westufer des Comer Sees gelegenen Örtchens Mezzegra durch das Hauptportal betritt, beachtet die über ihm in den durchschrittenen Rundbogen eingelassene Keramik zunächst nicht sonderlich.
Er mag das in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eingefügte Votiv für eine jener in katholischen Kirchen häufig anzutreffenden Jesus-Darstellungen halten.
Das Ungewöhnliche, mit der Erwartung Brechende, fällt dem Betrachter, so er sich nicht ob des Skandalons schon vorab informierte, erst bei genauerem Hinschauen auf. Aufrecht steht der Heiland inmitten seiner Jüngerschar. Manieristisch überproportioniert beeindrucken Rumpf und Schulter. Als hätte der »uomo moltoplicato« des Futurismus Modell gestanden, spannen sich die Züge seines Gesichts. Mit seinen langen, von Muskeln bepackten Unterarmen gleicht er dem »metallisierten Mann«[1], wie ihn Filippo Tommaso Marinetti (Manifeste du Futurisme. Le Figaro, Paris, 20. Februar 1909) besingt, der »das Steuer hält, dessen Idealachse die Erde durchquert, die selbst auf ihrer Bahn dahinjagt«. Die »Geschwindigkeit der Welt« lässt ihn zum »Maschinenmenschen« werden. Sie bildet den ihm »angemessenen Takt«.
Die übersteigernde Bejahung der Simultanität, der seelenlosen Moderne in ihrer Gleichzeitigkeit aller Prozesse, bildet die Bühne eines heroischen Hedonismus. In Verkehrung der Leiden Christi wird die avantgardistische Selbstzerstörung propagiert. Ihr Agens ist, wieder Ereignis zu sein in einer kraftlos gewordenen Zivilisation. Ihr Element ist der Krieg. Todesmutig schleudern die Aufrührer ihre Verachtung gegen die Phalanx der Domestizierten: »… Sie werden uns lärmend umringen, vor Angst und Bosheit keuchend, und werden sich, durch unsere stolze, unbeirrbare Kühnheit erbittert, auf uns stürzen, um uns zu töten, und der Hass, der sie treibt, wird unversöhnlich sein, weil ihre Herzen voll von Liebe und Bewunderung für uns sein werden.«
Der futuristische Furor ist ein Reflex auf die zyklische Gleichgültigkeit des Südens. Dem antikisierten Christentum ist alles Entwicklungsgedankliche fremd. Es ist die Religion jener, die »schon immer hier leben«. Die Verehrung der Schutzheiligen und Marienkulte wahren die Kontinuität zu den lokalen Gottheiten aus ruhmreicher Vergangenheit. Die Gespenster des Nordens, die kollektiven Neurosen des Untergangs, verlieren sich im nachalpinen Raum. Den Grotesken des Leibes frönt die mediterrane Volksfrömmigkeit. Hypochondrie ist ihre Leitpathologie. Den demütigen Kreislauf von Geburt, Leben und Tod zu durchbrechen[2], verzehrt sich das Individuum in der anarchischen Exaltation.
Imitatio Christi
»Aber wenn ein Mann den tödlichen Schuß, der ihm das Eingeweide zerreißt, empfangen hat, dann soll keiner mehr nach ihm hinsehen. Denn was dann kommt, ist häßlich und gehört nicht mehr zu ihm. Das Große und Schöne, das heldische Leben ist vorüber«, lässt Walter Flex den Protagonisten seiner 1916 veröffentlichten Novelle Der Wanderer zwischen beiden Welten bekennen. Neben Ernst Jüngers In Stahlgewittern und Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues zählt sie zu den in der Weimarer Republik meistgelesenen Kriegserinnerungen.
In der Eloge auf den 1915 an der deutsch-russischen Front im litauischen Simnen gefallenen Leutnant, Theologiestudenten und Kriegsfreiwilligen, Ernst Wurche, ist aus der Gewaltverherrlichung der futuristischen Avantgarden der blutige Ernst der Maschinenschlachten des europäischen Bürgerkriegs geworden. Die Massenhaftigkeit benimmt dem Sterben jeglichen Ereignischarakter. Seine Anonymität wehrt der hedonistischen Stilisierung. Auch bei Flex wird die Christi-Leiden-Geschichte verkehrt. Aber nicht anarchischer Exzess ist der Impulsgeber, sondern romantischer Eskapismus. Das Zu-sich-Finden unter einem kollektiven Erwartungshorizont bildet den Fluchtpunkt in der existenziellen Ausnahmesituation.
»Leutnantsdienst tun, heißt: seinen Leuten vorsterben«, legt Flex einem jungen Zugführer auf dem Weg von der Ausbildung an die Front in den Mund, um dessen Fatalismus sogleich korrigieren zu lassen. Flex' Protagonist, der eine Feldausgabe des Neuen Testaments in seinem Tornister trägt, fordert in pietistischer Diktion die Nachfolge[3] Christi ein: »Leutnantsdienst tun, heißt: seinen Leuten vorleben … das Vor-sterben ist dann wohl einmal ein Teil davon«.
Der futuristische Tatmensch findet sich gemeinschaftlich repatriiert. Die proklamierte Einheit von Kunst und Leben stiftet die innerweltliche Askese (Max Weber).
»Rein bleiben und reif werden – das ist schönste und schwerste Lebenskunst«, sinniert Flex‘ Freund Wurche über den »Geist des Wandervogels«. Jene Jugendbewegung an der Schwelle vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert prägt Autor und Held. In der Natur sucht sie den Fluchtpunkt zur Hektik des Industriezeitalters. Handwerk versus Serienproduktion, Gesinnung gegen die Seelenlosigkeit übervölkerter Metropolen, Freikörperkultur und Reformpädagogik sind deren Insignen.
Das Kühnesche Gesetz Oder Warum das Bauhaus eine deutsche Erfindung ist
Arbeit (W) ist Kraft (F) mal Weg (s), W=F x s, so lautet das Energieerhaltungsgesetz im Zeitalter der Mechanik. »Was man an Kraft spart, muss man an Weg zusetzen«, notiert Galileio Galilei, 1594, zu seiner Verdeutlichung. Der Satz liest sich, als nähme der Renaissancegelehrte in physikalischer Analogie das Paradigma einer Ästhetik der Neuzeit vorweg: Was man an Raum verliert, kompensiert man durch den Gegenstand.
Kaum ein Denker des vergangenen Jahrhunderts hat jenen Gegensatz mehr durchlebt als der Berliner Philosoph Lothar Kühne. Die Antinomien von Gegenstand und Raum (1981), Haus und Landschaft (1985) bedeuten ihm anthropologische Universalien. Gesamtgesellschaftliches Perspektivbewusstsein bilden sie ab. Die Abwesenheit eines kollektiven Erwartungshorizonts zeitige eine in Ding-Fetischismus erstarrende, »bekunstete« Welt[4].
Das futuristische Christus-Votiv über dem Kirchenportal in Mezzegra reite sich nach diesem Szenario abendländischen Sinnverlustes in die Phalanx des »Kitsch«, einem der wenigen Lehnworte aus dem Deutschen, das im Italienischen anzutreffen ist.
Kühne sucht die Pole zu versöhnen. Seine Klammer, der inneren Dynamik Rechnung zu tragen, heißt: Funktionalität. Ihr Wirkprinzip sei Gebrauchswert vor Tauschwert. Er sieht es in den Entwürfen des Bauhauses angelegt. Das Subjekt zu funktionaler Missionierung der Menschheit bleibt für ihn das Proletariat. Hoffnungsträger und Antizipation des gemeinschaftlichen, kommunistischen, Ideals im Hier und Heute.
Das Große und Schöne des irdischen Lebens, so ließe sich aus dieser Logik herleiten, folge der Maßgabe substanzieller Zweckmäßigkeit. Gestalterische Redlichkeit stifte die Beziehungen des Neuen Menschen zu sich und seiner Umwelt. Ihr zu dienen, bleibe moralische Pflicht.
Nachfolge Christi in der Säkularisation bedeute demnach, sich weltanschaulich in Übereinstimmung zu bringen. Das Rein-bleiben-und-reif-Werden der Wandervögel findet sich in ihr, angesichts der Gier der Märkte und Verlockungen des Konsums, gewissermaßen im Hegelschen Sinne aufgehoben. Auch bei Kühne findet sich jene mit dem Leben bezahlte Einheit von Wort und Tat, Werk und Existenz, die Hans Wagener[5] bei Walter Flex im Hinblick auf dessen, seinem Protagonisten nachfolgenden, frühen Tod an der Front betont.
Der gläubige Marxist suizidierte sich im November 1985. Das ist das Deutsche an ihm. Für das »Land des Gehorsams«[6] bildet Gesinnungsethik das Alleinstellungsmerkmal. Sie ist das Kontinuum über die Folge der Generationen und politischen Lager hinweg. Das unterscheidet die »Macht« in der Mitte Europas von den Nationen an seinen Peripherien.
Das Heilige römische Reich deutscher Nation, das »nichts Eigenes zu sein beanspruchte« und »aus sich heraus und ohne fremden Zwang zu keinem einheitlichen Nationalstaat hinstrebte«, sei jahrhundertelang der »Sitz der tiefsten und stärksten Einheitsgarantie Europas und seines Einheitsgeistes« gewesen, formuliert, 1917, Max Scheler (Die Ursachen des Deutschenhasses). Der dieser Lage »angemessene kosmopolitische Geist«, aus dem heraus die Deutschen sich berufen fühlen, die »umgebenden Völkerwelten moralisch und politisch zu organisieren« (ebd.), rufe den Argwohn, ja gar den Hass der Nachbarn hervor. Was damals galt, scheint heute wieder aktuell, wie die zunehmende Kluft des wiedervereinten deutschen Universalismus zu den verleibten und pragmatischen, mit ihm in der Union vereinten Nationen aus dem romanischen und angelsächsischen Kulturkreis zeigt. Von dem identitären Patriotismus der kleineren Staaten Osteuropas[7] einmal abgesehen.
Endzeit-Immanenz
Die Entwicklung der Völker in die Analogie zu den menschlichen Lebensaltern zu setzen, ist eine Erfindung der Aufklärung (Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 1784-1791). Der Eintritt ins Erwachsensein beschreibt für sie den Zustand des Abendlands. Aufgeklärte Staatskunst habe sich, wie jedes Glied des Gemeinwesens auch, des mündigen Verstandes zu bedienen. Das Christentum schrumpft zur »Vernunftreligion«, das öffentliche Leben findet sich gleichsam akademisiert.
Mit Gewissheit im Glauben und vorgelebter Tüchtigkeit reagiert der Pietismus darauf. Er bildet die Folie für eine Generation, die als »Wanderer« zwischen Innerlichkeit und Tatendrang, Weltflucht und Weltsucht, den Kampf um das »gute Recht ihres natürlichen Wachstums« mit der »gleichen inneren Leidenschaft wie das Ringen der Völker« verfolge, für die dem Wandervogel und Weltkriegsoffizier, Walter Flex, gleichsam Ernst Wurche als Alter Ego das Beispiel liefert. In ihrem kollektiven Erwartungshorizont verklärt sich die Not verspäteter Nationalstaatsbildung zur Tugend, aufstrebender Teil eines noch jungen Volkes zu sein.
Der Jugend bleibt das Alter immer verdächtig. Die den späteren Lebensabschnitten geltenden Schmähungen aus dem ersten Drittel der menschlichen Biografie ziehen sich durch die deutsche Kulturgeschichte vom Sturm und Drang des achtzehnten bis zu den Achtundsechzigern des zwanzigsten Jahrhunderts: »Trau keinem über dreißig«. Ihre Akteure treibt die Angst, ihnen drohe ein Leben ohne innere Übernahme, an dessen Ende eine als Einsicht in die Notwendigkeit paralysierte, schale Vernunft triumphiere.
»Wie es dem Manne geziemt, in kräftiger Lebensmitte zuweilen an den Tod zu denken, so mag er auch in beschaulicher Stunde das sichere Ende seines Vaterlandes ins Auge fassen«, lässt Walter Flex seinen Helden aus Gottfried Kellers Das Fähnlein der sieben Aufrechten zitieren. Die Vergänglichkeit, den eigenen Untergang, vor Augen, so heißt es in gleichsam eschatologischer Immanenz aus dem Geiste des Pietismus bei dem Schweizer Patrioten und republikanischen Freischärler weiter, wird es sich »keine Ruhe gönnen, bis es die Fähigkeiten, die in ihm liegen, ans Licht und zur Geltung« gebracht habe, »gleich einem rastlosen Manne, der sein Haus bestellt, ehe denn er dahinscheidet.«
In der Anlehnung der Weltgeschichte an die Anthropologie wird das mögliche finale Schicksal der eigenen Nation auch bei Flex heroisch sublimiert: »‚Nur den Strohtod‘, meinte er [Leutnant Wurche] darauf, ‚den möchte man seinem Volke gern erspart sehen. … Der Gedanke an den Heldentod eines Volkes ist nicht schrecklicher als der an den Schwerttod eines Menschen.‘«
Die Unterscheidung von Schwert- und Strohtod geht auf die germanische Mythologie zurück. Nur ein Ende durch im Kampf erlittene Wunden gilt als erstrebenswert. Es zieht den direkten, von Walküren geleiteten Weg in die Walhalla nach sich. Ein Sterben auf dem Stroh hingegen, als Synonym für Siechtum und Bettlägerigkeit, gilt als unehrenhaft.
Im Abendland, als einer »Kultur des Wollens« hinaus über bestehende Grenzen (Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes[8]), finden germanische Strohtod-Sublimation und Nachfolge Christi zu heroischer Symbiose.
Zur kollektiven Motivierung bedarf es für die Christenmenschen des Nordens nicht eines muskelbepackten diesseitigen, futuristischen Messias, der der Kampagne vorangeht und dessen man sich nach ihrer Missglückung wieder entledigt. Das »Vorleben« des Heilands selbst, sein Kreuzestod, steht ihrem Idealismus Modell. Die vielbeschworene Nibelungentreue der Deutschen erweist sich in seinem Licht als eine Strohtod-Sublimation. Ihre Militanz ist gesinnungsethischer Provenienz[9].
Fähnrich Augstein, Pflegedienstleitung Schmitter Oder Gesinnungsmilitanz Zuwanderung
Der Untergang der Deutschen scheint beschlossene Sache. Die »wirtschaftliche Vernunft« hat sie verordnet. Ihre Offiziere rekrutiert sie aus der neugläubigen Linken. Im Zuge des knappen Geldes und rückläufiger Abonnenten sind die Blätter des investigativen Journalismus zu Gemeindezeitungen mutiert, in denen verdienstvolle Glieder den Schäfchen die Leviten lesen.
Bei Der Spiegel, dem Flaggschiff der Demokratie, stehen gleich fünf von ihnen in Lohn und Brot. Mit »Im Zweifel links« gibt Jacob Augstein den Fahnenschwur kollektiver Identifikationsethik vor. Er macht, die Reihen zu schließen, die »islamophoben Brandstifter« (ebd.,17/2016) als die Antisemiten der Gegenwart aus. Unter ihnen finden sich an prominenter Stelle Henryk M. Broder, dessen Eltern Auschwitz überlebten, und Ralph Giordano, der im Dritten Reich als Jude verfolgt worden war. Seit der Auflösung der Fronten des kalten Krieges ist die neulinke Erbengemeinschaft dabei, die Pfründe aus dem »Ende der Geschichte« unter sich aufzuteilen.
Untergangsselig weiden sie das Gras von den Totenäckern des deutschen Idealismus. Ihr heroisches Mütchen kühlen sie an ihren Landsleuten in sadistischen Strohtod-Phantasien: »Falls die deutschen Lehrpläne im Umgang mit den Tatsachen [Zuwanderung, Anm. d. Verf.] ein wenig schneller sind als die CDU…, wird die derzeitige Kita-Generation das Anthropozän nicht nur buchstabieren können, sondern auch verstanden haben, wenn es die Geschicke der Republik übernimmt. In den Seniorenheimen gibt man dann lange schon In-vitro-Schnitzel aus, und die Alten erzählen ihren Urenkeln, die auf ihren künstlichen Kniescheiben reiten, von diesem sagenhaft heißen Sommer, 2018, in dem sie was begriffen haben«, weiß Elke Schmitter (ebd., 32/2018) »nicht besser« zu berichten.
Pflegedienstleitung Schmitter ist nur zu wünschen, dass ihr die Bio-Deutschen noch lange erhalten blieben, sonst würde sie ja arbeitslos. Und auch Fähnrich Augstein scheint zwischenzeitlich um seinen Job zu bangen, tritt er doch für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht (ebd. 33/2018) ein:
»Eine Dienstpflicht müsse keinen militärischen Sinn ergeben, ein gesellschaftlicher genüge vollkommen. Es gibt nämlich ein großes Problem in Deutschland: die soziale Segregation.«
In den Schulen, in den Wohnvierteln, in den Restaurants, im Sportclub begegne man nur seinesgleichen. Vom Leben der anderen wisse man nichts mehr. Man wolle aber auch nichts mehr wissen:
»Tatsächlich sind Pflicht und Dienst Wörter, mit denen wir uns heute schwertun. Das ist ein Zeichen unserer Befreiung. Wir haben alle Fesseln abgeworfen, die Kirche und Religion uns auferlegt haben, und sind jetzt ganz frei. So frei, dass unsere letzte Religion der Egoismus ist und der Konsum unser Kult.«
Schneidig ist er, unser Melder von der vordersten Linie. Glaubensinnig und ehrversessen schwingt er das Fähnlein des unverleibten Helden. Recht hat er: Deutsche Lebenskunst heute muss, pflichtschuldigst, heißen, seinen Leuten Gesinnungsmilitanz im Dienste des Anthropozäns »vor(zu)leben«. Das »Vor-sterben« bleibt dann ihnen überlassen.
*
[1] Klaus Theweleit liest Faschismus und Nationalsozialismus mit gleichsam futuristischer Brille, indem er den »Körperpanzer« des soldatischen Mannes in die Kausalität der Gewaltentfaltung des Zweiten Weltkrieges setzt (Männerphantasien. Frankfurt, Basel 1977/78).
[2] Der Legende nach verdankt sich die futuristische Erweckung Marinettis einem Unfall. Im Juni 1908 überschlug sich der wohlhabende italienische Diplomatensohn mit seinem Wagen. Er landete in einem Wassergraben und drohte zu ersticken.
[3] Dietrich Bonhoeffer unterscheidet in seiner Schrift Nachfolge, 1936, die in der illegalen Pastorenausbildung der Bekennenden Kirche während der NS-Zeit eine große Rolle spielen sollte, »billige« und »teure« Gnade. Erstere sei ohne Kosten zu haben, ihre Vergebung gelte nicht dem Sünder, sondern der Sünde. Letztere fordere die persönliche Nachfolge Christi ein, sie koste das Leben. Das Mönchstum gründe sich auf sie. Mit der Verweltlichung der Kirche sei sie verloren gegangen.
[4] Als deren Manifestation man das Anwachsen mit Tattoos fragmentierter Körper in unserer Gegenwart beobachten kann.
[5] Wandervogel und Flammenengel – Walter Flex: Der Wanderer zwischen beiden Welten. Ein Kriegserlebnis (1916). In: Thomas F. Schneider, Hans Wagener (Hrsg.): Von Richthofen bis Remarque: Deutschsprachige Prosa zum I. Weltkrieg. Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, 2003.
[6] »Terra obedientiae«, der päpstliche Ehrenname der Deutschen versteht sich in seinem geistesgeschichtlichen Ursprung zunächst jenseits pejorativer Konnotationen, die ihm in Folge ihrer Erschöpfung aus dem Dreißigjährigen Kriegs und vor den Hintergrund ihrer »revolutionären Ohnmacht« seit dem 18. und 19. Jahrhundert (vgl. Joachim Fest: Nach dem Scheitern der Utopien. Hamburg, 2007) anhaftet.
[7] Den Einfluss der Mittelmächte Habsburg und Preußen zu mindern, fördern die europäischen Hegemonialstaaten England und Frankreich den Partikularismus der osteuropäischen Völker und Ethnien. Die nämliche Politik verfolgt das westliche Bündnis gegen Russland nach dem Ende des kalten Krieges.
[8] Vgl. Peter Strasser: Spenglers Visionen. Hundert Jahre Untergang des Abendlandes. Wien, 2018.
[9] Max Scheler (a.a.O.) grenzt deutschen Gesinnungsmilitarismus von westlichem Instrumentalmilitarismus ab. Letzterer sei durch klare Kriegsziele definiert. Das Heer stelle für ihn nur das Werkzeug einer außermilitärischen, herrschenden Schicht ohne ein inneres, in deren Ethos »selbst liegendes Maß« dar. Ersterer sei hingegen immanenter ethischer Natur, ohne jeden partikularen Zweck, weshalb er sich mit größter Friedfertigkeit des Willens zusammenfinden könne. Sein Ethos sei keine »Berufsmoral«, sondern »integrierendes Element«.
*
Der Autor veröffentlichte bisher Kurzprosa. Gegenwärtig hat er die Arbeit an einem Roman
abgeschlossen. In ihm wird eine Gesellschaft beschrieben, die zu ihrer Fortpflanzung
keiner Männer mehr bedarf.
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